Hans35

*** KT-HERO ***
Ich möchte hier die BGH-Entscheidung X ZB 5/16 (Phosphatidylcholin) zur Diskussion stellen. Genauer: den zweiten Leitsatz.

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=f413d10742eb69bd3fdcab40369e821f&nr=79577&pos=0&anz=1

In dieser Ertscheidung erlaubt der BGH die Aufnahme eines nicht ursprünglich offenbarte Merkmals in den Anspuch 1, und er überrascht damit wohl nicht nur den Prüfer des DPMA, der deshalb die Anmeldung zurückgewiesen hatte, sondern vermutlich auch die Richter des BPatG, deren diesbezügliche Bestätigung der Entscheidung des Prüfers aufgehoben wird. Die Aufnahme dieses Merkmals in den Anspruch 1 erfolgt dabei ausdrücklich mit dem Ziel, dadurch die Neuheit des Anspruchsgegenstands gegenüber einem ganz bestimmten (im Beschluss genannnten) Stand der Technik herzustellen.

Diese Entscheidung steht wohl im Widerspruch zu allem, was man so in der Ausbildung lernt, nämlich, dass Einschränkungen des Anspruchsgegenstands im Prüfungsverfahren immer dadurch erfolgen, dass in die beanspruchte (= zu patentierende) Erfindung (= Lehre) ein zusätzliches Merkmal eingefügt wird, welches aber in den ursprünglichen Unterlagen offenbart sein muss. Und nicht nur das. Dieses zusätzliche Merkmal muss auch mit den anderen Merkmalen des Anspuchs im Sinne einer in sich geschlossenen Lehre zusammenwirken, und darf daher z.B. nicht aus einem für den betreffenden Anspruch (hier Anspruch 1) irrelevanten Ausführungsbeispiel entnommen werden.

Stattdessen ist es nach der o.a. Entscheidung umgekehrt, nämlich, dass das verneint aufgenommene Merkmal im Zusammenhang mit dem übrigen Anspruch gerade keine technische Wirkung entfaltet; es muss also im Hinblick auf die zu patentierende Erfindung irrelevant sein.

Kann man das also demnächst im Prüfungsverfahren immer so machen, um die Neuheit gegenüber einer bestimmten Druckschrift zu sichern? Man könnte in der entgegengehaltenen Druckschrift also nach einem Merkmal suchen, das technisch bedeutungslos ist und das in der Anmeldung nicht offenbart ist, --- dann wird einfach dieses Merkmal mit "nicht" in den Anspruch eingefügt, und schon ist die Neuheit gegenüber dieser Schrift gegegeben.

Demnächst werden Patentansprüche dann wohl oft so aussehen, dass am Schluss des Anspruchs 1 angehängt wird: "..., aber nicht dies, nicht das, nicht jenes Merkmal...", aber ohne Offenbarung dieser Merkmale? Und dies sichert die Neuheit gegenüber drei Schriften, die sonst neuheitsschädlich wären?

Und falls das nur eine Spezialität für chemische Sachverhalte ist - gilt dann da ein besonderes Patentrecht?
 

maroubra

*** KT-HERO ***
Ich habe die Entscheidung quergelesen und die Anmeldeunterlagen überhaupt nicht angesehen.


Es scheint, dass der BGH der Auffassung ist, dass das Merkmal eben doch offenbart sei. Nicht neu ist, dass der BGH sehr liberal ist, was Anforderungen an die urprüngliche Offenbarung angeht. Hier argumentiert der BGH wie folgt:


b) Phosphatidylcholin wird, wenn auch nicht unter dieser Bezeich-nung, in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen nur an zwei Stellen erwähnt. Zum einen wird Sojaöl, eine Lecithinquelle, als eines von zahlreichen Fettsäureglyceriden genannt, welche wiederum als eine von mehreren Gruppen von Substanzen aufgeführt sind, die als Ölphase für die Emulsion gewählt wer-den können (Abs. 47). Zum anderen wird Lecithin als einer von mehreren Dut-zend möglichen Emulgatoren aufgeführt (Abs. 55).


c) Aus den Anmeldeunterlagen ergibt sich danach kein Anhalt dafür, dass Phosphatidylcholin notwendiger Bestandteil der Zubereitung ist oder dass seine Zugabe auch nur als vorteilhaft angesehen wird. Dies wird dadurch bestä-tigt, dass die in der Beschreibung beispielhaft aufgeführten Zubereitungen 1 bis 3 jeweils fünf Gewichtsprozent Glycerin und sieben Prozent Kochsalz, jedoch kein Phosphatidylcholin enthalten (Abs. 101-103).


