EPÜ Warum besteht ein Patentanspruch aus nur einem Satz?

Wassermelone

BRONZE - Mitglied
Bitte nicht falsch verstehen: mir geht es nicht darum, warum man den Anspruch als einen einzigen Satz formuliert, sondern vielmehr darum, auf welcher Rechtsgrundlage das basiert?

So weit ich erkennen kann, steht davon nichts im EPÜ, PCT, den EPA-Richtlinien oder der EPA-Rechtsprechung. Kann man das aus dem EPÜ zB aus Art. 84 entnehmen, wonach die Ansprüche "deutlich und knapp" verfasst sein müssen (bzw. aus Art. 6 PCT: "klar und knapp")? Aber was, wenn zwei Sätze die Erfindung deutlicher und klarer beschreiben können?

Vielleicht sehe ich gerade den Wald vor lauter Bäumen nicht. Kann mir hier jemand auf die Spünge helfen?
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Nach § 9 PatV wird man doch gar nicht anders als in einem Satz formulieren können.

Und nach Regel 43(1) Satz 2(b) EPÜ wird man doch nur selten um eine zweiteiige Fassung herum kommen, die auch nur aus einem Satz bestehen kann.

In den wenigen Fällen, wo man sich beim EPA mit einer zweiteiligen Fassung schwertun würde und man den Prüfer davon überzeugen kann, wird man doch kaum mit mehreren Sätzen mehr Klarheit und Rechtssicherheit schaffen können, schließlich will man den Anspruch ja auch gegen einen Verletzer durchsetzen können? Hast Du denn ein Beispiel für einen solchen Anspruch, der in zwei Sätzen klarer wäre?
 

PatFragen

*** KT-HERO ***
Hallo Lysios,

wie kommst du denn auf "Und nach Regel 43(1) Satz 2(b) EPÜ wird man doch nur selten um eine zweiteiige Fassung herum kommen, die auch nur aus einem Satz bestehen kann"? Der ist für mich jetzt doch extrem überraschend :).
Wie oft hast du denn eine Patentanmeldung wegen eines einteiligen Anspruch zurückgewiesen bekommen ;-) ?
In meiner gesamten bisherigen Laufbahn habe ich genau eine "Neuanmeldung" mit einem zweiteilgen Anspruch verfasst und das war die für die EPA-Prüfung (und da musste ich mir die ganze Zeit vorsagen: denk an die zweiteilige Form, denk an die zweiteilge Form, ...) ;-). Praktisch nie haben wir Probleme, die einteilge Form der Ansprüche durchzubekommen. Im Gegenteil, spätestens wenn ich den Anspruch 1 in einer Erwiderung ändern muss, ändere ich die von anderen Anwälten verfasste zweiteilge Form in Bescheidserwiderungen in die einteilige Form, wenn mir sowas in einer Erwiderung unterkommt :). Es geistert ja auch das "Gerücht" rum, dass die Prüfer alleinig wegen der einteiligen Form keine Patentanmeldung zurückweisen sollen, und bei allen doch immer mehr zunehmenden Absurditäten, die die EPA-Prüfer so von sich geben, scheinen sich die meisten Prüfer weiterhin an die Vorgabe zu halten. Manche schreiben dann in der 71(3) Mitteilung selber eine zweiteilige Form rein, und da kann man sich dann überlegen, ob man die dann so lässt oder eine geänderte einteilige Form einreicht.

Der Grund, dass Ansprüche grundsätzlich nur aus einen Satz bestehen, ist für mich ein rein logischer. Ein zusammenhängender "Gedanke" gehört logisch in einen Satz und nicht aufgeteilt in mehrere, weil ein Punkt immer eine logische und sachliche Trennung bedeutet. Ein Anspruch soll ja aber gerade eine vollständige Lehre und das in knappster Form darstellen. Wenn man einen Gegenstand in mehrere Sätze aufteilen kann/sollte, heißt das logisch für mich, dass man mehrere Gedanken beschreibt, d.h. nicht die abstrakteste Formulierung gewählt hat. Salopp ausgedrückt, entweder ist der Gedanke des ersten Satzes oder der des zweiten Satzes nicht notwendig oder man kann den Inhalt ohne Probleme in einen Satz zusammenfassen, weil er zusammengehört ;-).
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Wie oft hast du denn eine Patentanmeldung wegen eines einteiligen Anspruch zurückgewiesen bekommen ;-) ?
Ich habe nur sehr selten den Fall, dass es nicht sinnvoll möglich ist, zweiteilig zu formulieren.

