Unzulässige Erweiterung bei Teilanmeldung

Marc N. Zeichen

*** KT-HERO ***
Hallo Forum,

war das nur mir bisher nicht klar, dass ein Patent auf eine Teilanmeldung auch widerrufen wird (z.B. im Einspruch), wenn es zwar innerhalb der Offenbarung der Anmeldungsfassung seiner Stammanmeldung bleibt, jedoch über seine eigene Anmeldungsfassung hinausgeht? Mit anderen Worten, wenn das Teilpatent einfach nur unter § 21 (1) Nr. 4 Fall 1, nicht aber Fall 2 fällt?

Es sind auch fast keine Kommentare oder Entscheidungen hierzu aufzutreiben, im nationalen Bereich schon gar nicht.

Oder ist das so selbstverständlich...?
 
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Asdevi

*** KT-HERO ***
Hallo Forum,

war das nur mir bisher nicht klar, dass ein Patent auf eine Teilanmeldung auch widerrufen wird (z.B. im Einspruch), wenn es zwar innerhalb der Offenbarung der Anmeldungsfassung seiner Stammanmeldung bleibt, jedoch über seine eigene Anmeldungsfassung hinausgeht? Mit anderen Worten, wenn das Teilpatent einfach nur unter § 21 (1) Nr. 4 Fall 1, nicht aber Fall 2 fällt?

Es sind auch fast keine Kommentare oder Entscheidungen hierzu aufzutreiben, im nationalen Bereich schon gar nicht.

Oder ist das so selbstverständlich...?

Ja, das ist so selbstverständlich. Ein Widerrufsgrund reicht, um ein Patent zu widerrufen, man braucht keine zwei.

Es kommt nur deshalb verhältnismäßig selten vor, weil man normalerweise die Teilanmeldung mit identischer Beschreibung zur Stammanmeldung einreicht, so dass alles, was sich in dieser findet, auch in jener drin steht (übrigens ist genau das der Grund, warum man das so macht).

Man kann aber natürlich auch nur Teile der Stammanmeldung in die Teilanmeldung aufnehmen, und ist dann an diese Teile gebunden.
 

Marc N. Zeichen

*** KT-HERO ***
I see, Danke!

Man kann aber natürlich auch nur Teile der Stammanmeldung in die Teilanmeldung aufnehmen, und ist dann an diese Teile gebunden.

OK, öfters kommt es dann wohl vor, dass Ansprüche der Stammanmeldung nicht in die Teilanmeldung rübergenommen werden (bei gleichem Beschreibungstext).

Es wundert mich halt, weil man überall liest, das Reservoir für Änderungen an der Teilanmeldung ist die Stammanmeldung -- was ja so gar nicht stimmt. Selbst Benkard schreibt, dass die unzulässige Erweiterung der Teilanmeldung an der Stammanmeldung gemessen wird, und erwähnt mit keinem Wort den genauso limitierenden Wortlaut der ursprünglichen Teilanmeldung selber.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
I see, Danke!



OK, öfters kommt es dann wohl vor, dass Ansprüche der Stammanmeldung nicht in die Teilanmeldung rübergenommen werden (bei gleichem Beschreibungstext).

Bei einer ordentlichen Anmeldung sollten die Ansprüche nochmal in der Beschreibung als Fließtext auftauchen (z.B. in der Zusammenfassung). Dann hat man das Problem beim Teilen nicht.

Vor allem Amerikaner machen das aber oft anders. In diesem Fall fügen wir bei Teilanmeldungen einen solchen Teil in die Beschreibung ein, damit nichts verlorengeht. Sonst kann man in der Tat Probleme bekommen.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Selbst Benkard schreibt, dass die unzulässige Erweiterung der Teilanmeldung an der Stammanmeldung gemessen wird, und erwähnt mit keinem Wort den genauso limitierenden Wortlaut der ursprünglichen Teilanmeldung selber.

Der Benkard ist unter vielen praktischen Gesichtspunkten etwas, na ja. Der Visser weist auf das Problem im EPÜ-Kontext explizit hin (Art. 123(2), 1.1).

EDIT: Ich muss ein wenig zurückrudern, im deutschen Recht ist das vielleicht doch nicht so klar. Der Busse behandelt das Problem explizit (§21, Rn 85) und meint ausdrücklich, die Teilanmeldung sei nicht maßgeblich. Verwiesen wird auf BPatG 4 Ni 83/08, was "gefestigte Rechtsprechung" sei. Du kannst dir die Entscheidung ja nochmal durchlesen, vielleicht kann man auch in deinem Fall noch etwas machen.
 
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Fip

*** KT-HERO ***
Vielleicht hilft ja auch ein Blick in G1/05 und G1/06. Ist zwar kein deutsches Recht, könnte aber trotzdem aufschlussreich sein.


Ich kann mir im Übrigen kaum vorstellen, dass man für ein "rein" deutsches Patent auf der einen Seite (Nichtigkeitsgründe im PatG sind maßgeblich) und ein mit Wirkung für Deutschland erteiltes europäisches Patent (Nichtigkeitsgründe des EPÜ sind maßgeblich, Art. 138 EPÜ) auf der anderen Seite in einem vor dem BPatG anhängigem Nichtigkeitsverfahren bei ansonsten gleichen Voraussetzungen andere Maßstäbe anlegen kann bzw. seitens der Rechtsprechung würde.


