DPMA-Notanmeldung vs. US-Provisional

Kurt

*** KT-HERO ***
Hallo zusammen,

nochmal sicherheitshalber gefragt:

Angenommen, es wurden folgende Anmeldungen beim DPMA hinterlegt:

  • reguläre Prioanmeldung P1 am 01.01.2020 (mit Gebührenzahlung)
  • provisorische Nachanmeldung N1 am 01.10.2020 mit Inanspruchnahme der Priorität der P1 (ohne Gebührenzahlung)
  • reguläre Nachanmeldung N2 am 01.01.2021 mit Inanspruchnahme der Prioritäten der N1 und P1 (mit Gebührenzahlung)

Sollte doch so passen, oder kann da noch etwas schiefgehen?
 
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Hans35

*** KT-HERO ***
Was ist an N1 "provisorisch"?

Wenn P1, N1 und N2 von der Offenbarung her identisch sind, dann ist N1 schlicht überflüssig (und mangels Gebührenzahlung auch zurückgenommen worden). N1 offenbart dann auch keinen irgendwie gearteten Gegenstand als Erstanmeldung, d.h. auch die Inanspruchnahme der Priorität ist überflüssig, schadet aber natürlich nicht.

Wenn das nicht der Fall ist, dann kommt es darauf an, was in N2 beansprucht wird und ob das in P1 oder in N1 oder in beiden Anmeldungen oder in keiner der beiden Anmeldungen offenbart ist. Wenn du weißt, welcher dieser 4 Fälle für den gerade betrachteten Anspruch gegeben ist, dann ist auch klar, welche Priorität für ihn wirksam ist. Bei einem anderen Anspruch in N2, sei er neben- oder untergeordnet, oder sei er erst später im Prüfungsverfahren vorgelegt werden, oder mag er sogar erst im Einspruch formuliert werden, kann ein anderer dieser vier Fälle gegeben sein.

Die Priorität, die für den ursprünglich offenbarten Anspruch 1 wirksam ist, ist nicht "automatisch" auch für andere oder nachgereichte Ansprüche wirksam. Es kommt immer darauf an, ob die fragliche Prioritätsanmeldung den jeweiligen Anspruchsgegenstand tatsächlich offenbart.

Wenn also ein relevanter Stand der Technik aus dem Prioritätsintervall [P1,N2] bzw. [N1,N2] auftaucht, dann sind mit diesem Stand der Technik genau diejenigen Ansprüche (sowohl bzgl. Neuheit als auch erfinderischer Tätigkeit) angreifbar, deren Gegenstand in der betreffenden Prio-Anmeldung nicht offenbart ist; für die übrigen Ansprüche greift die Priorität.
 
Zuletzt bearbeitet:

Hans35

*** KT-HERO ***
Ergänzung:

Wenn die Priorität für die selbstständigen Ansprüche greift, so lohnt es sowohl im Prüfungsverfahren als auch im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren regelmäßig nicht, zu untersuchen, ob der Gegenstand eines Unteranspruchs tatsächlich in der Prioanmeldung offenbart ist und - falls nicht - dafür dann einen Stand der Technik aus dem Prioritätsintervall einzuführen. Denn der Schutz, den der Unteranspruch vermitteln könnte, ist ja bereits durch den zugehörigen unabhängigen Anspruch gegeben; ein Unteranspruch gibt ja nur eine Ausführungsart des Gegenstands des unabhängigen Anspruchs an und weitet diesen Schutz idR nicht aus. (Ausnahme: Wenn es den Fachmann überrascht, dass die Ausführungsart des Unteranspruchs vom Gegenstand des unabhängigen Anspruchs umfasst ist.) Wenn ein solcher Unteranspruch mittels SdT aus dem Priointervall gestrichen würde, so wäre das aus der Sicht des mit dem Patent gewährten Schutzes idR nur Förmelei. Die Prüfer kümmern sich wohl deshalb idR darum gar nicht.

Das ändert sich aber dann, wenn der betreffende unabhängige Anspruch wegfällt und der bisherige Unteranspruch selbstständig wird. In diesem Fall wird ja die Patentfähigkeit eines solchen Anspruchs regelmäßig gerade auf den im bisherigen Unteranspruch explizit aufgeführten Merkmalen beruhen, die aber in der Prioritätsanmeldung evtl. gar nicht offenbart sind.
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Was ist an N1 "provisorisch"?

Die mit der N1 hinzugefügte Offenbarung entspricht formal noch nicht ganz den Anmeldeerfordernissen. Außerdem sind noch keine Ansprüche auf diese Offenbarung gerichtet. Und es wurden keine Gebühren für die N1 gezahlt.

