EPÜ Schrödingers Erste Anmeldung

Hans35

*** KT-HERO ***
.... Mit der Folge, dass die erste Anmeldung als klassisch zu betrachten wäre und Schrödingers erste Anmeldung nicht existiert.
Kann bitte evtl. mal jemand den geneigten Leser aufklären, welche Rolle hier die Begriffe "klassisch" und "Schrödinger" spielen? Es geht doch wohl kaum um quantenmechanische Zustände der Anmeldung.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Kann bitte evtl. mal jemand den geneigten Leser aufklären, welche Rolle hier die Begriffe "klassisch" und "Schrödinger" spielen? Es geht doch wohl kaum um quantenmechanische Zustände der Anmeldung.

Den scherzhaften Bezug auf Schrödingers Katze dürften wohl nicht nur diejenigen verstehen, die mindestens ein Semester Quantenmechanik studiert haben. Spätestens seit der ersten Staffel der Serie "Big Bang Theorie" sollte das doch schon Teil der Popkultur geworden sein.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
"Big Bang Theory" habe ich leider nicht gesehen.

Es geht also darum, dass die Eigenschaft eines Objekts ("Katze" kann "tot" oder "lebendig" sein; hier wohl gemeint: "EP2 ist Erstanmeldung zu EP3" kann "wahr" oder "falsch" sein) solange nicht nur ungewiss ist, sondern das System "irgendwie" (im unanschaulichen quantenmechanischen Sinne) in beiden Zuständen gleichzeitig ist, bis mittels einer Abfrage dieser Eigenschaft eine Projektion auf einen der beiden Zustände erfolgt.

Lustiger Gedanke. Zumal, wenn ein Zeitpunkt (der Abfrage?) als maßgeblich betrachtet wird (AT von EP2), zu dem die Katze (bzw. EP3) noch gar nicht existiert. Passen würde die Analogie ja wohl eher zu meiner These, bei der "das Einreichen der Prioritätserklärung in der EP3" die Rolle der "Abfrage" spielen würde.

Ich fürchte jedoch, wenn man diese Analogie zu weit treibt, gerät man auf Abwege. Zumindest wird man nicht zwingend zu richtigen Schlussfolgerungen gelangen.

Aber an der Überlegung, dass eine bestimmte Handlung (die Inanspruchnahme einer Priorität) erst eine bestimmte Eigenschaft eines Systems "herauspräpariert", ist schon etwas dran. So etwas Ähnliches gibt es sicher auch in der Juristerei, z.B. wenn eine gerichtliche Entscheidung während der Rechtsmittelfrist noch "schwebend unwirksam" ist.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Nachdem ich die ganze Diskussion nochmal gelesen habe, möchte ich das Ergebnis an Hand des folgenden Szenarios zur Diskussion stellen:

Anmelder X meldet in EP1 eine Erfindung an, in der er A+B beansprucht. Er zahlt die Anmeldegebühr nicht, die Anmeldung gilt als zurückgenommen, ohne dass sie zuvor veröffentlicht wurde und ohne dass aus ihr eine Priorität in Anspruch genommen wurde.

Ein halbes Jahr nach dem AT von EP2 reicht derselbe Anmelder eine Anmeldung EP2 an, in der er die Erfindung A+B+C beansprucht. Die Merkmale C stehen hier zwar im Vordergrund, aber der Gegenstand A+B wird ohne Zweifel mit offenbart. EP2 nimmt keine Priorität in Anspruch.

Vor Ablauf der Prioritätsjahres (gerechnet ab dem AT von EP1) reicht X die Anmeldung EP3 ein, die wortgleich mit EP1 übereinstimmt und die Priorität aus EP1 in Anspruch nimmt.

Später wird EP2 offengelegt. Das Patent EP3 wird erteilt.