Bei allen meinen Nachanmeldungen von Prioritätsanmeldungen z.B. aus USA bei DPMA, EPA, und PCT mit ISA EPA (Regel 6.3 PCT) wurde jedoch immer die einteilige Fassung moniert. Und wenn man dann sowieso schon die immer fehlenden Bezugszeichen in die Ansprüche einarbeiten muss, weil das auch mit angemeckert wurde, dann macht man das, indem man den Anspruch gleich zweiteilig macht, wenn das sinnvoll ist.

Vielleicht hast Du ja immer so gute Erfindungen oder es ist technologieabhängig, aber in meiner Realität werde ich fast immer mit solchem Stand der Technik konfrontiert, der eine zweiteilige Fassung erfordert, um den Prüfer von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit überzeugen zu können. Mir kommen auch nur selten erteilte EP-Patente unter, die nicht zweiteilig sind.
 

PatFragen

*** KT-HERO ***
Hallo Lysios,
du weißt ja vielleicht, dass ich meist alles sehr genau nehme ;-). Meine Frage ware nicht, wie oft der Prüfer die einteilige Form moniert, sondern wie oft du wegen der einteiligen Form schon eine Anmeldung zurückgewiesen bekommen hast. D.h. wo der einzige Grund der Nichterteilung/Zurückweisung die einteilige Form war ;-) ?

Natürlich bemängeln die EPA-Prüfer praktisch immer mit ihrem Standardsatz die einteilige Form. Und da bekommen sie immer genauso so einen Standardsatz zurück und dann ist für die weitere Prüfung eigentlich Ruhe und die machen ihre Arbeit auch mit der einteiligen Form. Wie gesagt, manche Prüfer machen dann selber ind er 71(3) die zweiteilge Form drauß, das war aber bisher das äußerste was ich in mehr als 20 Jahren erlebt habe :). (und die Kanzleien für/in denen ich arbeite bzw. gearbeitet habe, meinen eigentlich meist,d ass meine "Erteilungsquopten" eher überdurchschnittlich als unterdurchschnittlich sind ;-) ).

Ob etwas sinnvoll ist oder nicht, kann durchaus Geschmacksache sein, aber nur weil ein Prüfer das will, mache ich das noch lange nicht. Oder argumentierst du nie gegen die Meinungen der Prüfer ;-) ? Praktisch immer kommt als erstes Bescheid einer mit mangelnder Neuheit (sonst sollte man sich fragen, ob man im Anspruch nicht was falsch gemacht hat ;-) ) und deshalb wird da trotzdem nicht gleich der Anspruch geändert, nur weil der Prüfer das will, wenn der SdT das nicht notwendig macht. Sonst "müsste" ich ja logisch betrachtet, auch das auch dann akzeptieren, wenn der EPA-Prüfer mir mal wieder einen SdT vorhält, der vom "Zeitrang" her gar kein SdT ist, oder wenn er den "kühnen" Schluss zieht, dass, weil der Vorrichtungsanspruch nicht patentfähig ist, auch der zugehörige Verfahrensanspruch nicht patentfähig wäre ;-).

Und zum Erklären, was denn die Erfindung ist, benutze ich zwar die Merkmale des Anspruchs, aber ich mache das in der Bescheidserwiderung und nicht im Anspruch ;-). Damit müssen die entsprechenden Merkmale im Anspruch stehen, aber wo und wie ist dafür völlig egal, weil schliesslich laut Gesetz/Rechtsprechung alle Merkmale unabhängig von ihrer Stellung gleichwertig sind, oder :)? Ehrlich gesagt ist mir die zweiteilge Form, gerade im EP-Verfahren schon allein deshalb völlig zuwider, weil man ja dann da ständig die Aufteilung/Reihenfolge ändern müsste, wenn der Prüfer, weil er nach dem ersten Bescheid eingesehen hat, dass sein erster Bescheid mal wieder nicht gerade rechtlich/technisch sinnvoll war, einen neuen SdT bringt ;-). Ausserdem sehe ich schon gar nicht ein, in der Anmeldung irgendetwas, was Geschmackssache ist (und wie oft sind auch die offenbarten Merkmale im SdT auch strittig, ob die nun das gleiche sind), "zuzugestehen". Und frage mal einen vorsichtigen US-Anwalt, ob er das toll findet, wenn du seinen Anspruch zweiteilig machst ;-).

