Praktikum bei einem Gericht für Patentstreitsachen

Im Rahmen meiner Ausbildung zum deutschen und europäischen Patentanwalt wurde bereits zu Beginn durch die Kanzlei auf die Möglichkeit hingewiesen, ein Praktikum bei einem Gericht für Patentstreitsachen durchzuführen. Da die Plätze rar und begehrt sind, wurde eine frühzeitige Bewerbung um ein sog. Praktikum für Patentanwaltskandidaten empfohlen. Rechtsgrundlage ist § 7 Abs.1 PAO i.V.m. § 19 PatAnwAPrV. Danach beträgt die Dauer der Ausbildung im gewerblichen Rechtsschutz im Inland mindestens 34 Monate, davon wenigstens 26 Monate bei einem Patentanwalt oder einem Patentassessor oder in der Patentabteilung eines Unternehmens. Eine Ausbildung bei einem Gericht für Patentstreitsachen wird bis zu zwei Monaten auf die Ausbildung bei einem Patentanwalt oder einem Patentassessor angerechnet. Patentstreitverfahren werden deutschlandweit zwölf Landgerichten zugeordnet, bei denen jeweils auf diese Verfahren spezialisierte Patentkammern eingerichtet sind, darunter das Landgericht Düsseldorf.

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Um diese Chance zu nutzen, bewarb ich mich unmittelbar zu Beginn meiner Ausbildung Mitte 2021 um einen Praktikumsplatz und erhielt zeitnah die Zusage, dieses von Anfang Februar bis Ende März 2023 am Landgericht Düsseldorf absolvieren zu können. Als ich die Zusage vor über eineinhalb Jahren erhielt, hatte ich noch keine Vorstellung über den konkreten Ablauf. Es fühlte sich vor dem Hintergrund des lebhaften Tagesgeschehens in der Patentanwaltskanzlei noch sehr weit weg an. Tatsächlich verging die Zeit jedoch schneller als gedacht und am 1. Februar 2023 begann das Praktikum am Landgericht Düsseldorf.

Der Start erfolgte mit einer kurzen Einweisung und Belehrung über allgemeine Verhaltensweisen bei Gericht durch die für die Patentanwaltskandidaten und Referendare zuständige Richterin, bevor ich einer Patentstreitkammer zugeteilt wurde. Neben mir waren noch jeweils ein weiterer Patentanwaltskandidat aus München und Frankfurt vor Ort, die zeitgleich mit mir ihr Praktikum begonnen haben. Da das Landgericht Düsseldorf gegenwärtig drei Patentstreitkammern hat und jede Kammer einen Kandidaten betreut, stehen insgesamt 18 Praktikumsplätze pro Jahr zur Verfügung. Es ist somit durchaus empfehlenswert, sich frühzeitig um einen dieser Plätze zu bemühen.

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Praktikum bei einem Gericht für Patentstreitsachen

In der mir zugeteilten Patentkammer bearbeiteten die Vorsitzende Richterin sowie zwei beisitzende Richterinnen Patentverletzungsstreitverfahren aus den Bereichen Maschinenbau, Informatik, Medizintechnik und Chemie. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Vorsitzende Richterin und die beisitzenden Richterinnen Volljuristen sind, die in der Regel kein technisches Studium absolviert haben. Umso beeindruckender fand ich, wie professionell und kurzfristig sie sich in die von teils umfangreichen Schriftsätzen der Parteien geprägte jeweilige technische Materie mit teilweise filigranen Details eingearbeitet haben.

Es fanden pro Woche in der Regel zwei Termine an zwei Tagen statt, an denen ich teilnehmen durfte. Der erste Tag diente der Vorbesprechung der Kammer zur Vorbereitung der tags darauf folgenden mündlichen Verhandlung. In der Vorbesprechung wurde der Sachverhalt detailliert erläutert und das sog. Votum des anhängigen Rechtsstreits erörtert, das zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung von der zuständigen beisitzenden Richterin erstellt wurde. Es beinhaltet zum einen eine geordnete Darstellung des dem Streitverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts auf der Grundlage des von den Parteien schriftsätzlich vorgetragenen Streitstoffes sowie eine vorläufige rechtliche Bewertung. Es dient neben der Vorbereitung der Beratung in der Kammer und der mündlichen Verhandlung auch der Abfassung der späteren Entscheidungsgründe, wobei das Votum als vorläufiges Arbeitsdokument und nicht etwa als „vorweggenommene Entscheidung in der Sache“ zu verstehen ist. Durch das Votum sollen ferner alle Mitglieder der Kammer im gebotenen Umfang und präzise in den Sach- und Streitstand eingeführt werden, sodass sie in die Lage versetzt werden, das Streitverfahren zu erfassen und zu beurteilen. In den Verfahren, an denen ich teilgenommen habe, hatten die Voten einen Umfang zwischen 30 und 60 Seiten.

