EPÜ Parksperre: Angebliche Neuheit wegen funktionellem Merkmal

Kurt

*** KT-HERO ***
Hallo Forum,

hier ein fiktiver Fall aus dem europäischen Patentamt:

Anspruch 1:
Getriebe für Auto,
gekennzeichnet durch
eine Getriebesperre zum Verhindern des Wegrollens beim Parken.

Beschreibung:
Alle bisherigen Autos haben Getriebe ohne Parksperre, stattdessen eine Handbremse.
Erfindungsvorteil: Handbremse kann weggelassen werden.

SdT:
Zehn Forschungspapers über Getriebesperren mit dem übereinstimmenden Inhalt:
Eine Sperre wird bei einem Getriebe allgemein realisiert, indem man eines der Getriebezahnräder blockiert. Das Getriebe und die angetriebene Vorrichtung können sich dann nicht mehr bewegen. Dies wird beispielsweise bei Seilbahnen, Kränen und industriellen Absperrventilen genutzt. Man erspart sich damit eine ansonsten zusätzlich erforderliche Feststellbremse.

Wir:
Anspruch 1 ist nicht neu gegenüber jedem der zehn Forschungspapers.

EPA-Prüfer:
Der Stand der Technik offenbart zwar generelle sperrbare Getriebe, aber keine der spezifischen Anforderungen, welche die beanspruchte Eignung für das Auto mit sich bringt, wie z.B. Motorleistung, Übersetzungsverhältnis, Bauraumeinschränkungen oder das maximale Gefälle, bei dem die Parksperre noch funktionieren muss. Daher ist Anspruch 1 aufgrund des Verwendungsmerkmals neu.


Abwegig, oder vertretbar?
 
Zuletzt bearbeitet:

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Im Lichte der RiLi ist das vertretbar, denke ich. Dort heisst es ja "Eignet sich die bekannte Vorrichtung für die beanspruchte Verwendung, so ist die beanspruchte Erfindung nicht neu." Im Umkehrschluss sollte dann also Neuheit vorliegen, wenn die offenbarte Vorrichtung sich nicht dafür eignet.



Da kann man durchaus argumentieren, dass Getriebe für Seilbahnen, Kräne u. dgl. sich nicht für Autos eignen (und die Getriebesperre selbst muss sich ja auch zum Verhindern des Wegrollens des Autos eignen). Damit wäre formal Neuheit gegeben. Erfinderisch ist das aber wohl kaum - obwohl, wenn man den typischen EPA-FM anschaut, der auf nichts kommt, wenn man ihn nicht mit der Nase draufstößt, könnte man das auch noch argumentieren ;-)
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Bzgl. Neuheit ist die EPA-Meinung vertretbar.

Für erfinderische Tätigkeit müsste allerdings noch eine Schrift eingeführt werden, die ein Getriebe zeigt, das die "spezifischen Anforderungen, welche die beanspruchte Eignung für das Auto mit sich bringt," erfüllt. Von dieser ausgehend legen die "Forschungspapers" dem Fachmann den beanspruchten Gegenstand (mit der Rücklaufsperre) nahe.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Verwendungsmerkmale können entweder bloße Verwendungshinweise sein, die den beanspruchten Gegenstand nicht ändern und insbesondere nicht einschränken, oder sie können merkmalsbildend sein, so dass nur Gegenstände beansprucht sind, die die mit der angegebenen Verwendung verbundenen Anforderungen auch erfüllen. Welcher Fall jeweils vorliegt, ist eine Frage der Auslegung des Anspruchs.

Dazu ein Beispiel:

(1) Membran für die Blutreinigung durch Hämodialyse, gekennzeichnet durch...
und
(2) Membran für die Blutreinigung durch Hämofiltration, gekennzeichnet durch...

Hinweis:
Bei der Dialyse herrscht auf beiden Seiten der Membran im Wesentlichen derselbe Gesamtdruck. Die Stoffe treten auf Grund eines unterschiedlichen Partialdrucks durch die Membran; eine dabei sich aufbauende Druckdifferenz sollte ausgeglichen werden.
Bei der Filtration treten die Stoffe auf Grund des unterschiedlichen (Gesamt-)Drucks durch die Membran, der durch eine entsprechende Pumpleistung aufrechterhalten wird. Das Blut wird quasi durch die Membran "gepresst".


In beiden Fällen dürfte die Angabe "für die Blutreinigung" zweifellos eine merkmalsbildende Angabe sein. Membranen, mit denen man Maschinenöl dialysieren kann, sind keinesfalls neuheitsschädlich.

Die Angabe "durch Dialyse" wäre (nach meiner Auffassung) nur ein Verwendungshinweis als eine mögliche Art der Blutreinigung, bei der Blutbestandteile durch eine Membran treten. Wenn man die beanspruchte Membran (mit den hier ungenannten kennzeichnenden Merkmalen) in einer Filtrationsapparatur findet, wäre sie neuheitsschädlich.

Umgekehrt wäre aber die Angabe "durch Filtration" merkmalsbildend, weil die Membran geeignet sein muss, die mit einer Filtration verbundenen Druckunterschiede auszuhalten. Wäre die Membran nur aus einer Dialysevorrichtung bekannt, so würde sie dieses Merkmal nicht ohne weiteres erkennbar aufweisen und wäre also auch nicht neuheitsschädlich.

Anspruch (1) ist also breiter als Anspruch (2) und umfasst diesen.

Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit würde ich jedenfalls versuchen, Verwendungsmerkmale zu vermeiden.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Ich weiß, dass ist jetzt BGH und nicht EPA, aber die Entscheidungen ergehen ja auch zum EPÜ.


Vielleicht sind Entscheidungen wie


X ZR 105/04 Luftabscheider für Milchsammelanlage

Xa ZR 140/05 Bauschalungsstütze

X ZB 9/09 Bildunterstützung bei Katheternavigation


aufschlussreich.
 
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