So jetzt noch ein schönens RestWE, der Zug nach Berlin ruft :).
 

Lysios

*** KT-HERO ***
D.h. wo der einzige Grund der Nichterteilung/Zurückweisung die einteilige Form war ;-) ?
Das war mir klar. Ich habe es aber nur dort so weit getrieben, wo es sinnvoll war, und da gab es eben nie eine Zurückweisung. Meine Zielvorgabe ist eine möglichst schnelle Erteilung mit möglichst geringem Aufwand. Das Risiko einer solchen Zurückweisung kann ich da gar nicht eingehen.

Und frage mal einen vorsichtigen US-Anwalt, ob er das toll findet, wenn du seinen Anspruch zweiteilig machst ;-).
Nach meiner Erfahrung sind die da völlig schmerzfrei, da es kaum US-PAs gibt, die verstehen, wie das Patentsystem außerhalb der USA funktioniert. Mir bekannte US-Unternehmen lassen PCT-Anmeldungen nicht von US Anwälten sondern in Europa mit ISA EP durchführen, da kaum einer in USA weiß, wie das funktioniert und das EPA sowieso die beste Recherche liefert (die US-Prioanmeldung läuft dann halt weiter und es wird keine nationale Phase in USA eingeleitet). Ich habe selbst jahrelang das CNIPA als ISA über das IB aus Kostengründen benutzen müssen (EPA ist halt teuer), und kann das nur bestätigen. Ich habe auch bis zum Brexit in UK selbst national angemeldet, und das UKIPO ist immer noch deutlich besser als das USPTO bei der Recherche, aber kein Vergleich zu DPMA und EPA.
 

Wassermelone

BRONZE - Mitglied
Der Grund, dass Ansprüche grundsätzlich nur aus einen Satz bestehen, ist für mich ein rein logischer. Ein zusammenhängender "Gedanke" gehört logisch in einen Satz und nicht aufgeteilt in mehrere, weil ein Punkt immer eine logische und sachliche Trennung bedeutet.
So hab ich noch nicht darüber nachgedacht, aber das stimmt.

Aber abgesehen von dem (teleologischen) Aspekt, dass ein einziger Satz oft ohnehin zweckdienlich ist, würde mich interessieren, ob es im DE/EP/WO (Primär/Sekundär)Recht ein Äquivalent von den US MPEP 608.01(m) gibt, wo verschriftlicht wird, dass ein Anspruch wirklich nur ein Satz sein darf:
[...] Each claim begins with a capital letter and ends with a period. Periods may not be used elsewhere in the claims except for abbreviations. [...]
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Das Äquivalent zu den MPEP sind die Prüfungsrichtlinien von DPMA und EPA und da steht so etwas nicht drin sonst würdest Du ja nicht fragen.

§ 9 PatV lässt sich aber gar nicht anders interpretieren.

Regel 43 EPÜ und Regel 6.3 PCT regeln die Ansprüche, sagen aber nichts über eine „einteilige Fassung“. Es gibt aber die T 170/84, die klarstellt, dass die zweiteilige Fassung der Normalfall ist. Der einteiligen Fassung ist jedoch der Vorzug zu geben, wenn hierdurch der Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, durch Vermeidung nicht zweckdienlicher zu komplexer Formulierungen deutlich und knapp definiert wird (Art. 84 EPÜ). Nach meinem Verständnis ist „einteilig“ nur im Sinne eines Satzes zu verstehen (das ist ja gerade die Argumentation von PatFragen hinsichtlich der logischen und sachlichen Trennung). Bei der der zweiteiligen Fassung sollte es sowieso offensichtlich sein, dass es nur ein Satz sein kann.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Ich habe noch nie einen Patentanspruch gesehen, der ein Satz gewesen wäre. Ein Satz erfordert ein finites Verb, und an dem hat's immer gefehlt.

"Ein Auto" ist kein Satz.
"Ein Auto umfassend einen Verbrennungsmotor" ist auch kein Satz.
Und selbst "Ein Auto umfassend einen Verbrennungsmotor, wobei der Verbrennungsmotor 6 Zylinder hat" ist kein Satz, da der "wobei"-Teil lediglich ein Nebensatz ist, dem der Hauptsatz fehlt.

