T471/20 – Erweiterung durch Beschreibung des Standes der Technik?

Diesen Artikel im Podcast anhören

… oder lesen:

Die Prüfungsrichtlinien des EPA schreiben vor, dass die Beschreibung einer Patentanmeldung unter anderem den Stand der Technik zusammenfassen soll. Dies geschieht für gewöhnlich auf Aufforderung des Prüfers, nämlich die Beschreibung dahingehend zu ergänzen, dass der nächstliegende Stand der Technik erkennbar ist. Im Gegensatz zu anderen Arten von Beschreibungsänderungen scheint die Änderung der Beschreibung zum Zwecke der Diskussion des bekannten Standes der Technik eine relativ harmlose Anforderung zu sein. Es ist schwer einzusehen, wie das Hinzufügen einer einfachen Zusammenfassung des Standes der Technik für den Patentinhaber nachteilig sein könnte. Diese bequeme Annahme wurde jedoch kürzlich in der Entscheidung T 471/20 auf die Probe gestellt, in der die Beschwerdekammer prüfte, ob eine den Stand der Technik zusammenfassende Änderung den Umfang des Anspruchs ändern, Inhalte hinzufügen und dadurch das Patent ungültig machen könnte. Für viele wird es eine Erleichterung sein, dass die Beschwerdekammer der ursprünglichen Feststellung der Einspruchsabteilung nicht zustimmte, sondern vielmehr feststellte, dass die Ergänzung einer Bezugnahme auf den Stand der Technik nichts hinzufügen könne. Die Beschwerdekammer merkte jedoch an, dass Beschreibungsänderungen im Allgemeinen dazu führen können, dass ein Gegenstand unzulässigerweise hinzugefügt wird, sofern sich durch die Änderung der Beschreibung auch die Auslegung der Ansprüche ändern sollte.

Änderung einer Definition in der Beschreibung des Standes der Technik

Die Entscheidung T 471/20 betrifft eine Beschwerde gegen eine Entscheidung der Einspruchsabteilung, die zum Widerruf eines Patents führte, und zwar mit der Begründung, dass der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (Art. 123 (2) EPÜ). Das Patent in der erteilten Fassung bezieht sich auf ein Handhabungssystem für Lebensmittel. Der Hauptanspruch spezifiziert ein Lebensmittelproduktsystem, das unter anderem einen Roboter zum Bewegen von Lebensmittelprodukten aufweist. Nach Gewährung der Ansprüche und auf Vorschlag des Prüfers änderte der Anmelder die Beschreibung, um den nächstliegenden Stand der Technik nach der Entgegenhaltung D8 zu erörtern. Die Entgegenhaltung D8 betrifft eine Ablageeinheit, wobei der Anmelder in die Beschreibung die Feststellung einfügte, dass die in der D8 offenbarte Ablageeinheit „kein Roboter“ sei.

Die Einspruchsabteilung befand das Patent mit der Begründung für ungültig, dass diese Zusammenfassung der D8 einen ursprünglich nicht enthaltenen Gegenstand beträfe. Die Einspruchsabteilung war insbesondere davon überzeugt, dass die in der D8 offenbarte Ablageeinheit – entgegen der ergänzten Feststellung im Patent – von einem Fachmann als Roboter verstanden würde. Daher war die Feststellung, dass sich die D8 nicht auf einen Roboter beziehe, eine subjektive und keine sachliche Feststellung. Die Einspruchsabteilung stellte ferner fest, dass der Anmelder durch die Einführung dieser subjektiven Aussage effektiv einen Disclaimer in die Beschreibung eingefügt hätte. Durch die Feststellung, dass es sich bei der Offenbarung in der D8 nicht um einen Roboter handele, habe der Anmelder die in der Patentanmeldung einschließlich der Ansprüche verwendete Bedeutung von „Roboter“ geändert.

Die Einspruchsabteilung stellte fest, dass die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung keinen Gegenstand enthielt, der diesem Disclaimer entsprach, der nunmehr indirekt durch die Zusammenfassung der D8 hinzugefügt wurde. Auch war der Patentinhaber nicht in der Lage, den Disclaimer zu löschen, da dies als Erweiterung des Schutzbereichs des Patents nach Art. 123 (3) EPÜ angesehen worden wäre. Das Patent wurde somit insgesamt widerrufen.

Auslegung der Ansprüche durch die Beschreibung

Um überhaupt zu der Entscheidung gelangen zu können, dass die Zusammenfassung des Standes der Technik etwas hinzufüge, hat die Einspruchsabteilung die Ansprüche zunächst nach Art. 69 EPÜ ausgelegt. So heißt es in Art. 69 EPÜ: „Der Schutzbereich des europäischen Patents und der europäischen Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.“.

In der Rechtsprechung besteht Uneinigkeit darüber, in welchem Ausmaß Art. 69 EPÜ verlangt, dass die Beschreibung zur Auslegung der Ansprüche herangezogen wird. In T 1127/16 stellte die Beschwerdekammer fest, dass die Beschreibung nur herangezogen werden sollte, um Mehrdeutigkeiten im Anspruch auszuräumen. Nach Ansicht der Beschwerdekammer im genannten Fall sollte die Beschreibung nicht herangezogen werden, wenn die Bedeutung der Ansprüche ansonsten klar ist. Folgt man der Begründung in T 1127/16, so sollte die Hinzufügung einer neuen Definition in der Beschreibung eines ansonsten eindeutigen Wortes in den Ansprüchen den Umfang der Ansprüche nicht ändern.

