Die §§ 13 und 24 PatG definieren Ausnahmen vom Grundsatz des § 9 PatG, demgemäß „allein der Patentinhaber befugt ist, die patentierte Erfindung im Rahmen des geltenden Rechts zu benutzen“, wobei es „[jedem] Dritten … verboten [ist], ohne seine Zustimmung“ den Gegenstand des Patents zu benutzen. Dieser Grundsatz hat in bestimmten Fällen Ausnahmen, und auf diese Ausnahmen ist in der öffentlichen Diskussion angesichts der COVID-19-Pandemie mit dem Verlangen nach „Freigabe der Patente auf COVID-19-Impfstoffe“ Bezug genommen worden.
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Gemäß § 13 (1) S. 1 PatG kann die Bundesregierung die Wirkung eines Patents dadurch aufheben, dass sie die Benutzung der Erfindung „im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt“ anordnet, und gemäß § 13 (1) S. 2 PatG kann auch das Verteidigungsministerium oder eine von diesem Ministerium beauftragte, nachgeordnete Behörde „im Interesse der Sicherheit des Bundes“ dasselbe tun. Ein von solcher Anordnung beschwerter Patentinhaber kann sich gemäß § 13 (2) PatG vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen eine solche Anordnung wehren. Das dicke Ende kommt mit § 13 (3) PatG: Der beschwerte Patentinhaber hat gegen den Bund einen Anspruch auf angemessene Vergütung. Wenn auch das letzte Kriterium eine Empfehlung an den Bund zu beinhalten scheint, von § 13 (1) PatG nur äußerst sparsamen Gebrauch zu machen, so ist damit doch ein Werkzeug gegeben, um der „öffentlichen Wohlfahrt“ die Nutzung eines Patents auch gegen den Willen des Patentinhabers zu ermöglichen, womit eine weitere Voraussetzung für eine solche Anordnung impliziert ist: Es wird nicht genügen, ein „Interesse der öffentlichen Wohlfahrt“ festzustellen, es wird auch notwendig sein, einen gewissen Mangel an Mitwirkung des Patentinhabers zur Nutzung seines Patents festzustellen. Für den lange und ausgiebig in der Öffentlichkeit diskutierten Fall der „Freigabe der Patente“ für COVID-19-Impfstoffe mag man ein Interesse der öffentlichen Wohlfahrt durchaus feststellen wollen – von einem Mangel an Mitwirkungsbereitschaft bei den Inhabern dieser Patente hat der Autor in solchen Zusammenhängen jedenfalls nichts gehört. Vielleicht waren und sind diese Inhaber ja kooperativ?
Anzumerken ist, dass zu § 13 PatG bis heute anscheinend keine obergerichtlichen Entscheidungen veröffentlicht worden sind. Jedenfalls nennen weder der Benkard-Kommentar, 11. Auflage, noch der Beck’sche Online-Kommentar, 23. Auflage, eine solche Entscheidung.
Eine weitere Möglichkeit zur Nutzung des Gegenstandes eines Patents gegen den Willen des Patentinhabers eröffnet § 24 PatG mit der Möglichkeit der Erteilung einer Zwangslizenz an dem Patent, wozu weder eine Aktion von Seiten der Bundesregierung noch eine Aktion von Seiten des Verteidigungsministeriums notwendig sind, sondern wozu ein an der Nutzung des Patents interessierter Dritter beim Bundespatentgericht einen Antrag auf Erteilung der Zwangslizenz stellen muss.
Eine erste Voraussetzung für einen solchen Antrag auf Erteilung einer Zwangslizenz ist, dass der Lizenzsucher gemäß § 24 (1) Nr. 1 PatG „sich innerhalb eines angemessenen Zeitraumes erfolglos bemüht hat, vom Patentinhaber die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen“. Der Unwille des Patentinhabers zur Erteilung einer Lizenz muss sich somit in entsprechend erfolglosen Verhandlungen erwiesen haben. Eine zweite Voraussetzung für einen solchen Antrag auf Erteilung einer Zwangslizenz ist gemäß § 24 (1) Nr. 2 PatG, dass „das öffentliche Interesse die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet“. Der eine Zwangslizenz suchende Dritte muss dem Bundespatentgericht die Erfüllung beider Voraussetzungen darlegen, das erfolglose Bemühen um eine bilateral erteilte Lizenz ebenso wie das öffentliche Interesse. Im Fall der Forderung nach „Freigabe der Patente“ für COVID-19-Impfstoffe mag man auch ein eine Zwangslizenz gebietendes öffentliches Interesse der öffentlichen Wohlfahrt annehmen wollen – in der gegebenen Situation scheint aber eine Weigerung der Patentinhaber an der Erteilung bilateraler Lizenzen zu angemessenen Bedingungen nicht vorzuliegen.