Ich finde diese Argumentation nachvollziehbar.




 

Hans35

*** KT-HERO ***
Im Anspruch 1 steht:
"...,wobei diese Zubereitungen frei sind von Phosphatidylcholin,..."
Das ist nun wirklich nicht an den genannten Stellen offenbart, und das hatte schon das BPatG so gesehen (Abs. 15).

Mir scheint eher, dass dieses Merkmal keine unzulässige Erweiterung darstellt, obwohl es nicht offenbart ist, und zwar, weil es um einen Disclaimer geht, der nichts zur erfindungsgemäßen Lehre beiträgt.

Dem BGH ginge es dann also um die unterschiedliche Bedeutung von "ursprünglicher offenbarung" und "unzulässiger Erweiterung".
 

maroubra

*** KT-HERO ***
Der BGH klebt halt nicht am Wortlaut. Meiner Ansicht nach argumentiert der BGH im Wesentlichen wie folgt:


Phosphatidylcholin wird in den ursprünglichen Anmeldeunertlagen als optionaler Bestandteil beschrieben.


Daraus ergibt sich, dass Zusammensetzungen offenbart werden, die Phosphatidylcholin enthalten, und solche, die kein Phosphatidylcholin enthalten.


Zusammensetzungen, die kein Phosphatidylcholin enthalten, sind "frei von Phosphatidylcholin".


Das Merkmal "frei von Phosphatidylcholin" ist daher keine unzulässige Erweiterung.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Gemäß Abs. 26 geht es um die "Zulässigkeit eines Disclaimers zur Herstellung der Neuheit gegenüber dem Stand der Technik". Danach "steht es der Zulässigkeit eines Disclaimers im Sinne eines negativ formulierten technischen Merkmals ... entgegen, wenn sich die dadurch bewirkte Beschränkung als technisch relevant erweist. ... Im Streitfall sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich,..."

Für mich war das überraschend, zumindest für das Prüfungsverfahren.
 
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maroubra

*** KT-HERO ***
Ich gebe Dir recht, dass der Absatz nicht ganz konsistent mit meiner Annahme, dass der BGH das Merkmal als ursprünglich offenbart ansieht, erscheint. Wenn es nämlich ursprünglich offenbart ist, darf ein Negativ-Merkmal einen technischen Effekt verursachen. G01/03 und G02/03 betreffen meiner Erinnerung nach nicht-offenbarte Disclaimer. Vielleicht müsste man die Sache doch detaillierter studieren :D
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Nehmen wir mal an, ich habe das Rad erfunden. Genauer: Der Anspruch 1 heiße: "Rad mit Gummibereifung". Das sei mal "ziemlich neu", aber dem Prüfer gelingt es, einen Stand der Technik zu finden, wo es tatsächlich ein gummibereiftes Rad gibt, und das sei neuheitsschädlich.

Da schaue ich mir die Entgegenhaltung genau an und stelle fest: Es geht da nur um die Erfindung von Speichen am Rad, alle in der Schrift gezeigten Räder haben Speichen, und Gummi auf der Lauffläche des Rades wird nur nebenbei in einem Ausführungsbeispiel erwähnt. Nach der Entscheidung "Phosphatidylcholin" kann ich nun ohne weiteres beanspruchen: "Rad mit Gummibereifung ohne Speichen". Das ist zulässig, obwohl in meiner Anmeldung nichts von Speichen steht, weil die Speichen im Zusammenhang mit der Gummibereifung keinen technischen Effekt haben. "Ohne Speichen" ist nur ist ein Disclaimer, der meinen Schutzbereich einengt, ohne zu meiner Erfindung (Gummibereifung) einen technischen Aspekt hinzuzufügen, und der Anspruchsgegenstand ist wieder neu.

