Teilpriorität mit unerwünschter Rücknahmefiktion, oder Teilanmeldung?

Kurt

*** KT-HERO ***
Hallo zusammen,

hier die folgende Konstellation zu der Frage im Betreff:
  • 2022 Prioanmeldung DE auf Gegenstände X, Y
  • 2023 Nachanmeldung DE-1 auf Gegenstände X, Y, Y'
  • 2024 Anmeldung B auf Gegenstand Y' mit Prio der Nachanmeldung DE-1.
Wie ist es dann mit der Rücknahmefiktion? Laut Busse gilt die frühere Anmeldung (hier 2023 Nachanmeldung DE-1) auch dann als zurückgenommen, wenn der Inhalt der Nachanmeldung (2024 Anmeldung B) und der früheren Anmeldung (2023 Nachanmeldung DE-1) nur teilweise übereinstimmt:

Busse/Keukenschrijver (Aufl. 8/2016, möglicherweise überholt):
Inanspruchnahme [der inneren Priorität führt] auch dann zum vollständigen Wegfall der früheren Anmeldung, wenn der Inhalt der früheren Anmeldung und der Nachanmeldung nur teilweise übereinstimmt. Um dies zu vermeiden, muss die frühere Anmeldung zunächst geteilt und dann die Priorität entweder der Stamm- oder der Teilanmeldung beansprucht werden.
Busse § 40 PatG Rz. 27

Gelten tatsächlich beide Anmeldungen "2022 Prioanmeldung DE" und "2023 Nachanmeldung DE-1" als zurückgenommen, nachdem die weitere Nachanmeldung "2024 Anmeldung B" die Teilpriorität der "2023 Nachanmeldung DE-1" beansprucht? Dann wären ja die Gegenstände X, Y komplett weg und könnten nicht mehr weiterverfolgt werden?

Eine Alternative wäre:
  • 2024: Teilanmeldung C auf Y' mit Prio der 2022 Prioanmeldung DE (solange niemand die Prio beanstandet)

Danke für Meinungen oder Erfahrungswerte!
 

Fragender

GOLD - Mitglied
Hallo zusammen,

hier die folgende Konstellation zu der Frage im Betreff:
  • 2022 Prioanmeldung DE auf Gegenstände X, Y
  • 2023 Nachanmeldung DE-1 auf Gegenstände X, Y, Y'
  • 2024 Anmeldung B auf Gegenstand Y' mit Prio der Nachanmeldung DE-1.
Wie ist es dann mit der Rücknahmefiktion? Laut Busse gilt die frühere Anmeldung (hier 2023 Nachanmeldung DE-1) auch dann als zurückgenommen, wenn der Inhalt der Nachanmeldung (2024 Anmeldung B) und der früheren Anmeldung (2023 Nachanmeldung DE-1) nur teilweise übereinstimmt:

Busse/Keukenschrijver (Aufl. 8/2016, möglicherweise überholt):


Gelten tatsächlich beide Anmeldungen "2022 Prioanmeldung DE" und "2023 Nachanmeldung DE-1" als zurückgenommen, nachdem die weitere Nachanmeldung "2024 Anmeldung B" die Teilpriorität der "2023 Nachanmeldung DE-1" beansprucht? Dann wären ja die Gegenstände X, Y komplett weg und könnten nicht mehr weiterverfolgt werden?

Eine Alternative wäre:
  • 2024: Teilanmeldung C auf Y' mit Prio der 2022 Prioanmeldung DE (solange niemand die Prio beanstandet)

Danke für Meinungen oder Erfahrungswerte!

Geht das denn?

PatG 40, Abs. 1 sagt doch:
Dem Anmelder steht innerhalb einer Frist von zwölf Monaten nach dem Anmeldetag einer beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichten früheren Patent- oder Gebrauchsmusteranmeldung für die Anmeldung derselben Erfindung zum Patent ein Prioritätsrecht zu, es sei denn, daß für die frühere Anmeldung schon eine inländische oder ausländische Priorität in Anspruch genommen worden ist.
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Ja geht, da genauer betrachtet grds. nicht die "Priorität einer Voranmeldung", sondern ("derselben Erfindung") eines Gegenstands in einer Voranmeldung in Anspruch genommen wird.
Schricker: Fragen der Unionspriorität im Patentrecht -- GRUR Int 1967, 85:
Teile der Nachanmeldung, die über den Offenbarungsgehalt der Voranmeldung hinausgehen, begründen eine eigene Priorität, die sogenannte Teilpriorität, die selbst wieder als Grundlage für ein eigenes Prioritätsrecht dienen kann.

