Asdevi

*** KT-HERO ***
Nein, die Anmeldung offenbart nur eine Lehre ohne den Disclaimer und nicht eine Lehre mit dem Disclaimer.

Das Konstrukt der "anderen technischen Lehre" ist etwas artifiziell. Die GBK hat eben festgelegt, dass eine Beschränkung des Schutzbereichs auf einen Teil, in dem keine anderen technischen Wirkungen erzielt werden, keine "andere technische Lehre" ist. Das kann man natürlich auch anders sehen, denn sicherlich unterscheidet sich der geschützte Teil vom nicht mehr geschützten "technisch" (es sind z.B. andere Stoffe). Aber akzeptier das jetzt einfach mal so.

Diese Rechtsprechung hat nämlich praktische Vorteile, die zu wünschenswerten Ergebnissen führen:

1. Man kann mit dem "nicht offenbarten" Disclaimer den Anspruch nur neu machen, nicht erfinderisch. Wenn man argumentiert, dass mit Disclaimer ein erfinderischer Schritt vorliegt, weil der disclaimte Bereich irgendein Problem nicht löst, dann wird der Disclaimer ipso facto unzulässig (andere technische Lehre).

2. Genauso ist es mit der Ausführbarkeit: Wenn der Disclaimer dazu führt, dass der Anspruch ausführbar wird (während das Disclaimte nicht ausführbar war), ist das auch eine "andere technische Lehre".

Deshalb meine saloppe Formulierung, dass man den Disclaimer immer dann nehmen kann, wenn er nichts bringt: Das Akzeptieren des Disclaimers impliziert, dass der neue Anspruch gegenüber dem disclaimten Bereich nicht erfinderisch ist und auch nicht "ausführbarer" (also ein etwaiges Ausführbarkeitsproblem nicht beseitigt wurde). Damit kann der Anmelder/Patentinhaber mit nicht offenbarten Disclaimern keine Ausführbarkeits- oder Erfindungshöhe-Probleme heilen und damit den Stand der Technik "umtanzen".

Wozu dann der Disclaimer? Für spezielle Fälle, wie

1. nachveröffentlichter Stand der Technik (Art. 54(3) EPÜ). Hier wird keine Erfindungshöhe gefordert. Das ist aber auch gerechtfertigt, denn der Anmelder konnte nicht veröffentlichten Stand der Technik nicht kennen, also ist seine Leistung eines Patents würdig. Es soll lediglich Doppelschutz vermieden werden, was durch Neuheit gewährleistet ist.

2. Patentierungsausschlüsse (z. B. Genmanipulation am Menschen). Die Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte technische Erfindungen (mit Erfindungshöhe!) vom Patentschutz auszuschließen, rechtfertigt es nicht, dass der Erfinder sich nicht auf den nicht verbotenen Bereich beschränken kann. Er hat ja eine Erfindung gemacht und soll so weit geschützt werden, wie moralisch vertretbar.

3. "accidental anticipation". Also Stand der Technik, der so weit abseits liegt, dass man seine Kenntnis nicht verlangen darf. Selbe Überlegung wie bei nachveröffentlichtem Stand der Technik.
 

Expatriot

GOLD - Mitglied
Hallo Miteinander,

Mit Lysios' und Asdevis Beiträgen ist dann auch meine Welt wieder in Ordnung.

Ich muss zugeben, dass ich das Zitat des BGH in Rdn 26 etwas unglücklich finde, und sehe das eher als obiter dictum, weil es aus meiner sicht mit dem zu entscheidenden Fall nichts zu tun hat (siehe der Ausnahmenkatalog im Beitrag von Asdevi). Keine der Ausnahmen scheint mir in der Entscheidung gegeben, weil es nicht um nachveröffentlichten Stand der Technik geht. Der BGH gibt hier meiner Meinung nach lediglich zu erkennen, dass er sich der Meinung der G-Entscheidungen grundsätzlich anschließt.

Die Entscheidung zur eigentlichen Sache stellt sich für mich als Pyrrhussieg dar: Der Disclaimer lässt sich den ursprünglichen Unterlagen zwar entnehmen, aber er hat keinen technischen Effekt. Dann sind wir bei dem zuvor geschilderten Fall, dass die erfinderische Tätigkeit des Anspruchsgegenstandes nicht gegeben sein dürfte.

Viele Grüße,
Expatriot
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Der BGH hat zurückverwiesen, und das BPatG wird sich voraussichtlich noch zu Neuheit und erfinderischer Tätigkeit äußern - wenn es das nicht der Prüfungsstelle überlässt. Die Entscheidung des BGH beschränkt sich ja auf die Zulässgkeit des Disclaimers.
 
Zuletzt bearbeitet:

Hans35

*** KT-HERO ***
Hallo Expatriot,

vielleicht kommt ja meine Welt auch noch wieder in Ordnung. Den entscheidenden Hinweis hatte wohl schon Lysios im Beitrag #33 gegeben, wo er mir geraten hat zu beachten, was mein Ausbilder sagt (auch wenn das vielleicht etwas anders gemeint war).

Der sagte nämlich: "Im Zweifel darf man sich nicht darauf verlassen, was man glaubt, was im Gesetz seht, sondern man muss nachschauen, was wirklich drinsteht."

Ich habe zwar genau geschaut, was in § 38 PatG steht, denn um den geht es ja in dem entschiedenen Fall. Ich war aber, ohne nachzuschauen, davon ausgegangen, dass im EPÜ in so einer zentralen Frage des Patentrechts nichts anderes steht. Mea culpa.

