Mit seinem Urteil vom 8. Januar 2019, Az. X ZR 58/17, festigt der Bundesgerichtshof (BGH) seine bisherige Rechtsprechung zu den Erfordernissen einer deutlichen und vollständigen Offenbarung einer Erfindung. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass alle denkbaren, unter den Wortlaut des Patentanspruchs fallenden Ausgestaltungen mit Hilfe der im Patent offenbarten Informationen ausgeführt werden können. Vielmehr genügt es regelmäßig, wenn zumindest ein nacharbeitbarer Weg zur Ausführung der Erfindung offenbart ist.
1. Sachverhalt
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Gegenstand des Streitpatents ist eine Anlage zum Trocknen von partikelförmigen Materialien an sich bekannter Bauart, bei der das Trocknen in überhitztem Dampf in einem geschlossenen Behälter erfolgt, in dessen oberem Teil ein Staubabscheidungszyklon angeordnet ist.
Mit der beanspruchten Anlage soll gemäß Streitpatent ein Nachteil des bekannten Anlagentyps beseitigt werden, nämlich dass der Dampfstrom und damit die Trocknungsleistung nicht erhöht werden kann, ohne dass gleichzeitig eine unerwünscht große Menge partikelförmigen Materials mit dem Dampf in den Staubabscheidungszyklon mitgerissen wird.
Konkret definiert das Streitpatent die Aufgabe der Erfindung, als die Bereitstellung einer Anlage, die eine größere Trocknungsleistung als die bekannten Anlagentypen aufweist, ohne dass dadurch die Kosten der Anlage steigen und ohne dass das fertige Produkt eine Qualitätsminderung erfährt.
Zur Lösung der Aufgabe sieht das Streitpatent vor, dass der Dampf nicht oder nur in einem geringen Maße in den unteren Bereich des Staubabscheidungszyklons geleitet wird, wie dies bei den bekannten Anlagen praktiziert wurde, sondern dass mindestens die Hälfte des Dampfs durch entsprechende Öffnungen in den oberen Teil des Zyklons geleitet wird.
Patentanspruch 1 schlägt hierfür eine Anlage zum Trocknen von partikelförmigem Material in überhitztem Dampf vor, die insbesondere einen Staubabscheidungszyklon (8) zum Aufnehmen von Dampf und Staub und zum Abscheiden des Staubs vom Dampf umfasst, der unter anderem dadurch gekennzeichnet ist, dass
5.1 der Staubabscheidungszyklon (8) Öffnungen (14) in dessen oberem Teil zum Aufnehmen von mindestens der Hälfte des Dampfes und Staubs von diesen aufweist,
und
5.2 dass der restliche Dampf und Staub, sofern vorhanden, dem Zyklon (8) von unten zugeführt wird.
Die Klägerin hat gegen das Streitpatent Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht (BPatG) eingereicht und unter anderem den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Ausführbarkeit gegen das Streitpatent geltend gemacht, insbesondere bezüglich der vorgenannten Merkmalsgruppe 5. Die Klägerin argumentierte dabei, die Anweisung, dem Staubabscheidungszyklon mindestens die Hälfte des Dampfs und Staubs durch die Öffnungen (14) in seinem oberen Teil und den Rest von unten zuzuführen, sei nicht ausführbar, da es eine technische Unmöglichkeit sei, gezielt x % an Dampf und Staub den Öffnungen (14) in seinem oberen Teil und (100 – x) % an Dampf und Staub von unten zuzuführen.
2. Entscheidung des BPatG
Das BPatG wies die Nichtigkeitsklage als unbegründet ab und bejahte insbesondere, dass die Erfindung ausführbar offenbart sei. In seiner Begründung verwies das BPatG hierbei auch auf das im Streitpatent beschriebene Ausführungsbeispiel, wonach der gesamte Dampf und Staub durch Öffnungen im oberen Teil zugeführt wird.
3. Entscheidung des BGH
Auf die Berufung der Klägerin hat der BGH die Entscheidung des BPatG bestätigt und die Berufung zurückgewiesen.
Das Ausführungsbeispiel des Streitpatents zeige, wie ein Verdampfungstrockner gemäß den Anspruchsmerkmalen zu konstruieren sei. Dieses Beispiel entspreche auch den Merkmalen 5.1 und 5.2, indem der staubhaltige Dampf ausschließlich durch die im oberen Teil des Staubabscheidungszyklons angeordneten Öffnungen zugeführt wird. Die Variante gemäß Merkmal 5.2, einen Teil des staubhaltigen Dampfs dem Staubabscheidungszyklon von unten zuzuführen, beschreibe insoweit keine andere Lehre. Der Feststellung des BPatG, dass sich dies aus dem Einschub „sofern vorhanden“ in Merkmal 5.2 ergebe, schloss sich der BGH ausdrücklich an. Zur Ausführung der Lehre dieses Anspruchs genüge es deshalb, mit dem Ausführungsbeispiel des Streitpatents einen Gegenstand aufzuzeigen, in dem der staubhaltige Dampf ausschließlich von oben zugeführt wird.
Anmerkungen
Die vorliegende Entscheidung bestätigt den vom BGH zuvor für eine ausführbare Offenbarung definierten Grundsatz, wonach der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage sein muss, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift einschließlich der Beschreibung und der Zeichnungen in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird. Hierfür ist es allerdings nicht erforderlich, dass alle denkbaren, unter den Wortlaut des Patentanspruchs fallenden Ausgestaltungen mit Hilfe der im Patent offenbarten Informationen ausgeführt werden können.
Die Anwendung der Ausführbarkeitsbestimmungen durch das Europäische Patentamt (EPA) ist hier strenger. Zwar reicht es auch in der Praxis des EPA regelmäßig aus, einen Weg zu offenbaren, auf dem der Fachmann die Erfindung ausführen kann. Allerdings gilt dies nur, wenn sich die Erfindung damit im gesamten beanspruchten Bereich ausführen lässt. Vorliegend wäre es also durchaus denkbar gewesen, dass das EPA bei der mit Merkmal 5.1. beanspruchten Verteilung des Dampfes und Staubs im oberen Teil von 50:50 % bis 100:0 %, das Aufzeigen lediglich eines ausführbaren Wegs der beanspruchten Erfindung mit dem Grenzwert 100:0 % als nicht ausreichend erachtet hätte. Dies jedenfalls dann, wenn der Fachmann hiervon ausgehend nicht ohne unzumutbaren Aufwand auch den Bereich bis hin zu einer Verteilung 50:50 % hätte verwirklichen können.