Ganz normaler Wahnsinn?

grond

*** KT-HERO ***
Mir waren bislang keine Mindermeinungen hierzu bekannt :)

:)

Ich habe ein unangenehmes Talent für Mindermeinungen...

Die Systematik habe ich durchaus verstanden. Ich habe nur einen Hebel über die Frage vorgeschlagen, ob der deutsche Gesetzgeber dem Beklagten weniger Schutz gewährt, als es das EU-Recht eigentlich will.

Ganz allgemein gibt es aber wohl nicht wenig Kritik am Prinzip des fliegenden Gerichtsstandes. Der Wettbewerb zwischen den verschiedenen deutschen Verletzungsgerichten sähe sicherlich anders aus, wenn es den fliegenden Gerichtsstand nur nachrangig nach der örtlichen Zuständigkeit über den Sitz von Beklagtem und Kläger gäbe.
 

Rex

*** KT-HERO ***
Man schaue sich die letzte Seite 44 des Antrags von Apple an. Dort wird die Internationale Zuständigkeit nicht mehr korrekt anhand der GGV ermittelt. Damit wird aber übersehen, dass nur Art. 82 Abs. 5 GGV für die Samsung Mutter anwendbar ist, da die Verletzungshandlung in Deutschland drohte.

Ich bin erst jetzt dazu kommen, diesen Thread zu lesen.

Ich verstehe aber nicht, wieso die Zuständigkeit nicht korrekt anhand der GGV ermittelt wurde. Die Muttergesellschaft hat eine Niederlassung in Deutschland, also müsste doch Art. 82(1) GGV anwendbar sein.
 

Rex

*** KT-HERO ***
Eine Tochtergesellschaft ist keine Niederlassung, sondern eine eigene juristische Person, weshalb sie ja auch eine der beiden Beklagten darstellt.


In meinem Kommentar steht zu Art. 82(1) folgende Definition des EuGH:

... ist mit dem Begriff der Zweigniederlassung, der Agentur oder der sonstigen Niederlassung ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit gemeint, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese, obgleich sie wissen, dass möglicherweise ein Rechtsverhältnis mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus begründet wird, sich nicht unmittelbar an dieses zu wenden brauchen, sondern Geschäfte an dem Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit abschließen können, der dessen Außenstelle ist.


Ich denke, das ist auslegungsfähig und eine bestimmte Rechtsform sagt allein nichts über die Anwendbarkeit des 82(1) aus.
 

grond

*** KT-HERO ***
obgleich sie wissen, dass möglicherweise ein Rechtsverhältnis mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus begründet wird

Wenn ich mit Samsung Deutschland GmbH einen Vertrag schließe, kommt kein Rechtsverhältnis mit Samsung Korea zustande. Das "möglicherweise" soll nach meinem Verständnis lediglich Raum für Rechtsverhältnisse anderer Natur (z.B. diverse "außerplanmäßige" Schuldverhältnisse wie z.B. Haftung des nichtbevollmächtigten Vertreters usw.) lassen.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Die Muttergesellschaft hat eine Niederlassung in Deutschland, also müsste doch Art. 82(1) GGV anwendbar sein.

Ich habe gerade selbst nachgeschaut in DufaIndex und Creditreform: Danach gibt es keine Niederlassung in Deutschland. Einen kostenpflichtigen Rechercheauftrag habe ich aber nicht in Auftrag gegeben, um eine Niederlassung zu ermitteln.

Einen solchen dicken Fehler der Kanzlei von Apple kann ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass die extra die EuGVVO bemühen, nur um einen Gerichtsstand zu fingieren, wenn es eine Niederlassung in Deutschland gäbe.
 

union

*** KT-HERO ***
Der Wahnsinn geht weiter.

Schaut mal diese Mitteilung der EU Kommission:
http://europa.eu/rapid/press-release_IP-12-1448_en.htm

Darin:
"Samsung's seeking of injunctions against Apple in various Member States on the basis of its mobile phone standard-essential patents ("SEPs") amounts to an abuse of a dominant position prohibited by EU antitrust rules"

Heißt das, dass man bei Standard-essentiellen Patenten in Zukunft keinen Unterlassungsanspruch mehr geltend machen darf?

Weiter heißt es in der Mitteilung "in this case Apple, has shown itself to be willing to negotiate a FRAND licence for the SEPs"... ja aber was ist dann mit BGH "Orange Book"?

Seltsam.... Stimmt hier noch die Gewaltenteilung?
 