Dass deutsche und europäische Rechtsprechung hier auseinanderdriften könnten, ist zwar nicht auszuschließen. Spätestens der BGH würde hier aber wohl klärend "gleichziehen".
 

Marc N. Zeichen

*** KT-HERO ***
Ich kann mir im Übrigen kaum vorstellen, dass man für ein "rein" deutsches Patent auf der einen Seite (Nichtigkeitsgründe im PatG sind maßgeblich) und ein mit Wirkung für Deutschland erteiltes europäisches Patent (Nichtigkeitsgründe des EPÜ sind maßgeblich, Art. 138 EPÜ) auf der anderen Seite in einem vor dem BPatG anhängigem Nichtigkeitsverfahren bei ansonsten gleichen Voraussetzungen andere Maßstäbe anlegen kann bzw. seitens der Rechtsprechung würde.

Es scheint unfassbarerweise aber so zu sein! Ich schreib gleich nachher noch was dazu.
 

HSP

SILBER - Mitglied
Ja, das ist so selbstverständlich. Ein Widerrufsgrund reicht, um ein Patent zu widerrufen, man braucht keine zwei.

Es kommt nur deshalb verhältnismäßig selten vor, weil man normalerweise die Teilanmeldung mit identischer Beschreibung zur Stammanmeldung einreicht, so dass alles, was sich in dieser findet, auch in jener drin steht (übrigens ist genau das der Grund, warum man das so macht).

Man kann aber natürlich auch nur Teile der Stammanmeldung in die Teilanmeldung aufnehmen, und ist dann an diese Teile gebunden.

Die Übernahme des gesamten Offenbarungsgehaltes der Stammanmeldung in dieTeilanmeldung kann aber angesichts der neueren Rechtsprechung zu sogenannten ,giftigen' Teilanmeldungen genauso gefährlich sein, da dann nämlich die Veröffentlichung der Teilanmeldung unter bestimmten Umständen die Schutzfähigkeit der eigenen Stammanmeldung infrage stellen kann.

Siehe hierzu: Nestec SA & Ors v Dualit Ltd & Ors [2013] EWHC 923 (Pat) (22 April 2013) und BK 3.2.4 d. EPA - DEMB Holding BV et al. v. Nestec SA, T 1674/12 (10 October 2013)

Es ist also nicht in jedem Falle empfehlenswert zunächst inhaltsgleiche Teilanmeldungen einzureichen!
 
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Fip

*** KT-HERO ***
Die Übernahme des gesamten Offenbarungsgehaltes der Stammanmeldung in dieTeilanmeldung kann aber angesichts der neueren Rechtsprechung zu sogenannten ,giftigen' Teilanmeldungen genauso gefährlich sein, da dann nämlich die Veröffentlichung der Teilanmeldung unter bestimmten Umständen die Schutzfähigkeit der eigenen Stammanmeldung infrage stellen kann.

Eine derartige Problematik wird in letzter Zeit ja immer mal wieder in der Literatur diskutiert. Je nach Konstellation des jeweiligen Falls innerhalb einer Patentfamilie kann auch die Stammanmeldung die Neuheit der Teilanmeldung in Frage stellen.

Diese Fälle sind aber nur denkbar, wenn entweder die Stammanmeldung oder die Teilanmeldung nicht denselben Prioritätstag beanspruchen können, weil es nur dann eine Kollision im Sinne von Art. 54(3) i.V.m. Art. 89 EPÜ geben kann. Dies hat daher meines Erachtens weniger mit der Übernahme des gesamten Offenbarungsgehalts in die Teilanmeldung zu tun, als vielmehr damit, ob man sich mit dem, was man in der Stamm- oder Teilanmeldung beansprucht, innerhalb oder außerhalb der Priorität befindet.

Der Grundsatz, dass natürlich nur das in einer ersten Anmeldung mit früherem Zeitrang Offenbarte einer zweiten Anmeldung mit späterem Zeitrang entgegenstehen kann, sollte meiner Ansicht nach nicht davon abhalten, die Stammanmeldung vollständig in die Teilanmeldung aufzunehmen. Man muss eben sicherstellen, dass einem durch vorgenommene Änderungen die Zeitränge innerhalb der Patentfamilie nicht "auseinanderdriften".
 

HSP

SILBER - Mitglied
Eine derartige Problematik wird in letzter Zeit ja immer mal wieder in der Literatur diskutiert. Je nach Konstellation des jeweiligen Falls innerhalb einer Patentfamilie kann auch die Stammanmeldung die Neuheit der Teilanmeldung in Frage stellen.

Diese Fälle sind aber nur denkbar, wenn entweder die Stammanmeldung oder die Teilanmeldung nicht denselben Prioritätstag beanspruchen können, weil es nur dann eine Kollision im Sinne von Art. 54(3) i.V.m. Art. 89 EPÜ geben kann. Dies hat daher meines Erachtens weniger mit der Übernahme des gesamten Offenbarungsgehalts in die Teilanmeldung zu tun, als vielmehr damit, ob man sich mit dem, was man in der Stamm- oder Teilanmeldung beansprucht, innerhalb oder außerhalb der Priorität befindet.

Der Grundsatz, dass natürlich nur das in einer ersten Anmeldung mit früherem Zeitrang Offenbarte einer zweiten Anmeldung mit späterem Zeitrang entgegenstehen kann, sollte meiner Ansicht nach nicht davon abhalten, die Stammanmeldung vollständig in die Teilanmeldung aufzunehmen. Man muss eben sicherstellen, dass einem durch vorgenommene Änderungen die Zeitränge innerhalb der Patentfamilie nicht "auseinanderdriften".

