Neuheitsschädlichkeit der Prio-Anmeldung

Kurt

*** KT-HERO ***
OK danke Fip, dann bleibt es (mit G1/15) wohl bei Karls Fazit:

Zum Thema eigene Anmeldung als Sdt:

Die eigene Anmeldung, deren Prio in Anspruch genommen wurde, kann meiner Auffassung nach nie neuheitsschädlich sein.
[...]
Mir ist nicht bekannt, wie man sich mit seiner eigenen Prioritätsbegründenen Anmeldung wegschießen kann (solange natürlich keine Probleme mit erste Anmeldung, Ablauf der Priofrist oder dergleichen hinzukommen...).

Mit anderen Worten, entweder betreffen Vor- und Nachanmeldung "dieselbe Erfindung", und dann gilt die Prio, oder es liegt nicht "dieselbe Erfindung" vor -- und dann gilt die Prio nicht, die Voranmeldung ist aber auch nicht neuheitsschädlich. Etwas Drittes dazwischen sollte es auch von der Logik her eigentlich nicht geben, und dies scheint G1/15 wohl auch so festzuzurren.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Hallo Kurt,

das würde ich gerade nicht so verallgemeinern wollen. In meinem Beispiel von heute morgen habe ich ja gerade einen Fall zu skizzieren versucht, bei dem die Neuheitsschädlichkeit der eigenen Prioanmeldung trotzdem noch vorkommen kann (zumindest meiner Auffassung nach).
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Ich denke, dass Dein Beispiel weiter oben im wesentlichen meiner Abstraktion von vorhin entspricht, hier noch mal wiedergegeben (und angepasst auf G1/15):

Prioanmeldung P:
Vorrichtung AB für CD
gekennzeichnet durch
Schraube [Aluminiumlegierung -- Spezies]

Nachanmeldung N:
Vorrichtung AB für EF
gekennzeichnet durch
Befestigungsmittel [nicht ferromagnetisierbare Legierung -- Genus]

Prio aus P gültig beansprucht?
Ja, allerdings nur Teilpriorität für "Schraube" -> Patentanspruch muss von "Befestigungsmittel" auf "Schraube" eingeschränkt werden, sonst Verlust der Prio und Verlust der Neuheit.

P neuheitsschädlich für N?
Ja, da "Schraube" -> "Befestigungsmittel" neuheitsschädlich vorwegnimmt.

Auf "Schraube" eingeschränkter Patentanspruch wird jedoch wieder neu, da dann die Prio hält.

Karls Gedankengang folgend, denke ich, dass es keinen Fall geben kann, wo die Nachanmeldung nicht dieselbe Erfindung ist, und gleichzeitig doch dieselbe Erfindung ist, also auch keinen Fall von "Prio hält nicht" (nicht dieselbe Erfindung), aber trotzdem "Prio neuheitsschädlich" (dieselbe Erfindung).

Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass eine nicht haltende Prioanmeldung trotzdem neuheitsschädlich für die Nachanmeldung ist, dann ist m.E. irgendwo unterwegs ein Denkfehler.

So ähnlich wie beim Perpetuum Mobile, das immer dann vielleicht doch funktionieren könnte, wenn man es so kompliziert macht, dass man den darin nach wie vor geltenden Energieerhaltungssatz nicht mehr erkennen kann.

Grüße
Kurt
 
Zuletzt bearbeitet:

Fip

*** KT-HERO ***
Karls Gedankengang folgend, denke ich, dass es keinen Fall geben kann, wo die Nachanmeldung nicht dieselbe Erfindung ist, und gleichzeitig doch dieselbe Erfindung ist, also auch keinen Fall von "Prio hält nicht" (nicht dieselbe Erfindung), aber trotzdem "Prio neuheitsschädlich" (dieselbe Erfindung).

Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass eine nicht haltende Prioanmeldung trotzdem neuheitsschädlich für die Nachanmeldung ist, dann ist m.E. irgendwo unterwegs ein Denkfehler.

