Neuheitsschonfristen im Patentrecht

Patentanwälte – und werdende Patentanwälte – kennen die Thematik: Gewisse Länder kennen eine Neuheitsschonfrist für Patente oder Gebrauchsmuster. Sie schützt den Patentanmelder bzw. Patentinhaber vor offenkundigen Benutzungen oder Beschreibungen vor den Anmelde- oder Prioritätstag, indem sie diese – unter gewissen Umständen – vom Stand der Technik ausschliesst.

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Die Gesetzgebungen der Länder bzw. Regionen unterscheiden sich in diesem Zusammenhang aber stark. In einigen Ländern ist eine breit gefasste Neuheitsschonfrist eine Selbstverständlichkeit. Andere Länder fassen den Begriff sehr eng. Die meisten Gesetze liegen irgendwo dazwischen.

Dieser Artikel bietet eine internationale Übersicht über die wichtigsten Regelungen

Grosszügige USA

Die USA kennen, zusammen mit einigen weiteren Ländern, eine sehr grosszügige Regelung, siehe 35 U.S.C. 102. Demgemäss gilt eine Offenbarung, die innerhalb eines Jahres vor dem effektiven Anmeldetag einer Patentanmeldung gemacht wurde, nicht als Stand der Technik, wenn sie auf den Erfinder zurückgeht.

Und auch die Veröffentlichung eines („unbeteiligten“) Dritten ist, innerhalb dieses Jahres, kein Stand der Technik, wenn der Erfinder seine Idee vorher schon veröffentlicht hat. Die Veröffentlichung des Erfinders ist also nicht nur unschädlich, sondern sie hat sogar eine Art „Prioritätswirkung“ gegen Drittveröffentlichungen.

Strenges EPÜ

Die Regelung in Art. 55 EPÜ ist viel strenger. Demgemäss gelten fast alle Veröffentlichungen vor dem Stichtag einer Patentanmeldung als „Stand der Technik“, selbst wenn sie vom Erfinder oder Anmelder stammen. Von dieser allgemeinen Regel gibt es nur zwei enge Ausnahmen:

  1. Art. 55(1) a) EPÜ: Eine Veröffentlichung der Erfindung ist nicht schädlich für eine spätere Patentanmeldung, wenn es sich um einen „offensichtlichen Missbrauch zum Nachteil des Anmelders oder seines Rechtsvorgängers“ handelt. Sie greift zum Beispiel, wenn die Erfindung veröffentlicht wurde, weil jemand gegen eine Geheimhaltungsvereinbarung verstossen hat, die ihn gegenüber dem Anmelder zur Vertraulichkeit verpflichtet hat.
  2. Art. 55(1) b) EPÜ: Darüber hinaus gibt es einige internationale Ausstellungen, auf denen eine Erfindung ausgestellt werden kann, ohne dass ihre Neuheit zerstört wird. Diese Ausnahme gilt nur für eine sehr kleine Liste von Ausstellungen. Im Amtsblatt des EPA vom August 2023 werden zum Beispiel nur drei (!) solcher Ausstellungen zwischen 2023 und 2027 erwähnt.

Diese Ausnahmen gemäss EPÜ greifen also nur selten.

Darüber hinaus sind die in Art. 55(1) a) EPÜ erwähnten sechs Monate relativ zum Anmeldetag zu rechnen. Die Priorität der Anmeldung ist bei Berechnung der Neuheitsschonfrist nicht zu berücksichtigen (siehe G 3/98 und G 2/99)!

Und all die anderen Länder?

In vielen europäischen Ländern ist die nationale Gesetzgebung bei Patenten ähnlich streng wie jene des EPÜ, z.B. in Deutschland (§3 PatG), in Österreich (§3 PatG) in der Schweiz (Art. 7 PatG), in Frankreich (Art. L611-13) und in Grossbritannien (Patents Act Section 2). In der Schweiz zumindest gilt aber die Frist von Sechs Monaten relativ zum Prioritäts- und nicht nur zum Anmeldedatum.

Auch einige Länder ausserhalb Europas sind ähnlich streng, so z.B. China (Art. 24), aber mit einigen weiteren Ausnahmen für Spezialfälle, insbesondere für wissenschaftliche Konferenzen.

Einige europäische Länder, wie z.B. auch Deutschland, kennen aber grosszügigere Regelungen für Gebrauchsmuster, indem eine innerhalb von sechs Monaten vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag erfolgte Beschreibung oder Benutzung ausser Betracht bleibt, wenn sie auf der Ausarbeitung des Anmelders oder seines Rechtsvorgängers beruht (§3 GebrMG). Solche Regelungen kennen z.B. auch Österreich, Ungarn, Rumänien, die Slowakei und Estland.

In verschiedenen südamerikanischen Ländern und in Japan gibt es eine zwölfmonatige (oder eine sechsmonatige) Neuheitsschonfrist ähnlich wie in den USA, aber in einigen davon (z.B. in Japan) muss die Veröffentlichung des Erfinders bei Hinterlegung der Patentanmeldung deklariert werden.

Einige weitere Länder, z.B. Australien und Indien, haben relativ komplexe Zwischenlösungen gewählt.

Die folgende Karte zeigt eine Übersicht über die Regelungen in den verschiedenen Ländern:

Und was gilt für PCT-Anmeldungen?

Die Neuheit ist ein materielles Recht, das unter dem PCT nicht geregelt ist. Vielmehr gilt für PCT-Anmeldungen nach der Regionalisierung/Nationalisierung jeweils das lokale Recht.

Relevant ist hier aber u.U. eines: Im PCT-Anmeldeformular gibt es die „BOX No. VIII (v)“ (die „Declaration as to Non-prejudicial Disclosures or Exceptions to Lack of Novelty“), in welcher man nicht neuheitsschädliche Offenbarungen deklarieren kann. Je nach Vorschriften des Nationalisierungslands kann es hilfreich sein, diesen Teil des Formulars schon beim Hinterlegen der PCT-Anmeldung auszufüllen.

Wo kann ich mehr erfahren?

Hier einige nützliche oder interessante Quellen:

Über Kurt Sutter 1 Artikel
Herr Dr. Kurt Sutter ist Patentanwalt und European Patent Attorney mit Physik als technischem Hintergrund. Er ist überdies nebenamtlicher Fachrichter beim schweizerischen Bundespatentgericht.