EPÜ Grenzen Modifikation CPA

newpatent

*** KT-HERO ***
Existiert ein Grenze bis zur der eine Änderung des nächstliegenden Standes der Technik (CPA) noch vertretbar ist?

Beispiel:​
Zu prüfende Anmeldung: Auto mit einer speziellen Bremse 2.

CPA(D01): Auto mit einer speziellen Bremse 1.

Das besondere ist die spezielle Bremse 1 und begründet ebenso die erfinderische Tätigkeit im CPA.
Da die spezielle Bremse 1 das besondere ist, wird auch keine Alternative vorgeschlagen oder der Ersatz durch eine andere Bremse gelehrt.


Sekundäres Dokument (D02): LKW mit speziellen Bremse 2.

Würde ein Fachmann die spezielle Bremse 1 aus der D01 (CPA) durch die spezielle Bremse 2 aus der D02 ersetzen, umso zum Anspruchsgegenstand der zu prüfenden Anmeldung zu gelangen?
 
Zuletzt bearbeitet:

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Ohne D01 und D02 (und insbesondere die konkrete Ausgestaltung der beiden "speziellen Bremsen") zu kennen, kann man diese Frage m.E. nicht beantworten.



Aber ganz generell: vielleicht ist hier ja auch D02 der bessere Ausgangspunkt ... schon deswegen, weil ein "LKW mit spezieller Bremse 2" auf den ersten Blick neuheitsschädlich für "Auto mit spezieller Bremse 2" ist ;-)
 

newpatent

*** KT-HERO ***
Hallo Pat-ente,

wahrscheinlich wäre folgende Formulierung des Beispiels besser:

Existiert ein Grenze bis zur der eine Änderung des nächstliegenden Standes der Technik (CPA) noch vertretbar ist?

Beispiel:
Zu prüfende Anmeldung: PKW mit einer speziellen Bremse 2.

CPA(D01): PKW mit einer speziellen Bremse 1.

Das besondere ist die spezielle Bremse 1 und begründet ebenso die erfinderische Tätigkeit im CPA.
Da die spezielle Bremse 1 das besondere ist, wird auch keine Alternative vorgeschlagen oder der Ersatz durch eine andere Bremse gelehrt.


Sekundäres Dokument (D02): LKW mit speziellen Bremse 2.

Zudem:
Spezielle Bremse 2 = Zugbremse
Spezielle Bremse 1 = Scheibenbremse
 

Fip

*** KT-HERO ***
Bei dieser CPA Diskussion kriege ich immer die Krise. Mir ist natürlich bewusst, dass das EPA, insbesondere die Prüfungsabteilungen, diese CPA Diskussion immer führen will (und noch schlimmer: in der EQE krampfhaft vorgibt und verlangt). Aber unter dem Strich gibt es nicht den einen nächstliegenden Stand der Technik. Eine Erfindung darf ausgehend von keinem Stand der Technik nahegelegen haben, ganz egal, ob das jetzt nach EPA Definition der CPA ist oder nicht. So sehen es im Übrigen auch die Beschwerdekammern des EPA, der BGH sowieso (siehe z.B. Xa ZR 138/05 - Fischbissanzeiger).


Und ob sich ein Stand der Technik als Ausgangspunkt für die Überlegungen des Fachmanns eignet oder nicht, kann meines Erachtens nicht anhand von Pauschalüberlegungen entschieden werden, sondern muss für jedes Dokument unter Berücksichtigung der zu Grunde zu legenden fachmännischen Handelns beurteilt werden.


Was genau sollte denn einer "Änderung des nächstliegenden Standes der Technik (CPA)" entgegenstehen können bzw. was soll die "Grenze" für einen "Wechsel" überhaupt bilden können? Ich verstehe die Frage ehrlich gesagt nicht so recht.
 

newpatent

*** KT-HERO ***
Bei dieser CPA Diskussion kriege ich immer die Krise. Mir ist natürlich bewusst, dass das EPA, insbesondere die Prüfungsabteilungen, diese CPA Diskussion immer führen will (und noch schlimmer: in der EQE krampfhaft vorgibt und verlangt). Aber unter dem Strich gibt es nicht den einen nächstliegenden Stand der Technik. Eine Erfindung darf ausgehend von keinem Stand der Technik nahegelegen haben, ganz egal, ob das jetzt nach EPA Definition der CPA ist oder nicht. So sehen es im Übrigen auch die Beschwerdekammern des EPA, der BGH sowieso (siehe z.B. Xa ZR 138/05 - Fischbissanzeiger).