Patentansprüche sind daher keine Sätze, sondern einzelne Begriffe. Diese können durch adverbiale Bestimmungen oder Nebensätze weiter konkretisiert sein, aber diese müssen sich alle auf denselben Grundbegriff beziehen, und können daher auch grammatikalisch nicht von ihm getrennt werden.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Zum Thema ein-/zweiteiliger Anspruch: Gerade bei Verfahrensansprüchen, die eine logische Abfolge von Schritten beschreiben, ist die einteilige Form oft vorzuziehen. Wenn z.B. Schritte 1, 2 und 5 aus dem SdT bekannt sind und Schritte 3 und 4 das Verfahren neu und erfinderisch machen, Schritt 5 aber zeitlich und/oder logisch danach stattfindet, wäre es unsinning, diesen Schritt nach vorne zu ziehen. Die Forderung einer zweiteiligen Fassung ist ohnehin eine Spezialität des EPA, und ich habe noch keinen Prüfer erlebt, der echt darauf bestanden hätte, wenn man dagegen argumentiert hat.

Zum Thema "ein Satz": Ich denke auch, dass es (in DE/EP) keine Vorschrift gibt, die einen einzigen Satz erfordert. Man könnte z.B. das typische "(Komma) wobei ..." auch ersetzen durch "(Punkt) Dabei ...), ohne Klarheit und Zusammenhang einzubüßen. Allerdings würde ich beim EPA trotzdem eine Klarheitsbeanstandung erwarten ;-)
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Allerdings würde ich beim EPA trotzdem eine Klarheitsbeanstandung erwarten ;-)
Zu der im MPEP zitierten D.D.C. Beschwerdeentscheidung von 1995 siehe:
In addition to 150 years of single sentence history, the Commissioner stated that “the courts do not appear to have had any difficulty dealing with long claims.” The Commissioner went on to argue that “[t]he single sentence requirement promotes clarity and precision…by eliminating…multiple complete sentences.”
Ich würde eine solche Argumentation auch von DPMA und EPA erwarten (insbesondere historische Auslegung von § 9 PatV, Regel 43 EPÜ, Regel 6.3 PCT). Die Klarheitskarte würde sicher vom EPA zusätzlich auch noch gezogen.
 

PatFragen

*** KT-HERO ***
So nachdem ich jetzt aus Berlin zurück bin, muss ich doch noch ein paar Bemerkungen/Fragen vorbringen :).

@Lysios,
nachdem in der von dir zitierten Entscheidung (T170/84) tatsächlich unter 4.1 steht : "Regel 29(1) EPÜ [jetzt natürlich 43(1)] schreibt als Normalfall die zweiteilige Form für einen Patentanspruch vor", aber keinerlei Überlegungen warum dies so sein sollte, habe ich die Frage an dich, ob du mir erklären könntest, mittels welcher Auslegungsmethode die Beschwerdekammer angesichts der Formulierung des 29(1)/43(1) zu dieser Behauptung kommen konnte?
43(1) schreibt eindeutig "wo es zweckdienlich ist...", d.h. stellt eine Kondition bzw. Voraussetzung für die Folge "dann zweiteilig" auf. Wie kann man auf den Gedanken kommen, dass, wenn der Gesetzgeber etwas als "Normalfall" festlegen will, er diesen "Normalfall" mit einer Kondition aufführt, bei deren Erfüllung die Rechtsfolge (zweiteilig) eintritt ? Das setzen einer Bedingung ergäbe einen Sinn, wenn es eine allgemeine Definition wäre (etwa "eine zweiteilige Form ist dann gegeben wenn A und B erfüllt sind") oder wenn unter der Bedingung vom Normalfall gerade abgewichen werden kann/soll/darf. Es ergibt jedoch keinerlei Sinn den gewollten "Normalfall" mit einer Bedingung zu verknüpfen. Mit Ihrer Aussage, scheint die Beschwerdekammer ausdrücken zu wollen, dass der "Gesetzgeber" unlogisch handelt. Auch die Annahme, dass der Gesetzgeber eine Bedinung aufführt, die grundsätzlich gegeben ist (Annahme es wäre grundsätzlich zweckdienlich deshalb ist die zweiteilige Form der Normalfall) würde dem "Gesetzgeber" (nach meiner Logik) fehlende Fähigkeiten unterstellen (weil grundsätzlich erfüllte Bedingungen haben in einem "Gesetz" erstmal nichts zu suchen).
Also kannst du mir da weiterhelfen, ob die das sprachlich/systematisch/historisch/teleologisch hinbekommen haben könnten? Mir fällt beim besten Willen keine Möglichkeit ein, wie man bei der Formulierung des 29(1)/43(1) zu der Auslegung kommen kann, dass die zweiteilige Form der "Normalfall" ist. Im Gegenteil logisch drückt diese gerade aus, dass die einteilige Form der "Normalfall" ist, von der beim Erfüllen einer Bedinung ("wo zweckdienlich") abzuweichen ist, aber auch nur dann. Und diese Bedingung wäre dann, wenn das EPA die zweiteilige Form einfordern will, auch vom EPA zu beweisen und nicht umgekehrt, dass der Anmelder "beweisen" muss, dass die zweiteilge Form nicht zweckdienlich wäre.