Ich kann Dir folgen, wenn gesagt wird, dass dann, wenn beide Anmeldungen inhaltlich dieselbe Erfindung betreffen, die Prioanmeldung nicht (genauer: seit G1/15 nicht mehr) neuheitsschädlich sein kann.

Aber es kann sein, dass beide Anmeldungen nicht dieselbe Erfindung betreffen und die Prioanmeldung trotzdem neuheitsschädlich ist, und zwar selbst dann, wenn der in der Prioanmeldung offenbarte neuheitsschädliche Gegenstand unter den Anspruch der prioritätsbeanspruchenden Nachanmeldung fällt.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Karls Gedankengang folgend, denke ich, dass es keinen Fall geben kann, wo die Nachanmeldung nicht dieselbe Erfindung ist, und gleichzeitig doch dieselbe Erfindung ist, also auch keinen Fall von "Prio hält nicht" (nicht dieselbe Erfindung), aber trotzdem "Prio neuheitsschädlich" (dieselbe Erfindung).

Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass eine nicht haltende Prioanmeldung trotzdem neuheitsschädlich für die Nachanmeldung ist, dann ist m.E. irgendwo unterwegs ein Denkfehler.
Ich stimme dir hier zu. Mir kommt das Konstrukt, dass ein Gegenstand zwar gegenüber dem Stand der Technik nicht neu ist, aber dennoch eine andere Erfindung ist als der Stand der Technik, überaus eigenartig vor. Fip ist da bekanntlich anderer Ansicht. Er kann uns ja bescheid sagen, wenn er es geschafft hat, ein Patent mit diesem Argument zu vernichten.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Da mich das Thema gerade interessiert, möchte ich diese alte Diskussion noch einmal aufgreifen.

Offenbarung (und damit Gültigkeit der Priorität) und Neuheitsprüfung erfolgen grundsätzlich nach identischen Kriterien. Trotzdem kommen sie nicht immer zu demselben Ergebnis.

Beispiel:
Prioanmeldung Anspruch1: A mit B

Nachanmeldung Anspruch 1: A mit B
Anspurch 2: A mit C

Priorität ist für Anspruch 1 zu Recht in Anspruch genommen und daher ist die Prioanmeldung nicht neuheitsschädlich.
Prioanmeldung ist für Anspruch 2 mangels Offenbarung nicht neuheitsschädlich.

Geänderte Nachanmeldung:
Anspruch 1: A mit B oder mit C

Prioanmeldung offenbart diesen Anspruch 1 nicht, keine Priorität.
Prioanmeldung offenbart aber eine Ausführungsart von Anspruch 1, Prioanmeldung ist neuheitsschädlich (falls vor- oder nachveröffentlicht).

Der Effekt tritt immer auf, wenn mehrere Alternativen von Merkmalen in einem Anspruch zusammengefasst werden und nicht alle aus der Prio-Schrift hervorgehen.

Besonders auffällig wird der Effekt, wenn die Alternativen Elemente einer Bereichsangebe sind.

Prioanmeldung: A mit x aus [0...1]
Nachanmeldung: A mit x aus [0...2]

Auch hier zeigt die Prioschrift neuheitsschädliche Ausführungsarten, ohne den Anspruchsgegenstand der Nachanmeldung zu offenbaren.

Das schon genannte Beispiel mit Schraube/Befestigungsmittel geht in dieselbe Richtung.

Lösung: Der zusammengefasste Anspruch der Nachanmeldung muss bereits im Prüfungsverfahren irgendwie aufgeteilt werden in einen Anspruch mit Prio (A mit B) und einen ohne (A mit C). Am besten schon in den ursprünglichen Unterlagen der Nachanmeldung. Im Fall "Bereichserweiterung" sind sonst die Bereichsgrenzen der getrennten Ansprüche nicht offenbart. Späteres Reparieren kann schwierig werden. - - -

