G1/19 – Computer-implementierte Simulation

Zur Patentierbarkeit Computer-Implementierter Simulationen unter dem Europäischen Patentübereinkommen – Entscheidung G 1/19 der Großen Beschwerdekammer vom 10. März 2021

Die vorliegende Entscheidung G1/19 der Großen Beschwerdekammer (GBK) ist die erste Entscheidung zur Patentierbarkeit computer-implementierter Erfindungen unter dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ), welche die GBK zu treffen hatte. Schon deshalb betrifft diese Entscheidung nicht nur computer-implementierte Simulationen im Speziellen, sondern auch computer-implementierte Erfindungen im Allgemeinen.

Die Beschwerdekammern sind die richterlichen Instanzen im Europäischen Patentamt (EPA) und entscheiden über Beschwerden gegen Entscheidungen der ersten Instanzen des EPA. Den Juristischen und Technischen Beschwerdekammern sowie der Beschwerdekammer für Disziplinarangelegenheiten übergeordnet ist die GBK, deren Hauptaufgabe die Sicherstellung der einheitlichen Anwendung des EPÜ durch alle Instanzen ist. Sie wird in der Regel gemäß Art. 112 (1) EPÜ durch eine untergeordnete Beschwerdekammer oder den Präsidenten des EPA angerufen; eine Anrufung durch Patentanmelder, Patentinhaber oder Einsprechende ist nur in speziellen Fällen gemäß Artikel 112a EPÜ möglich.

Im Jahre 2008 hatte der Präsident des EPA der GBK eine Frage zur Patentierbarkeit computer-implementierter Erfindungen gemäß Art. 112 (1) (b) EPÜ vorgelegt mit der Begründung, dass zwei untergeordnete Beschwerdekammern diesbezüglich miteinander unvereinbare Entscheidungen getroffen hätten. Die GBK hat diese Unvereinbarkeit jedoch nicht erkennen können und deshalb die Vorlage mit Entscheidung G 3/08 als unzulässig zurückgewiesen.

Die nun vorliegende Entscheidung G 1/19 beruht auf einer Vorlage einer Technischen Beschwerdekammer gemäß Zwischenentscheidung T 489/14 mit der nach Art. 112 (1) (a) EPÜ zulässigen Begründung, dass die einheitliche Anwendung des EPÜ eine Entscheidung der GBK erfordere. Mit dieser Vorlage wurden der GBK drei spezifische Fragen gestellt:

  1. Für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit, kann die computer-implementierte Simulation eines technischen Systems oder Prozesses eine technische Aufgabe lösen, indem sie einen technischen Effekt hervorruft, welcher über die Implementierung der Simulation auf einem Computer hinausgeht, wenn die computer-implementierte Simulation als solche beansprucht ist?
  2. [2A] Falls die Antwort auf die erste Frage “Ja” lautet: Welches sind die relevanten Kriterien für die Prüfung, ob eine als solche beanspruchte computer-implementierte Simulation eine technische Aufgabe löst?
    [2B] Insbesondere, ist es eine hinreichende Bedingung, dass die Simulation zumindest teilweise auf technischen Prinzipien beruht, die dem simulierten System oder dem simulierten Prozess zu Grunde liegen?
  3. Wie lauten die Antworten auf die ersten und zweiten Fragen, falls die computer-implementierte Simulation als Teil eines Entwicklungsprozesses beansprucht ist, insbesondere zur Verifizierung einer Entwicklung?

Hierbei sind die Fragen 2A und 2B Neuformulierungen der ursprünglichen Frage 2 der Vorlage durch die GBK.

Die dem Fall zu Grunde liegende Europäische Patentanmeldung wurde über den PCT-Weg eingereicht und ist veröffentlicht als WO 2004/023347 A1. Sie bezieht sich auf eine “method of determining a path of an autonomous entity through an environment, the method comprising providing a provisional path through a model of the environment from a current location to an intended destination, providing a profile for said autonomous entity, determining a preferred step towards said intended destination based upon said profile and said provisional path, determining a personal space around said autonomous entity and determining whether said preferred step is feasible by considering whether obstructions infringe said personal space”.

Die Patentanmeldung wurde nach Einreichung geänderter Patentansprüche im Prüfungsverfahren in erster Instanz zurückgewiesen, weil nur die Nutzung eines Computers zum technischen Charakter des Verfahrens beitrage mit der Folge, dass die technische Aufgabe die technische Implementierung des Verfahrens auf einem Computer sei. Die Lösung der technischen Aufgabe sei zu sehen in der Benutzung des Computers, was aber in Ansehung des Standes der Technik naheliege.