N1 ist also sozusagen eine provisorische Zwischenanmeldung.
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Vor allem bezüglich der Nichtzahlung von Amtsgebühren für die Zwischenanmeldung N1 würden mich natürlich noch Meinungen interessieren.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Die Nichtzahlung der Anmeldegebühr (für die N1) löst die Rücknahmefiktion aus. Ein Patent wird dann auf diese Anmeldung nicht mehr erteilt.

Hinsichtlich der Wirkung der Anmeldung N1 als Prioritätsanmeldung hat das aber keine Bedeutung. Da geht es nur darum, was in der N1 am Anmeldetag offenbart wurde; ihr "späteres Schicksal" (wozu auch der Eintritt der Rücknamefiktion zählt) spielt keine Rolle.

Bei der Offenbarung geht es darum, ob der (in der N2) beanspruchte Gegenstand nicht nur in der N2, sondern auch in der N1 mit allen seinen Merkmalen offenbart wurde. Wenn da ein Merkmal in der N1 fehlt, sei es auch im Oberbegriff oder sonst scheinbar unwichtig, dann kann der beanspruchte Gegenstand nicht mehr den Zeitrang des Anmeldetages der N1 haben. Eine nur "provisorische" Beschreibung der Erfindung in der N1 kann also den Verlust dieses Zeitrangs zur Folge haben.

Die Offenbarung muss in der N1 nicht in Form eines Anspruchs vorliegen; es kann sogar sein, dass in der N1 am Anmeldetag gar keine Ansprüche eingereicht wurden. Aber das Zusammenwirken der Merkmale muss erkennbar in N1 und N2 wirkungsgleich sein.

Wenn der (in der N2) beanspruchte Gegenstand bereits in der P1 offenbart wurde, dann hat die Offenbarung in N1 keine Bedeutung mehr. N1 ist dann für diesen Gegenstand nicht mehr "Erstanmeldung". Das gilt auch dann, wenn die Priorität aus P1 nicht wirksam in Anspruch genommen wird. Ausnahme: P1 wird zurückgenommen und es verbleiben keinerlei Rechte aus P1.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Da die Anmeldung bei Nichtzahlung (nur) als zurückgenommen gilt und nicht als nicht eingereicht, ist das für ihre potenziell prioritätsbegründende Wirkung m.E. unschädlich.



edit: Hans war schneller ;-)
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Danke für eure Antworten, die meine Einschätzung bestätigt haben. Andererseits sind die Gebühren ja "nur" zweistellig, so dass man hier ohnehin keine wesentlichen Summen spart.

Noch eine Frage hierzu: wir hören stellenweise Meinungen, provisorische Anmeldungen seien vor dem EPA "höchst problematisch", falls SdT im Prioritätsintervall auftaucht.

Man müsse die Ansprüche dann üblicherweise stark einschränken auf ein in der provisorischen Anmeldung offenbartes Ausführungsbeispiel, da breitere (abstrahierte) Ansprüche vom EPA als Zwischenverallgemeinerung zurückgewiesen würden.

Hat jemand damit Erfahrung und kann das bestätigen?

Weiterhin, spricht etwas dagegen, dass man für alle Fälle eine schnelle provisorische Anmeldung hinterlegt, und die Ansprüche dann 1 bis 2 Wochen später in Form einer prioritätsgestützten Zwischenanmeldung nachreicht?
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Die "provisorische" Anmeldung wird behandelt wie jede andere Prioanmeldung. Man kriegt die Prio nur für die Gegenstände, die darin offenbart sind. Es kommt darauf an, was drinsteht. Wenn es nur ein Ausführungsbeispiel ohne allgemeinen Wortlaut ist, dann hat man die Prio nur für dieses eine Beispiel.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Noch eine Frage hierzu: wir hören stellenweise Meinungen, provisorische Anmeldungen seien vor dem EPA "höchst problematisch", falls SdT im Prioritätsintervall auftaucht.

Man müsse die Ansprüche dann üblicherweise stark einschränken auf ein in der provisorischen Anmeldung offenbartes Ausführungsbeispiel, da breitere (abstrahierte) Ansprüche vom EPA als Zwischenverallgemeinerung zurückgewiesen würden.
Man kann nur nur beanspruchen, was in der Anmeldung offenbart ist, und das gilt auch für Zwischenverallgemeinerungen. Entsprechendes gilt für das Prioritätsrecht.

Das "Problematische" am SdT aus dem Priointervall ist, dass für jeden "Formulierungsversuch" für den Anspruch wieder neu untersucht werden muss, ob er auch in der Prioanmeldung offenbart ist, weil ja die Prioanmeldung nur "provisorisch" ist und daher da die Hälfte nicht drinsteht. Das kann schon mal dazu führen, dass der Anspruch angesichts des SdT aus dem Priointervall viel enger werden muss, als er sein könnte, wenn die "provisorische" Anmeldung ausführlicher wäre.