Ja, ja, das mit der Vermeidung unterschiedlicher Zeitränge ist wohl ein guter Vorsatz, nur leider ist da aber eher der ,Wunsch der Vater des Gedankens', da das Problem ja schrittweise und oft nicht vorhersehbar entsteht, nämlich zunächst mit einer (teilweise im Hinblick auf Verallgemeinerungsmöglichkeiten des Erfindungsgegenstandes) unzureichenden Offenbarung in einer Erstanmeldung zu einem Zeitpunkt zu dem oftmals noch nicht alle Erkenntnisse über die Erfindung zur Verfügung stehen, dann der (in Teilen) gegenüber der Erstanmeldung, deren Priorität in Anspruch genommen wird, verallgemeinernden Nachanmeldung zu einem Zeipunkt innerhalb der Prioritätsfrist zu dem der Anmelder nun schlauer als zuvor war und daher nun um die Möglichkeit der Generalisierung des Erfindungsgegenstandes wußte, wobei die Nachanmeldung aufgrund des zumeist gegebenen engen technischen Sachzusammenhangs dann zugleich (auch) den eingeschränkten Gegenstand der (vermeintlich) prioritätsbegründenden Anmeldung - etwa als spezifische Ausführungsform - offenbart (was alleine ja meist noch lässlich ist, so denn der Anmelder, wie von seinem kundigen Patentanwalt angewiesen, brav auf eigene Veröffentlichungen im Prioritätsintervall vezichtet hat und daher allenfalls zu einem meist hinnehmbaren materiell-rechtlichen Prioritätsverlust käme) und schließlich der Einreichung einer im Verhältnis zur Stammanmeldung inhaltsgleich offenbarten Teilanmeldung, die dann (auch) den Gegenstand der prioritätsbegründenden Anmeldung offenbart und so gegenüber dem Gegenstand ihrer eigenen Stammanmeldung zum neuheitsschädlichen älteren Recht wird, da sie deren Gegenstand zwar vorwegnimmt, umgekehrt die Stammanmeldung die Priorität für den verallgemeinerten Gegenstand aber leider nicht wirksam in Anspruch nehmen kann, da es hierzu nicht nur auf die bloße Verneinung der Neuheit gegenüber der für die Priorität in Anspruch genommenen Erstanmeldung ankommt, sondern vielmehr der zusätzlichen Voraussetzung der erfindungswesentlichen Offenbarung bedarf, die durch die vorgenommene Verallgemeinerung der Nach- gegenüber der Erstanmeldung gerade nicht gegeben ist!

Diese Situation läßt sich bei der Teilung daduch vermeiden, daß der in der Erstanmeldung (und auch der Stammanmeldung) offenbarte, gleichwohl aber gegenüber dem Gegenstand der Stammanmeldung spezifischere Gegenstand eben gerade nicht mit in die Teilanmeldung übernommen wird. Hierzu wird man in aller Regel aufgrund des inneren Zusammenhangs von allgemeinerem und spezifisch ausgestaltetem Gegenstand wohl meist sogar den gesamten Gegenstand der Stammanmeldung einschließlich des bereits in der Erstanmeldung diesbezüglich in spezifischerer Weise Offenbarten aus der Teilanmeldung entfernen müssen. Eine mit der Stammanmeldung inhaltsgleiche Teilanmeldung scheidet, so man der genannten Rechtsprechung folgen und nachteilige Auswirkungen meiden will, in einem solchen Fall jedenfalls aus.

Somit ist dies also schon ein Problem der Teilung, aus dem folgt, daß man jedenfalls nach dem diese (möglicherweise rechtlich zweifelhaften) Entscheidungen ergangen sind, nicht mehr immer unbedingt inhaltsgleiche Teilanmeldungen einreichen sollte, wie dies vor Bekanntwerden besagter Entscheidungen früher empfohlen wurde! Zudem bleibt natürlich auch, auf eine diese Frage obsolet werden lassende, geänderte oder höchstrichterlich korrigierte Rechtsprechung zu hoffen, da es doch mehr als merkwürdig dünkt, daß eine lediglich die Verfahrensgestaltung betreffende Prozeßhandlung, mithin die Teilung eines Patenterteilungsverfahrens in zwei oder mehr Erteilungsverfahren vorgenannte materiell-rechtliche Auswirkungen haben soll, die bei Verfolgung innerhalb eines einzigen (ungeteilten) Erteilungsverfahrens, im übrigen aber unveränderter materiell-rechtlicher Lage, nicht eintreten würden. Es fragt sich in diesem Zusammenhang, ob es dem Willen des Gesetzgebers - oder hier, um nicht wieder unfruchtbare Haarspalterein in der Diskussion zu provozieren, dem Willen der hohen vertragsschließenden Parteien des EPÜ - entspricht, auch Teilanmeldungen als nachträglich entstehenden fiktiven Stand der Technik i.S. des Art. 54 Abs. 3 EPÜ zu behandeln. Dies ist mehr als fragwürdig, ist es doch einziger Sinn des Art. 54 Abs. 3 EPÜ womögliche Unsicherheiten im Rechtsverkehr durch unnötige Doppelpatentierungen durch unterschiedliche Rechtsträger möglichst zu vermeiden, was in vorstehend geschilderter Konstellation keinesfalls zu befürchten steht. Daher war die hier geschilderte Situation bis zu den genannten Entscheidungen jedenfalls nicht vorhersehbar und bedarf auch unbedingt höchsrichterlicher Korrektur. Bis dahin sollte jedoch nach Bekanntwerden der Nestlé-Entscheidungen in England und bei der Beschwerdekammer des EPA höchst vorsorglich die Vorsicht walten!
 