Hier begründet
  • 2023 Nachanmeldung DE-1 auf Gegenstände X, Y, Y'
...ein eigenes Prioritätsrecht auf den Gegenstand Y'.

Angeblich gilt aber die Rücknahmefiktion für die ganze Anmeldung DE-1, auch wenn Nachanmeldung B sich nur auf Gegenstand Y' richtet. Und dann wären die Gegenstände X, Y komplett weg.
 
Zuletzt bearbeitet:

patachon

GOLD - Mitglied
Hallo zusammen,

hier die folgende Konstellation zu der Frage im Betreff:
  • 2022 Prioanmeldung DE auf Gegenstände X, Y
  • 2023 Nachanmeldung DE-1 auf Gegenstände X, Y, Y'
  • 2024 Anmeldung B auf Gegenstand Y' mit Prio der Nachanmeldung DE-1.

Ich vermute, dass hier schon die Anmeldung B mit Prio der Nachanmeldung DE-1 scheitert, denn §40 PatG Satz 1 heißt ja:
"...es sei denn, daß für die frühere Anmeldung [=DE-1] schon eine inländische oder ausländische Priorität in Anspruch genommen worden ist."

Das gilt für die gesamte frühere Anmeldung, nicht nur für eine bestimmte Erfindung. In Deinem Beispiel könnte B 2024 nicht die Priorität der früheren Anmeldung DE-1 in Anspruch nehmen, weil die ja selbst schon eine inländische Priorität in Anspruch genommen wurde.
Das Problem, was dann mit der Rücknahmefiktion wäre, entsteht damit gar nicht.


Eine Alternative wäre:
  • 2024: Teilanmeldung C auf Y' mit Prio der 2022 Prioanmeldung DE (solange niemand die Prio beanstandet)
Das verstehe ich nicht - 2024 ist ja offensichtlich mehr als 12 Monate nach 2022, wie sollte die C dann die Priorität der DE aus 2022 beanspruchen? Bzw. aus was möchtest Du teilen, aus der DE-1? Dann kannst Du natürlich versuchen, so zu tun, als hättest Du die Priorität in Anspruch genommen, ist aber wertlos, weil sie faktisch für den Anspruch auf Y' ja nicht gilt. Das sollte auch dem durchschnittlichen Prüfer auffallen und erst recht jedem, der das Patent hinterher angreifen möchte.
 

patachon

GOLD - Mitglied
Ja geht, da genauer betrachtet grds. nicht die "Priorität einer Voranmeldung", sondern ("derselben Erfindung") eines Gegenstands in einer Voranmeldung in Anspruch genommen wird.


Hier begründet
  • 2023 Nachanmeldung DE-1 auf Gegenstände X, Y, Y'
...ein eigenes Prioritätsrecht auf den Gegenstand Y'.

Angeblich gilt aber die Rücknahmefiktion für die ganze Anmeldung DE-1, auch wenn Nachanmeldung B sich nur auf Gegenstand Y' richtet. Und dann wären die Gegenstände X, Y komplett weg.
Nachtrag: da geht es aber um äußere Prioritäten allgemein offenbar, und nicht um den deutschen Spezialfall der inneren Priorität, die zusätzlich eingeschränkt ist. Eigentlich gilt das Prioritätsrecht ja erst mal nur für ausländische Erstanmeldungen.
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Moment.
  • 2023 Nachanmeldung DE-1 auf Gegenstände X, Y, Y'
...ist ja die erste Anmeldung für Y'. Somit begründet diese Anmeldung ein neues Prioritätsdatum für den Gegenstand Y'.