Das war die EPÜ-Rechtsauslegung zur Priorität unter dem Stichwort "vergiftete Priorität" bis zur Entscheidung G1/15. Mit dieser wird (nun auch) für das EP-Verfahren der Auffassung Geltung verschafft, dass die Gültigkeit der Priorität nicht nur für jeden Anspruch einzeln gesondert zu prüfen ist, sondern auch für jede Alternative innerhalb eines Anspruchs, falls nur einige der Alternativen in der Prioanmeldung offenbart sind. Im obigen Beispiel bleibt beim Anspruch 2 ("A mit B oder mit C") die Priorität für Ausführungsarten "A mit B" erhalten, und die Prioschrift ist dann für diese Ausführungsarten nicht mehr neuheitsschädlich (und für die andere Ausführungsart "A mit C" sowieso nicht). Ein Umbauen der Ansprüche in einen Teil der mit der Prioschrift übereinstimmt und einen, der darüber hinausgeht, bleibt dem Anmelder dadurch erspart, auch z.B. für Bereichsangaben.

Für das DPMA-Verfahren gab es bereits zuvor diese "Teilpriorität" (vgl. Schulte, Patentgesetz, 9. Auflage, § 41 Rdn. 46). Eine neuere Entscheidung dazu: 1 Ni 10/15 (EP), wo es heißt:

"Einem Anspruch, der eine spezifische in der Voranmeldung offenbarte Lösung verallgemeinert, steht hinsichtlich der von ihm mitumfassten spezifischen Lösung eine Teilpriorität zu, so dass eine Prioritätsanmeldung diesbezüglich nicht Stand der Technik gegenüber der Nachanmeldung bildet".



Im Übrigen, eine vorveröffentlichte Prioschrift (z.B. ein Gebrauchsmuster) kann, wenn dort irgendetwas fehlt und daher die Priorität nicht wirksam ist (und obwohl keine Neuheitsschädlichkeit mehr gegeben ist) durchaus für die erfinderische Tätigkeit berücksichtigt werden, indem eine zweite Schrift das "Fehlende" nahelegt oder es sogar durch das bloße Fachwissen nahegelegt ist (vgl. BPatG 4 Ni 28/11 (EP) vom 1.8.2013, Abschnitt V.1 ab S. 34). Diese Gefahr ist geblieben.
 
Zuletzt bearbeitet:

Hans35

*** KT-HERO ***
Das alles kann man natürlich noch viel komplizierter sehen, vgl. den jüngst erschienenen Aufsatz
Schultz/Geißler: Auswirkungen der Anerkennung von Teilprioritäten auf die Erteilbarkeit von Nachanmeldungen mit erweiterten Patentansprüchen, GRUR Int. 2018, 536.​
Hier werden z.B. Fragen der Ausführbarkeit und der Stützung der Erfindung durch Ausführungsbeispiele in dem ergänzten Bereich diskutiert. Diese Fragen halte ich aber für irrelevant, weil sie nur für den zu beurteilenden Anspruch als Ganzes zu beantworten sind und nicht für irgendwelche Teilgegenstände, und daher nichts anderes dabei herauskommen kann, als wenn die Priorität gar nicht in Anspruch genommen wäre.
Die in Anspruch genommene Priorität hat m.E. ausschließlich Bedeutung dafür, welcher Stand der Technik für die Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit zu berücksichtigen ist, und sie reicht sachlich genau so weit, dass eine im Prioritätsintervall offenbarte technische Lehre als Stand der Technik unberücksichtigt bleiben muss, wenn sie bereits zuvor (oder am selben Tag) in der Prioritätsanmeldung offenbart ist. Nicht mehr und nicht weniger verlangt Artikel IV PVÜ. Ob auf diese Lehre in der Nachanmeldung ein gesonderter Anspruch gerichtet ist oder wie sie dort sonst in einen Anspruch verwurstelt ist, spielt m.E. keine Rolle.
Der Anspruch ist also m.E. immer im Sinne der Neuheitsprüfung sowohl mit der Entgegenhaltung als auch mit der Prio-Anmeldung zu vergleichen, und wenn die Entgegenhaltung eine vermeintlich neuheitsschädliche Ausführungsart zeigt, muss sie genau dann wegen der Priorität unberücksichtigt bleiben, wenn eben diese Ausführungsart auch aus der Prio-Anmeldung hervorgeht. Die Prio-Anmeldung selbst kann dadurch nie neuheitsschädlich sein.
 