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Asdevi

*** KT-HERO ***
Ich kann mir im Übrigen kaum vorstellen, dass man für ein "rein" deutsches Patent auf der einen Seite (Nichtigkeitsgründe im PatG sind maßgeblich) und ein mit Wirkung für Deutschland erteiltes europäisches Patent (Nichtigkeitsgründe des EPÜ sind maßgeblich, Art. 138 EPÜ) auf der anderen Seite in einem vor dem BPatG anhängigem Nichtigkeitsverfahren bei ansonsten gleichen Voraussetzungen andere Maßstäbe anlegen kann bzw. seitens der Rechtsprechung würde.

Eine unterschiedliche Behandlung ist hier nicht zwingend. Art. 138(1) EPÜ bestimmt nur, aus welchen Gründen ein europäisches Patent nichtig erklärt werden darf, nicht muss. Der nationale Gesetzgeber ist frei, einen dieser Gründe auch nicht anzuwenden, wenn er beliebt. Ich gehe also davon aus, dass der BGH (und das BPatG) auch ein europäisches Patent nicht für nichtig erklären, wenn es nur gegenüber sich selbst, nicht aber seinem Stamm erweitert ist (so scheint jedenfalls die höchstrichterliche Rechtsprechung im Moment zu sein).

Das EPA macht es im Einspruchsverfahren anders und sägt dir das Patent gnadenlos ab. Das ist ganz klare BoA-Rechtsprechung, und beruht auf G4/98 (glaube ich), wonach Teilanmeldungen ganz normale Anmeldungen sind und daher alle Erfordernisse einer Anmeldung erfüllen müssen. Aber wenn man die Einspruchsfrist übersteht, hat man wohl (in D) Glück gehabt.
 

Marc N. Zeichen

*** KT-HERO ***
HSP! Oha! Amen!

Kursorisch studiert ein Hammer von einem Beitrag, den ich mir übers Bett hängen und in den kommenden Jahren Stück für Stück durcharbeiten und/oder überprüfen werde, falls letzteres nicht gleich noch die Kollegen erledigen.

Grüße
 

Fip

*** KT-HERO ***
Eine unterschiedliche Behandlung ist hier nicht zwingend. Art. 138(1) EPÜ bestimmt nur, aus welchen Gründen ein europäisches Patent nichtig erklärt werden darf, nicht muss.



In Art. 138 EPÜ steht "kann ... nur" und nicht "darf".


Ungeachtet dessen, ob das nun Auswirkungen auf Deine Aussage hat oder nicht, interpretiere ich das anders. "Kann ... nur" heißt für mich vor allem, dass es neben den aufgezählten Nichtigkeitsgründen nach nationalem Recht keine weiteren geben darf. Das nationale Recht muss sich auf die im EPÜ genannten Nichtigkeitsgründe beschränken, und zwar selbst dann, wenn das nationale Recht für nationale Patente weitere Nichtigkeitsgründe vorsieht.


Deine Interpretation schließt der Wortlaut allerdings zugegebener Maßen nicht aus. Wenn ich dann allerdings Art. 139 EPÜ ansehe, der in Art. 138 EPÜ ja explizite Erwähnung findet (insbesondere Absatz Art. 139 (2) EPÜ), dann lese ich daraus schon, dass - im Rahmen von Art. 138 EPÜ - auf nationaler Ebene eine Gleichbehandlung nationaler und europäischer Patente gewollt ist. Art. 139 (2) EPÜ spricht ja explizit den Fall des Art. 54 (3) EPÜ auf nationaler Ebene an.


Man denke in diesem Zusammenhang an folgende Konstellation: Deutsche nationale Anmeldung ist die Ersthinterlegung, dann wortidentische Nachanmeldung EP (Stammanmeldung) mit Priobeanspruchung, dann Teilanmeldung EP und Erteilung der Teilanmeldung zum Patent mit Wirkung für Deutschland und der Teilanmeldung kommt die Prio nicht zu. Das ist in etwa derselbe Fall, in dem Art. 138 und Art. 139 EPÜ unmittelbar im deutschen Nichtigkeitsverfahren zur Anwendung kämen. Da gibt es doch gar keine "Handhabe", das anders zu beurteilen, es sei denn, das BPatG stellt sich bewusst gegen die Beschwerdekammern des EPA.


@ HSP:
Natürlich ist das ein guter Vorsatz. Es ist auch ein guter Vorsatz, keine unzulässigen Änderungen vorzunehmen, oder im Einspruchsverfahren keine Anträge zu stellen, die den Schutzbereich erweitern oder neue Einwände provozieren, oder bei einer EP-Nachanmeldung, die die Prio einer veröffentlichten EP-Anmeldung in Anspruch nimmt, tunlichst darauf zu achten, das die Prio hält, damit einem die Nachanmeldung nicht wegen der eigenen Ersthinterlegung um die Ohren fliegt, etc, etc, etc, etc, etc.


Wenn ich Deinen Kommentar so lese, bekomme ich den Eindruck, dass Du es sozusagen generell ungerecht findest, wenn man - ich will mal sagen - sich so kleinlich ans Gesetz hält.