Dr. Ohne

BRONZE - Mitglied
"Samsung's seeking of injunctions against Apple in various Member States on the basis of its mobile phone standard-essential patents ("SEPs") amounts to an abuse of a dominant position prohibited by EU antitrust rules"

Heißt das, dass man bei Standard-essentiellen Patenten in Zukunft keinen Unterlassungsanspruch mehr geltend machen darf?

Nein. Das heißt, dass in diesem speziellen Fall Samsungs Verhalten angeblich ein Verstoss gegen EU-Kartellrecht war.

Wir befinden uns hier halt in einem Spannungsfeld...
 

jopatent

SILBER - Mitglied
Interessant. Habe mich gerade erstmals mit FRAND auseinandergesetzt (http://de.wikipedia.org/wiki/FRAND).

Mir scheint im vorliegenden Fall wichtig zu sein, dass Samsung eine Lizenzbereitschaftserklärung im Sinne von FRAND abgegeben hat:

" ... The Samsung SEPs in question relate to the European Telecommunications Standardisation Institute's (ETSI) 3G UMTS standard, a key industry standard for mobile and wireless communications. When this standard was adopted in Europe, Samsung gave a commitment that it would license the patents which it had declared essential to the standard on FRAND terms. ..."


Dies ist wohl auch der Grund, weshalb man nicht gegen Apple vorgehen darf. Apple bemüht sich schließlich um eine Lizenz:

" ... Apple has shown itself to be willing to negotiate a FRAND licence for the SEPs ..."


Also alles im grünen Bereich ?

Jo
 

grond

*** KT-HERO ***
Nein. Das heißt, dass in diesem speziellen Fall Samsungs Verhalten angeblich ein Verstoss gegen EU-Kartellrecht war.

Wir befinden uns hier halt in einem Spannungsfeld...

Wo mag da aber wohl die Abgrenzung sein? Die FRAND-Theorie besagt ja, dass der Patentinhaber eine Lizenz gegen eine faire Gegenleistung erteilen muss, wenn die Einhaltung eines technischen Standards die Benutzung des Patentgegenstandes zwingend erfordert. Orange Book sagt, dass sich der Verletzer nur dann auf diese (nicht eingehaltene) Verpflichtung des Patentinhabers berufen kann, wenn der Verletzer auch die faire Gegenleistung für die Benutzung tatsächlich erbringt, obwohl der Patentinhaber die Lizenz gar nicht erteilt hat. Apple hat aber offenbar Samsung gegenüber weder Rechnung gelegt, noch einen (nach eigenem Gutdünken festgesetzten, hoffentlich fairen) Lizenzsatz gezahlt. Es liegt also genau der Fall vor, zu dem der BGH gesagt hat, dass der Verletzer sich eben nicht auf die FRAND-Geschichte berufen kann. Auch bei FRAND sind ja gerade kartellrechtliche Erwägungen die Grundlage. Nun aber soll alles aus kartellrechtlichen Gründen ganz anders sein? Das klingt schon überaus merkwürdig.
 

Dr. Ohne

BRONZE - Mitglied
Es liegt also genau der Fall vor, zu dem der BGH gesagt hat, dass der Verletzer sich eben nicht auf die FRAND-Geschichte berufen kann. Auch bei FRAND sind ja gerade kartellrechtliche Erwägungen die Grundlage. Nun aber soll alles aus kartellrechtlichen Gründen ganz anders sein? Das klingt schon überaus merkwürdig.

Tja, da ist die Europäische Kommission wohl mit dem Patentrecht im Allgemeinen und den Feinheiten der BGH-Rechtsprechung im Speziellen nicht so vertraut, wie man sich das vielleicht wünschen würde...
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Es liegt also genau der Fall vor, zu dem der BGH gesagt hat, dass der Verletzer sich eben nicht auf die FRAND-Geschichte berufen kann. Auch bei FRAND sind ja gerade kartellrechtliche Erwägungen die Grundlage. Nun aber soll alles aus kartellrechtlichen Gründen ganz anders sein? Das klingt schon überaus merkwürdig.


Also BGH Orange Book Standard betrifft nur das deutsche Gerichtsverfahrensrecht: Es wird der Zwangslizenzeinwand als Verteidigung im Patentverletzungsprozess ermöglicht.

Die Beschwerde bei der EU-Kommission hat (neben der EU-weiten Wirkung ggü. nur Deutschland) aber einen ganz anderen Zweck. Hier sollen insbesondere Sanktionen (also Strafzahlungen) gegen Samsung erreicht werden.
 

union

*** KT-HERO ***
Die Beschwerde bei der EU-Kommission hat (neben der EU-weiten Wirkung ggü. nur Deutschland) aber einen ganz anderen Zweck. Hier sollen insbesondere Sanktionen (also Strafzahlungen) gegen Samsung erreicht werden.

