Wirkung von Nichtangriffsvereinbarungen

Störtebeker

Schreiber
Hallo Leute,

sechs Konstellationen: die Klägerin in einem Einspruchsverfahren/Nichtigkeitsverfahren (Pat DE), Widerspruchsverfahren/Löschungsverfahren (Marke DE) oder den entsprechenden Verfahren beim DE-Design hat vor Antragstellung mit der Beklagten eine Nichtangriffsvereinbarung geschlossen. Wie wirkt sich das auf den jeweiligen Anfechtungsantrag aus? Gibt es da eine Systematik? Oder nur punktuelle Entscheidungen?
 

Fip

*** KT-HERO ***
Wenn die Verpflichtung wirksam und damit insbesondere auch kartellrechtlich zulässig ist, führt dies zu einer fehlenden Antrags- bzw. Klagebefugnis und damit zur Unzulässigkeit des Antrags bzw. der Klage.



Kann ich angesichts Art. 101 AEUV (ex Art. 81 EGV) bzw. deutschem GWB mit § 2 (2) GWB und Art. 5 (1) c) der Gruppenfreistellungsverordnung TT überhaupt eine wirksame, kartellrechtlich unbedenkliche Nichtangriffsabrede vereinbaren? Wenn ja, unter welchen Umständen?














 

Lysios

*** KT-HERO ***
Kann ich angesichts Art. 101 AEUV (ex Art. 81 EGV) bzw. deutschem GWB mit § 2 (2) GWB und Art. 5 (1) c) der Gruppenfreistellungsverordnung TT überhaupt eine wirksame, kartellrechtlich unbedenkliche Nichtangriffsabrede vereinbaren? Wenn ja, unter welchen Umständen?

Schau Dir z.B. mal Nr. 112 der Leitlinien der noch aktuellen GVOTT an und Art. 6a der EU-VO Nr. 1217/2010 an.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Schau Dir z.B. mal Nr. 112 der Leitlinien der noch aktuellen GVOTT an und Art. 6a der EU-VO Nr. 1217/2010 an.

Danke für die Hinweise, aber ehrlich gesagt kann ich mit dieser "Antwort" leider nicht viel anfangen. Ich entnehme den "Fundstellen" nichts, was meine Frage beantworten würde (zumindest nicht für den Bereich Patente, auf den ich mich mal beschränken will).

So wie ich die Systematik verstehe (ich muss allerdings zugeben, dass ich nicht weiß, ob ich sie richtig verstehe), gilt ex Art. 81 (1) EG Vertrag bzw. § 1 GWB (ich nenne das mal "Generalverbot") z.B. bei "wertvollen" Schutzrechten unmittelbar, so dass erst gar keine Nicht-Anwendbar-Erklärung des Generalverbots über ex Art. 81 (3) EG Vertrag bzw. § 2 GWB in Frage kommt. Folge: Nichtangriffsabrede nichtig.

Für die Schutzrechte, die nicht so "wertvoll" sind, so dass ggf. eine Nicht-Anwendbar-Erklärung des Generalverbots über ex Art. 81 (3) EG Vertrag bzw. § 2 GWB und eine GVO in Betracht kommen könnte, gilt aber gemäß GVO, dass Nichtangriffsabreden nicht zu den Vereinbarungen gehören, die vom Generalverbot freigestellt werden können. Folge: Nichtangriffsabrede nichtig

Mit anderen Worten: Es gilt das Generalverbot, es sei denn, das Generalverbot kann für nicht anwendbar erklärt werden (über ex Art. 81 (3) EGV oder § 2 GWB), wobei eine derartig Nicht-Anwendbar-Erklärung des Generalverbots für Nichtangriffsabreden jedoch ausgeschlossen ist (Spezialvorschriften GVO).

Danach bleibt doch eigentlich kein Fall übrig (ich denke jetzt mal wieder nur an Patentlizenzvereinbarungen), bei dem eine Nichtangriffsabrede wirksam vereinbart werden könnte. Oder doch?

