DE § 4 PatG – Erfinderische Tätigkeit | Unterschiedliche IPC Klassifizierung & Stand der Technik

Patentspecht

Vielschreiber
Hallo zusammen,

zu der Definition der erfinderischen Tätigkeit aus § 4 PatG und dem Stand der Technik stelle ich mir die Frage, wie weit bei der Feststellung des Standes der Technik in andere IPC Kategorien geschaut wird.

Beispiel:
Angenommen eine besonders effiziente Schiffsschraube wäre bereits offenbart/Stand der Technik und ein Flugzeugpropeller der auf dem selben Effizienzsteigerungs-Prinzip basiert (angenommen der Öffentlichkeit noch nicht bekannt) soll patentiert werden. Nun wäre die Schiffsschraube ja grob unter der IPC Kategorie B63H einzuordnen und die Fortbewegungsart wäre im Medium Wasser.
Der Propeller für ein Flugzeug wäre grob in die IPC Kategorie B64D einzuordnen und bewegt sich im Medium Luft fort.

Könnte nun der Propeller unabhängig davon, dass die Schiffsschraube bereits Stand der Technik ist patentiert werden oder gilt der Stand der Technik über die Klassifikationskategorien hinaus?
Ich bin mir bspw. nicht sicher, ob man sagen kann, dass der Fachmann aus dem Flugzeugbau alle technischen Details aus dem Schiffsbau kennt.
 

patachon

GOLD - Mitglied
Grundsätzlich ist alles Stand der Technik und hat mit den Klassifikationskategorien nichts zu tun. Berühmtes Beispiel ist da wohl der Donald-Duck-Comic...

Ob eine Schiffsschraube dieselbe Verwendung für einen Propeller nahelegt, wäre dann diskussionswürdig. Kann sein, muss aber nicht. Je ähnlicher das Prinzip und die Eigenschaften sind, desto wahrscheinlicher ist, dass der Propeller dann nicht mehr geschützt werden kann - weil er zwar neu ist (Propeller mit diesen Eigenschaften war noch nicht bekannt), aber möglicherweise nicht erfinderisch (weil Übertragung des bekannten Prinzips von Wasser auf Luft eventuell offensichtlich).

Es gibt aber keinen Grund, Stand der Technik aus anderen Gebieten per se auszuschließen.

Der Fachmann ist ja sowieso kein wirklicher Fachmann, sondern ein theoretisches Konstrukt - der kennt jede Veröffentlichung auf der Welt. Relevant ist die Fachperson dann nur für die Frage, ob sie die erforderlichen Änderungen ausgehend von ihrem Wissen und dem Inhalt der Veröffentlichung(en) in Erwägung gezogen hätte oder nicht.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Es gab einmal Zeiten, da gab es noch kein EPA und der DPMA-Prüfer hatte seinen Prüfstoff in Papier in seinen Schränken. Damals machte er eher selten eine "Fremdrecherche" (im Schrank eines Kollegen), nämlich nur dann, wenn er sich wirklich etwas davon versprach.

Aber für das, was zu berücksichtigen ist, wenn es erst mal "bei der Akte" ist, machte das PatG bezüglich der "Herkunft" noch nie Unterschiede.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Es gab einmal Zeiten, da gab es noch kein EPA und der DPMA-Prüfer hatte seinen Prüfstoff in Papier in seinen Schränken. Damals machte er eher selten eine "Fremdrecherche" (im Schrank eines Kollegen), nämlich nur dann, wenn er sich wirklich etwas davon versprach.
Hast Du dafür eine zitierbare Quelle? Aus eigener Erfahrung wirst Du das ja wohl nicht wissen können.

Das DPMA gibt es bereits seit 1949:
https://www.dpma.de/dpma/wir_ueber_uns/geschichte/70jahrepatentamtinmuenchen/teil1/index.html

Schon damals wäre aber allein der Bestand deutschsprachiger Patente, Gebrauchsmuster und Anmeldungen nicht in einer Handbibliothek eines Prüfers unterzubringen gewesen. Ganz abgesehen von den allgemeinen Platzproblemen der Prüfer in den Anfangsjahren und den bereits damals vorhanden sonstigen Druckschriften:
https://www.dpma.de/dpma/wir_ueber_uns/geschichte/70jahrepatentamtinmuenchen/teil2/index.html
"360 000 Bände umfasst die Bibliothek, die größte technische Bücherei Europas. 2,8 Millionen Patentschriften allein aus den Vereinigten Staaten"
 