Kurt

*** KT-HERO ***
OK danke Fip, dann bleibt es (mit G1/15) wohl bei Karls Fazit:
Zum Thema eigene Anmeldung als Sdt:
Die eigene Anmeldung, deren Prio in Anspruch genommen wurde, kann meiner Auffassung nach nie neuheitsschädlich sein.
[...]
Mir ist nicht bekannt, wie man sich mit seiner eigenen Prioritätsbegründenen Anmeldung wegschießen kann (solange natürlich keine Probleme mit erste Anmeldung, Ablauf der Priofrist oder dergleichen hinzukommen...).
Mit anderen Worten, entweder betreffen Vor- und Nachanmeldung "dieselbe Erfindung", und dann gilt die Prio, oder es liegt nicht "dieselbe Erfindung" vor -- und dann gilt die Prio nicht, die Voranmeldung ist aber auch nicht neuheitsschädlich. Etwas Drittes dazwischen sollte es auch von der Logik her eigentlich nicht geben, und dies scheint G1/15 wohl auch so festzuzurren.

Oje, ich sehe gerade, dass sich die Diskussion nach diesem Zwischenfazit wieder zerstreut bzw. verwässert hat, und wir offenbar nicht zu einem Schluss gekommen sind.

Da die Frage aktuell wieder aufgekommen ist, habe ich das gerade mal mit Kollege Robbi diskutiert. [Link geht gerade nicht, dürfte später aber wieder gehen]

Dort sind wir auch zu dem Schluss gekommen, dass es denklogisch ausgeschlossen ist, dass eine Prioanmeldung neuheitsschädlich für eine Nachanmeldung werden kann.

Denn entweder ist etwas in der Prioanmeldung offenbart und dann hält die Priorität, oder es ist nicht offenbart, und dann gibt es weder Priorität noch Neuheitsschädlichkeit.

Dass etwas so in der Prioanmeldung offenbart ist, dass die Priorität nicht hält, es aber trotzdem neuheitsschädlich für die Nachanmeldung ist, halte ich für ausgeschlossen.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Der Schluss, auch von "Kollege Robbi", ist dann und nur dann zutreffend, wenn eine "beliebig verallgemeinerte" Teilpriorität anerkannt wird.

Beispiel:
Offenbarung in der Prioanmeldung: A mit B.
Anspruch in der Nachanmeldung: A mit B oder mit C.

Die Prioanmeldung offenbart also die Erfindung der Nachanmeldung nicht, wohl aber ein ggf. neuheitsschädliches Ausführungsbeispiel. Die Priorität für den "Teil mit B" der Nachanmeldung muss deshalb anerkannt sein, damit die Prioanmeldung nicht neuheitsschädlich ist.

Das kann problematisch sein, z.B. wenn B und C Bereichsangaben sind, wobei C den Bereich B umfasst, z.B.
B: Temperatur 100° +- 1 Grad
C: Temperatur 100° +- 10 Grad.

Hier muss also (für die These: "nie Neuheitsschädlich") anerkannt sein, dass die Offenbarung in der Nachanmeldung jeden Teilbereich von C, also auch B, umfasst und dass die (Teil-)Priorität für jedes Ausführungsbeispiel aus dem Bereich B hält.

Letztlich steckt immer dahinter, dass ein (offenbarter) Anspruchsgegenstand einen Bereich von Gegenständen angibt, während es für die Neuheitsschädlichkeit genügt, einen einzelnen Gegenstand zu finden, der in diesen Bereich fällt. Und das kann in der Prioanmeldung der Fall sein, auch wenn sie nicht das vollständig offenbart, was in der Nachanmeldung beansprucht wird. Da muss halt die Teilpriorität für alle solche (vermeintlich neuheitsschädliche) Gegenstände anerkannt sein.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
"Kollege Robbi" hat sicher recht mit der "logischen Verallgemeinerung", da sein Ausgangspunkt ist "Die Prioritätsanmeldung und die Nachanmeldung betreffen dieselbe Erfindung." (Hervorhebung hinzugefügt)