Der Prüfer wird nun nach einer anderen Schrift suchen, und findet vielleicht ein Rad mit Gummibereifung, ohne Speichen, aber mit einem Loch in der Nabe. Dann geht das Ganze von vorn los ...

Das ist doch ziemlich unbefriedigend! Ich werde den Verdacht nicht los, dass es so eigentlich nicht funktionieren darf, und dass es bei "Phosphatidylcholin" wirklich nur um eine Spezialität für chemische Sachverhalte geht.
 
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Larachen-10

Vielschreiber
"Dazu hätt ich doch glatt eine verwandte Frage"

Stichwort Nachanmeldung: Wie sieht das aus, wenn eine Prio-Anmeldung die Merkmale A+B+C enthält.

Frage 1: Nachanmeldung erfasst A+B+C (unverändert). Allerdings wird ein Ausführungsbeispiel durch ein anderes ersetzt. Sehe ich es richtig, dass ein Beispiel, welches A+B+C nicht mit dem Offenbarungsgehalt der Prio-Anmeldung beschreibt "wahrscheinlich" nicht einfach hingenommen wird?

Frage 2: A bis C werden durch D ergänzt, wobei D ein Zusatzbauteil für C ist. Klar, die Priorität kann nur für A bis C beansprucht werden. Sehe ich es richtig, dass ein D zu einer massiven Entgegenhaltung führen würde, da es nicht in in der Prio-Schrift auftaucht?
 

Hans35

*** KT-HERO ***
@Larachen-10

Bei der Priorität geht es die Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit von einem Patentansruch in der Nachanmeldung. Genauer: Es geht darum, ab welchem Zeitrang Entgegenhaltungen zu berücksichtigen sind.

Normalerweise werden nur Entgegenhaltungen berücksichtigt, die älter sind als der Anmeldetag dieser Nachanmeldung. Wenn aber der Gegenstand des Patentanspruchs der Nachanmeldung mit allen seinen Merkmalen bereits aus der Prio-Schrift hervorgeht (und die sonstigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Priorität erfüllt sind), dann werden nur noch Entgegenhaltungen berücksichtigt, die älter als die Prioschrift sind, dh. dann gilt für diesen Anspruch der Anmeldetag der Prioanmeldung.

Ob diese Voraussetzung gegeben ist, um den älteren Zeitrang anzuwenden, wird für jeden Patentanspruch in der Nachanmeldung gesondert geprüft, und nach jeder Anspruchsänderung nochmal neu, insbes. auch z.B im Einspruhsverfahren. Die Kriterien für die Prüfung, ob der Anspruchsgegenstand (der Nachanmeldung) aus der Prioschrift hervorgeht, sind dieselben, wie bei einer Neuheitsprüfung, d.h. es ist der Gesamtumfang der Prioschrift zu berücksichtigen und nicht nur die Ansprüche dort, aber die Ausführungsbeispiele und die anderen Patentansprüche in der Nachanmeldung haben nur geringe Bedeutung, nämlich nur für die Auslegung des dortigen Anspruchs, der gerade zu prüfen ist, falls eine Auslegung erforderlich ist.

Das zu berücksichtigende "Alter" von irgendwelchen Entgegenhaltungen ist also immer mit dem "richtigen" Zeitrang des Patentanspruchs (der Nachanmeldung) zu vergleichen, und der hängt vom Inhalt der Prioschrift (bei mehreren Prioschriften: vom Inhalt jeder Prioschrift mit ihrem jeweiligen Zeitrang) ab.

Weil das Ganze so kompliziert ist, wird wohl oft nur nach Schriften vor dem Priotag recherchiert, und es lohnt sich für Einspruch und Nichtigkeit, nochmal genau im Priointervall nachzurecherchieren.
 

Larachen-10

Vielschreiber
Vielen Dank. Hatte nicht ganz verstanden, welchen Zweck eine Nachanmeldung hat, wenn Erweiterungen, die nicht zumindest "mittelbar" in der Prioschrift offenbart sind, unzulässig sind. (Innere Priorität).

Eine kleine Frage hätte ich noch zu einer Nachanmeldung. Nehmen wir an, ein "Nasenbohrer mit abnehmbaren Aufsätzen":) (aaaabsolut fiktives und überspitzts Beispiel) soll patentiert werden. Die Aufsätze unterscheiden sich inhaltlich und von der Befestigungslösung sooo sehr, dass nahezu zwei Erfindungsgedanken verwirklicht werden.