PatFragen

*** KT-HERO ***
Dazu möchte ich nur mal eine Anekdote (ohne Anspruch darauf, dass die repräsentativ war und erst recht nicht, dass es heute immer noch so gehandhabt würde) aus der Zeit vor Jahrzehnten bei meiner allerersten Einspruchsverhandlung (wo ich als Kandidat dabei war) zum Besten geben.
Das Gebiet waren Gasentladungsröhren in denen Streifen zur Formung des elektrischen Feldes in der Gasentladungsröhre verwendet werden und da hat sich der Senat glatt, der Ansicht meines Ausbilders angeschlossen, dass ein Fachmann für Gasentladungsröhren mit leitenden Streifen ein anderer wäre, wie ein Fachmann für Gasentladungsröhren mit nichtleitenden Streifen und hat aus diesem Grunde ein SdT-Dokument für die Kombination im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit nicht herangezogen.
Das war in meinen Augen gleich der "richtige Einstieg" in den Beruf, weil ich da gleich mal angefangen habe, am gesunden Menschenverstand in dem Berufsfeld zu zweifeln ;-).
 

Patentspecht

Vielschreiber
Aber gut, selbst wenn sowas im Prüfverfahren durch kommt muss man ja nur darauf warten, dass man einen Richter erwischt, der meint, dass der Fachmann allwissend ist und die Anmeldung ist nichtig ...
 

Schorschi

Vielschreiber
Hinweis: der Begriff "Schiffschraube" ist umgangssprachlich, korrekt ist auch im Schiffbau der Begriff "Propeller". Denn sowohl ein Wasserfahrzeug, als auch ein Luftfahrzeug jeweils mit Maschinenantrieb nutzen die Drehung des Propellers zur "Propulsion".

Beide Propellerarten saugen ein Medium auf einer Seite ungerichtet an und drücken es in einem gerichteten und tordierenden Strahl auf die Gegenseite. Von daher könnte ein Fachmann, trotz unterschiedlicher Dichte der Medien, durchaus auch bei Propellern für Luftfahrzeuge nachsehen, um Hinweise für die Konstruktion von Propellern für Wasserfahrzeuge zu erhalten. Allerdings sind die Umdrehungszahlen aufgrund der unterschiedlichen Dichte der Medien sehr unterschiedlich und damit auch die mechanischen Belastungen auf und/oder durch die Propeller. Allzu weit dürfte die Neugier des Fachmanns also nicht gehen. Beispielsweise gibt bei Propellern an Luftfahrzeugen im Gegensatz zu denen bei Wasserfahrzeugen keine Kavitaion durch Dampfblasen.
 

PatFragen

*** KT-HERO ***
Jetzt wollte ich nach der Reaktion von Patentspecht doch noch inhaltlich etwas dazu schreiben und jetzt hat mir Schorschi mit seinen Aussagen schon etwas vorgegriffen :).

Man muss immer etwas unterscheiden, ob ein Fachmann den SdT "kennt" (Neuheit) und ob er ihn "heranziehen" (erfinderische Tätigkeit) würde. Für die Begutachtung der Neuheit wird grundsätzlich aller SdT berücksichtigt. Das führt zu etwas, was wir immer (ich weiß nicht genau, ob das wirklich ein offizieller Term ist) als "zufällig neuheitsschädlich" bezeichnet haben. Ein SdT der eigentlich etwas ganz anderes beschreibt/betrifft, aber, da man ja unabhängige Ansprüche möglichst abstrakt schreibt, sich halt doch auf den beanspruchten Gegenstand liest. Das ist bei Neuheit egal. Der SdT ist neuheitsschädlich und aus.

