EPÜ Wiedereinführung eines breiteren Anspruchs während des Prüfungsverfahrens

newpatent

*** KT-HERO ***
Hallo,

wenn während des Prüfungsverfahren, der Anspruch eingeschränkt wird und sich der Anmelder doch entscheidet den breiteren gleichen Anspruch oder einen breiteren anderen Anspruch wieder aufzunehmen.

Was wäre die Folge?

Steht dies in den Richtlinien?

Ich habe das Gefühl so etwas schon einmal gelesen zu haben, aber leider finde ich die entsprechende Quelle nicht mehr.
 

tfe

Schreiber
Hallo!

Art. 123(3) verbietet die Schutzbereichserweiterung erst für erteilte Patente (im Einspruch). Wenn Du also einen Anspruch A im Laufe des Verfahrens mit Merkmal M.1 einschränkst, um den Prüfer von etwas zu überzeugen, dann aber merkst, dass der Prüfer eine Einschränkung auf M.2 will und M.1 ihm ganz egal ist, kannst Du problemlos M.1 wieder rauslassen.

Du kannst sogar ein Merkmal M.3, das von Anfang an im Anspruch enthalten ist, streichen, sofern es nicht erfindungswesentlich ist. Der zugehörige Test, den dieses Merkmal bestehen muss, ist in RiLi H-V 3.1 (Punkte i), ii), iii)) dargelegt. In Teil B der EQE kann man mit sowas manchmal Punkte holen, in der Praxis ist es wohl eher irrelevant.

Gewisse Einschränkungen ergeben sich aber aus Regel 64 und Regel 137 (3) und (5). So darfst Du während des Prüfungsverfahrens nicht plötzlich die Auswahl der zu prüfenden Erfindung ändern (T158/12). Dort wird dies aus Art. 76, Art. 82, R. 137 (2) und R. 137(3) hergeleitet., nach welcher nach der R. 70(2) jede weitere Änderung der Zustimmung des Prüfers bedarf.

Weiter geht R. 137(5): Wenn Du Merkmale aus der Beschreibung hervorzauberst oder gar einen ganz neuen Anspruch erstellst, der/die nichts mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung zu tun haben, so dass die Rechercheabteilung, selbst wenn sie die ganze Anmeldung gelesen hätte, keinen realistischen Grund sehen musste, diese Merkmale zu recherchieren, kann Dir das verweigert werden und eine Teilanmeldung notwendig werden.

Und schließlich ist da noch R. 64: Ein Anspruch, für den Du einen Einheitlichkeitseinwand hattest, den Du nicht ausgeräumt hast und für den Du keine weitere Recherchegebühr bezahlt hast, darf nicht später wieder eingeführt werden. Das führt zu Rückweisung nach Art. 97(1), R. 64 iVm G 2/92.

Zum Unterschied zwischen der Situation nach R. 137(5) und nach R. 64 siehe auch RiLI H-II 7.2.
 

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*** KT-HERO ***
Hallo tfe,

vielen Dank für die Antwort.

Damit die Diskussion nicht in Richtung A123(3) abgleitet, möchte ich gerne hinzufügen, dass die Frage auf den Aspekt nicht abzielte.

Du hattest R137(3) angesprochen und auf dessen Auslegung ist die Frage gerichtet.

Das von Dir erwähnte Beispiel zielt genau in die richtige Richtung.

Deiner Aussage zufolge hattest du schon Erfahrung mit solchen Situationen?

Die Verschiebung des einschränkenden Merkmals von M.1 nach M.2 könnte als Aliud angesehen werden (weiterhin aber als einheitlich mit der recherchierten Erfindung), sodass nicht der gleiche Gegenstand geprüft wurde. Wenn es denn eine Relevanz hat?

Allerdings stellt sich die Frage, was passiert, wenn das Merkmal M.1 einfach wieder gestrichen wird. Wie wäre R137(3) dann auszulegen? Gibt die Rechtsprechung und insbesondere die Richtlinien etwas her?
 