In neueren Entscheidungen der Beschwerdekammern des EPA wird deine Ansicht auch immer häufiger bestätigt.

Und ob sich ein Stand der Technik als Ausgangspunkt für die Überlegungen des Fachmanns eignet oder nicht, kann meines Erachtens nicht anhand von Pauschalüberlegungen entschieden werden, sondern muss für jedes Dokument unter Berücksichtigung der zu Grunde zu legenden fachmännischen Handelns beurteilt werden.

Selbstverständlich kann es keine absolute Pauschalüberlegungen für jeden Fall geben. Allerdings stellt sich doch die Frage, ob ein im Stand der Technik vorgegebenes erfindungswesentliches Merkmal ohne Hinweis in einem Dokument überhaupt variiert werden wird.

Im vorliegenden Fall von Zugbremse zur Scheibenbremse.

Sofern die Erfindung eine Weiterentwicklung der Scheibenbremse wäre, käme der SdT selbstverständlich als sinnvoller Ausgangspunkt in Frage.

Es stellt sich hier nicht die Frage, was der nächstliegende Stand der Technik ist, sondern ob man von einem gewählten nächstliegenden Stand der Technik überhaupt zur Erfindung gelangen kann.

Was genau sollte denn einer "Änderung des nächstliegenden Standes der Technik (CPA)" entgegenstehen können bzw. was soll die "Grenze" für einen "Wechsel" überhaupt bilden können? Ich verstehe die Frage ehrlich gesagt nicht so recht.

Bspw. wie oben formuliert.

(1) ein im Stand der Technik vorgegebenes erfindungswesentliches Merkmal

(2) Kann von einem nächstliegenden SdT, welches lehrt, dass eine Scheibenbremse aus bestimmten Gründen nicht geeignet ist, wieder eine Scheibenbremse anstelle einer Zugbremse genutzt werden?

(3) nSdT benötigt weitere Modifikation
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Für eine Argumentation zur erfinderischen Tätigkeit benötigt man drei "Elemente":

(1) Ein Dokument als Ausgangspunkt, das idR die meisten Übereinstimmungen mit dem Anspruchsgegenstand hat,

(2) Ein zweites Dokument, das die "fehlenden" Merkmale zeigt, und

(3) Hinweise in mindestens einem der beiden Dokumente, die den Fachmann veranlassen, sie miteinander zu "kombinieren". Diese Hinweise können ganz unterschiedlich sein, da sollte man viel Rechtsprechung lesen, um ein sicheres Gefühl zu bekommen.
 

newpatent

*** KT-HERO ***
Hallo Hans35,

die Aussagen finden sich auch in den Richtlinien und sind doch eher abstrakt.
So stimmen die Aspekte auch nur bedingt, so wie bspw. Punkt (3): Es liegen Fälle vor, für die kein Hinweis vorliegen muss.

Da der Ausgangspunkt frei wählbar ist, kommen Situationen zustande, wodurch ausgehend vom gewählten Primärdokument, es überhaupt nicht möglich ist, um zur prüfenden Erfindung zu gelangen?
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Da der Ausgangspunkt frei wählbar ist, kommen Situationen zustande, wodurch ausgehend vom gewählten Primärdokument, es überhaupt nicht möglich ist, um zur prüfenden Erfindung zu gelangen?
In der Tat. Dann muss der Prüfer/Einsprechende weiter recherchieren und es mit zwei anderen Dokumenten aus dem SdT versuchen. Entweder hat er irgendwann Erfolg, oder er gibt sein Ansinnen auf und erkennt die erfinderische Tätigkeit an.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Ich glaube, wenn man den CPA Ansatz des EPAs verstehen und einordnen will, muss man sich erstmal vor Augen führen, warum es diesen überhaupt gibt.

Im Gesetz steht: Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Daraus folgt streng genommen, dass es, um eine Patentanmeldung zurückzuweisen, eines Beweises bedarf, anhand dessen dargelegt wird, dass eine bestimmte Bedingung (das Naheliegen) nicht vorliegt. Theoretisch müsste man nun ausgehend von jedem einzelnen Dokument des Standes der Technik das Nicht-Naheliegen nachweisen. Erst dann hätte ich streng genommen den Voll-Beweis des Nicht-Naheliegens erbracht, weil ja - zumindest theoretisch - jeder Stand der Technik eine Erfindung nahelegen könnte.