Am zweiten Tag der Woche fand dann die öffentliche mündliche Verhandlung statt. Bei diesem „Showdown“, auf den die Parteien oft mehrere Jahre „hingearbeitet“ haben, gab das Gericht der Kläger- und Beklagtenseite die Möglichkeit, ihre jeweilige Sichtweise zum Sachverhalt und zur rechtlichen Bewertung zu äußern. Dabei traten beide Parteien in der Regel mit mehreren Rechts- und Patentanwälten auf. Zusätzlich bestand für Erfinder oder weitere Berater die Möglichkeit, online hinzugeschaltet zu werden. Eine mündliche Verhandlung dauerte meist mehrere Stunden und nahm in der Regel den ganzen Vor- oder Nachmittag ein. Nach der Verhandlung fand die Nachbesprechung der Kammer statt, in der der Vortrag der jeweiligen Parteien nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung abschließend bewertet und das Ergebnis der Entscheidung konkretisiert wurde. Ich persönlich empfand es als sehr lehrreich, nicht nur im Gerichtssaal anwesend zu sein, sondern auch durch teilweise aktive Einbeziehung während der Vor- und Nachbesprechungen plastische Eindrücke zu sammeln, wie die anhängigen Patentstreitverfahren konkret bearbeitet und entschieden wurden. Schließlich hat mich beeindruckt, wie – und insbesondere wie sachlich – die Anwälte der Parteien in den mündlichen Verhandlungen ihre Argumente vorgetragen und auf Vorhalte des Gegners und/oder Gerichts reagiert haben.

In einem Patentverletzungsstreitverfahren war es dann meine Aufgabe, ein Votum zu entwerfen. Dafür hatte ich Zugang zu der kompletten Verfahrensakte mit allen Schriftsätzen der Kläger und der Beklagten und ca. vier Wochen Zeit für die Bearbeitung. Die zuständige beisitzende Richterin erstellte unabhängig davon ihr Votum. Die eigene Anfertigung des Votums ist teilweise wegen Inhalt und Umfang der Materie herausfordernd. Sie bietet indes eine gute Möglichkeit, den Prozessstoff zu durchdringen und geordnet darzustellen. Ferner geraten dadurch auch verstärkt die neben dem Sachverhalt und den einschlägigen materiellen Rechtsfragen zu beachtenden prozessualen Regelungen ins Blickfeld.

Ferner ist noch zu erwähnen, dass das Praktikum formal zwar zwei Monate dauerte, ich jedoch nicht durchgehend an fünf Tagen in der Woche vor Ort in Düsseldorf war. In der Regel dauerte dort die Ausbildung zwei Tage in der Woche jeweils für einen halben oder einen ganzen Tag. Da sich meine ausbildende Kanzlei in Köln befindet und eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr besteht, gestaltete sich die An- und Abreise zum/vom Landgericht Düsseldorf relativ problemlos. Das Landgericht Düsseldorf ist in ca. 10 Minuten zu Fuß vom Hauptbahnhof aus zu erreichen und auch verkehrsgünstig gelegen.

Meine Ausbildungskanzlei und insbesondere mein Ausbilder haben auf die zeitliche Inanspruchnahme durch das Praktikum hinreichend Rücksicht genommen. Gleichwohl sollte jeder Patentanwaltsbewerber insbesondere die laufenden Fristen der von ihm bearbeiteten Akten auch während der Zeit des Praktikums genau im Auge behalten. Das vorhandene Zeitbudget wurde durch Arbeitsgemeinschaft, CEIPI-Kurs, eine Einsendeaufgabe von der Fernuniversität Hagen, den Entwurf des Votums für das Landgericht Düsseldorf, die Bearbeitung der eigenen Akten der ausbildenden Kanzlei sowie durchaus längere Tage beim Landgericht deutlich in Anspruch genommen, sodass es eine arbeitsintensive, aber in jeder Hinsicht erkenntnisreiche Zeit war. Nicht zuletzt hat mich der professionelle und zugleich sachlich, freundliche Umgang aller Beteiligter miteinander positiv beeindruckt. Im Ergebnis halte ich das Praktikum für die spätere Tätigkeit als Patentanwalt für sehr hilfreich, da man bereits früh in der Ausbildung einen plastischen Eindruck gewinnt, wie Patentstreitverfahren in der Praxis vor dem Landgericht ablaufen, um welche Merkmale eines Patentanspruchs konkret gestritten wird und wie facettenreich sich bisweilen auch die Auftritte von Rechts- und Patentanwälten im Gerichtsaal und die entsprechende Verhandlungsführung durch das Gericht gestalten.

Über Stephan Milles 1 Artikel
Herr Dr.-Ing. Stephan Milles ist Patentanwaltskandidat mit dem technischen Hintergrund Maschinenbau.