Der Prüfer des ersten Patentamtes sagt: Eingeitlichkeit gegeben. Bei der Nachanmeldung in anderen Ländern könnte die Einheitlichkeit abgesprochen werden.

Also pickt sich der Erfinder die Rosinen heraus, beschränkt die Prioanmeldung auf eine der beiden Lösungen und Entscheodet sich für eine Nachanmeldung zur Nutzung des Ansatzes der inneren Priorität, welcher bei einer Teilanmeldung nicht gegeben wäre. Inhalt identisch.

Würde dieser Ansatz (andere Richtung) dem Grundgedanken einer "Nachanmeldung" noch entsprechen, wenn - gemäß umgekehrtem Ansatz - Erweiterungen in der Prioschrift offenbart sein müssten?
 
Zuletzt bearbeitet:

Blood für PMZ

*** KT-HERO ***
Hallo,

wäre es nicht wesentlich sinnvoller, wenn Ihr als Kandidaten Euch zunächst mal an Euren Ausbilder wendet? Es ist nämlich dessen Job, Euch den Sinn und die Details von Nachanmeldungen zu erklären, und zwar nicht nur für irgendwelche Einzelfälle, sondern grundsätzlich, denn das werdet Ihr mal brauchen.

Frohes Schaffen
Blood für PMZ
 

Hans35

*** KT-HERO ***
@Blood für PMZ

Es mag sein, dass gerade zum Thema Priorität oft ungenaue Formulierungen verwendet und auch "tradiert" werden, die konsequentem Nachfragen nicht recht Stand halten. Oft hört man z.B., die Inanspruchnahme der Priorität bewirkt, dass der Anmeldetag der Nachanmeldung "auf den Anmeldetag der Prioritätsanmeldung vorverlegt" wird. Aber das ist nur der Fall, wenn die Inhalte von Prioanmeldung und Nachanmeldung identisch sind. Und schon, wenn Prionameldung und Nachanmeldung in verschiedenen Sprachen abgefasst sind, was ja sehr oft der Fall ist, kann man sich da nicht völlig sicher sein.

Wer aber genauer wissen will, was es mit den inhaltlichen Unterschieden zwischen Prioanmeldung und Nachanmeldung auf sich hat und wo da vielleicht Überraschungen lauern, bohrt ein dickes Brett.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
@Larachen-10

In der Tat solltest du versuchen, die patentrechtlichen Begriffe exakt zu verwenden, sonst versteht man nicht, was du fragen willst. Möglicher Weise hast du in Beitrag #8 die "ursprünglichen Unterlagen" mit "Prioritätsanmeldung" verwechselt, und vielleicht auch "geänderte Unterlagen im Prüfungsverfahren" mit "Nachanmeldung", was dazu geführt hat, das ich etwas über Priorität geschrieben habe, was mit dem ursprünglichen Thema nun gar nichts zu tun hat.

Erst als du im Beitrag #10 "Einheitlichkeit" geschrieben und wohl "fehlende Neuheit" oder auch "dieselbe Erfindung" gemeint hast, ist mir etwas klarer geworden, wo man bei der Auslegung deiner Fragen anfangen muss. Versuch es bitte nochmal, indem du das schreibst, was du auch wirklich meinst.

Wenn du dich zum Schärfen eines "Messers" äußerst, aber dabei von einer "Gabel" redest, hat man Schwierigkeiten herauszufinden, was du meinst. Kann sein, dass du damit am Anfang deiner Ausbildung noch überfordert bist. Trotzdem!

(Meine Frau hat eine ganze Weile gebraucht, um zu akzepieren, dass ich im Verlauf meiner patentrechtlichen Ausbildung auch beim alltäglichen Gespräch immer mehr erwarte, dass jeder das sagt, was er auch meint, und dass ich deshalb andauernd herumkritisiere. Ich fürchte, das haben einige Kandidaten noch vor sich; hoffentlich hält die Ehe das aus!)
 