Ich für meinen Teil reiche Teilanmeldungen immer mit dem vollen Offenbarungsgehalt ein und passe dann halt auf. Und wenn ich dann eben für eine Verallgemeinerung kein Patent bekommen kann, weil der Anmelder bei der Prioanmeldung noch nicht so weit gedacht hat, dann ist das dem Anmelder meiner Ansicht nach besser zu erklären, als wenn ich erläutern muss, dass ich genau den Teil der Offenbarung, den ich jetzt gebrauchen könnte (und sei es für eine weitere Teilanmeldung einer neuen Generation), leider nicht mehr "zur Verfügung" habe, weil ich das nicht mit in die Teilanmeldung übernommen habe.


Damit, dass man Vorsicht walten lassen sollte, hast Du recht. Ich tue es allerdings lieber auf andere Art.
 

Marc N. Zeichen

*** KT-HERO ***
Also hab jetzt zum eigenen Verständnis mal versucht einen EP/DE Vergleich bezüglich des Widerrufs der Teilanmeldung wegen unzulässiger Erweiterung anzustellen:

##############################################

EPÜ Artikel 138 (1), Nichtigkeit europäischer Patente

Das europäische Patent kann [...] für nichtig erklärt werden, wenn c)

  • [Alternative 1] der Gegenstand des europäischen Patents über
    den Inhalt der Anmeldung
    in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht
oder
  • [Alternative 2] der Gegenstand des europäischen Patents über
    den Inhalt der früheren Anmeldung
    in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht,
    wenn das Patent auf einer Teilanmeldung beruht.
Mit G1/05: "Eine wirksam eingereichte Teilanmeldung sei als von der Stammanmeldung völlig getrennte Anmeldung zu prüfen und müsse eigenständig die verschiedenen Erfordernisse des EPÜ erfüllen" scheint zu gelten, dass eine Teilanmeldung eine "Anmeldung" ist, damit bereits unter Alternative 1 fällt, und somit widerrufen wird, wenn sie über den Inhalt (nur) der Teilanmeldung ("Teilungserklärung") hinausgeht.

--> Teilungserklärung HAT finale Gestaltungswirkung
--> maßgeblich für unzulässige Erweiterung ist bereits die Offenbarung der Teilanmeldung

##############################################

§ 21 (1) PatG, Widerruf des Patents

Das Patent wird widerrufen, wenn sich ergibt, dass 4.

  • [Alternative 1] der Gegenstand des Patents über
    den Inhalt der Anmeldung
    in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht
das gleiche gilt, wenn [= oder]

  • [Alternative 2] der Gegenstand des Patents über
    den Inhalt der früheren Anmeldung
    in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht,
    wenn das Patent auf einer Teilanmeldung beruht.
Mit BGH Sammelhefter: "Die wirksame Teilung eines Patents setzt nicht voraus, dass durch die Teilungserklärung ein gegenständlich bestimmter Teil des Patents definiert wird" scheint zu gelten, dass eine Teilanmeldung keine "Anmeldung" ist, damit nicht unter Alternative 1 fällt, und somit nicht bereits widerrufen wird, wenn sie über den Inhalt (nur) der Teilanmeldung ("Teilungserklärung") hinausgeht.

--> Teilungserklärung hat KEINE finale Gestaltungswirkung
--> maßgeblich für unzulässige Erweiterung ist nur die Stammanmeldung

##############################################

Keukenschrijver (Busse 7. Ausg. PatG § 21, Rn. 85) schreibt sogar:
"Für das nach Teilung der Anmeldung (§ 39) erteilte Patent stellt Abs 1 Nr 4 2. Halbs. klar, dass das erteilte Patent nicht mit dem Offenbarungsgehalt einer (strenggenommen gar nicht erforderlichen) 'Teilanmeldung', sondern mit dem der ursprünglichen Anmeldung zu vergleichen ist."

Nach deutscher Rechtsauffassung wird die Offenbarung der Teilanmeldung allmählich überflüssig, während die Teilanmeldung nach europäischer Rechtsauffassung immer mehr den Status einer von der Stammanmeldung unabhängigen, eigenständigen Anmeldung erhält.

Das gibt's doch nicht?

Womöglich liegt es nur daran, dass die deutsche Rechtsprechung bisher überlesen hat, dass die beiden Alternativen in § 21 (1) Nr. 4 PatG genauso ODER-verknüpft sind wie die beiden Alternativen in Art. 138 (1) EPÜ...

Zusammenfassend, nach deutschem Recht kann eine (relativ zur Stammanmeldung zuerst eingeschränkte und dann im Rahmen der Stammanmeldung wieder erweiterte) Teilanmeldung jederzeit wieder geheilt werden (bzw. gilt gar nicht als unzulässig erweitert), nach europäischem Recht jedoch nicht?
 
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Fip

*** KT-HERO ***
@Marc N. Zeichen


Deine Interpretation der Sammelhefter-Entscheidung kann ich so nicht teilen. Diese Entscheidung stammt aus einer Zeit, in der man allein durch die Erklärung zu Protokoll im Einspruchsverfahren vor dem BPatG eine wirksame Teilungserklärung abgeben konnte. Man musste nur in der mündlichen Verhandlung sagen: "Hiermit erkläre ich die Teilung der Anmeldung" und schon hatte man eine wirksame Teilungserklärung, zu der man dann noch die Unterlagen einreichen und die Gebühren zahlen musste. Dabei war es nach der von Dir zitierten Entscheidung nicht erforderlich, schon im Zeitpunkt der Abgabe der Teilungserklärung zu definieren, auf welchen Gegenstand diese Teilanmeldung überhaupt gerichtet werden soll. Das konnte man sich ganz in Ruhe überlegen. Das Ganze beruhte auf der bis Mitte 2006 geltenden Fassung von § 60 PatG und hat eigentlich nichts mit dem Nichtigkeitsgrund zu tun (zumindest nicht unmittelbar).