Außer dass ich es so gelernt habe, dass man Ansprüche einteilig schreibt, habe ich auch sehr häufig bei der Überlegung Schwierigkeiten (ja ich überlege mir manchmal wie der Anspruch jetzt zweiteilig aussehen könnte :) ), welches Merkmal denn nun aus einem SdT bekannt ist und welches nicht. Gerade wenn der Prüfer mal wieder großzügig/breit auslegt, was ein Merkmal A bedeutet, führt das häufig bei mir zu dem Effekt, dass man in einer ersten (breiten) Auslegung ein Merkmal A im SdT noch als offenbart ansehen kann, durch spätere Merkmale B,C des Anspruchs führt diese (breite) Auslegung von A dann aber zu Widersprüchen, d.h. es stellt sich heraus, weil es auch noch ein Merkmal B gibt, kann man die erste (breite) Auslegung von A nicht "halten", aber nur weil es das Merkmal B gibt (das nicht unmittelbar auf Merkmal A Bezug nehmen muss). Gehört dann das Merkmal A in den Oberbegriff, weil das ist ja in einer (breiten) Auslegung im SdT offenbart ist, oder in den kennzeichnenden Teil, weil diese (breite) Auslegung von A ja für den gesamten Anspruch nicht "durchzuhalten" ist?

Und zu deiner "Beruhigung" :). In mehr als 20 Jahren in dem Beruf ist mir noch NIE der Fall untergekommen, dass der Prüfer eine 71(3) nur deshalb "verweigert" hat, weil es keine zweiteilige Form gab ;-). Als "Äußertes" gab es die 71(3) mit einer zweiteiligen Fassung des unabhängigen Anspruchs :). Das Verwenden einer einteiligen Form führt also nicht zu einer Verlängerung des Erteilungsprozesses ;-). Und zu deiner früheren Aussage, dass dir nur selten EP-Patente mit einteiligen Ansprüchen unterkommen würden, dann kann das einerseits mit schon von dir angedeuteten Unterschieden in Gebieten zusammenhängen (ich kenne deins ja nicht und du womöglich meins auch nicht :) ) oder (für mich wahrscheinlicher) damit dass viele Anwälte womöglich genauso denken wie du, dass sie in einem (für mich) vorauseilenden "Gehorsam" die zweiteilige Form unnötigerweise einführen bzw. von (ur)alten Patentanwälten ausgebildet wurden, die die zweiteilige Form meist eher "toll" finden. Es gibt aber Anwälte, die das nicht machen und damit regelmäßig einteilige Ansprüche erteilt bekommen. Ich habe gerade (zum Spaß) mal nach ein paar Patenten eines früheren Mandanten nachgeschaut und siehe da, praktisch alle, die ich mir angeschaut habe (gibt es eigentlich eine leichte Methode sich nur die erteilten EP-Patente eines Anmelders in Espacenet anzeigen zu lassen?), haben die einteilige Form und das einzige das die zweitelige Anspruchsform hat, ist genau ein solches, in dem der Prüfer die zweiteilige Form in der 71(3) eingefügt hat (ja daraufhin habe ich mir das Patent extra auch noch in der Onlineakte angeschaut, weil mich das gewundert hat) :).

Und noch zu §9PatV. Wo würde ein Anspruch:
1. Vorrichtung, die die Merkmale A+B+C+D aufweist. Zusätzlich weist die (oder alternativ muss die...) Vorrichtung noch die Merkmale E+F auf.
denn dem §9PatV zuwiderlaufen? Ein solcher Anspruch wäre wohl sehr unüblich. Aber wieso widerspricht ein solcher Anspruch jeder Interpretation ("gar nicht anders interpretieren") des §9PatV?