Der SdT für die erfinderische Tätigkeit ist zwar (bis auf §3(2) PatG) der gleiche wie bei der Neuheit, es findet aber eine Würdigung statt. Würde der Fachmann dieses Dokument heranziehen, angesichts der Aufgabe, die er sich gestellt hat, da es ja dort um ein Naheliegen geht. Als Auszug einer älteren Schulteauflage:" Würde ein Fachmann in Dokument des Standes der Technik aus überzeugenden Gründen für die Lösung der Aufgabe nicht in Erwägung ziehen, dann scheidet es für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit aus". Und da würden genau die Punkte ins Spiel komme, die Schorschi mir jetzt vorweggenommen hat :). Man kann durchaus die überzeugenden Gründe anführen, dass ein Fachmann nie davon ausgehen würde, dass er für die Entwicklung einer "Luftschraube" bei "Schiffschrauben" (eben wegen Belastung/Umdrehungszahlen/Kavitationsfraß/Gewichtsrelevanz, usw.) Hinweise finden könnte. Und dann sind wir genau bei dem "Grund" der Entscheidung des Senats in meiner Anekdote oben. Offensichtlich war es für den Senat überzeugend, dass die beiden "Teilgebiete" "leitende Streifen" und "nichtleitende Streifen" in dem Bereich weit genug auseinander sind, dass ein Fachmann nicht das andere "Teilgebiet" in Erwägung ziehen würde. Es gibt aber selbstverständlich immer einen Ermessenspielraum für jeden "Entscheidungskörper" was "überzeugende Gründe" sind und was nicht.

Ein minimales Argument kann hierbei auch durchaus der Hinweis auf die verschiedenen Klassen sein. Aber wohl eher nie alleine ohne weitere Gründe und ob es dann wirklich wirkt oder nicht wird man wohl nie erfahren. Ich kann nur sagen, wir haben durchaus schon das Argument vorgetragen, aber nie alleinig. Manchmal sind wird "durchgekommen" und manchmal nicht. Was aber die "überzeugende Gründe", in den Fällen, wo der SdT nicht herangezogen wurde, im Einzelnen waren, dazu kann ich/man wirklich keinerlei Auskunft geben.

Natürlich gehe ich davon aus, dass dein Beispiel nicht dem realen Fall entsprach, aber für das Grundsätzliche dahinter, sollte dir das vielleicht etwas weiterhelfen. Aber Sicherheit wirst du in dem Bereich, sobald ein Ermessenspielraum reinkommt, nie haben ;-).
 

B_2020

GOLD - Mitglied
Hast Du dafür eine zitierbare Quelle? Aus eigener Erfahrung wirst Du das ja wohl nicht wissen können.

Das DPMA gibt es bereits seit 1949:
https://www.dpma.de/dpma/wir_ueber_uns/geschichte/70jahrepatentamtinmuenchen/teil1/index.html

Schon damals wäre aber allein der Bestand deutschsprachiger Patente, Gebrauchsmuster und Anmeldungen nicht in einer Handbibliothek eines Prüfers unterzubringen gewesen. Ganz abgesehen von den allgemeinen Platzproblemen der Prüfer in den Anfangsjahren und den bereits damals vorhanden sonstigen Druckschriften:
https://www.dpma.de/dpma/wir_ueber_uns/geschichte/70jahrepatentamtinmuenchen/teil2/index.html
"360 000 Bände umfasst die Bibliothek, die größte technische Bücherei Europas. 2,8 Millionen Patentschriften allein aus den Vereinigten Staaten"
Ihnen ist die Prüfstoff-IPC des DPMA und die Historie aber schon bekannt?
 

B_2020

GOLD - Mitglied
Wurde eigentlich alles schon von den Vorrednern gesagt.

Da wir alle aber ein wenig kleinlich sind und dies gerne sind:
Man muss immer etwas unterscheiden, ob ein Fachmann den SdT "kennt" (Neuheit) und ob er ihn "heranziehen" (erfinderische Tätigkeit) würde.
Im nach dem zitierten Block wird es richtig beschrieben, aber natürlich kommt es bei der Neuheit nicht darauf an, ob der Fachmann den SdT kennt. Der Fachmann ist nur bei der Bewertung, was im SdT offenbart ist, relevant, nicht beim Kennen des SdT.
Das aber nur am Rande.
 

B_2020

GOLD - Mitglied
Soweit mir das mein Ausbilder erzählt hat und mein Prüfer im Amtsjahr erklärt hat:
Der Prüfer eines Sachgebiet verwaltet seinen Prüfstoff und "wirft" dort regelmäßig Stand der Technik hinein, den er für sein Gebiet als sehr relevant hält.
Das geschieht heute digital und früher analog mit Schränken und Schubläden.
Früher hatten (leider) einige Prüfer dann auch "nur" darin (dem Prüfstoff-IPC, nicht zu verwechseln mit der IPC Klasse) recherchiert, also nur in seinen Schränken und Schubläden geschaut. Das war dennoch die Ausnahme, aber die Mittel waren limiterter als heute.
So die Erzählungen.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Früher hatten (leider) einige Prüfer dann auch "nur" darin (dem Prüfstoff-IPC, nicht zu verwechseln mit der IPC Klasse) recherchiert, also nur in seinen Schränken und Schubläden geschaut. Das war dennoch die Ausnahme, aber die Mittel waren limiterter als heute.
So die Erzählungen.
OK, so etwas hatte ich mir schon gedacht, schwarze Schafe gibt es immer. Es klang bei Hans35 oben aber so, als wäre das die Standardvorgehensweise gewesen, und das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
 

