Einführung in das Patentrecht (3)

Teil 3: Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit

Die wesentlichen Patentierungsvoraussetzungen sind Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit der Gegenstände des Hauptanspruchs und der nebengeordneten Ansprüche.[1] Der Hauptanspruch und die nebengeordneten Ansprüche werden auch als die unabhängigen Ansprüche eines Anspruchssatzes bezeichnet. Unabhängige Ansprüche sind nicht auf vorhergehende Ansprüche zurückbezogen. Zumeist gehören die unabhängigen Ansprüche eines Anspruchssatzes unterschiedlichen Patentkategorien an.

Alle Artikel zur Artikelserie „Einführung in das Patentrecht“:
Teil 1: Erfindung, Patentanmeldung und Patent
Teil 2: Erfinder versus Anmelder
Teil 3: Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit

1. Neuheit

Ein Anspruch gilt als neu, wenn er nicht aus dem Stand der Technik bekannt ist.[2] Der Stand der Technik umfasst sämtliche Kenntnisse, die vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag der Öffentlichkeit bekannt waren. Der Öffentlichkeit kann der Stand der Technik in schriftlicher oder mündlicher Form, durch Benutzung oder in sonstiger Weise bekannt gemacht worden sein.[3]

Zum Stand der Technik zählt auch der sogenannte nachveröffentlichte Stand der Technik, bei dem es sich um Patentanmeldungen handelt, die zwar erst am oder nach dem Anmelde- oder Prioritätstag der Anmeldung veröffentlicht wurden, die jedoch bereits vor dem Anmelde- oder Prioritätstag beim Patentamt eingereicht wurden.[4]

2. Erfinderische Tätigkeit

Ein Anspruch basiert auf einer erfinderischen Tätigkeit, falls sich die beschriebene Erfindung für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.[5] Für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit ist daher auf einen Fachmann abzustellen. Bei dem patentrechtlichen Fachmann handelt es sich um eine fiktive Person, der man Entwicklungstätigkeiten zur Verbesserung oder Vereinfachung bekannter Vorrichtungen und Verfahren auf dem betreffenden technischen Gebiet anvertrauen würde.[6] Der Fachmann wendet dabei die auf seinem technischen Gebiet bekannten Methoden an und nutzt sein Fachwissen und Fachkönnen. 

Das Fachwissen des Fachmanns umfasst ein fachspezifisches Wissen und ein allgemeines technisches Wissen.[7] Der Fachmann ist dadurch in der Lage, eine Patentschrift aus seiner Perspektive zu bewerten und Aspekte „mitzulesen“, die nicht explizit beschrieben sind.

Das Fachkönnen hat sich der Fachmann durch seine Arbeitsroutine und eigene Versuche angeeignet. Dem Fachmann ist daher eine gewisse kreative Fähigkeit beim Umgang mit technischen Problemen zuzutrauen. Allerdings ergibt sich aus der Kreativität des patentrechtlichen Fachmanns keine erfinderische Tätigkeit, die dem Kriterium nach §4 Satz 1 Patentgesetz genügen würde.[8]  Das Fachkönnen des Fachmanns beschränkt sich auf rein handwerkliche Maßnahmen.

Patentanmeldungen, die erst am Anmelde- bzw. Prioritätstag veröffentlicht wurden, werden bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt. Dieser sogenannte nachveröffentlichte Stand der Technik konnte ja auch nicht vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag mit weiteren Dokumenten des Stands der Technik kombiniert werden.[9]

Eine mangelnde erfinderische Tätigkeit ergibt sich nicht bereits daraus, dass sich die im Anspruch beschriebene Erfindung aus einer beliebigen Kombination von Dokumenten des Stands der Technik ergibt. Vielmehr muss der Fachmann auch einen hinreichenden Anlass gehabt haben, die technischen Lehren der entsprechenden Dokumente zu kombinieren.[10] Ansonsten ist von einer erfinderischen Tätigkeit der im Anspruch beschriebenen Erfindung auszugehen.

3. Gewerbliche Anwendbarkeit

Eine gewerbliche Anwendbarkeit ist stets gegeben, falls es die nicht zu abwegige Möglichkeit der Benutzung des Gegenstands des Anspruchs auf irgendeinem gewerblichen Gebiet gibt.[11] Es kann daher davon ausgegangen werden, dass eine gewerbliche Anwendbarkeit einer technischen Lehre stets gegeben ist. Allenfalls ein in jeder Hinsicht nutzloses Produkt würde das Kriterium der gewerblichen Anwendbarkeit nicht erfüllen.  


[1] §1 Absatz 1 Patentgesetz.
[2] §3 Absatz 1 Satz 1 Patentgesetz.
[3] §3 Absatz 1 Satz 2 Patentgesetz.
[4] §3 Absatz 2 Patentgesetz.
[5] §4 Satz 1 Patentgesetz.
[6] Benkard PatG/Asendorf/Schmidt/Tochtermann, 12. Aufl. 2023, PatG § 4 Rdn. 72.
[7] Benkard PatG/Asendorf/Schmidt/Tochtermann, 12. Aufl. 2023, PatG § 4 Rdn. 69.
[8] BGH GRUR 1986, 372 Thrombozytenzählung.
[9] §4 Satz 2 Patentgesetz.
[10] BGH GRUR 2010, 407 einteilige Öse.
[11] BGH 1985, 117 – Offensichtlichkeitsprüfung.

Über Thomas Heinz Meitinger 39 Artikel
Herr Dr. Thomas Heinz Meitinger ist Deutscher Patentanwalt sowie European Patent, Trademark and Design Attorney mit Elektrotechnik als technischem Hintergrund.