Die potentiellen Probleme entstehen ja erst dann, wenn die Nachanmeldung (insb. die Ansprüche) von der Prioanmeldung abweicht, insbesondere bei Verallgemeinerungen (d.h. es eben nicht mehr, oder nur noch teilweise, "dieselbe Erfindung" ist). Da kann es dann zu den sog. "poisonous priorities" oder "poisonous divisionals" kommen - die die GBK für das EPÜ ja in der G1/15 mit dem Konzept der Teilprioritäten beseitigt hat, aber in anderen Ländern (z.B. China) kann es die durchaus noch geben.
 

newpatent

*** KT-HERO ***
Der Schluss, auch von "Kollege Robbi", ist dann und nur dann zutreffend, wenn eine "beliebig verallgemeinerte" Teilpriorität anerkannt wird.

Beispiel:
Offenbarung in der Prioanmeldung: A mit B.
Anspruch in der Nachanmeldung: A mit B oder mit C.

Die Prioanmeldung offenbart also die Erfindung der Nachanmeldung nicht, wohl aber ein ggf. neuheitsschädliches Ausführungsbeispiel. Die Priorität für den "Teil mit B" der Nachanmeldung muss deshalb anerkannt sein, damit die Prioanmeldung nicht neuheitsschädlich ist.

Das kann problematisch sein, z.B. wenn B und C Bereichsangaben sind, wobei C den Bereich B umfasst, z.B.
B: Temperatur 100° +- 1 Grad
C: Temperatur 100° +- 10 Grad.

Hier muss also (für die These: "nie Neuheitsschädlich") anerkannt sein, dass die Offenbarung in der Nachanmeldung jeden Teilbereich von C, also auch B, umfasst und dass die (Teil-)Priorität für jedes Ausführungsbeispiel aus dem Bereich B hält.

Letztlich steckt immer dahinter, dass ein (offenbarter) Anspruchsgegenstand einen Bereich von Gegenständen angibt, während es für die Neuheitsschädlichkeit genügt, einen einzelnen Gegenstand zu finden, der in diesen Bereich fällt. Und das kann in der Prioanmeldung der Fall sein, auch wenn sie nicht das vollständig offenbart, was in der Nachanmeldung beansprucht wird. Da muss halt die Teilpriorität für alle solche (vermeintlich neuheitsschädliche) Gegenstände anerkannt sein.
Dass Problem zumindest für das oben genannte Beispiel besteht nicht, da C gemäß G 1/15 auch B umfasst.

Es existiert aber eine andere Situation, in der obgleich der Gegenstand der Nachanmeldung nicht neu gegenüber der Prioanmeldung ist, trotzdem die Prioanmeldung toxisch für die Nachanmeldung ist, solange das EPA seiner bisherige Praxis nicht aufgibt.
 
Zuletzt bearbeitet:

newpatent

*** KT-HERO ***
Da mich das Thema gerade interessiert, möchte ich diese alte Diskussion noch einmal aufgreifen.

Offenbarung (und damit Gültigkeit der Priorität) und Neuheitsprüfung erfolgen grundsätzlich nach identischen Kriterien. Trotzdem kommen sie nicht immer zu demselben Ergebnis.

Beispiel:
Prioanmeldung Anspruch1: A mit B

Nachanmeldung Anspruch 1: A mit B
Anspurch 2: A mit C

Priorität ist für Anspruch 1 zu Recht in Anspruch genommen und daher ist die Prioanmeldung nicht neuheitsschädlich.
Prioanmeldung ist für Anspruch 2 mangels Offenbarung nicht neuheitsschädlich.

Geänderte Nachanmeldung:
Anspruch 1: A mit B oder mit C

Prioanmeldung offenbart diesen Anspruch 1 nicht, keine Priorität.
Prioanmeldung offenbart aber eine Ausführungsart von Anspruch 1, Prioanmeldung ist neuheitsschädlich (falls vor- oder nachveröffentlicht).

Der Effekt tritt immer auf, wenn mehrere Alternativen von Merkmalen in einem Anspruch zusammengefasst werden und nicht alle aus der Prio-Schrift hervorgehen.