Mit einer Zwischenverallgemeinerung als solcher hat das nichts zu tun. Oder etwas genauer: Wenn die Anmeldung eine Zwischenverallgemeinerung offenbart, aber die Prioanmeldung nicht, dann ist der Anspruch, der auf sie gerichtet ist, vom SdT aus dem Priointervall ggf. getroffen.
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Hierzu noch ein Gedanke.

Könnte man beim DPMA im Prioritätsjahr mehrere provisorische Patentanmeldungen (ohne Gebührenzahlung) einreichen, wobei die jeweils spätere Anmeldung die Priorität der früheren Anmeldung(en) in Anspruch nimmt?

Und dann am Ende des Prioritätsjahres die reguläre Anmeldung (mit Gebührenzahlung), die die Priorität der mehreren provisorischen Patentanmeldungen in Anspruch nimmt.

Ich sehe auf den ersten Blick nichts, was dagegen sprechen oder das Vorgehen vereiteln könnte?
 

Hans35

*** KT-HERO ***
In der Tat, das kann man. Die Frage ist nur, was das bringt.

Wenn es keinen SdT aus dem Priointervall gibt, dann ist das hinsichtlich des Beanspruchbaren nur Makulatur.
Wenn ein solcher SdT im Prüfungsverfahren auftaucht, muss man sich auf das in der Prioanmeldung Offenbarte beschränken. Das wäre nicht notwendig, wenn die erste Anmeldung gleich alles Wichtige (also: was in die Ansprüche kommen soll) bereits enthält.
Wenn solcher SdT aber erst im Einspruch oder gar in der Nichtigkeit auftaucht, dann kann es Probleme geben, wenn die Patentansprüche auf das Offenbarte zurechtgestutzt werden müssen, ohne dass dadurch der Schutzbereich erweitert wird.

Was es aber in jedem Fall bringt: Ein Jahr Laufzeit des Patents. Denn dessen 20 Jahre beginnen erst mit der Nachanmeldung. Wenn es darauf ankommen kann (z.B. bei Arzneimitteln), dann würde ich dieses Jahr keinesfalls verschenken, zumal auch die Jahresgebühren nur ab dem AT der Nachanmeldung berechnet werden.

Aber eine identischer Offenbarung in Prio- und Nachanmeldung (beide beim DPMA) ist immer von Vorteil; alles andere würde ich für "nicht professionell" halten (d.h. dass die Prio-Anmeldung ohne anwaltliche Hilfe gebastelt wurde), oder die Erfindung war am Priotag noch nicht wirklich "fertig".
 
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kronion

GOLD - Mitglied
Könnte man beim DPMA im Prioritätsjahr mehrere provisorische Patentanmeldungen (ohne Gebührenzahlung) einreichen, wobei die jeweils spätere Anmeldung die Priorität der früheren Anmeldung(en) in Anspruch nimmt?

Und dann am Ende des Prioritätsjahres die reguläre Anmeldung (mit Gebührenzahlung), die die Priorität der mehreren provisorischen Patentanmeldungen in Anspruch nimmt.
Das kann sinnvoll sein, wenn man sieht, dass sich die Ideen in der Entwicklungsphase stufenweise herausbilden. Dann kann mann für jede Stufe den optimalen Zeitrang sicherstellen - vor allem wenn man davon ausgeht, dass Mitbewerber parallel an der gleichen Sache arbeiten, sodass täglich relevante Veröffentlichungen und/oder fremde Anmeldungen drohen. Andererseits ist ein Jahr in vielen Fällen eine relativ kurze Zeit, in der nicht viele erfinderische Sprünge passieren.

In jedem Fall sollte man bei der Ausarbeitung der aufeinander aufbauenden Prioanmeldungen und bei der Nachanmeldung aufpassen, dass man die Gegenstände der verschiedenen Zeitränge sauber und übersichtlich voneinander trennen kann.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Das kann sinnvoll sein, wenn man sieht, dass sich die Ideen in der Entwicklungsphase stufenweise herausbilden. Dann kann man für jede Stufe den optimalen Zeitrang sicherstellen ...
Na ja, da (beim DPMA) die jeweiligen "inneren" Prioanmeldungen als zurückgenommen gelten, bleibt am Schluss nur ein Konglomerat, das erst durch Teilungen irgendwie wieder aufgetrennt werden muss, wenn die getrennte Behandlung der Teile mit unterschiedlichem Zeitrang sinnvoll ist. Da ist es wohl eher zu bevorzugen, jede "Entwicklungsphase" ohne die Prio anzumelden und darin jeweils genau das zu beanspruchen, was über die älteren Anmeldungen hinausgeht, zumal die jeweils älteren Anmeldungen ja alle ohnehin nicht vorveröffentlicht werden.
 
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