Im folgenden Beschwerdeverfahren ist die maßgebliche Rechtsprechung ausführlich diskutiert worden, insbesondere die Entscheidungen T 641/00 “COMVIK” und T 1227/05 Technischer Beschwerdekammern. Erstgenannte Entscheidung hat ein Konzept für die Prüfung einer computer-implementierten Erfindung eingeführt, welches als “COMVIK Approach” bekannt ist. Zweitgenannte Entscheidung betrifft eine Erfindung, die eine Simulation beinhaltet. Schließlich ist besagte Zwischenentscheidung T 489/14 zur Befassung der GBK mit den obigen Fragen ergangen.

Der Präsident des EPA hat auf Aufforderung nach Art. 9 Verfahrensordnung der GBK (VO-GBK) Stellung genommen. Insgesamt 23 Dritte (darunter Patentanwälte, Patentanwaltsverbände, Unternehmen und Unternehmensverbände) haben nach Art. 10 VO-GBK Stellung genommen. Eine mündliche Verhandlung hat am 15. Juli 2020 unter öffentlicher Verbreitung per Internet stattgefunden.

Die Entscheidung führt breit in den gesetzlichen Hintergrund einschließlich der maßgeblichen Bestimmungen des EPÜ und der einschlägigen Rechtsprechung ein. Die GBK bestätigt die Anerkennung einer technischen Lehre unter dem EPÜ als Patentierungsvoraussetzung auf jedem Gebiet der Technik ohne Diskriminierung. Jedoch führt Art. 52 (2) EPÜ eine Liste von nicht als Erfindungen anzuerkennenden Gegenständen auf, darunter Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, Spiele, Geschäftsmethoden und Computerprogramme, wobei Art. 52 (3) EPÜ die Ausschlüsse von der Patentierung auf diese Gegenstände „als solche“ beschränkt.

Die GBK diskutiert auch Art. 56 EPÜ, der eine Negativdefinition des Begriffs der „Erfinderischen Tätigkeit“ enthält, sowie den zu seiner Anwendung entwickelten „Problem-Solution-Approach“, welcher folgende Prüfungsschritte erfordert:

  • Bestimmen des nächstliegenden Standes der Technik;
  • Bestimmen der Resultate oder Effekte, welche die Anwendung des beanspruchten Gegenstandes im Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik liefert;
  • Definieren der objektiven technischen Aufgabe als die Erzielung dieser Resultate oder Effekte; und
  • Betrachten, ob oder ob nicht der beanspruchte Gegenstand sich der einschlägig bewanderten Fachperson ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik und der objektiven technischen Aufgabe als naheliegend ergibt.

Aus dieser Formulierung leitet die GBK ab, dass eine Unterscheidung derjenigen Merkmale eines beanspruchten Gegenstandes, die einen „technischen Charakter“ aufweisen, von denjenigen Merkmalen, die einen solchen Charakter nicht aufweisen, notwendig ist. Demnach kann eine Erfindung wie eine computer-implementierte Erfindung, die eine Mischung technischer und nicht-technischer Merkmale aufweist, die Identifizierung der Merkmale mit technischem Charakter als Voraussetzung für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit erfordern.

Mit Bezug auf die gefestigte Rechtsprechung zu computer-implementierten Erfindungen einschließlich Simulationen hält die GBK fest, dass ein Patentanspruch den Ausschluss von der Patentierung leicht vermeidet, indem er einen Computer, ein computerlesbares Medium oder ein anderes technisches Mittel einbezieht, wohingegen die bloße Möglichkeit der Nutzung eines unspezifizierten Computers zur Durchführung eines beanspruchten Verfahrens zur Begründung der Nutzung technischer Mittel nicht genügt. Die GBK erwähnt die Entscheidung T 154/04, in der sieben Prinzipien zur Anwendung der Artikel 52, 54 und 56 EPÜ im Zusammenhang mit Gegenständen, die nach Art. 52 (2) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossen sind, aufgestellt sind:

(A) Gemäß Art. 52 (1) EPÜ muss zur Erteilung eines Patents eine Erfindung vorliegen, und diese muss neu sein, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sein.
(B) Ein technischer Charakter ist ein durch Art. 52 (1) EPÜ impliziertes Erfordernis an eine Erfindung.
(C) Art. 52 (2) EPÜ schließt keinerlei Gegenstand mit technischem Charakter von der Patentierung aus, selbst wenn dieser in dieser Bestimmung genannte Merkmale aufweist, weil solche Merkmale nach Art. 52 (3) EPÜ nur „als solche“ ausgeschlossen sind.
(D) Die Erfordernisse des Prinzips (A) sind im Wesentlichen voneinander verschiedene und voneinander unabhängige Kriterien und können zueinander parallele Beanstandungen begründen.
(E) Zur Prüfung eines Patentanspruchs ist dieser auszulegen zum Bestimmen der technischen Merkmale des beanspruchten Gegenstandes, also derjenigen Merkmale, welche zu seinem technischen Charakter beitragen.
(F) Vermischen technischer und nicht-technischer Merkmale in einem Patentanspruch ist legitim, wobei die nicht-technischen Merkmale sogar einen dominierenden Teil bilden können. Die nicht-technischen Merkmale, die nicht zur Lösung einer technischen Aufgabe mit den technischen Merkmalen wechselwirken, müssen aber zur Prüfung auf Neuheit und Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit ignoriert werden.
(G) Bei der Anwendung des “Problem-Solution Approach” muss die von der Erfindung zu lösende Aufgabe eine der einschlägig bewanderten Fachperson am Prioritätsdatum zur Lösung stellbare technische Aufgabe sein.

Durch Anwenden dieser Prinzipien bestätigt die GBK den Problem-Solution-Approach zum Bestimmen des Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit gemäß Prinzip (G). Gemäß Prinzipien (F) und (G) bestätigt die GBK auch die Anwendung des „COMVIK Approach“ nach der Entscheidung T 641/00 als bevorzugtes Mittel zum Bestimmen des Beruhens auf erfinderischer Tätigkeit für computer-implementierte Erfindungen.

Für die Bestimmung eines technischen Merkmals in einer computer-implementierten Erfindung erwähnt die GBK den “Two-hurdle Approach”, bei dem zunächst die Patentierbarkeit der Erfindung überprüft wird und dann die drei anderen Kriterien gemäß Prinzip (G) geprüft werden. Entsprechend dem COMVIK Approach umfasst der Two-hurdle-Approach drei Schritte, wobei der mittlere Schritt dem Bestimmen derjenigen technischen Merkmale dient, die vor dem Hintergrund des Standes der Technik zur technischen Lösung einer technischen Aufgabe beitragen. Nur solche Merkmale können zum Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit beitragen.

Hinsichtlich Rechtsprechung zur Patentierung von Simulationen erwähnt die GBK die Entscheidungen T 1227/05 und T 625/11 (unveröffentlicht), welche den Erwägungen der Entscheidung T 1227/05 folgt.

Bei der Auslegung der vorgelegten Fragen bemerkt die GBK die abwechselnde Benutzung der Begriffe “modelling” und “simulating” in den Patentansprüchen und die Unterscheidung zwischen diesen Begriffen in der Vorlageentscheidung und schließt daraus, dass “eine Simulation eine näherungsweise Nachbildung des Betriebs eines Systems oder Prozesses auf der Grundlage eines Modells dieses Systems oder Prozesses” sei, und dass „ein Modell eine Voraussetzung für eine Simulation“ sei. Die Begriffe „Technisches System oder Prozess“ und „technische Prinzipien, die einem simulierten System oder Prozess zu Grunde liegen“ legt die GBK breit aus. Daten einer „dissatisfaction function“, einer „inconvenience function“ und anderer Funktionen sind gemäß GBK zwar menschliche Faktoren, beziehen sich aber weniger auf die Simulation oder deren Patentierbarkeit als auf das System, den Prozess und die Prinzipien, wie sie von der Simulation wiedergegeben werden.

Bei der Anwendung des “COMVIK Approach” interpretiert die GBK den Begriff „technischer Effekt, der über die Implementierung der Simulation hinausgeht“ als „technischer Effekt, der über die einfache oder unspezifizierte Implementation der Simulation auf einem Standard-Computer hinausgeht“. Im Gegensatz dazu wird der Begriff „Simulation als solche“ interpretiert als „Simulationsprozess umfassend nur numerische Eingaben und Ausgaben ohne Wechselwirkung mit der physikalischen Welt“ und bemerkt zudem, dass eine „Simulation als solche“ durch § 52 (3) EPÜ nicht von der Patentierung ausgeschlossen sei.