Angemerkt sei noch, dass im Gegensatz zu Fällen des § 13 PatG einige Fälle des § 24 (1) PatG rechtshängig geworden sind. So nennt der Beck‘sche Online-Kommentar zum Patentrecht, 23. Auflage die vom Bundesgerichtshof erlassenen Entscheidungen „Polyferon/Interferon-gamma“, X ZR 26/92 vom 5. Dezember 1995, GRUR 1996, 190, „Raltegravir“, X ZB 2/17 vom 11. Juli 2017, GRUR 2017, 1017, und „Alirocumab“, X ZB 2/19 vom 4. Juni 2019, GRUR 2019, 1038. Alle diese Entscheidungen betreffen Zwangslizenzen für pharmazeutische Wirkstoffe, unter anderem einen Wirkstoff zur Therapie von HIV.
In § 24 PatG findet man jedoch eine weitere Möglichkeit zur Nutzung eines Patents gegen den Willen des Patentinhabers. Eine Möglichkeit, die nicht nur die Einschränkung der Wirkung des Patents im Sinne eines Verbietungsrechts beinhaltet, sondern auch eine Konkretisierung der Wirkung eines Patents im Sinne der gemäß § 9 PatG allein dem Patentinhaber zukommenden Befugnis zur Benutzung der Erfindung.
§ 24 (2) PatG ermöglicht nämlich die Erteilung einer Zwangslizenz auch für einen Fall, in dem der Inhaber eines Patents mit jüngerem Zeitrang eine ihm durch dieses Patent geschützte Erfindung nicht verwerten kann, ohne ein Patent mit älterem Zeitrang zu verletzen – wobei das Patent mit jüngerem Zeitrang üblicherweise als ein von dem Patent mit älterem Zeitrang „abhängiges Patent“ bezeichnet wird. Unter den nachfolgenden Voraussetzungen gibt § 24 (2) PatG dem Inhaber des abhängigen Patents gegenüber dem Inhaber des Patents mit dem älteren Zeitrang einen Anspruch auf Einräumung einer Zwangslizenz.
Die erste dieser Voraussetzungen ist, dass der Inhaber des Patents mit dem jüngeren Zeitrang sich gemäß § 24 (2) Nr. 1 PatG entsprechend § 24 (1) Nr. 1 PatG innerhalb eines angemessenen Zeitraumes erfolglos bemüht hat, vom Inhaber des Patents mit dem älteren Zeitrang die Zustimmung zu erhalten, die dadurch geschützte Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen. Die zweite Voraussetzung (§ 24 (2) Nr. 2 PatG) besteht darin, dass „seine eigene Erfindung im Vergleich mit derjenigen des Patents mit dem älteren Zeitrang einen wichtigen technischen Fortschritt von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung aufweist“. Nicht zu den Voraussetzungen gehört ein öffentliches Interesse an der Erteilung der Zwangslizenz.
Somit kann der Inhaber eines abhängigen Patents die Erteilung einer Lizenz erzwingen – unter der Voraussetzung, dass die im abhängigen Patent geschützte Erfindung einen wichtigen technischen Fortschritt von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung aufweist. Die unbestimmten Rechtsbegriffe häufen sich in dieser Bestimmung und es bleibt die Hoffnung, dass die einschlägige Rechtsprechung Klarheit schafft. Bislang liegt dazu allerdings wenig vor. Der Beck‘sche Online-Kommentar zum Patentrecht, 23. Auflage, nennt immerhin die oben schon erwähnte Entscheidung „Polyferon/Interferon-gamma“ mit dem Hinweis, dass die bloße Tatsache der Abhängigkeit eines Patents von einem anderen Patent als Voraussetzung für die Erteilung einer Zwangslizenz nicht genüge. Einen „wichtigen technischen Fortschritt von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung“ hat offensichtlich noch niemand dem Bundespatentgericht vorzutragen versucht. Die Frage, welche konkreten Umstände vorliegen müssen, um dieses Kriterium zu bejahen, steht also unbeantwortet.