Besonders auffällig wird der Effekt, wenn die Alternativen Elemente einer Bereichsangebe sind.

Prioanmeldung: A mit x aus [0...1]
Nachanmeldung: A mit x aus [0...2]

Auch hier zeigt die Prioschrift neuheitsschädliche Ausführungsarten, ohne den Anspruchsgegenstand der Nachanmeldung zu offenbaren.

Das schon genannte Beispiel mit Schraube/Befestigungsmittel geht in dieselbe Richtung.

Lösung: Der zusammengefasste Anspruch der Nachanmeldung muss bereits im Prüfungsverfahren irgendwie aufgeteilt werden in einen Anspruch mit Prio (A mit B) und einen ohne (A mit C). Am besten schon in den ursprünglichen Unterlagen der Nachanmeldung. Im Fall "Bereichserweiterung" sind sonst die Bereichsgrenzen der getrennten Ansprüche nicht offenbart. Späteres Reparieren kann schwierig werden. - - -

Das war die EPÜ-Rechtsauslegung zur Priorität unter dem Stichwort "vergiftete Priorität" bis zur Entscheidung G1/15. Mit dieser wird (nun auch) für das EP-Verfahren der Auffassung Geltung verschafft, dass die Gültigkeit der Priorität nicht nur für jeden Anspruch einzeln gesondert zu prüfen ist, sondern auch für jede Alternative innerhalb eines Anspruchs, falls nur einige der Alternativen in der Prioanmeldung offenbart sind. Im obigen Beispiel bleibt beim Anspruch 2 ("A mit B oder mit C") die Priorität für Ausführungsarten "A mit B" erhalten, und die Prioschrift ist dann für diese Ausführungsarten nicht mehr neuheitsschädlich (und für die andere Ausführungsart "A mit C" sowieso nicht). Ein Umbauen der Ansprüche in einen Teil der mit der Prioschrift übereinstimmt und einen, der darüber hinausgeht, bleibt dem Anmelder dadurch erspart, auch z.B. für Bereichsangaben.

Für das DPMA-Verfahren gab es bereits zuvor diese "Teilpriorität" (vgl. Schulte, Patentgesetz, 9. Auflage, § 41 Rdn. 46). Eine neuere Entscheidung dazu: 1 Ni 10/15 (EP), wo es heißt:

"Einem Anspruch, der eine spezifische in der Voranmeldung offenbarte Lösung verallgemeinert, steht hinsichtlich der von ihm mitumfassten spezifischen Lösung eine Teilpriorität zu, so dass eine Prioritätsanmeldung diesbezüglich nicht Stand der Technik gegenüber der Nachanmeldung bildet".



Im Übrigen, eine vorveröffentlichte Prioschrift (z.B. ein Gebrauchsmuster) kann, wenn dort irgendetwas fehlt und daher die Priorität nicht wirksam ist (und obwohl keine Neuheitsschädlichkeit mehr gegeben ist) durchaus für die erfinderische Tätigkeit berücksichtigt werden, indem eine zweite Schrift das "Fehlende" nahelegt oder es sogar durch das bloße Fachwissen nahegelegt ist (vgl. BPatG 4 Ni 28/11 (EP) vom 1.8.2013, Abschnitt V.1 ab S. 34). Diese Gefahr ist geblieben.
Soll das Beispiel der Bereichsangabe nunmehr ein Beispiel für die weiterhin bestehende toxische Priorität trotz G 1/15 in bestimmten Fällen sein?
 

newpatent

*** KT-HERO ***
Karls Gedankengang folgend, denke ich, dass es keinen Fall geben kann, wo die Nachanmeldung nicht dieselbe Erfindung ist, und gleichzeitig doch dieselbe Erfindung ist, also auch keinen Fall von "Prio hält nicht" (nicht dieselbe Erfindung), aber trotzdem "Prio neuheitsschädlich" (dieselbe Erfindung).
Vermutlich existiert noch eine bestimmte Situation in der es wohl zutrifft, solange das EPA seine bisherige Praxis nicht aufgeben wird.
 
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