Die GBK ließ schließlich die vorgelegten Fragen außer Frage 2A zu und wies Frage 2A zurück, weil sie den wirklichen Bedarf für notwendige Klarstellung überschreite. Angesichts der relativ wenigen Entscheidungen der Technischen Beschwerdekammern zum vorliegenden Themenkreis betrachtete die GBK “Aspekte der Sicherung einheitlicher Rechtsprechung” und “Entscheidung einer Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung” als weniger relevant, abgesehen von einem generellen Bedarf an Harmonisierung der Rechtsprechung.

Nach wie vor sieht die GBK von einer formellen Definition des Begriffs „technisch“ ab in Anerkennung dessen, dass jede Definition des Begriffs von Zeit zu Zeit an neue technische oder wissenschaftliche Entwicklungen oder in Ansehung gesellschaftlichen Wandels angepasst werden müsste.

In Anwendung des “Two-hurdle Approach” bestätigt die GBK, dass die Patentierbarkeit gesichert ist, wenn der Anspruchsgegenstand einen Computer umfasst. Jedoch erfordert die Prüfung der zweiten Hürde die Betrachtung des Standes der Technik und die Bestimmung derjenigen technischen Merkmale der Erfindung, die die Erfindung „technisch“ über die bloße Nutzung eines universell einsetzbaren Computers hinaus machen. Ein solcher Aspekt der Technikalität in einer computer-implementierten Erfindung kann eine Wechselwirkung mit der physikalischen Welt sein wie eine Eingabe eines gemessenen Wertes oder die Ausgabe eines Kontrollwertes für einen physikalischen Prozess, oder sogar eine Anpassung des Computers zur Erzielung eines technischen Effektes wie verbesserte Nutzung des Speichers oder verbesserte Bandbreite. Dennoch, obwohl eine direkte Verbindung zur physikalischen Welt in den meisten Fällen zur Sicherstellung der Technikalität genügen wird, ist eine solche direkte Verbindung keine notwendige Bedingung dafür.

Die GBK zieht weiterhin auch “potenzielle technische Effekte“ in Betracht, die eine computer-implementierte Erfindung erzeugen mag, wenn sie unter geeigneten Bedingungen ausgeführt wird. Solche potenziellen technischen Effekte umfassen Effekte, die nur bei tatsächlicher Ausführung der Erfindung auf einem Computer verwirklicht werden, nicht aber durch die als Computerprogrammprodukt oder computerlesbares Speichermedium, in welchem ein entsprechendes Computerprogramm gespeichert ist, implementierte Erfindung. Solche potenziellen technischen Effekte können in Betracht gezogen werden durch Auslegung eines Patentanspruchs derart, dass dieser das Merkmal „bei Ausführung auf einem Computer“ impliziert. Jedoch, wenn die Erfindung nicht nur Anwendungen hat, in denen ein potenzieller Effekt realisiert wird, sondern auch andere, dann ist der Schluss möglich, dass der potenzielle Effekt Technizität nicht begründet.

Hinsichtlich „virtueller“ oder „berechneter“ technischer Effekte bemerkt die GBK, dass solche in immer als technisch angesehenen computer-unterstützten Messverfahren typischerweise auftreten.

Schließlich bemerkt die GBK, dass ein „tangible effect“, also eine materiell greifbare Wirkung, keine notwendige Bedingung für das Vorliegen von Technizität ist.

Die Merkmale einer computer-implementierten Simulation stellt die GBK folgendermaßen dar:

  • Ein numerisches Modell eines Systems oder Prozesses (technisch oder nicht-technisch) in Form von Daten zur Verarbeitung durch einen Computer,
  • Gleichungen (eventuell mit Zufallsfunktionen), die das Verhalten des Modells beschreiben, und
  • Algorithmen, die numerische Ausgabewerte liefern, welche den berechneten Zustand des modellierten Systems oder Prozesses beschreiben (insbesondere nach inkrementierten Zeitschritten oder als Summe oder Durchschnitt berechnet auf der Grundlage vieler Zufallsereignisse.

Das simulierte System oder der simulierte Prozess ist kein Teil der Simulation.

In Anwendung des “COMVIK Approach” analysiert die GBK diese Merkmale wie folgt:

In Bezug auf ein zu simulierendes System oder einen zu simulierenden Prozess sollte das Modell (nebst zugehörigen Gleichungen) eine physikalische Realität derart darstellen, dass die darauf basierende Simulation über relevante Bereiche die physikalische Realität jedenfalls zu einem gewissen Ausmaß repräsentiert. Unter dem „COMVIK Approach” bildet ein solches Modell Bedingungen, die für die Zwecke der Simulation nicht technisch sind. Jedoch können diese Bedingungen insoweit zur Technikalität beitragen, als sie eine Grundlage für eine Anpassung des Computers oder seiner Arbeitsweise bilden oder als sie zu technischen Effekten beitragen, die mit Ergebnissen der Simulation verbunden sind. Die Qualität des Modells oder der Grad, zu welchem die darauf basierte Simulation die physikalische Realität wiedergeben, trägt nicht direkt zum technischen Charakter bei, aber mag einen über die Implementierung der Simulation hinausgehenden technischen Effekt beeinflussen.