der_markus

*** KT-HERO ***
Mein Prüfer im Amtsjahr hat mir erzählt, dass viele Prüfer in der Praxis garkeinen separaten "Prüfstoff" mehr pflegen. Wahrscheinlich weil die DEPATIS-Datenbank eh alles kennt und es im digitalen Zeitalter nicht mehr zwingend notwendig ist, eine Teilmenge des Stands der Technik separat zu pflegen. Die Pflege von Prüfstoff kostet auch Zeit, die sich im Konto der Leistungspunkte der Prüfer nicht widerspiegelt.
 

Fragender

GOLD - Mitglied
Etwas zur Geschichte...
depatis wurde u.a. eingeführt, weil absehbar war, dass die Statik des DPMA-Gebäudes den wachsenden Prüfstoff nicht mehr würde tragen können.
Jeder Prüfer hatte Prüfstoffmappen (zu jeder IPC-Gruppe, teilweise auch zu den DEKLA-Gruppen), darin wurden Patentschriften (deutsch und international) sowie sonstige Literatur gesammelt (da waren teilweise noch richtige Photokopien drin...). Ein Problem mit der Recherche in Nachbargebieten war dann schon, dass man zu dem anderen Prüfer ins Zimmer und ihn stören musste. Aufgrund der Menge an Papierdokumenten sollen Prüfstoffschränke auch schon in den Gängen gestanden haben.
Papier hat auch seine Vorteile, es soll vorgekommen sein, dass bei einer neuen Anmeldung der Prüfer sich die passende Mappe genommen und an der richtigen Stelle aufgeschlagen hat, weil er wusste "wo" sein Prüfstoff liegt.
Mit der heutigen Menge an Dokumenten wäre das natürlich alles undenkbar. Die Prüfstoffpflege wird nur noch eingeschränkt betrieben, weil manche anderen Ämter nicht nur viele Dokumente veröffentlichen, sondern die auch noch (je nach Gebiet) zum großen Teil falsch klassifiziert sind, so dass der Aufwand den Nutzen schnell übersteigt.
Andererseits ist depatis mit verbesserter Recherche und Ranking der Ergebnisse in der Zwischenzeit mächtig genug geworden, dass die relevanten Ergebnisse auch ohne Prüfstoffpflege (oft) schnell zu finden sind.
 

Fragender

GOLD - Mitglied

Lysios

*** KT-HERO ***
Ich habe auch nichts anderes behauptet, aber die Reduzierung des Papierprüfstoffs auf die NPL wurde erst nach der Einführung von depatis vorgenommen (am Anfang hatte wohl auch bei depatis nicht jeder Prüfer einen Rechner...).
In den eigenen Systemen (z.B. PATDPA) war ja oft nur eine Bibliografie enthalten. Lesen musste man die Dokumente dann schon noch selbst. Und die Nutzung externer kommerzieller Datenbanken (z.B. STN https://de.wikipedia.org/wiki/Patentrecherche) und die von anderen Patentämtern (EPA, USPTO, JPO) war mit signifikanten Kosten verbunden (allein schon die Telefongebühren für den Modemzugang), so dass da es sicherlich Nutzungsbegrenzungen gab. Aber warum soll ein Prüfer die eigenen, internen Recherchesyteme nicht genutzt haben, um eine Vorauswahl zu treffen?
 

Fragender

GOLD - Mitglied
Eben, die alten Systeme waren nur für eine Vorauswahl gut, dann musste der Prüfer im eigenen Prüfstoff nachschauen oder die Schrift in der Bibliothek anschauen/anfordern...
 

Dapf15

BRONZE - Mitglied
Nochmal zur erfinderischen Tätigkeit: In den Kammermitteilungen (rosa Heft) Ausgabe 5/2023 ist ein lesenswerter Beitrag "Zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nach deutschem Recht" enthalten.
 
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