Zwei Aspekte mögen noch erwähnt sein: § 24 (2) Nr. 2 PatG erlaubt es dem Inhaber des älteren Patents, im Gegenzug zur Zwangslizenz eine Gegenlizenz zur Nutzung des Patents mit jüngerem Zeitrang zu angemessenen Bedingungen zu fordern. § 24 PatG kann dem Inhaber eines abhängigen Patents somit keine exklusive Nutzung gewährleisten. Dies mag von Bedeutung sein für den Fall, dass ein neues Geschäft auf ein abhängiges Patent gegründet werden soll. Des Weiteren erfordert § 24 (2) Nr. 2 PatG natürlich, dass Belege für den technischen Fortschritt und die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung vorgelegt werden: Es ist notwendig, sowohl technische als auch wirtschaftliche Details einer beabsichtigten Nutzung darzulegen, und dies eben auch zur Kenntnis des Inhabers des älteren Patents. Dies wird der Inhaber eines abhängigen Patents nicht in jedem Fall schätzen. Abhilfe vor unerwünschter Publizität ist aber möglicherweise über die verfahrensrechtlichen Vorschriften zu erlangen: Die §§ 81 und 145a PatG beziehen die Regelungen der §§ 16 bis 20 Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) in das Klageverfahren betreffend die Erteilung einer Zwangslizenz nach § 24 PatG ein, worüber ein Schutz für im Streitfall vorzutragende Geschäftsgeheimnisse – auch gegenüber der beklagten Partei! – zu erlangen ist.
Über die Erlangung eines abhängigen Patents, welches Möglichkeiten schützt, die geeignet sind, ein bis dahin nicht oder mit nur wenig wirtschaftlichem Erfolg genutztes Patent mit älterem Zeitrang mit wesentlich vergrößertem wirtschaftlichem Erfolg zu nutzen, kann eine Befugnis zur Nutzung des Patents mit älterem Zeitrang erzwungen werden. Dies ermöglicht die Gründung eines neuen und vom Inhaber des älteren Patents weitgehend unabhängigen Geschäftes, wenn auch unter der Nebenbedingung, dass der Inhaber eines älteren Patents über eine Gegenlizenz mit entsprechenden Nutzungsrechten verfügt.
In einer Situation, in der es um die Notwendigkeit der Nutzung eines durch ein älteres Patent geschützten Standards geht, mag der Aspekt der Gegenlizenz von geringer Bedeutung sein, wenn durch die Erlangung eines abhängigen Patents mit entsprechender technischer und wirtschaftlicher Bedeutung die Erteilung einer Zwangslizenz an dem älteren Patent erzwungen werden soll. Eine Möglichkeit zur Sicherstellung des Zugangs zu einem patentgeschützten Standard durch ein, wenn auch abhängiges, Patent scheint hier gegeben und durchaus attraktiv zu sein.
Die in obigen Ausführungen enthaltenen Bezugnahmen auf „Patente“ sind mit voller Absicht vorgenommen worden: Sowohl Anordnungen nach § 13 PatG als auch Zwangslizenzen nach § 24 PatG kommen nach einhelliger Meinung der Kommentatoren nur in Frage, wenn tatsächlich erteilte Patente zu Grunde liegen – insbesondere müssen im Fall des § 24 (2) PatG beide in Betracht stehenden Patente erteilt sein. Im Fall des § 24 (2) PatG erscheint es jedenfalls empfehlenswert, das abhängige Patent so früh wie möglich anzumelden und so schnell wie möglich zur Erteilung zu bringen, damit eine in Aussicht genommene Nutzung durch Verhandlungen mit dem Inhaber des älteren Patents und, so erforderlich, Erwirkung einer Zwangslizenz vorbereitet werden kann.
Auf die Frage, ob noch Einspruchsfristen laufen oder Einspruchsverfahren laufen, dürfte es im Zusammenhang mit §§ 13 und 24 PatG nicht ankommen. Ob auch Gebrauchsmuster in Betracht kommen? Als Grundlage für Anordnungen nach § 13 PatG und Zwangslizenzen nach § 24 PatG wohl ja, als Grundlage für die Erzwingung einer Zwangslizenz gemäß § 24 (2) PatG – als ungeprüfte Schutzrechte – wohl nein.
Ob § 24 (2) PatG jemals praktische Bedeutung erlangt, dürfte nach der begrüßenswerten Regelung des Schutzes eventueller Geschäftsgeheimnisse über § 145a PatG in erster Linie durch die Auslegung des Kriteriums „wichtiger technischer Fortschritt von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung“ bestimmt werden:
Muss die Rechtspraxis zum vormaligen Patentierungskriterium des Fortschritts aktiviert werden? Spricht die Tatsache, dass ein abhängiges Patent erteilt wurde, nicht schon für einen wenigstens graduellen Fortschritt über den Gegenstand des älteren Patents? Zumindest dann, wenn das ältere Patent in Bezug auf das jüngere Patent zum vorveröffentlichten Stand der Technik gehört? Wie ist der „wesentliche wirtschaftliche Wert zu bemessen – relativ zum wirtschaftlichen Wert des Patents mit älterem Zeitrang oder möchte man Grenzwerte absolut beziffern? Oder möchte man das Kriterium erst in einer Situation erfüllt sehen, die so exotisch ist, dass sie im wirklichen Leben kaum jemals vorkommt? – Die weitere Entwicklung wird es weisen müssen.