Du schreibst außerdem: "maßgeblich für unzulässige Erweiterung ist bereits die Offenbarung der Teilanmeldung". In der Sache meinst Du wohl das Richtige, allerdings ist das nicht ganz korrekt ausgedrückt.


Denn eine unzulässige Erweiterung (Art. 123 (2) EPÜ) bezieht sich immer auf die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung, bei unserer Diskussion zu den Teilanmeldungen also auf die Fassung, in der ich die Teilanmeldung selbst eingereicht hatte. Es kommt nicht darauf was in der Stammanmeldung steht und was nicht.


Der Nichtigkeitsgrund gegen das über den Inhalt der früheren Anmeldung (=der Stammanmeldung) hinausgehende Patent (die 2. Alternative) basiert auf dem Verstoß gegen Art. 76 (1) S.2 EPÜ. Das ist aber im eigentlichen Sinne keine "unzulässige Änderung".


Die beiden von Dir richtig differenzierten Nichtigkeitsgründe haben also jeweils auch einen anderen Ursprung. Und das gilt im deutschen Recht genauso wie im EPÜ.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
In Art. 138 EPÜ steht "kann ... nur" und nicht "darf".
Dann setze halt in meinem Beitrag "kann" statt "darf". Ändert nichts.

Wenn ich dann allerdings Art. 139 EPÜ ansehe, der in Art. 138 EPÜ ja explizite Erwähnung findet (insbesondere Absatz Art. 139 (2) EPÜ), dann lese ich daraus schon, dass - im Rahmen von Art. 138 EPÜ - auf nationaler Ebene eine Gleichbehandlung nationaler und europäischer Patente gewollt ist. Art. 139 (2) EPÜ spricht ja explizit den Fall des Art. 54 (3) EPÜ auf nationaler Ebene an.
Es ist die Gleichbehandlung als SdT gewollt. D.h., das nationale Gericht darf eine europäische Anmeldung nicht als älteres Recht unberücksichtigt lassen, wenn eigene ältere Anmeldungen als älteres Recht berücksichtigt werden, und umgekehrt. Ich lese daraus nicht, dass das nationale Gericht gezwungen wäre, das gesamte Instrumentarium von Art. 138(1) auszunutzen. Schon gar nicht steht da irgendwas zu unzulässiger Erweiterung.

Das ist in etwa derselbe Fall,
Warum soll das der selbe Fall sein? Was hat ein Fehlen der Prio mit unzulässiger Erweiterung zu tun?

es sei denn, das BPatG stellt sich bewusst gegen die Beschwerdekammern des EPA.
Dass die Rechtsprechung des BPatG (und des BGH) von der der Beschwerdekammern des EPA abweicht, wissen wir nicht erst seit gestern (z.B. WARF-Entscheidung des EPA; sieht der BGH auch anders).

Der Fall ist wohl ganz einfach, dass die deutsche Rechtsprechung einen ihr in Art. 138 erlaubten Nichtigkeitsgrund auf Teilanmeldungen nicht anwendet. Das darf sie. Sie dürfte sogar wohl nationale und europäische Teilanmeldungen diesbezüglich unterschiedlich behandeln (denn von unzulässiger Erweiterung steht nichts in Art. 139, nur von der Wirkung als älteres Recht). Ich gehe aber nicht davon aus, dass sie das tut. Teilanmeldungen sind wohl generell von der ersten Alternative von §21 Nr.4 befreit. Ein Problem kann ich nicht erkennen.
 
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Asdevi

*** KT-HERO ***
Womöglich liegt es nur daran, dass die deutsche Rechtsprechung bisher überlesen hat, dass die beiden Alternativen in § 21 (1) Nr. 4 PatG genauso ODER-verknüpft sind wie die beiden Alternativen in Art. 138 (1) EPÜ...
Es ist eine unterschiedliche Auslegung der Bestimmungen (die im deutschen und europäischen Recht wortgleich sind). Dass verschiedene Gerichte Gesetze unterschiedlich auslegen, kommt vor. Es gibt keine Vereinheitlichung der Rechtsprechung zwischen EP und D. Damit muss man dann leben. Wünschenswert wäre etwas anderes, aber der BGH hat sich schon bei mehreren Fragen anders entschieden als das EPA.

Zusammenfassend, nach deutschem Recht kann eine (relativ zur Stammanmeldung zuerst eingeschränkte und dann im Rahmen der Stammanmeldung wieder erweiterte) Teilanmeldung jederzeit wieder geheilt werden (bzw. gilt gar nicht als unzulässig erweitert), nach europäischem Recht jedoch nicht?
Ja, genau. Wenn du das bei einem EP-Patent machst, bist du im Einspruch dran. Wenn du den Einspruch überlebst oder es keinen gibt, ist danach alles in Butter (wenigstens für den deutschen Teil).
 

Fip

*** KT-HERO ***
Es ist die Gleichbehandlung als SdT gewollt. D.h., das nationale Gericht darf eine europäische Anmeldung nicht als älteres Recht unberücksichtigt lassen, wenn eigene ältere Anmeldungen als älteres Recht berücksichtigt werden, und umgekehrt.