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*** KT-HERO ***
Weitere Situation:

Weitere Situation:

(1) Beschränkung auf M.1.2
(2) Beschränkung auf M.1 und weiteres Merkmal M2

wobei M.1.2 spezifische Merkmal zu M.1 ist.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
... Du kannst sogar ein Merkmal M.3, das von Anfang an im Anspruch enthalten ist, streichen, sofern es nicht erfindungswesentlich ist. Der zugehörige Test, den dieses Merkmal bestehen muss, ist in RiLi H-V 3.1 (Punkte i), ii), iii)) dargelegt.
M.E. darf der Prüfer (in seiner Auslegung der Sicht des Fachmanns) nicht bestimmen, was ein "erfindungswesentliches" Merkmal ist und was nicht (oder gar dem Anmelder die "richtige" Fassung des Anspruchs diktieren). Auch kann die Zulässigkeit eines geänderten Anspruchs unter dem Aspekte der Erfindungswesentlichkeit kaum davon abhängen, ob das fragliche Merkmal schon in den Ansprüchen von Anmeldetag enthalten ist. Nur wenn in der ursprünglichen Beschreibung explizit darauf hingewiesen wird, welche Merkmale wesentlich sind bzw. welche nicht, ist der Anmelder daran gebunden.

Vielmehr ist es Sache des Anmelders zu sagen, was er erfunden hat und wofür er Schutz beansprucht, und das steht erst fest, wenn der Wortlaut des Anspruchs feststeht (und der Erteilung bzw. der Zurückweisung zu Grunde gelegt werden kann).

Nur wenn im Zuge des Prüfungsverfahrens durch das Weglassen von Anspruchsmerkmalen Unklarheit darüber entsteht, wie die beanspruchte Erfindung dann noch funktionieren kann, ist die Grenze überschritten, die in RiLi F-IV 4.5.1 und der dort zitierten T 32/82 gezogen wird.

Das Streichen eines solchen Merkmals M.3 dürfte hauptsächlich dadurch motiviert sein, dass ein Verletzungsgegenstand auch ohne dieses Merkmal marktfähig erscheint, und dann wird dadurch wohl eher selten diese Grenze überschritten. Jedenfalls insofern dürfte die Frage des Schutzbereichs durchaus wichtig sein.

Problematischer dürfte es sein, wenn der Prüfer zu der Erkenntnis kommt, dass bei der Recherche Schriften, die das Merkmal M.3 nicht enthalten, erst gar nicht in den aufgefundenen Stand der Technik aufgenommen wurden, weil solche Schriften für die Beurteilung der Erfindung (aus der Sicht vor Streichung dieses Merkmals) nicht wesentlich sein konnten, also der typische Fall eines "Aliuds".
 

newpatent

*** KT-HERO ***
Hallo,

vielen Dank für die Antwort Hans35.

Die Eingangsfrage bezieht sich vornehmlich auf R137(3) flankiert durch Art. 113(1) EPÜ.

Wenn die Situation wie Eingangs beschrieben und nach tfe und gemäß der weiteren Beispiele eintreten, könnte der Prüfer die Anmeldung einfach zurückweisen, weil sich der Anmelder zu den Gründen äußern konnte auf der sich eine mögliche Zurückweisungsentscheidung stützt und R137(3)?
 
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newpatent

*** KT-HERO ***
Zum sogenannten Wesentlichkeitstest (aber nicht Schwerpunkt der vorliegenden Frage):

Dieser Test ist doch irgendwie unheimlich. Da in den Richtlinien doch auch auf G 3/89 und G 11/91, also dem sogenannten Goldstandard verwiesen wird, die eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung fordern.

Ich hätte schon Bauchschmerzen den sogenannten Wesentlichkeitstest zu verwenden.

Wenn bspw. ein Merkmal komplett ausgelassen wird, weil es nicht als wesentlich im Sinne der Richtlinie H-V, 3.1 hingestellt wurde, stellt sich doch immer noch die Frage, ob der daraus resultierende Gegenstand immer noch eindeutig und unmittelbar offenbart wurde.

Auffällig ist doch, dass in der zitierten Richtliniepassage auf die Aufgabenstellung hingewiesen wird.

Meiner Ansicht nach hat das EPA sich nicht entschieden, ob es auf den Gegenstand als solches ankommt oder auf die Erfindung. Meiner Auffassung nach wird das Eine oder Andere verwendet, wodurch es zu starken Verwirrung führt, was nun als Offenbarung anzusehen ist.

In der Anmeldung müsste schon offenbart sein, dass M.3 nicht unbedingt notwendig ist wie der Form M.3 ist aber nicht unbedingt erforderlich oder M.3 kann auch weggelassen werden.
 