Im Gegensatz dazu stellte die Beschwerdekammer in T 500/01 fest, dass der Schutzbereich eines auf einen Antikörper gerichteten Anspruchs durch eine Änderung in der Beschreibung geändert wurde. Die Änderung betraf die Beschreibung, wie die CDRs des Antikörpers definiert werden sollten. Mit anderen Worten sollte die in der Beschreibung vorgesehene Definition verwendet werden, um die Ansprüche zu interpretieren.

Andererseits stellte eine Beschwerdekammer kürzlich fest, dass Art. 69 EPÜ keine Rechtsgrundlage für das Erfordernis bietet, dass die Beschreibung an geänderte Ansprüche angepasst werden muss. Gemäß T 1989/18 verlangt Art. 69 EPÜ nicht, dass die in den Ansprüchen definierte Erfindung der Definition der Erfindung in der Beschreibung entsprechen muss. T1989/18 scheint daher im Einklang mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu stehen, dass die Ansprüche Vorrang haben und die Beschreibung nicht herangezogen werden muss, um die Ansprüche zu interpretieren.

Änderungen der Beschreibung zum Zwecke der Zusammenfassung des Standes der Technik sind jedoch ein Sonderfall. Insbesondere argumentierte der Patentinhaber in der hier diskutierten Beschwerde, dass eine Änderung der Beschreibung des Standes der Technik vernünftigerweise nicht dahingehend verstanden werden könne, dass hierdurch die Auslegung der Ansprüche geändert und etwas hinzufügt werden solle (T 11/82, T 450/97). So stimmte die Beschwerdekammer in der T 471/20 zu, dass es keine Rechtsgrundlage im EPÜ und insbesondere keine Grundlage in Art. 69 EPÜ gebe, die Ansprüche eines erteilten Patents dahingehend auszulegen, dass sie in irgendeiner Weise mit dem im Patent genannten Stand der Technik verbunden seien. Interessanterweise räumte die Beschwerdekammer jedoch ein, dass Beschreibungsänderungen, die die Bedeutung der Ansprüche änderten, als Änderungen im Sinne des Art. 123 (2) EPÜ angesehen werden könnten. Da sich die Änderung im vorliegenden Fall jedoch nur auf die Ergänzung einer Zusammenfassung des Standes der Technik bezog, wurde festgestellt, dass dies den Umfang der Ansprüche nicht änderte und nichts hinzufügte – unabhängig davon, ob die Zusammenfassung des Standes der Technik korrekt war.

Abschließende Gedanken

Das Thema Beschreibungsänderungen ist nach den umstrittenen Aktualisierungen der Richtlinien für die Prüfung in den Vordergrund gerückt. Die Richtlinien 2021 verlangen von den Anmeldern weitaus umfangreichere Änderungen der Beschreibung als bisher erforderlich, um die Beschreibung mit den Ansprüchen in Einklang zu bringen. Demgegenüber wurde in einer aktuellen Entscheidung der Beschwerdekammer festgestellt, dass das Erfordernis, die Beschreibung mit den Ansprüchen in Einklang zu bringen, keine Rechtsgrundlage im EPÜ habe, was früheren Entscheidungen der Beschwerdekammern zu dieser Frage widersprach (T 1399/17).

Als Anmelder ist man sich des Risikos bewusst, wie Eingeständnisse in der Beschreibung während eines Rechtsstreits nach der Äquivalenzlehre in Europa und den USA interpretiert werden können. Wesentliche Beschreibungsänderungen nehmen auch unnötig viel Zeit in Anspruch, wenn man der Ansicht ist, dass die Beschreibung für die Auslegung der Ansprüche belanglos ist. Es besteht ferner die Sorge, dass Inhalte, die vor der Erteilung aus der Anmeldung gestrichen wurden, nach der Erteilung nicht wieder hinzugefügt werden können. Insbesondere wenn die Beschreibung vor der Erteilung geändert wird, um Widersprüche in der Patentschrift zu vermeiden, so kann der gelöschte Gegenstand später nicht wieder in die Beschreibung oder die Ansprüche eingefügt werden (T 1149/97, T 684/02).

Abgesehen von der Debatte betreffend Beschreibungsänderungen im Allgemeinen ist die Entscheidung T 471/20 eine willkommene Bestätigung, dass in der Änderung der Beschreibung des Standes der Technik keine Hinzufügung eines Gegenstands gesehen werden kann, und zwar unabhängig davon, ob die Zusammenfassung des Standes der Technik eine andere Definition eines Begriffs als in den Ansprüchen verwendet. T 471/20 weist jedoch auf die Gefahr hin, dass eine Änderung einer den Anspruch betreffenden Definition in der Beschreibung im Allgemeinen als Hinzufügung eines weiteren Gegenstands angesehen werden kann. T 471/20 hebt somit hervor, dass bei einer Änderung zur Anpassung der Beschreibung an die Ansprüche größtmögliche Sorgfalt geboten ist, um Gegenstände nicht versehentlich und unwiederbringlich zu entfernen. T 471/20 bietet somit noch mehr Anlass für Anmelder, sich gegen umfangsreiche Beschreibungsänderungen zu wehren.

About Rose Hughes 4 Articles
Frau Dr. Rose Hughes ist Britische Patentanwältin sowie European Patent and Trademark Attorney mit Biotechnologie als technischem Hintergrund.