Da dieser Voll-Beweis aber praktisch nicht möglich ist, hat man mit dem Problem-Solution-Approach und dem darin enthaltenen CPA-Ansatz einen Ansatz entwickelt, der sich im Grunde einer Beweiserleichterung unter Zuhilfenahme eines Anscheinsbeweises bedient:

Wenn die Erfindung schon von einem sehr nahekommenden Stand der Technik aus nicht nahegelegen hat, dann wird sie erst recht nicht von einem entfernter liegenden Stand der Technik aus nahegelegen haben. Mit anderen Worten: Wenn es mir schon nicht gelingt, aus einem Meter Entfernung ins Ziel zu springen, dann wird es mir aus zwei Meter Entfernung erst recht nicht gelingen.

Deswegen ist der CPA Ansatz durchaus gerechtfertigt, man muss nur akzeptieren, dass man sich dabei nicht stur auf ein einziges Dokument festlegen darf, sondern alle realistisch in Frage kommenden Ausgangspunkte in Erwägung ziehen muss, bevor man berechtigt davon ausgehen kann, dass der Beweis des Nicht-Naheliegens der Erfindung erbracht ist.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Im Gesetz steht: Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Daraus folgt streng genommen, dass es, um eine Patentanmeldung zurückzuweisen (?), eines Beweises bedarf, anhand dessen dargelegt wird, dass eine bestimmte Bedingung (das Naheliegen) nicht vorliegt. Theoretisch müsste man nun ausgehend von jedem einzelnen Dokument des Standes der Technik das Nicht-Naheliegen nachweisen. ...
Ich fürchte, da ist etwas verknotet. Dass die fragliche Bedingung (das Naheliegen) nicht vorliegt, ist doch die Bedingung für die Erteilung, nicht für die Zurückweisung.

Mit der Fiktion "gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend" wird dem Prüfer bzw. dem Einsprechenden die Beweislast auferlegt: Das Patent muss erteilt werden (bzw. hat Bestand), wenn der Nachweis des Naheliegens nicht gelingt (und auch sonst nichts entgegensteht). Dabei genügt allerdings ein einziger Fall des Naheliegens zur Verneinung der erfinderischen Tätigkeit.

Die Alternative wäre, dem Anmelder/Patentinhaber aufzubürden nachzuweisen, dass jeglicher SdT den Erfindungsgegenstand nicht nahelegt (oben als "Vollbeweis" bezeichnet). Das wäre tatsächlich unmöglich zu erfüllen.

Der CPA-Ansatz erleichtert deshalb nicht einen solchen "Vollbeweis" des Patentinhabers, sondern erschwert den tatsächlich zu führenden Beweis des Prüfers/Einsprechenden, indem ergänzende Bedingungen, erfüllt werden sollen (nämlich für die Auswahl des dabei in Betracht gezogenen Stands der Technik).

Also: Wenn es mir schon nicht gelingt, aus einem Meter Entfernung ins Ziel zu springen, dann soll/darf ich es aus zwei Meter Entfernung gar nicht erst versuchen (oder bekomme dabei ein Bein gestellt).
 

newpatent

*** KT-HERO ***
Leider ist die Diskussion etwas abgedriftet.

Es geht wirklich nicht um die Festlegung des CPA, sondern die Modifikationsgrenzen eines primären Dokuments.

Beispielsweise in C-2018:

Zu prüfendes Patent: Anspruch 2 enthält unter anderem einzelne steuerbare Räder

Angenommenes Primäres Dokument A03: Schienen

Kann man ausgehend vom primären Dokument A03 bezogen auf Schienen überhaupt zu einer Vorrichtung mit einzelnen steuerbaren Rädern gelangen?

Diese Frage ist analog zur Ausgangsfrage in diesem Thread. Also wie sähe die Antwort auf die Ursprungsfrage aus?
 

Fip

*** KT-HERO ***
Ich fürchte, da ist etwas verknotet.

Nein, da ist gar nichts "verknotet" ... Art. 52 EPÜ setzt erfrinderische Tätigkeit voraus. Nach Art. 56 EPÜ kann diese angenommen werden bzw. wird diese gesetzlich fingiert, wenn der Stand der Technik die Erfindung nicht nahelegt.

Wenn ich ein Dokument des Standes der Technik nehme, und von diesem SdT ausgehend liegt die Erfindung nicht nahe, dann habe ich noch lange nicht nachgewiesen, dass die Erfindung auf erfinderischen Tätigkeit beruht, weil es ja noch zig-Millionen andere Dokumente des Standes der Technik gibt.

Dabei genügt allerdings ein einziger Fall des Naheliegens zur Verneinung der erfinderischen Tätigkeit.

Genau so ist es. Aber es genügt eben nicht ein einziger Fall des Nicht-Naheliegens, um die erfinderische Tätigkeit bejahen zu können. Und darum geht es, wenn eine Erteilung gerechtfertigt sein will.