Zuletzt bearbeitet:

Asdevi

*** KT-HERO ***
Gemäß Abs. 26 geht es um die "Zulässigkeit eines Disclaimers zur Herstellung der Neuheit gegenüber dem Stand der Technik". Danach "steht es der Zulässigkeit eines Disclaimers im Sinne eines negativ formulierten technischen Merkmals ... entgegen, wenn sich die dadurch bewirkte Beschränkung als technisch relevant erweist. ... Im Streitfall sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich,..."

Für mich war das überraschend, zumindest für das Prüfungsverfahren.

Genau dieser Absatz macht aber die Entscheidung zu einem Pyrrhus-Sieg für den Anmelder. Denn der BGH hat ja jetzt befunden, dass das Merkmal, mit dem er sich vom Stand der Technik abgrenzt, keinen relevanten technischen Effekt hat. Das macht den Anspruch zwar neu, raubt ihm aber notwendig eine erfinderische Tätigkeit, denn wo kein technischer Effekt ist, kann auch nichts erfinderisch sein. Das BPatG wird jetzt halt wegen fehlender Erfindungshöhe zurückweisen.

Damit schwenkt der BGH auf die EPA-Linie bei Disclaimern ein: Sie sind immer dann erlaubt, wenn sie nichts bringen (also keinen technischen Effekt haben). Ausnahme natürlich Stand der Technik nach 54(3), aber da ist es ja in Ordnung.
 

maroubra

*** KT-HERO ***
Damit schwenkt der BGH auf die EPA-Linie bei Disclaimern ein: Sie sind immer dann erlaubt, wenn sie nichts bringen (also keinen technischen Effekt haben). Ausnahme natürlich Stand der Technik nach 54(3), aber da ist es ja in Ordnung.


Aber das gilt meinem Verständnis nur für nicht-offenbarte Disclaimer. Ein offenbarter Disclaimer (d.h. ein "negatives Merkmal") kann meiner Ansicht nach sehr wohl einen technischen Effkt haben. Ein Beispiel wäre das Merkmal "wobei die Statorwicklung frei von Hinterschneidungen ist" wenn die Statorwicklungen von E-Motoren des Standes der Technick alle so gewickelt sind, dass Hinterschneidungen vorliegen.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Das sehe ich auch so. Die erfinderische Tätigikeit ist vom nicht offenbarten Disclaimer nicht berührt, weil der - als Voraussetzung für seine Zulässigkeit - keinen technischen Effekt, also keine Vorteile für die Erfindung haben darf. Nur die offenbarte und beanspruchte Erfindung, zu der der Disclaimer ja nicht gehört, darf für sich nicht durch den Stand der Technik nahegelegt sein.
---
Nochmal meine Ausgangsfrage: Könnte es sein, dass es hier um eine Sonderbehandlung für chemische Erfindungen geht? Die angemeldete und beanspruchte Erfindung wird durch eine Mehrzahl von Stoffen (oder in der BGH-Entscheidung: von stofflichen Zusammensetzungen) realisiert, von denen aber einige bereits bekannt sind (daher: neuheitsschädlich). Dabei lösen die bekannten Stoffe gemäß der Entgegenhaltung, aus der sie bekannt sind, dort ein anderes technisches Problem. Aber das sind nur einige von den nunmehr beanspruchten Stoffen, und diese bekannten Stoffe sollen aus dem neu zu erteilenden Patent durch den Disclaimer ausgeklammert werden. Weil in der Entgegenhaltung nicht dasselbe technische Problem gelöst wird wie die Anmeldung, ist die erfindungsgemäße Lehre dann neu.

In Wirklichkeit wäre also die beanspruchte Lehre (Problemlösung) aber auch neu, wenn man den Disclaimer weglässt, nur würden dadurch Stoffe geschützt, die bereits (für den Einsatz zu anderen Zwecken) bekannt sind (und für die evtl. sogar bereits ein Patent erteilt wurde). Das verhindert dann der Disclaimer.

Letztlich wäre die BGH-Entscheidung dann also eine Konsequenz des absoluten Stoffschutzes, der ja für jeden Stoff nur einmal erteilt werden kann. Die Bemerkung, dass der Disclaimer die Neuheit der beanspruchten Erfindung gegenüber der Entgegenhaltung bewirkt, wäre dann eher irreführend, weil es nämlich nicht um die Neuheit der Erfindung, also der offenbarten technischen Lehre geht, gemäß der ein technisches Problem durch eine Reihe von Stoffen gelöst wird, sondern nur um die Bekanntheit von bestimmten Stoffen "als solchen".