@Pat-Ente
Vielleicht mal eine Anregung zum Grübeln für dich ;-).
Wenn dir bei Verfahrensansprüchen häufiger passiert, dass du nach dem Schritt, der dir die erfinderische Tätigkeit "begründet", noch weitere Schritte im Anspruch hast, dann solltest du womöglich mal drüber nachdenken, was diese weiteren Schritte im Anspruch denn noch machen, wenn das Verfahren doch ohne diese nachfolgenden Schritte schon erfinderisch ist ;-) ? Vielleicht könnte man die dann einfach weglassen (und ein anderes Verfahren draus machen) ;-) ?
Nur meine Gedanken dazu ;-).
 

Lysios

*** KT-HERO ***
…Frage an dich, ob du mir erklären könntest, mittels welcher Auslegungsmethode die Beschwerdekammer angesichts der Formulierung des 29(1)/43(1) zu dieser Behauptung kommen konnte?
Nach meinem Verständnis steht das genau in Punkt 4.6 der Entscheidung und ist eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift.
Und noch zu §9PatV. Wo würde ein Anspruch:
1. Vorrichtung, die die Merkmale A+B+C+D aufweist. Zusätzlich weist die (oder alternativ muss die...) Vorrichtung noch die Merkmale E+F auf.
denn dem §9PatV zuwiderlaufen? Ein solcher Anspruch wäre wohl sehr unüblich. Aber wieso widerspricht ein solcher Anspruch jeder Interpretation ("gar nicht anders interpretieren") des §9PatV?
Warum ist das denn „einteilig“? Insbesondere wenn schon “zweiteilig“ nur aus einem Satz bestehen kann (§ 9 II 2 PatV) und das „Gegenteil“ von „einteilig“ sein müsste?

Davon abgesehen spricht schon die historische Auslegung dagegen, wie ich schon zu der US-Entscheidung ausgeführt habe (wenn der Gesetzgeber von der Tradition hätte abweichen wollen, dann hätte er das klargestellt; so bleibt es dabei, dass vollkommen außer Frage stand, dass ein Anspruch nur aus einem Satz bestehen kann). Bei PCT und EPÜ kommt ja noch der weltweite Harmonisierungsaspekt hinzu, bei dem man sonst hätte klarstellen müssen, dass mehrsätzige Anspruchsformulierungen in den Ländern, wo es erlaubt ist, keine negativen Folgen haben (in der USA war es ja auch schon in den 60er Jahren Pflicht, als die Arbeiten am PCT begannen). Für das EPÜ sollte ja gerade das Protokoll über die Auslegung von Art. 69 EPÜ eine Vereinheitlichung der verschiedenen Traditionen insbesondere in DE und UK ermöglichen.

Im Übrigen sieht auch das US-Recht eine zweiteilige Fassung vor:
(e) Where the nature of the case admits, as in the case of an improvement, any independent claim should contain in the following order:
(1) A preamble comprising a general description of all the elements or steps of the claimed combination which are conventional or known,
(2) A phrase such as “wherein the improvement comprises,” and
(3) Those elements, steps and/or relationships which constitute that portion of the claimed combination which the applicant considers as the new or improved portion.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Ich sehe auch nicht, dass §9 PatV einen einzigen Satz zwingend vorschreiben würde, weder für die einteilige noch für die zweiteilige Fassung. Gerade bei einem zweiteiligen Anspruch hätte es sogar einen gewissen Sinn, zwei Sätze (für Oberbegriff und kennzeichnenden Teil) zu wählen; das würde sogar unmittelbar der Formulierung in §9 I ("nach Oberbegriff und kennzeichnendem Teil geteilt") entsprechen. § 9 II 2 PatV erlaubt ja, den kennzeichnenden Teil durch "eine sinngemäße Wendung einzuleiten", das könnte also auch sein "(Punkt) Die Vorrichtung ist gekennzeichnet durch ..."
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
@PatFragen: genauso könnte man sich fragen, ob man Verfahrensschritte _vor_ solchen, die die eT begründen nicht weglassen kann. Ein bekanntes Verfahren kann doch auf verschiedene Arten in erfinderischer Weise modifiziert werden:
Es werden Schritte (logisch, zeitlich) vor den bekannten Schritten oder danach hinzugefügt, neue Schritte können auch zwischen bekannte eingestreut werden, oder es können bekannte Schritte durch neue ausgetauscht werden. In allen Fällen kann es sein, dass auch bekannte Schritte zur Funktion des Verfahrens erforderlich sind, sonst könnte man ja stets ein Verfahren nur mit neuen Schritten formulieren. Natürlich kann man die neuen Schritte einfach hinten an die bekannten dran hängen, das entspricht aber oft nicht der logischen oder zeitlichen Abfolge des resultierenden Verfahrens.