Denn im EPÜ steht im Zusammenhang mit Artikel 123 nichts vom "Herleiten von Rechten". Es findet sich weder hier noch andernorts im EPÜ irgendetwas, was dasselbe aussagt, wie § 38 Satz 2 PatG. Kein Wunder, dass die Richter der GBK kein Problem damit hatten/haben, dass durch einen Disclaimer die Neuheit "wieder hergestellt" wird. Solange ein Disclaimer den Gegenstand nur einschränkt, ist nach dem EPÜ alles in Ordnung.

So erklärt sich auch der sonst doch eher merkwürdige Absatz 26 der BGH-Entscheidung Phosphatidylcholin, wo es heißt: "... Eine solche Beschränkung des Anspruchs steht im Einklang mit den Kriterien, die die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts zur Zulässigkeit eines Disclaimers zur Herstellung der Neuheit gegenüber dem Stand der Technik entwickel hat ..." Jedenfalls nimmt der BGH diese Kriterien nicht ernst. Denn sonst müsste er für seine Entscheidung, den Disclaimer zuzulassen, ja auch prüfen, ob der genannte Stand der Technik tatsächlich ohne den Disclaimer neuheitsschädlich ist, mit Disclaimer aber nicht. Das tut er aber nicht, und ich denke, dass das daran liegt, dass angesichts § 38 Satz 2 PatG dafür gar keinen Raum sieht. Stattdessen stellt der BGH als einzige Zulässigkeitsvoraussetzung für dem Disclaimer nur fest, dass "... keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich (sind), dass mit der durch Merkmal 3 bewirkten Beschränkung des Gegenstands eine zusätzliche technische Wirkung einhergeht oder erzielt werden soll oder der Fachmann hierdurch neue technische Informationen erhält." Denn dies genügt, wenn der Disclaimer nur einen Einfluss auf der Schutzbereich, nicht aber auf die Patentfähigkeit hat. Die Neuheit ist hingegen im Zusammenhang mit dem Disclaimer für den BGH kein Thema.

Die Neuheit muss also nun vom BPatG beurteilt werden, aber m.E. ohne Berücksichtigung des Disclaimers, sonst wäre § 38 Satz 2 verletzt, weil hier (im DPMA-Erteilungsverfahren) das EPÜ nicht angewandt werden kann. Meine Prognose ist, dass das BPatG das Patent wohl erteilen wird, weil es in der Anmeldung um NaCl und Glycerin geht, aber in der Entgegenhaltung um Phosphatidylcholin. Im Beschluss wird sich aber jedenfalls kein Hinweis darauf finden, dass der Disclaimer die Neuheit "herstellt" und eine Zurückweisung der Anmeldung mangels Neuheit erfolgen müsste, wenn der Disclaimer nicht in den Anspruch aufgenommen worden wäre.
 
Zuletzt bearbeitet:

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
.. aber in Phosphatidylcholin hat der BGH doch gerade gesagt, dass der Disclaimer keine unzulässige Erweiterung im Sinne von §38 S.1 PatG darstellt. Damit ist er auch keine Änderung, die eine Anwendung von Satz 2 erfordern würde, und somit kann er zur Abgrenzung gegenüber dem SdT taugen (das hat der BGH ja auch in der Entscheidung (Rn. 25, S. 11 oben) gesagt.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Den entscheidenden Hinweis hatte wohl schon Lysios im Beitrag #33 gegeben, wo er mir geraten hat zu beachten, was mein Ausbilder sagt (auch wenn das vielleicht etwas anders gemeint war).
...
Es findet sich weder hier noch andernorts im EPÜ irgendetwas, was dasselbe aussagt, wie § 38 Satz 2 PatG.

Ohne jetzt wieder in die Diskussion einsteigen zu wollen, ich hatte eigentlich eher gehofft, dass Du zur Kenntnis nimmst, was ich mit dem Zitat aus dem Benkard zum Ausdruck bringen wollte, dass nämlich diesbezüglich zwischen EPÜ und PatG gar kein Unterschied besteht, denn:
Im Sinne einer harmonisierenden Auslegung des deutschen Patentrechts mit dem EPÜ kann die Definition der unzulässigen Erweiterung auch für § 38 zugrunde gelegt werden. Für die Nichtigkeitsverfahren ist das m. E. ohnehin zwingend.

Jedenfalls nimmt der BGH diese Kriterien nicht ernst. Denn sonst müsste er für seine Entscheidung, den Disclaimer zuzulassen, ja auch prüfen, ob der genannte Stand der Technik tatsächlich ohne den Disclaimer neuheitsschädlich ist, mit Disclaimer aber nicht. Das tut er aber nicht, und ich denke, dass das daran liegt, dass angesichts § 38 Satz 2 PatG dafür gar keinen Raum sieht.

Die Neuheit war offenbar gar nicht Gegenstand der Rechtsbeschwerde. Deshalb darf der BGH diese gar nicht prüfen.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Oder ist es vielleicht doch typisch deutsch, einen "Nicht-Nationalstolz" dadurch zu demonstrieren, dass nicht das eigene Gesetz angewendet wird, sondern gleich das EPÜ? Franzosen und Engländer würden wohl nicht auf einen solchen Gedanken kommen.

Oh Mann. Du schwingst sehr große Reden, obwohl Du hier schon mehrfach nachgewiesen hast, dass Dir die ganz elementare Kenntnisse fehlen. Etwas mehr Bescheidenheit wäre durchaus angebracht.

Ich möchte diese Diskussion jedenfalls nicht mehr weiterführen.
 
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