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newpatent

*** KT-HERO ***
Problematischer dürfte es sein, wenn der Prüfer zu der Erkenntnis kommt, dass bei der Recherche Schriften, die das Merkmal M.3 nicht enthalten, erst gar nicht in den aufgefundenen Stand der Technik aufgenommen wurden, weil solche Schriften für die Beurteilung der Erfindung (aus der Sicht vor Streichung dieses Merkmals) nicht wesentlich sein konnten, also der typische Fall eines "Aliuds".

Hallo Hans35,

kannst du diesen Aspekt etwas näher erläutern?

Die Ergebnisse einer Recherche durch das EPA bestimmt nicht, was in der ursprünglich eingereichten Anmeldung als wesentlich dargestellt wurde. Wenn ich dich denn richtig verstanden haben.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Bei der Recherche wird ja nach Druckschriften gesucht, die möglichst alle Merkmale des Hauptanspruchs nachweisen. Je wichtiger (wesentlicher) ein Merkmal erachtet wird, um so eher wird nicht nach Druckschriften gesucht, die dieses Merkmal gar nicht enthalten.

Gibt es also im aufgefundenen Stand der Technik keine einzige Druckschrift, die - wie der Gegenstand des geänderten Anspruchs - das fragliche gestrichene Merkmal gar nicht enthält, so liegt der Verdacht nahe, dass nach einem solchen Gegenstand gar nicht recherchiert wurde. Dies deshalb, weil ein solcher Anspruch nicht mehr auf dieselbe "allgemeine erfinderische Idee" gerichtet ist, weil nämlich die allgemeine erfinderische Idee bei dem recherchierten Gegenstand mit dem gestrichene Merkmal steht und fällt. Letztlich geht es also um eine Variante von R. 137 (5).

tfe hatte es so formuliert:
Weiter geht R. 137(5): Wenn Du Merkmale aus der Beschreibung hervorzauberst oder gar einen ganz neuen Anspruch erstellst, der/die nichts mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung zu tun haben, so dass die Rechercheabteilung, selbst wenn sie die ganze Anmeldung gelesen hätte, keinen realistischen Grund sehen musste, diese Merkmale zu recherchieren, kann Dir das verweigert werden und eine Teilanmeldung notwendig werden.

Dazu vielleicht ein mehr oder weniger hinkendes Beispiel:

Recherchierter A. 1:
Vorrichtung zum Ausdrücken von Obst, mit einer rotierenden Trommel, ...

Geänderter A. 1:
Vorrichtung zum Ausdrücken, mit einer rotierenden Trommel, ...

Durch das Streichen des Merkmals "Obst" wird die Wäsche-Waschmaschine neuheitsschädlich. Danach wurde aber gar nicht recherchiert.
 
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newpatent

*** KT-HERO ***
Hallo Hans35,

Das spezielle Beispiel gerichtet auf 137(5) ist soweit ich sehen kann hinsichtlich der Frage was als wesentlich zu betrachten doch sehr speziell. Insbesondere weil das Gebiet verändert wird und des sich dann eben um ein wesentliches Merkmal handeln muss.

Wie sieht deine Ansicht zur Eingangsfrage aus?
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Mehr Quellen als tfe aufgeführt hat, weiß ich im Moment auch nicht.

Im Hinblick auf 137 (5) muss man wohl in der Tat Unterschiede machen, ob es um ein Merkmal im Oberbegriff geht, dessen Weglassen bzw. Verbreitern das relevante technische Gebiet verändert, oder ob es nur zur Folge hat, dass eine Beschränkung auf bestimmte, evtl. vorteilhafte Ausführungsarten der Erfindung entfernt wird.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Dazu vielleicht ein mehr oder weniger hinkendes Beispiel:

Recherchierter A. 1:
Vorrichtung zum Ausdrücken von Obst, mit einer rotierenden Trommel, ...

Geänderter A. 1:
Vorrichtung zum Ausdrücken, mit einer rotierenden Trommel, ...

Durch das Streichen des Merkmals "Obst" wird die Wäsche-Waschmaschine neuheitsschädlich. Danach wurde aber gar nicht recherchiert.