Also: Wenn es mir schon nicht gelingt, aus einem Meter Entfernung ins Ziel zu springen, dann soll/darf ich es aus zwei Meter Entfernung gar nicht erst versuchen (oder bekomme dabei ein Bein gestellt).

Nein. Eigentlich müsste ich es aus zwei, drei, vier, fünf ... Metern auch versuchen (wer weiß, was das Ergebnis ist), aber das es außerordentlich unwahrscheinlich ist, dass ich es zwei Metern schaffe, wenn es mir schon nicht aus einem Meter gelingt, sagt der PSA/CPA Ansatz, dass ich keine nicht-erfolgversprechenden Versuche vornehmen muss.

Man darf nie vergessen: Der PSA/CPA hat keine Grundlage im Gesetz (siehe BGH Rechtsprechung). Es ist ein Modell, mit dem man versucht, die gesetzliche Fiktion des Art. 56 EPÜ eine belastbare Grundlage zu stellen.

Aber newpatent hat recht, die Diskussion driftet ab.
 
Zuletzt bearbeitet:

Hans35

*** KT-HERO ***
Wenn ich ein Dokument des Standes der Technik nehme, und von diesem SdT ausgehend liegt die Erfindung nicht nahe, dann habe ich noch lange nicht nachgewiesen, dass die Erfindung auf erfinderischen Tätigkeit beruht, weil es ja noch zig-Millionen andere Dokumente des Standes der Technik gibt.
Zum Glück muss das kein Anmelder bzw. Patentinhaber. Für ihn streitet die gesetzliche Vermutung ("... gilt als ..."), und das genügt vollständig.

.... es genügt eben nicht ein einziger Fall des Nicht-Naheliegens, um die erfinderische Tätigkeit bejahen zu können.
In den Fällen, die ich kenne, hat noch kein Prüfer das Vorliegen der erfinderische Tätigkeit mit irgendwelchen Einzelfällen des Nichtnaheliegens begründet. Mit dem gleichwohl zitierten SdT begründet er nur, dass er das Nahelegen mit eben diesen Dokumenten vergeblich versucht hat, dass also die Erteilung nicht auf seinem mangelhaften Zeitmanagement o.ä. beruht.

Wenn der Prüfer keinen patenthindernder Stand der Technik gefunden hat, dann muss er entweder weiter recherchieren oder erteilen, und fertig. Entsprechend gewinnt der Patentinhaber das Einspruchsverfahren, wenn der Einsprechende nichts Patenthinderndes vorbringen kann.

Historisch war es meines Wissens so:

Im DPMA war es (irgendwann im vorigen Jahrhundent) viele Jahre lang üblich, zum SdT einfach nur "nichts ermittelt" anzugeben, wenn erteilt wurde (siehe die PSen aus dieser Zeit). Dann merkte man, dass dies einige Prüfer ausnutzten, indem sie gar nicht erst recherchierten, wenn sie glaubten nichts zu finden. Seit einem bestimmten Zeitpunkt musste dort dann in jeder Patentschrift mindesten ein Dokument zum SdT genannt werden, was letztlich nur ein (wohl recht untauglicher) "Tätigkeitsnachweis" für die Prüfer war; der geneigte Anwalt nannte ein solches Dokument bereits in den Unterlagen vom Anmeldetag.

Mit der Einrichtung des EPA wurde es diesbezüglich noch strenger für die Prüfer, indem man im EPA Recherche und Prüfung durch unterschiedliche Personen durchführen ließ. Der erste Bescheid musste dann zu den aufgefundenen Dokumenten Stellung nehmen, und eines dieser Dokumente sollte/musste auch im Fall einer Erteilung als "nächstkommend" (CPA) bezeichnet werden. Um die Rolle dieses CPA ist eine Menge (in meinen Augen: zumindest im Fall der Erteilung oft überflüssiges) Schrifttum entstanden, das sich insbes. der BGH nie zu eigen gemacht hat.

Der Grundsatz, dass die Erteilung nicht verweigert werden kann, wenn nichts aktenkundig ist, was der Patentfähigkeit entgegensteht, ist aber immer derselbe geblieben. Ein Erteilungsbeschluss bedarf nach wie vor keiner Begründung.


In meinen Augen ist das Nennen von Stand der Technik im Prüfungsverfahren, der nicht zumindest zu einer Änderung der Ansprüche führt, reine Willkür. Der Prüfer hat dabei in aller Regel die Auswirkungen für ein Verletzungsverfahren nicht im Blick.
 
Zuletzt bearbeitet:
Oben