Der Wettbewerber Y stößt auf die Offenlegungsschrift der EP2. Er erhebt gegen das Patent EP3 Einspruch und trägt vor:
EP2 betrifft denselben Gegenstand wie EP1 und EP3, nämlich A+B und wurde von demselben Anmelder (X) in demselben Land (EP) eingereicht. Weder vor noch nach der Zurücknahme der EP1 wurde bis zum AT von EP2 irgendeine Priorität aus der EP1 in Anspruch genommen wurde. EP1 galt am AT von EP2 als bereits zurückgenommen und wurde auch nicht offengelegt. Auch sonst sind aus EP1 keine Rechte aus EP1 bestehen geblieben. Also galt ab dem AT von EP2 nun diese Anmeldung als erste Anmeldung für die Erfindung A+B, von deren Einreichung an nun die Prioritätsfrist für diese Erfindung läuft.

Da der Fall des Art. 87 (4) S. 1 gegeben ist, kann nach Art. 87 (4) S. 2 die EP1 nicht mehr als Grundlage für die Inanspruchnahme des Prioritätsrechts dienen. Die in EP3 beanspruchte Priorität aus EP1 ist also unwirksam.

Damit ist die EP2 neuheitsschädlicher Stand der Technik nach Art. 54 (3).

Y beantragt den Widerruf des Patents EP3 mit der OS der EP2 als Stand der Technik.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Nachdem ich die ganze Diskussion nochmal gelesen habe, möchte ich das Ergebnis an Hand des folgenden Szenarios zur Diskussion stellen:

...

Y beantragt den Widerruf des Patents EP3 mit der OS der EP2 als Stand der Technik.

Meine Meinung ist ja bekannt. Der Einspruch hat Erfolg und das Patent wird widerrufen. Dabei gehe ich davon aus, dass A+B in EP2 auch losgelöst von C als eigenständige Erfindung offenbart ist, EP2 also letztlich eine Erweiterung von EP1 um C ist.

Anmelder X hätte in EP2 die Prio von EP1 in Anspruch nehmen müssen und dann in EP3 die Prio von EP1 oder den Gegenstand von EP1 durch Teilung von EP2 nur für A+B ohne C weiterverfolgen können. Oder er hätte EP1 erst gar nicht untergehen lassen dürfen. Es hätte also genügend Möglichkeiten gegeben, das Szenario zu verhindern.

Wenn das ein Anwalt macht, dann ist das ein klarer Haftungsfall infolge unüberlegter fehlerhafter Anmeldestrategie.

Man muss einfach aufpassen, wenn man dieselbe Erfindung im selben Land mehrfach hinterlegt. Das kann schief gehen. Das muss ein Patentanwalt aber wissen und dann umsichtig sein, bei dem was er wann für denselben Anmelder anmeldet und/oder untergehen lässt. Mehrfachanmeldungen derselben Erfindung im selben Land für denselben Anmelder können halt nach hinten losgehen, wenn man nicht aufpasst.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Dann beschreibe ich auch noch einmal die Gegenposition.

Abs. 1 gewährt das Prioritätsrecht nur aus einer ersten Offenbarung der Erfindung. Aus einer späteren Offenbarung derselben Erfindung entsteht kein Prioritätsrecht.

Abs. 4 Satz 1 gewährt dem Anmelder ein zusätzliches Recht ("auch"), nämlich dass er für den Fall, dass er eine bereits getätigte Anmeldung (EP1) dem Vergessen anheim gibt, dann die Priorität für denselben Gegenstand nun aus einer späteren Anmeldung in demselben Land (EP2, aber nicht: DE2) beanspruchen kann. "Vergessen" bedeutet dabei: Die Anmeldung EP1 ist zurückgenommen oder sonstwie weggefallen, sie ist unveröffentlicht und aus ihr wurde auch keine Priorität beansprucht, und das alles muss vor dem AT von EP2 erfüllt sein. Zudem dürfen (nach dem AT von EP2) auch sonst keine Rechte bestehen bleiben, was immer das sein mag.

Gemäß Abs. 4 Satz 2 verliert der Anmelder in diesem Fall sein Recht aus Abs. 1. Dabei bedeutet in Abs. 4 Satz 2 "in diesem Fall" (englisch: "thereafter"), dass der Anmelder von dem Recht aus Satz 2 Gebrauch macht und die Priorität aus EP2 für den Gegenstand A+B in Anspruch nimmt. Dann (meine Auslegung: nur dann) geht das Recht aus Satz 1 unter, und der Anmelder kann er die Priorität für den Gegenstand A+B nicht doch noch aus der EP1 in Anspruch nehmen (was dann natürlich nur noch für ein anderes Land Sinn macht). Satz 2 bestimmt also letztlich, dass das "Vergessen" dann auch das Prioritätsrecht aus Abs. 1 umfassen muss.