Die geläufigen Überlegungen betreffend Algorithmen sind anwendbar auf „Simulationen als solche“. Wenn also Merkmale in einer Simulationssoftware einem technischen Zweck dienen, beispielsweise der Anwendung interner Funktionen des Computers zur Implementierung der Simulation, dann müssen diese Merkmale explizit beansprucht werden, um unter dem „COMVIK Approach“ in Betracht gezogen zu werden.

Hinsichtlich eines technischen Charakters eines simulierten Systems oder eines simulierten Prozesses bemerkt die GBK, dass eine entsprechende Simulation nicht notwendig einen technischen Charakter haben müsse und unter dem COMVIK Approach zur erfinderischen Tätigkeit beitragen müsse. Die Frage sei, ob die Simulation zur Lösung eines technischen Problems beitrage.

Unter demselben Aspekt mahnt die GBK an, dass als Fachgebiet der einschlägig bewanderten Fachperson das Feld der Simulationen, nicht aber das Feld des simulierten Systems oder simulierten Prozesses anzusehen ist, dass die Vermeidung der Herstellung eines Prototyps kein technischer, sondern ein geschäftlicher Aspekt ist, dass das Ergebnis einer Simulation nicht mit dessen technischem Effekt gleichgesetzt werden darf (der technische Effekt kann sich erst aus weiterer Verwendung des Ergebnisses ergeben und müsste dann zumindest implizit im Patentanspruch enthalten sein), und dass technische Prinzipien, die dem simulierten System oder simulierten Prozess zu Grunde liegen, nicht hinreichend zur Anerkennung des technischen Charakters der Simulation sind.

Schließlich betrachtet die GBK die oben erwähnten Entscheidungen T 1227/05 und T 625/11, wobei T 1227/05 eine Simulation eines einem Rauschen ausgesetzten integrierten Schaltkreises mit einem spezifischen Verfahren zur Simulation des Rauschens und T 625/11 unter Anwendung des „COMVIK Approach“ eine Simulation zur Ermittlung eines Grenzwertes eines Betriebsparameters in einem Kernreaktor für technisch befand. Die GBK stimmt beiden Entscheidungen zu unter dem Verständnis, dass die jeweils beanspruchten Simulationsprozesse eine jeweilige technische Funktion beinhalteten und mahnt zugleich an, dass ein in der Literatur mit T 1227/05 oft verbundenes Kriterium, dass die beanspruchte Simulation „einen angemessen definierten technischen Zweck eines computer-implementierten und funktionell auf diesen Zweck beschränkten Verfahrens darstelle“ nicht als allgemein anwendbar im Rahmen des „COMVIK Approach“ angesehen werden solle.

Erwägend, dass keine Gruppe computer-implementierter Erfindungen a priori von der Patentierung ausgeschlossen werden kann, beantwortet die GBK die Frage (1) bejahend. Erwägend, dass selbst dann, wenn die einem simulierten System oder einem simulierten Prozess zu Grunde liegenden Prinzipien technischer Natur sind, die Simulation nicht notwendig technischen Charakter haben muss, beantwortet die GBK die Frage (2B) verneinend. Erwägend, dass ein Konstruktionsprozess normalerweise ein kognitiver Prozess ist, dessen Merkmale nicht unbedingt zu einem technischen Charakter einer beanspruchten Erfindung beitragen, beantwortet die GBK die Frage (3) dahingehend, dass keine besonderen Regeln gelten, wenn eine Simulation als Konstruktionsprozess beansprucht wird. Dementsprechend lauten die Antworten der GBK auf die drei vorgelegten Fragen wie folgt:

  1. Eine computer-implementierte Simulation eines technischen Systems oder eines technischen Prozesses, die als solche beansprucht ist, kann zum Zweck der Bestimmung, ob sie auf erfinderischer Tätigkeit beruht, ein technisches Problem lösen, indem sie einen technischen Effekt hervorruft, der über ihre Implementation auf einem Computer hinausgeht.
  2. Für diese Bestimmung ist es nicht hinreichend, dass die Simulation ganz oder teilweise auf technischen Prinzipien beruht, die dem simulierten System bzw. dem simulierten Prozess zu Grunde liegen.
  3. Die Antworten auf die erste und die zweite Frage sind nicht anders, wenn die computer-implementierte Simulation als Bestandteil eines Konstruktionsprozesses, insbesondere zur Verifizierung einer Konstruktion, beansprucht ist.