Man könnte sich das so vorstellen, dass ein als Arzneimittel bekannter Stoff zu einer (größeren) Gruppe von Stoffen gehört, die (gemäß der Erfindung) als Katalysator für das Erzeugen bestimmter Kunststoffe funktioniert und in Form von Ansprüchen beansprucht wird, die direkt auf diese Gruppe von Stoffen gerichtet sind.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Die Bemerkung, dass der Disclaimer die Neuheit der beanspruchten Erfindung gegenüber der Entgegenhaltung bewirkt, wäre dann eher irreführend, weil es nämlich nicht um die Neuheit der Erfindung, also der offenbarten technischen Lehre geht, gemäß der ein technisches Problem durch eine Reihe von Stoffen gelöst wird, sondern nur um die Bekanntheit von bestimmten Stoffen "als solchen".
Nein.

Auf Patentierbarkeit beurteilt werden nicht Patentanmeldungen, sondern Patentansprüche. Und die "technische Lehre" eines Patentanspruchs ist das, was sich aus dessen Merkmalen ergibt. Wenn der Patentanspruch auf ein Produkt als solches gerichtet ist, dann ist die zu schützende technische Lehre das Produkt und sonst nichts. Wenn das Produkt schon bekannt ist, ist die Lehre nicht neu. Fertig aus.

Was der Patentanmelder sonst noch so in seine Anmeldung schreibt (zum Beispiel wofür sein Produkt verwendet werden kann), spielt keine Rolle. Wenn der Anmelder meint, die besondere Verwendung des Produkts sei eigentlich die Lehre seiner Anmeldung, dann soll er Verwendungsansprüche formulieren. Man kann jedenfalls nicht argumentieren, dass irgendeine "technische Lehre" neu und erfinderisch sei, wenn sich die Merkmale dieser Lehre nicht im Anspruch wiederfinden.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Vor der Olanzapin-Entscheidung hätte ich das genau so geschrieben, wie du jetzt.

Aber bei Olanzapin war es eben auch so, dass die Substanz Olanzapin "als solche" aus der Entgegenhaltung bekannt war, aber nicht "isoliert" oder "individualisiert", sondern nur als Teil einer Gruppe von Substanzen (vgl. Abs. 28, 35, 37), z.B. in Form einer Strukturformel mit Parametern. Das Olanzapin für sich, auf das der fragliche Anspruch gerichtet war, löst mit seinen, nur in der Anmeldung offenbarten CAR- und CAT-Werten ein technisches Problem, das in der Entgegenhaltung nicht angesprochen oder gar gelöst wird; die anderen Substanzen der Entgegenhaltung waren für die Lösung dieses Problems auch nicht geeignet. Daher ist der auf das Olanzapin gerichtete Anspruch neu, obwohl der Stoff als solcher schon bekannt war, oder genauer: unter die bekannte Struktuformel fällt.
Leitsatz: "Mit der Offenbarung einer chemischen Strukturformel sind die unter diese
Formel fallenden Einzelverbindungen grundsätzlich noch nicht offenbart."

Aus der Entscheidung "Olanzapin" kann man also ablesen, dass es zumindest für die Neuheit von Erfindungen, in denen der Anspruch unmittelbar auf einen chemischen Stoff gerichtet wird, sehr wohl darauf ankommt, was der Patentanmelder "sonst noch" so in seiner Anmeldung schreibt, nämlich welches Problem (hier: Nebenwirkungsfreiheit des Stoffes als Medikament, gemessen in CAR- und CAT-Werten) gelöst wird. Dies, obwohl im Anspruch nur die Lösung des Problems, also die Substanz angegeben wird, und sonst nichts.

Ergänzung:
Eine Erfindung ist die technische Lösung eines technischen Problems.
Also:
1. Ohne technisches Problem keine Erfindung.
2. Ohne technische Lösung des Problems keine Erfindung.
Im Anspruch steht nur die Lösung.
 