Genau so ist es, und da § 3 (2) PatG es genau so vorsieht, ist meines Erachtens kein Platz für eine andere Beurteilung auf nationaler Ebene.


Warum soll das der selbe Fall sein? Was hat ein Fehlen der Prio mit unzulässiger Erweiterung zu tun?

Sorry, wenn ich das lese, habe ich das Gefühl, Du hast den ganzen Komplex nicht verstanden. Natürlich ist das in etwa derselbe Fall, sogar noch verschärft dadurch, dass die veröffentlichte Prioanmeldung, die beim EPA keine Rolle spielt, hinzukommt. Und natürlich hat die hier diskutierte Problematik etwas mit Prio zu tun. Sie hat hingegen eher nichts mit unzulässiger Erweiterung zu tun.

Wenn ich drei Patente mit Wirkung für Deutschland habe, Patent DE1 basiert auf einer DE Ersthinterlegung, Patent EP1 auf einer daraus hervorgehenden und die Prio von DE1 in Anspruch nehmenden EP Stammanmeldung, und Patent EP2 geht aus der Teilanmeldung zu EP1 hervor und EP2 kommt die Prio von DE1 nicht zu, dann ist das weitgehend derselbe Fall, außer dass hier die Stammanmeldung "giftig" ist.

Hier hätte Patent DE1 besseren Zeitrang gegenüber Patent EP2, und Patent EP1 hätte ebenfalls besseren Zeitrang gegenüber Patent EP2. Bei einer Nichtigkeitsklage müsste das BPatG Patent DE1 im Sinne von Art. 139 EPÜ mit § 3 (2) PatG als älteres Recht gegenüber EP2 berücksichtigen, und wegen Art. 138 EPÜ müsste es außerdem EP1 als älteres Recht im Sinne von Art. 54 (3) EPÜ berücksichtigen.

Nochmal: Wieso ist das ein anderer Fall als der, den wir hier zu den "giftigen Teilanmeldungen" diskutieren (mit der Ausnahme, dass der Fall auf DE Ebene liegt und hier die Stammanmeldung und die Prioanmeldung "giftig" für die Teilanmeldung ist? )

Und was Prio mit unzulässiger Erweiterung zu tun hat? Erst mal gar nichts, dass habe ich ja auch nicht geschrieben. Nur was Du mir nicht zu verstehen scheinst, ist, dass die Problematik der "giftigen Teilanmeldung" - und nichts anderes diskutieren wir doch die ganze Zeit - nur dann überhaupt auftreten kann, wenn es durch eine unwirksame Priobeanspruchung zu einer Zeitrangverschiebung zwischen Teil- und Stammanmeldung kommt. Wenn das nicht passiert, existiert das Problem, über das wir hier die ganze Zeit diskutieren, doch erst gar nicht.

Und was die "unzulässige Erweiterung" angeht. Dieser Begriff ist hier doch fehl am Platz. Das Problem der "giftigen Teilanmeldung" kommt nicht wegen unzulässiger Erweiterungen zustande, sondern weil bei Stamm- und der Teilanmeldung der einen die Prio nicht zukommt, der anderen aber schon. Deshalb hat das Ganze nichts mit unzulässiger Erweiterung zu tun. Wenn eine Anmeldung unzulässig geändert ist (Art. 123 EPÜ), dann ist sie sozusagen schon aus sich heraus zu widerrufen, ohne das es einer "giftigen" Anmeldung aus der eigenen Familie überhaupt bedürfte.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Nochmal: Wieso ist das ein anderer Fall als der, den wir hier zu den "giftigen Teilanmeldungen" diskutieren (mit der Ausnahme, dass der Fall auf DE Ebene liegt und hier die Stammanmeldung und die Prioanmeldung "giftig" für die Teilanmeldung ist? )

Ganz einfach: Weil wir (jedenfalls ich) hier keine giftigen Teilanmeldungen diskutieren. Die Frage des TE bezog sich auf unzulässige Erweiterung, und ich diskutiere hier nur das. Die giftigen Teilanmeldungen hat HSP ins Spiel gebracht. Die kannst du mit ihm gerne diskutieren, solltest dann aber vielleicht nicht meine Beiträge dazu zitieren, sondern seine. Sonst denke ich ja, du schreibst etwas, was mit meinem Beitrag zu tun haben soll.
 

Fip

*** KT-HERO ***
@Asdevi: Gut, dass sehe ich ein. Dann haben wir aneinander vorbeigeschrieben und in der Tat bin ich auf den Zug der von HSP ins Spiel gebrachten "giftigen" Anmeldungen aufgesprungen.

Dann zum ursprünglichen Thema:

Unten wurde der Busse wie folgt zitiert:
Keukenschrijver (Busse 7. Ausg. PatG § 21, Rn. 85) schreibt sogar: "Für das nach Teilung der Anmeldung (§ 39) erteilte Patent stellt Abs 1 Nr 4 2. Halbs. klar, dass das erteilte Patent nicht mit dem Offenbarungsgehalt einer (strenggenommen gar nicht erforderlichen)' Teilanmeldung', sondern mit dem der ursprünglichen Anmeldung zu vergleichen ist."