Stellungnahme des Autors:

Hinsichtlich der grundlegenden Fragen, was an einer computer-implementierten Erfindung Technizität begründen kann und wie dies im Einzelfall zu prüfen ist, folgt die GBK im Wesentlichen der laufenden Rechtspraxis und bestätigt den COMVIK-Approach. Eine Definition des Begriffs „Technik“ gibt die GBK nicht an, und bestätigt die Prinzipien, wie sie z. B. in den BGH-Entscheidungen „Rote Taube“ und „Walzstabteilung“ festgeschrieben wurden. Bestätigt wird auch der Grundsatz, dass ein Patentanspruch technische und nicht-technische Merkmale nebeneinander enthalten darf, wobei die nicht-technischen Merkmale sogar dominant sein dürfen. Den Hinweis, dass die nicht-technischen Merkmale, soweit sie nicht mit den technischen Merkmalen wechselwirken, zur Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit ignoriert werden müssen, darf man allerdings als Warnung sehen.

Einen Patentanspruch für eine computer-implementierte Erfindung über den „Two-hurdle Approach“ zu bringen, dürfte selten, wenn überhaupt, schwerfallen: Es genügt, dass der Gegenstand des Patentanspruchs einen Computer als Merkmal aufweist – gegebenenfalls auch nur implizit. Es genügt auch ein „potenzieller technischer Effekt“ in der Weise, dass dieser nur bei der tatsächlichen Ausführung eines auf einem Datenträger gespeicherten Programms, in welchem die Erfindung enthalten ist, auftritt.

Bedenklich ist der Hinweis der GBK, dass die zur Prüfung einer Erfindung, die eine computer-implementierte Simulation ist, anzunehmende Fachperson auf dem Feld der Simulationen einschlägig bewandert sein müsse, nicht aber auf dem Feld des simulierten Prozesses oder Systems. Was dies für die Berücksichtigung von Erwägungen, die sich für den zu simulierenden Prozess oder das zu simulierende System aus dem zugehörigen Feld heraus ergeben, bedeutet, bleibt festzustellen.

Bedenklich ist auch der Hinweis der GBK, dass die Vermeidung des Baus eines Prototypen mittels Durchführung einer Simulation eine geschäftliche Erwägung sei, nicht aber eine technische. Welchen Raum dies lässt für die Anerkennung technischer Merkmale, die dem Umfeld, in dem oder für das die Simulation entworfen wurde, entstammen, bleibt ebenfalls festzustellen.

Inzwischen (am 20. Mai 2021) ist die Entscheidung T 2594/17 als erste Entscheidung, die G 1/19 zitiert und anwendet, ergangen. Ein computer-simuliertes Verfahren zur Prüfung ebenfalls computer-simulierter Schweißnähte wurde nicht als technisch anerkannt; technisch sei allein die Implementierung des Verfahrens auf einem herkömmlichen Computer, womit als ein herkömmlicher Computer der nächstliegende Stand der Technik sei und die Implementierung des Verfahrens auf einem solchen naheliegend sei: Zum Zweck der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit genügt es nicht, dass die Simulation ganz oder teilweise auf technischen Prinzipien beruht, die dem simulierten System oder Prozess zu Grunde liegen.

Es scheint also, dass es nach wie vor geraten ist, die Wechselwirkungen einer computer-implementierten Erfindung, insbesondere Simulation, auf das Sorgfältigste herauszuarbeiten, und dabei sowohl Merkmale, die zu der Implementierung der Simulation auf einem Computer gehören, wie Organisation der Daten, Organisation des Speichers und besonders angepasster Programmablauf, als auch Merkmale, die Ein- und Ausgabewerte der Simulation sowie jegliche Verbindung der Simulation zur physikalischen Welt und die Nutzung der Ergebnisse der Simulation in der physikalischen Welt betreffen, zu ermitteln und angemessen herauszustellen.

Literaturverzeichnis:

Über Bernd Haberlander 2 Artikel
Herr Dr. Bernd Haberlander ist promovierter Physiker, deutscher Patentanwalt und European Patent and Trademark Attorney.