Es müsste entweder ein Vereinbarung sein, die von vorne herein nicht dem Generalverbot unterliegt. Allerdings sehe ich nicht, wie eine Patentlizenzvereinbarung mit Nichtangriffsabrede nicht unter das Generalverbot fallen kann. Oder es müsste etwas sein, dass potentiell vom Generalverbot freigestellt werden kann und nicht unter eine explizite Nicht-Freistellungsklausel wie Art. 5 GVO TT fällt. Ich sehe allerdings nicht, wie das gehen kann, weil eine Nichtangriffsabrede nun mal eine Nichtangriffsabrede ist und diese nun mal explizit von der Möglichkeit einer Freistellung vom Generalverbot ausgenommen ist (mal abgesehen von der explizit zugelassen Variante mit automatischer Beendigung der Vereinbarung im Falle eines Angriffs).
 

Lysios

*** KT-HERO ***
OK. Dann hier ein paar Anregungen:

Laut EuGH ist das Kartellrecht nicht anwendbar auf Beschränkungen, die sich aus dem Wesen des Schutzrechts selbst ergeben. Eine Nichtangriffsabrede gehört wiederum nach EuGH nicht zum Wesen des Patents (siehe z.B. Kraßer, Patentrecht, 6. Auflage, S. 951 ff., dort wird auch die aktuelle TT-GVO diskutiert).

Laut Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Auflage, § 30 Rn 122, gilt:

"Welche Klauseln im Einzelnen durch den spezifischen Gegenstand der Marke abgedeckt sind und somit nicht unter das Kartellrecht fallen, ist noch nicht abschließend geklärt. ...Kartellrechtlich relevant sind dagegen insbesondere ... Nichtangriffsklauseln, wenn das Zeichen eine wesentliche Voraussetzung für den Markterfolg ist (anders bei unentgeltlicher Lizenz, vgl. EuGH GRUR Int. 1989, 56 – Nichtangriffsklausel, Tz. 17). Liegt eine solche Beschränkung vor, die dem Bestand des Schutzrechts nicht immanent ist, ist zu prüfen, ob eine Freistellung aufgrund einer Gruppenfreistellungsverordnung oder Einzelfreistellung in Betracht kommt. "

Weiter Osterrieth, Patentrecht, 4. Auflage, Rn 398:

"Gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) TT-GVO ist allein der Vorbehalt des Lizenzgebers, die Vereinbarung zu beenden, wenn der Lizenznehmer den geheimen oder Wesentlichen Charakter des überlassenen Know-how oder die Gültigkeit der Patente angreift, freigestellt, nicht jedoch eine Nichtangriffsverpflichtung des Lizenznehmers. Gleiches gilt nach § 1 GWB n. F."

Weiter Pfaff/Osterrieth, Lizenzverträge, 3. Auflage,

Rn 362:

"Von Anfang an äußerst kritisch wurden Nichtangriffsabreden nach europäischem Kartellrecht beurteilt. Die Kommission sah in Nichtangriffsklauseln stets grundsätzlich eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme, die nicht freistellungsfähig war (KOM GRUR Int. 1972, 371 – Davidson Rubber; GRUR Int. 1972, 374 – Raymond/Nagoya; GRUR Int. 1986, 635, 640 – Windsurfing International; Anmerkung von Bodewig in GRUR Int. 1986, 430). Der EuGH hat in der zitierten Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben, dass die Nichtangriffsklausel nicht vom Gegenstand des Schutzrechts gedeckt sei. Von dieser sehr strengen Beurteilung ist der EuGH später wieder abgewichen und hat die Notwendigkeit einer Einzelfallbeurteilung im Hinblick auf die jeweiligen rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge hervorgehoben (EuGH GRUR Int. 1989, 56 – Nichtangriffsklausel)."


Rn 364:

"Nichtangriffsklauseln in Anspruchsregelungs- und -verzichtsvereinbarungen fallen in der Regel nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG. Es ist charakteristisch für solche Vereinbarungen, dass sich die Parteien darauf einigen, die betreffenden Rechte des geistigen Eigentums nicht im Nachhinein anzugreifen (vgl. Rdnr. 209 der Leitlinien)"

Wenn keine Freistellung vorhanden ist, dann muss im Einzelfall von den Vertragspartnern vor Abschluss des Vertrages selbst geprüft werden, ob eine unzulässige Beschränkung vorliegt. Oder das Amt bzw. Gericht muss die Prüfung bei vorhandener Verpflichtung vornehmen.
 
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