PatG §40 sagt:
(1) Dem Anmelder steht innerhalb einer Frist von zwölf Monaten nach dem Anmeldetag einer beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichten früheren Patent- oder Gebrauchsmusteranmeldung für die Anmeldung derselben Erfindung zum Patent ein Prioritätsrecht zu, es sei denn, daß für die frühere Anmeldung [derselben Erfindung] schon eine inländische oder ausländische Priorität in Anspruch genommen worden ist.

Für "dieselbe Erfindung", nämlich für Gegenstand Y', ist aber noch keine Priorität in Anspruch genommen worden, kann also nun in Anspruch genommen werden.

Wenn dem nicht so wäre, dann wäre ja auch die oben zitierte und bis heute angewandte Lehre von Schricker falsch:
Schricker: Fragen der Unionspriorität im Patentrecht -- GRUR Int 1967, 85:
Teile der Nachanmeldung, die über den Offenbarungsgehalt der Voranmeldung hinausgehen, begründen eine eigene Priorität, die sogenannte Teilpriorität, die selbst wieder als Grundlage für ein eigenes Prioritätsrecht dienen kann.
 

patachon

GOLD - Mitglied
Moment.
  • 2023 Nachanmeldung DE-1 auf Gegenstände X, Y, Y'
...ist ja die erste Anmeldung für Y'. Somit begründet diese Anmeldung ein neues Prioritätsdatum für den Gegenstand Y'.

Für "dieselbe Erfindung", nämlich für Gegenstand Y', ist aber noch keine Priorität in Anspruch genommen worden, kann also nun in Anspruch genommen werden.

Wenn dem nicht so wäre, dann wäre ja auch die oben zitierte und bis heute angewandte Lehre von Schricker falsch:
Nach meiner Ansicht: nein. Denn Schricker spricht nicht von einer inneren Priorität, die ein Spezialfall ist.
Und der in Klammern gesetzte Teil in PatG ("derselben Erfindung") steht eben nicht da. Das scheint mir schon bewusst so zu sein.

Edit: diese Entscheidung hier könnte für Dich interessant sein. Da ging es zwar um ein Gebrauchsmuster, aber letztendlich wurde die Rücknahmefiktion für die zweite Anmeldung bestätigt und über die Frage der Kettenpriorität für die dritte Anmeldung nicht entschieden, aber zumindest mal in den Raum gestellt, dass das schon fraglich sein könnte:
"Dem Eintritt der Rücknahmefiktion nach § 6 Abs. 1 Satz 2 GebrMG i.V.m. § 40 Abs. 5 Satz 1
PatG steht nicht im Wege, dass die Inanspruchnahme der Priorität in der Nachanmeldung
möglicherweise gegen das sogenannte Verbot der Kettenpriorität verstößt."
 
Zuletzt bearbeitet:

Hans35

*** KT-HERO ***
Die entscheidende Passage auf S. 8:
Bei der Frage nach dem Vorhandensein einer Kettenpriorität geht es um eine rein materiell-rechtliche Fragestellung, die die Gebrauchsmusterstelle nicht zu beurteilen hat. In gleicher Weise wie im Zusammenhang mit der Frage, ob eine innere Priorität in materiell-rechtlicher Hinsicht zu Recht beansprucht wird, also ob und wieweit es sich bei einer Vor- und Nachanmeldung um „dieselbe Erfindung“ handelt, ist über das Vorliegen einer Kettenpriorität erst dann zu befinden, wenn und soweit es darauf ankommt.

Über die Frage der Kettenpriorität wird dann entschieden, wenn die Patentansprüche der "dritten" Ansprüche vorliegen und entschieden werden muss, ob der beanspruchte Gegenstand nur in der zweiten oder auch in der ersten Anmeldung enthalten ist. Dabei sei die jeweilige formal Beanspruchung der Priorität, ggf. incl. Wirksamkeit der Rücknahmefiktion vorausgesetzt. Ist der Gegenstand in allen drei Anmeldungen enthalten, so liegt ein Fall der Kettenpriorität vor und die Priorität ist unwirksam. Ist der Gegenstand nur in der zweiten und nicht in der ersten Anmeldung enthalten, so ist die Priorität aus der zweiten Anmeldung wirksam, und SdT im Intervall zwischen zweiter und dritter Anmeldung bleibt unberücksichtigt (oben: Fall Y'). Werden (insbes. im Prüfungsverfahren der dritten Anmeldung) geänderte Ansprüche eingereicht, so muss erneut überprüft werden, welcher Fall vorliegt. D.h. die Entscheidung über die Kettenpriorität ist "materiell", sie gilt nur für den einzelnen Gegenstand.
 