... also gegen einen Patentinhaber eines Standard-essentiellen Patents, der seitens des Verletzers keine faire, etc. Gegenleistung für seine Lizenz bekommen hat?

Dann gibt's also in Bezug auf SEPs keinen Unterlassungsanspruch mehr, weil man sonst mit EU-Kartellstrafen rechnen muss?

Ich hab's noch nicht ganz durchstiegen, aber irgendwas stimmt da nicht...
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Ich hab's noch nicht ganz durchstiegen, aber irgendwas stimmt da nicht...

Es geht doch bei den Sanktionen darum, ob wettbewerbswidriges Verhalten des Patentinhabers vorliegt. Das kann doch offensichtlich nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Verletzer nun eine fiktive Lizenzgebühr hinterlegt hat oder nicht, wenn der Patentinhaber sich weigert, vernünftig zu verhandeln. Im Verletzungsprozess spielt die Hinterlegung dann aber schon eine Rolle, da andernfalls der Verletzer bereichert wäre.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Es geht doch bei den Sanktionen darum, ob wettbewerbswidriges Verhalten des Patentinhabers vorliegt. Das kann doch offensichtlich nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Verletzer nun eine fiktive Lizenzgebühr hinterlegt hat oder nicht, wenn der Patentinhaber sich weigert, vernünftig zu verhandeln. Im Verletzungsprozess spielt die Hinterlegung dann aber schon eine Rolle, da andernfalls der Verletzer bereichert wäre.

Die Verwirrung kommt wohl daher, dass nach der Aussage der Kommission eben das Anstrengen eines Verletzungsprozesses das wettbewerbswidrige Verhalten sein soll, und nicht, dass der Patentinhaber "sich weigert, vernünftig zu verhandeln".

Natürlich könnte die Weigerung Samsuungs, sein SEP zu angemessenen Konditionen zu lizenzieren, als Kartellrechtsverstoß gewertet werden. Aber das ist es unabhängig davon, ob Samsung nun aus seinem Patent klagt oder nicht. Dass der Verstoß erst durch die Klage herbeigeführt worden sein soll, ist für mich auch nicht nachvollziehbar.
 

union

*** KT-HERO ***
Die Verwirrung kommt wohl daher, dass nach der Aussage der Kommission eben das Anstrengen eines Verletzungsprozesses das wettbewerbswidrige Verhalten sein soll, und nicht, dass der Patentinhaber "sich weigert, vernünftig zu verhandeln".

Genau. Und die Frage, ob "vernünftiges Verhandeln" stattgefunden hat oder nicht liegt doch im Kompetenzbereich der Gerichte. Und wenn dann vor den Gerichten entschieden worden wäre, dass seitens Apple kein vernünftiges Angebot vorlag, dann wäre ein Unterlassunganspruch meiner Meinung nach gerechtfertigt und doch auch der bisherigen Praxis entsprechend (jedenfalls in DE).
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Dass der Verstoß erst durch die Klage herbeigeführt worden sein soll, ist für mich auch nicht nachvollziehbar.

Nein, es ist doch die Kombination aus der Weigerung, hier vernünftig zu verhandeln und dann trotzdem den Unterlassungsanspruch gerichtlich durchzusetzen, die hier möglicherweise als wettbewerbswidriges Verhalten vorliegen soll.

Es heißt doch:

"While recourse to injunctions is a possible remedy for patent infringements, such conduct may be abusive where SEPs are concerned and the potential licensee is willing to negotiate a licence on Fair, Reasonable and Non-Discriminatory (so-called "FRAND") terms."

Ich sehe da überhaupt keinen Widerspruch.
 

grond

*** KT-HERO ***
Die Situation ist also, dass Samsung Apple kein faires Angebot gemacht hat, Apple seine Produkte dann ohne Lizenz und ohne selbst festgesetzte Lizenzzahlung verkauft hat und dass Samsungs daraufhin folgende Klage kartellwidrig war.

Was würde man in einer solchen Ausgangslage einem Mandanten raten, der eine notwendige Lizenz nicht erhalten hat? Welche zusätzlichen Tatbestandsmerkmale sind notwendig, um das Verhalten des Patentinhabers kartellrechtswidrig zu machen? Also, außer enorme Finanz- und Wirtschaftskraft seitens des Verletzers...

Und was soll man dem Patentinhaber raten, der sämtliche Angebote des Verletzers für zu niedrig ansieht?

Mir scheint, hier ist ein ziemlich weites Feld eröffnet worden und man wird jetzt gezwungen sein, jeden Pups zu einer solchen Lizenzverhandlung akribisch zu dokumentieren.
 
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