Beispiel: ein bekanntes Verfahren zur Bilderkennung wird durch eine neue Vorverarbeitung der Eingangsdaten verbessert. Die Vorverarbeitung hat ohne die folgende Anwendung in der Bilderkennung keinen praktischen Sinn (und insbesondere keinen technischen Effekt über reine Datenverarbeitung hinaus), im Zusammenhang wird aber durch die neue Vorverarbeitung die Erkennungsleistung verbessert. Also muss der Anspruch beides enthalten. Klar kann man nun an das bekannte Verfahren ein "gekennzeichnet durch neue Vorverabeitung" dranhängen, genausogut kann man aber die Vorverarbeitung voranstellen.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
… im Zusammenhang wird aber durch die neue Vorverarbeitung die Erkennungsleistung verbessert. Also muss der Anspruch beides enthalten. Klar kann man nun an das bekannte Verfahren ein "gekennzeichnet durch neue Vorverabeitung" dranhängen, genausogut kann man aber die Vorverarbeitung voranstellen.
So wie Du es beschrieben hast, klingt es für mich gerade nicht als zwingend, als dass man die Verfahrensschritte nicht trennen kann. Die Frage wäre dann, warum es nicht bloß ein Softwareprogramm geben kann, dass nur die Vorverarbeitung leistet, und ein Softwareprogramm, das den Output des ersten Softwareprogramms als Input erhält und damit die Bilderkennung leistet?

Mein Anspruch würde dann nämlich einfach auf ein Verfahren zur Vorverarbeitung von Eingangsdaten für das bekannte Verfahren zur Bilderkennung gerichtet sein, wobei man auf die Angabe der Schritte des bekannten Bilderkennungsverfahrens verzichten kann, weil diese ja aus dem in der Beschreibung zitierten Stand der Technik bekannt sind.

Wenn doch noch Anpassungen am Bilderkennungsverfahren selbst aufgrund der neuen Inputdaten notwendig wären, dann ist das doch der typische Fall, wo man zwei unabhängige Ansprüche in der selben Kategorie haben kann.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
@Lysios wir kommen jetzt ein wenig ab vom ursprünglichen Thema ...
Natürlich kann man in meinem Beispiel die beiden Verfahrensteile logisch trennen; aber wie gesagt hat die Vorverarbeitung ohne die nachfolgende Bilderkennung keinen technischen Effekt (reine Bit-/Pixelmanipulation), so dass man den Anspruch nicht allein darauf richten kann. Der Zusatz "Vorverarbeitung für Bilderkennung" dürfte auch nicht helfen, da er nur eine Eignung beschreibt und den Gegenstand nicht einschränkt, insbesondere nicht in Bezug auf das endgültige Resultat.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
@ Pat-Ente
Also da habe ich ganz andere Erfahrungen gemacht. Solche EP-Patente gibt es zuhauf (nur ein paar mit meiner Beteiligung).

Keine Werbung, sondern nur weil es sich so gut merken lässt: Wie erklärst Du Dir denn das bekannte What3Words Patent EP2987344B1, bei dem im Anspruch nur ein Ortsidentifikator erzeugt wird, der auch erst nur z.B. in einer Navigationssoftware einen technischen Effekt erzielen kann?
Siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/What3words
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Die Antwort gibt der IPRP zu der Anmeldung: "The objective technical problem solved by these distinguishing features (der Konvertierung in drei Worte) is how to express a location identifier in a user friendly way". Das war m.E. schon sehr freundlich ;-) Wäre aber bei meinem BV-Beispiel auch nicht anwendbar ...
Ich stimme zu, dass es sicherlich eine ganze Reihe von Gegenbeispielen gibt (und garantiert habe ich solche auch schon betrieben); aber man begegnet halt auch immer wieder Beanstandungen. Mir ging es ja auch nur darum (auf den Einwand von PatFragen hin) zu zeigen, dass nicht zwingend immer alle bekannten Merkmale "vorne" im Anspruch stehen müssen, insbesondere nicht bei Verfahrensansprüchen.
 
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