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Asdevi

*** KT-HERO ***
Leitsatz: "Mit der Offenbarung einer chemischen Strukturformel sind die unter diese
Formel fallenden Einzelverbindungen grundsätzlich noch nicht offenbart."

Aus der Entscheidung "Olanzapin" kann man also ablesen, dass es zumindest für die Neuheit von Erfindungen, in denen der Anspruch unmittelbar auf einen chemischen Stoff gerichtet wird, sehr wohl darauf ankommt, was der Patentanmelder "sonst noch" so in seiner Anmeldung schreibt, nämlich welches Problem (hier: Nebenwirkungsfreiheit des Stoffes als Medikament, gemessen in CAR- und CAT-Werten) gelöst wird.

Der letzte Absatz folgt nicht aus dem ersten Satz. Eine Markush-Formel offenbart grundsätzlich noch nicht sämtliche Verbindungen, die darunter fallen. Damit war Olanzapin "als solches" neu, nämlich als bisher nicht offenbarte Kombination einzelner Substituenten an der Formel. Die Neuheit hatte nichts mit den angeblichen Vorteilen zu tun. Die spielen nur für erfinderische Tätigkeit eine Rolle.

Wäre Olanzapin schon im Stand der Technik offenbart gewesen, meinetwegen als Lack für Tischlerarbeiten, dann wäre ein Anspruch auf Olanzapin nicht patentierbar gewesen. Unabhängig davon, was der Patentanmelder über Nebenwirkungsfreiheit und CAT-Werte schreibt. Da kannst du noch so lang jammern, dass Tischlerlack nicht "dieselbe Erfindung" sei wie ein Medikament - wenn es sich um strukturell dieselbe Verbindung handelt, dann ist ein Anspruch, der nur die Struktur lehrt, nicht neu.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Hallo Asdevi, beim deinem zweiten Absatz gebe ich dir sofort Recht, beim ersten habe ich den Eindruck, dass ich nicht verständlich gemacht habe, woum es mir geht.

Deshalb versuch ich's mal mit einem Beispiel. Zunächst die Olanzapin-Problematik:

Angenommen, in der Anmeldung A wird eine Stukturformel offenbart, unter die 12 Stoffe fallen, und der Anmelder beansprucht damit die 12 Stoffe, die unter diese Formel fallen, indem er diese Strukturformel in den Anspruch 1 schreibt. Einer dieser Stoffe habe den Namen "Ola". Das Patent wird erteilt.

In einer späteren Anmeldung B offenbare ein (anderer) Anmelder Ola "individualisiert" und der Anspruch 1 sei unmittelbar auf "Ola" gerichtet. Dafür muss in B zumindest angegeben sein, wie Ola von den anderen 11 aus A bekannten Stoffen isoliert werden kann, oder aber dass Ola mit einem anderen Verfahren hergestelt werden kann, sonst kann der Fachmann Ola nicht nacharbeiten. Darüber hinaus werden in B Vorteile von Ola angegeben, die Ola über die in A offenbarten gemeinsammen Eigenschaften der 12 Stoffe hinaus hat; darin besteht das mit Ola gelöste technische Problem. Dabei muss dem Anmelder von B klar sein, dass er nur ein abhängiges Patent erhalten kann, das in den Schutzbereich von A fällt.

Welches Kriterium gibt es nun, um zu unterscheiden, ob die Anmeldung A für den Anspruch 1 in B neuheitsschädlich ist, bzw. ob ein zweites Patent mit dem begehten Stoffschutz für Ola erteilt werden kann?

Dass das isolierte Herstellen von Ola, also um Ola "in die Hand zu bekommen", statt wie in A etwa nur das Herstellen eines Gemisches mit den anderen 11 Stoffen, ist eine notwendige Voraussetzung für die Erteilung von B. Das ist in der BGH-Entscheidung Escitalopram klargestellt worden. Aber welcher Reinheitsgrad von Ola genügt dafür, dass es als "individualisiert" dem Fachmann in die Hand gegeben wird? Genügt schon, ausgehend von A, eine geringe Anreicherung von ein paar Prozent, um an den erstrebten absoluten Stoffschutz zu gelangen?