Ich glaube in der Tat, dass das Beispiel hinkt, denn m.E. wäre die Wäsche-Waschmaschine auch für den recherchierten A. 1 neuheitsschädlich gewesen; schliesslich ist sie ohne Weiteres auch zum Ausdrücken von Obst geeignet, insbesondere wenn sie die restlichen Merkmale des Anspruchs auch offenbart.
 

newpatent

*** KT-HERO ***
Hallo Pat-Ente,

wie ist deine Ansicht zur Eingangsfrage und erweiterten Frage (R137(3) iVm Art. 113(1))?


Viele Grüße

Newpatent
 

Hans35

*** KT-HERO ***
... m.E. wäre die Wäsche-Waschmaschine auch für den recherchierten A. 1 neuheitsschädlich gewesen; schließlich ist sie ohne Weiteres auch zum Ausdrücken von Obst geeignet,...
Das ist zweifellos so. Das Beispiel soll nur erläutern, dass die Recherche trotzdem auf Küchengeräte beschränkt worden sein könnte, mit den entsprechenden Folgen. Ein Hinweis hierauf wäre ggf., dass eine Wäsche-Waschmaschiene unter den aufgefundenen Schriften nicht vorkommt.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
@newpatent (zu R137(3) i.V.m A113(1)):

Ich hatte so einen Fall in der Praxis noch nicht, aber m.E. spielt hier Art. 113 keine entscheidende Rolle. Wenn der Prüfer eine Änderung gem. R137(3) ablehnt, findet eine mögliche Zurückweisung aufgrund der Beanstandungen zum vorherigen Anspruchssatz statt (zu dem der Anmelder sich äußern konnte). Natürlich muss auch die Ablehnung nach R137(3) begründet werden, und der Anmelder sollte sich dazu äußern können. Das war es dann aber auch.



Zur Eingangsfrage:

- Wenn ein bereits früher beanstandeter Anspruch ohne wirklich schlagkräftige neue Argumente wieder aufgegriffen wird, könnte man mit einer Zurückweisung rechnen ;-)
- Nach meiner Erfahrung werden zielführende Änderungen (also solche, die Probleme lösen und keine Weiteren aufwerfen) von Prüfern gerne akzeptiert, auch wenn damit breitere Gegenstände oder Aliuds beansprucht werden. Klassisches Beispiel: wenn ein hinzugefügtes Merkmal als unklar oder nicht ursprünglich offenbart beanstandet wird, kann mal es ohne weiteres wieder entfernen. Was Aliuds betrifft, sehe ich die hauptsächliche Beschränkung im Gegenstand der Recherche (das hat tfe schon erwähnt).
 

newpatent

*** KT-HERO ***
Hallo Pat-Ente,

danke für die Antwort.

Aber bevor ein Prüfer sich auf R137(3) berufen kann, muss der Anmelder gehört werden (Art. 113(1))?
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Ich denke, dass das EPA nicht direkt einen Zurückweisungsbeschluss erlassen kann, wenn eingereichte Ansprüche aufgrund von R137(3) nicht angenommen werden (außer es handelt sich um bereits früher diskutierte Ansprüche, wie bereits gesagt). Es muss schon noch eine Gelegenheit gegeben werden, andere Ansprüche einzureichen. Je nach Verfahrensstand kann das aber auch direkt mit einer Ladung zur mV einhergehen. Hast du denn mal in der RS nachgeschaut?
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Hallo Pat-Ente,

danke für die Antwort.

Aber bevor ein Prüfer sich auf R137(3) berufen kann, muss der Anmelder gehört werden (Art. 113(1))?
Der Prüfer teilt dem Anmelder mit, dass die neuen Ansprüche nicht zugelassen werden, und begründet dies. Darauf kann der Anmelder natürlich antworten. Er kann neue Ansprüche einreichen, oder bei den vorherigen bleiben und begründen, warum sie zugelassen werden sollten. Wenn der Prüfer nicht überzeugt ist, kann mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung gerechnet werden.

Der Prüfer kann immer zur mündlichen Verhandlung laden und damit das Erteilungsverfahren zum Abschluss bringen.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Der Prüfer kann immer zur mündlichen Verhandlung laden und damit das Erteilungsverfahren zum Abschluss bringen.


Aber er muss nicht unbedingt, sofern der Anmelder keinen Antrag auf mV gestellt hat; deshalb ist es empfehlenswert, stets einen solchen Antrag zu stellen, um nicht eine unerwünschte Zurückweisung im schriftlichen Verfahren zu kassieren.
 
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