Ich lese nach wie vor aus Satz 2 nicht (zumindest nicht klar) heraus, dass der Anmelder auf Grund von Satz 2 sein Prioritätsrecht aus EP1 bereits dadurch verliert, dass (mehr oder weniger zufällig) die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Rechts aus Satz 1 erfüllt sind, ohne dass der Anmelder dieses Recht tatsächlich geltend macht und die Priorität aus EP2 für die Erfindung A+B unter Berufung auf 87 (4) Satz 1 in Anspruch nimmt, sei es in einer EP4 oder sonst wo in der Welt.

Letzteres müsste der Einsprechende Y also zusätzlich nachweisen, sonst ist "dieser Fall" in 87 (4) Satz 2 nicht gegeben.

EP3 wäre also nicht zu widerrufen.

Ich hoffe, dass vielleicht doch noch irgend jemand eine Entscheidung, vielleicht sogar eine GBK-Entscheidung zu dieser Frage findet.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Leider finde ich da nichts zu dieser Frage. Habe ich das etwas übersehen?

Ich habe da auch nichts gefunden, war mir aber nicht sicher, ob Du das auch so sehen würdest. Da brauchst Du jetzt aber wenigstens nicht mehr auf eine bereits existierende GBK-Entscheidung zu dieser Frage zu hoffen.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Im Fall T 1056/01 war es eben erst durch die Bekanntgabe im UK Patentblatt (nicht Akteneinsicht oder Patentregister) möglich festzustellen, dass es sich nicht um die erste Anmeldung handelt.

Im UK Patentblatt war damals noch nicht einmal der Tag veröffentlicht, wann die Anmeldung tot war. Das zeigt, dass das Problem jahrzehntelang nicht gesehen wurde.

Im EP-Verfahren bieten die Prüfungsrichtlinien in C-IV, 7.1-7.4 dem Prüfer genügend Möglichkeiten, frühere EP-Anmeldungen hinsichtlich der Gültigkeit einer Priorität zu berücksichtigen.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Ist in der zitierten Richtlinie angegeben, ob nicht publizierte Anmeldungen berücksichtigt werden sollen?

Der Visser liest das so. Zitat:
"The validity of the priority claim and the contents of the priority documents are normally not checked, only obvious errors are communicated to the applicant (A-III,6.4, 6.6). It is checked only when prejudicial documents published within the priority term (Art.54(2) ) or European applications filed in the priority term ( Art.54(3) ) are found during the search or examination (C-IV,7.1-7.4).“
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Im Endeffekt handelt es sich dann um publizierte Dokumente.

Dann ergibt aber die Passage aus dem Visser keinen Sinn. Es geht darum, ob dem Prüfer frühere Anmeldungen aufgrund der Art. 54(3) Recherche bekannt sind. Er schreibt ja nicht, dass diese veröffentlicht worden sind, sondern nur „filed“.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
... Beweislast ...

Hinsichtlich der Prüfungsrichtlinie wäre es aber lediglich dem EPA möglich, einem Dritten wäre diese Möglichkeit abgeschnitten.

Nein, auch dem EPA nicht.

Gemäß Art. 128 gibt es im EPA für nicht offengelegte Anmeldungen keine Akteneinsicht ohne Zustimmung (oder wie eine Zustimmung auszulegendes Handel) des Anmelders. Nach meinem Verständnis bedeutet "keine Akteneinsicht", dass jegliche Information umfasst ist, also sogar eine Antwort auf die Frage, ob es zu einem bestimmten Aktenzeichen überhaupt eine Akte gibt oder jemals gab, egal, und ob es sich dabei um eine (gültige) Anmeldung handelt, oder nicht. Erst Recht darf dann keine Information über den Inhalt der Akte herausgegeben werden, wie etwa ein Zurücknahmedatum. Bis zur Offenlegung ist das Einreichen einer Anmeldung eine völlig vertrauliche Angelegenheit.