B muss für die Neuheit der beanspruchten Erfindung jedenfalls über A irgendwie hinausgehen, indem es in der Anmeldung B Angaben gibt, die zum "Individualisieren" von Ola führen, genauer: die sich als Kriterium für ein erfolgreiches Individualisieren eignen. Dafür sehe ich nur die Möglichkeit, auf die allgemeine Definition einer Erfindung (= technische Lösung eines technischen Problems) zurückzugreifen. D.h. B muss in seiner Anmeldung Angaben machen, die zeigen, dass Ola für irgend einen Zweck besser ist, als die anderen 11 Stoffe, die auch in A beansprucht sind, und dass deshalb in B ein anderes (nicht unbedingt neues) technisches Problem gelöst wird, das jedenfalls in A nicht gelöst wird, wodurch dann in B eine andere Erfindung beansprucht wird als in A. Die Offenbarung einer solchen anderen Erfindung müsste dann umfassen, wie Ola von den anderen 11 Stoffen mit technisch ausreichendem Reinheitsgrad für diesen Zweck isoliert werden kann. (Für die Erteilung von A es war sicher keine Voraussetzung, Ola von den anderen 11 Stoffen mit irgendeinem Reinheitsgrad anzureichern oder zu isolieren.) Ohne Angabe des zu lösenden Problems in B wäre nicht feststellbar, welcher Reinheitsgrad beim "Individualisieren" ausreicht, damit der Fachmann die Erfindung nacharbeiten kann. (Darauf müsste dann wohl ggf. auch in einem Verletzungsverfahren zurückgegriffen werden.)

Ich stelle mir da beispielsweise als Extremfall vor, Ola sei eins der 12 Isotope, aus denen ein in A' beanspruchtes Stoffgemisch besteht, und gemäß der Ameldung B' kann schon eine geringe Anreicherung von Ola es ermöglichen, das Stoffgemisch aus der Anmeldung A' zB im Abwasser einem bestimmten "Verursacher" zuzuordnen. Das könnte für das Individualisieren von Ola in B' schon genügen und wäre klar eine technische Lehre, für die man in B' einen auf das Isotop Ola gerichteten Stoffanspruch bekommt. Geht es um Isomere in der organischen Chemie (statt um Isotope), so wird man wohl eine höhere Anreicherung (in einer Anmeldung B") fordern müssen, aber dann kommt es genau darauf an, wofür die Isomere verwendet werden, wenn man die Erfindung nacharbeiten will.

Letzlich besteht mein Problem vielleicht darin, dass die Offenbarung der beanspruchten Erfindung und damit ggf. eine unzulässige Erweiterung nach denselben Kriterien zu beurteilen ist, wie die Neuheit; das gilt wohl als Dogma. Dadurch komme ich bei der Neuheit zur Ausführbarkeit, was eigentlich etwas anderes ist. Also, was nicht ausführbar ist, kann auch nicht neuheitsschädlich sei, oder?

---

Im Ausgangsfall (Phosphatidylcholin) geht es darum, dass die Anmeldungen A und B des obigen Beispiels in der anderen Reihenfoge eigereicht werde, also erst die Anmeldung B, die individualisiertes Ola offenbart, und erst danach die Anmeldung A, wo der Anspruch 1 auf die die Strukturformel für die 12 Stoffe gerichtet ist, zu denen Ola gehört. In diesem Fall trifft die Offenbarung in der Anmeldung B den Anspruch 1 in A jedenfalls neuheitsschädlich.

Dafür erlaubt der BGH (gemäß Phosphatidylcholin) in A nun einen Disclaimer, der das individualisierte, in A nicht offenbarte Ola aus dem Schutz herausnimmt, und das mit der Anmeldung A zu erteilende Patent wird dadurch auf die 11 verbleibenden neuen Stoffe "willkürlich" beschränkt. [Anspruch1: Stoff gemäß der Strukturformel, nicht aber Ola.] Dafür muss Ola in den ursprünglichen Unterlagen der Anmeldung A nicht extra erwähnt sein, es genügt vielmehr, dass es unter die Strukturformel fällt. Erst Recht muss nicht offenbart sein, wie man Ola isolieren kann; im Übrigen ist aus der älteren Anmeldung B ohnehin bereits bekannt, wie man an individualisietes Ola gelangt.

Wann eine Stofferfindung neu ist, scheit eine extrem schwierige Frage zu sein.
 
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