Der Schlussfolgerung, die Keukenshrijver hier vornimmt, stimme ich schlicht nicht zu. Denn § 21 (1) Nr. 4 2. Halbs. PatG stellt meines Erachtens etwas ganz anderes klar. Die Vorschrift liest sich grob vereinfacht wiedergegeben wie folgt:

Das Patent wird widerrufen, wenn es gegenüber sich selbst unzulässig erweitert ist (Alternative 1); das gleiche gilt [sprich: das Patent wird auch dann widerrufen], wenn es aus einer Teilanmeldung hervorgegangen ist, die inhaltlich über die Fassung der Stammanmeldung hinausgeht (Alternative 2).

Die Worte "das gleiche gilt" beziehen sich aus meiner Sicht auf "widerrufen" und heißen für mich, dass dies für Teilanmeldungen zusätzlich gilt, nicht aber an Stelle von Alternative 1. Damit ist meines Erachtens klargestellt, dass bei Teilanmeldungen zusätzlich zur ersten Alternative auch noch die zweite Alternative hinzukommt. Die Klarstellung, die Keukenshrijver zu sehen glaubt, sehe ich da jedenfalls nicht.


In der Tat steht dies in der zitierten BPatG Entscheidung allerdings anders drin, als es vom EPA gehandhabt wird. Und in der BPatG Entscheidung wird auch von gefestigter Rechtsprechung gesprochen, ohne diese allerdings zu zitieren (was per so schon mal ein Schwachpunkt ist). Diese unterschiedliche Praxis ist auf deutscher Seite aber meines Erachtens nicht zu Ende gedacht.

Zunächst muss man sich vor Augen führen, dass man in Deutschland erst einmal nur eine Teilungserklärung abgeben muss und dann drei Monate Zeit hat, die Anmeldeunterlagen für die Teilung nachzureichen. Man kann also eine Teilanmeldung durch einfache Erklärung "generieren", ohne hierfür überhaupt Anmeldeunterlagen vorlegen zu müssen. Es gibt dann eine schwebend wirksame Teilungserklärung, ohne dass der tatsächliche Inhalt der eigentlichen Anmeldung schon feststehen würde. Dann ist es natürlich erst einmal logisch, dass man für die der bloßen Teilungserklärung nachfolgenden tatsächliche Anmeldeunterlagen die Offenbarung der Stammanmeldung ausschöpfen können muss.

Die deutsche Rechtsprechung ignoriert bzw. beschäftigt sich allerdings nicht mit den Problemen, die die GBK des EPA in den Entscheidungen G1/05 und G1/06 umrissen hat (zumindest konnte ich da bisher nichts finden). Oftmals wird die "deutsche" Aussage, die Teilanmeldung kann die Offenbarung der Stammanmeldung ausschöpfen, vor dem Hintergrund getroffen, dass die ggf. Monate nach der Teilungserklärung eingereichten Anmeldungsunterlagen die Offenbarung der Stammanmeldung ausschöpfen können.

Die eigentlich entscheidende Frage, die man sich an dieser Stelle aber außerdem stellen muss, hat man sich aber nie wirklich gestellt: Was passiert mit Gegenständen bzw. Merkmalen, die zwar in der Stammanmeldung offenbart sind, die aber in den Anmeldeunterlagen der Teilanmeldung nicht mehr enthalten sind.

Dass man sich diese Frage nicht stellte, kann auch daran liegen, dass man früher dieses Problem nicht wirklich hatte, als man vom Anmelder noch verlangt hat, dass er mit der Teilung sozusagen eine Art Verzicht auf das Weiterverfolgen der Gegenstände in der Teilanmeldung erklärt, die in der Stammanmeldung verbleiben, nicht aber in die Teilanmeldung aufgenommen wurden. Die Prüfer achteten darauf, dass in Stamm- und Teilanmeldung durch Verzicht die in der jeweiligen anderen Anmeldung weiterverfolgten Gegenstände gestrichen bzw. nicht aufgenommen wurden. Daher sprach man von gegenständlicher "echter" (Heraus)Teilung oder im Falle eines Prüfereinwands von gegenständlicher "echter" Ausscheidung. Prüfungsbescheide, die dies verlangen, bekomme ich von älteren Prüfern teils heute noch.

Wenn man das so handhabt wie das BPatG es zu tun scheint, dann würde eine Teilanmeldung immer alle Gegenstände, die mal in der Stammanmeldung offenbart waren, in der Teilanmeldung selbst aber nicht erwähnt werden, sozusagen "verdeckt" mitführen. Rechtssicherheit für Dritte sieht anders aus.

Ein weiteres Problem entsteht bei der Kette von Teilanmeldungen. Wenn jede Teilanmeldung immer (zumindest implizit) den Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung ausschöpfen können darf, was passiert dann mit irgendwo auf dem Weg von Generation zu Generation liegen gelassenen Merkmalen? Die GBK positioniert sich hier klar: Was man einmal liegen gelassen hat, egal bei welchem "Generationensprung", ist für diesen Generationenzweig ein für allemal weg. Das ist meines Erachtens der einzig sinnvolle Weg, wenn man bedenkt, dass die Öffentlichkeit ja auch irgendwann mal wissen muss, was nun eigentlich Sache ist. Würde man die deutsche Praxis weiterdenken, könnten längst liegen gelassene Merkmale bzw. Gegenstände irgendwann plötzlich wieder auftauchen. Das kann es nicht sein.

Daher bin ich mir sicher: Wenn man einen Fall hat, bei dem diese ganze Problematik entscheidungserheblich ist, dann wird spätestens der BGH auf die Linie des EPA umschwenken.
 
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