Diese Vertraulichkeit kann insbesondere im Zusammenhang mit möglichem Stand der Technik nach Art. 54 (3) akute Bedeutung haben, weil der Anmelder sich vor der Offenlegung nicht auf möglichen solchen Stand der Technik einstellen kann. Diesbezügliches Nachfragen beim Prüfer ist sinnlos.

Vergleichbare Bestimmungen über die Vertraulichkeit von Anmeldungen wird es mehr oder weniger in allen Ländern geben, wobei ein Verstoß dagegen für den Beschäftigten des jeweiligen Amtes ein Verfahren wegen eines Dienstvergehens o.ä. nach sich ziehen dürfte.

Ergänzung zu Lysius (#105):
Gefunden "found" können nur nachveröffentlichte ältere Anmeldungen, die also der freien Akteneinsicht unterliegen. Solange noch die Zurücknahme der Anmeldung vor Offenlegung möglich ist, taucht sie in den Rechercheergebnissen nicht auf, auch wenn der Prüfer die Akte schon vorliegen hat.
 
Zuletzt bearbeitet:

Lysios

*** KT-HERO ***
Ergänzung zu Lysius (#105):
Gefunden "found" können nur nachveröffentlichte ältere Anmeldungen, die also der freien Akteneinsicht unterliegen. Solange noch die Zurücknahme der Anmeldung vor Offenlegung möglich ist, taucht sie in den Rechercheergebnissen nicht auf, auch wenn der Prüfer die Akte schon vorliegen hat.

Akteneinsicht kann natürlich nur einem Dritten gewährt werden. Dem Anmelder kann das EPA als Verfahrensbeteiligten mitteilen, dass seine EP-Prio-Anmeldung nicht die erste ist, da er ja schon eine noch frühere eingereicht hat, und die Voraussetzungen des Art. 87(4) EPÜ nicht erfüllt sind.

Dem Prüfer steht es sowieso nach C-IV, 7.3 frei, beliebige Dokumente in das Verfahren einzuführen. Notfalls können auch solche Dokumente und die Diskussionen dazu von der Akteneinsicht für Dritte ausgenommen werden.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
... Dem Anmelder kann das EPA als Verfahrensbeteiligten mitteilen, dass seine EP-Prio-Anmeldung nicht die erste ist, da er ja schon eine noch frühere eingereicht hat, und die Voraussetzungen des Art. 87(4) EPÜ nicht erfüllt sind.

Nein. Eine solche Mitteilung würde nach Offenlegung der Nachanmeldung der freien Akteneinsicht unterliegen, selbst wenn es sich nur um eine "Telefonnotiz" o.ä. handelt, und damit wäre die Vertraulichkeit in der Erstanmeldung gebrochen, falls diese doch noch vor Offenlegung zurückgenommen wird. Das darf der Prüfer nicht.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
Nein. Eine solche Mitteilung würde nach Offenlegung der Nachanmeldung der freien Akteneinsicht unterliegen, selbst wenn es sich nur um eine "Telefonnotiz" o.ä. handelt, und damit wäre die Vertraulichkeit in der Erstanmeldung gebrochen, falls diese doch noch vor Offenlegung zurückgenommen wird.

Es gibt den "Beschluss der Präsidentin des Europäischen Patentamts vom 12. Juli 2007 über von der Akteneinsicht ausgeschlossene Unterlagen", Sonderausgabe Nr. 3 ABl. EPA.

Siehe dort Art. 2 (a): der Anmelder kann den Ausschluss beantragen. Dem Antrag dürfte stattgegeben werden, wenn hier tatsächlich ein Problem mit nicht relevanten Teilen der frühesten Anmeldung vorliegen, die in den späteren nicht enthalten sind. Der Anmelder ist schließlich selber schuld, da er hier Rechte geltend machen will, die ihm nicht zustehen, so dass man verlangen kann, dass er den Antrag selber stellen muss.

Hier ist aber vielleicht auch schon der Art. 1 (b) relevant: "Unterlagen, die sich auf die Ausstellung von Prioritätsbelegen ...beziehen".
 
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