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Lysios

*** KT-HERO ***
D.h. die Entscheidung über die Kettenpriorität ist "materiell", sie gilt nur für den einzelnen Gegenstand.
Mal wieder ein typischer Hans35-Beitrag, bei dem man sich die Frage stellt, was will er uns bloß damit sagen und man völlig ratlos nach dem Lesen bleibt.

Hier geht es um die Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht im Rahmen der Gebrauchsmusteranmeldung. Deshalb steht in der Entscheidung auch:
"Die Feststellung einer Kettenpriorität wird erst im Rahmen eines Löschung- oder Verletzungsverfahrens getroffen (vgl. Busse/Brandt, PatG, 7. Aufl., § 40 Rn. 21). Sie setzt zudem das technische Wissen eines Fachmanns voraus, über das die Gebrauchsmusterstelle in aller Regel nicht verfügen dürfte."
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Ist der Gegenstand nur in der zweiten und nicht in der ersten Anmeldung enthalten, so ist die Priorität aus der zweiten Anmeldung wirksam
Das will ich doch hoffen, und alles andere wäre meines Erachtens schockierend.

Insbesondere die weiter oben teilweise vertretene Unmöglichkeit, die Priorität eines in einer Nachanmeldung erstmalig offenbarten Gegenstands (Y') für eine weitere Nachanmeldung zu beanspruchen.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Die Rücknahmefiktion wird auch in aktuellen Kommentaren so wie im Busse abgehandelt. Siehe etwa BeckOK PatR/Gleiter/Fischer, 29. Ed. 15.4.2023, PatG § 40 Rn. 17-23 mit Verweis auf BPatG 4 W (pat) 3/83:
Eine noch beim Patentamt anhängige frühere Patentanmeldung – nicht jedoch eine frühere Gebrauchsmusteranmeldung – gilt mit der Abgabe der Prioritätserklärung als zurückgenommen. Dies gilt für die gesamte frühere Patentanmeldung, auch wenn die Erfindung, für die die innere Priorität in Anspruch genommen wird, nur einen Teil der Offenbarung dieser Anmeldung umfasst (BPatG GRUR 1984, 341 – Rücknahmefiktion). Soll die Rücknahmefiktion der gesamten früheren Anmeldung vermieden werden, so muss die frühere Anmeldung vor Inanspruchnahme der Priorität entsprechend geteilt und die Priorität allein der Teil- oder der Stammanmeldung beansprucht werden.
BPatG 4 W (pat) 3/83: Die wirksame Prioritätserklärung bewirkt in jedem Fall den Verlust der Erstanmeldung. An dieser gesetzlichen Rechtsfolge ändert sich nichts, wenn die Anmelderin den Inhalt der in Rede stehenden Anmeldung nicht vollständig, sondern worauf sie zutreffend hinweist - nur zu einem geringen Teil in die Nachanmeldung übernommen hat. Auch in diesem Fall handelt es sich um dieselbe Erfindung, und die Rücknahmefiktion erfaßt nach einhelliger Meinung, der der Senat beitritt, daß gesamte frühere Anmeldung (vgl. Benkard, 7. Aufl., PatG § 40, Rdn. 17; Schulte, 3. Aufl., PatG § 40, Rdn. 28, Bossung, GRUR 1979, 661, 664 re. Sp.). Daß dies der Zweck der Vorschrift ist, ergibt sich eindeutig aus ihrem Wortlaut: Die Erstanmeldung soll bei wirksamer Inanspruchnahme ihrer Priorität stets als zurückgenommen gelten.
 
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