Neuheitsschädlichkeit der Prio-Anmeldung, die Zweite

grond

*** KT-HERO ***
Folgender zeitlicher Ablauf:

1. Erteilung eines Patentes P1 innerhalb des Priojahres mit geänderten Ansprüchen
2. die Patenterteilung von P1 wird öffentlich
3. es wird eine Prionachanmeldung P2 gemacht, die der erteilten Fassung von P1 exakt entspricht
4. es stellt sich heraus, dass die Änderung der Ansprüche von P1 unzulässig war, weil ursprünglich nicht offenbart, P1 ist also nichtig

Frage: ist P2 nun durch die Veröffentlichung der erteilten P1 neuheitsschädlich getroffen?

Ich tendiere zu "ja", weil der Gegenstand von P2 ursprünglich in P1 nicht offenbart war (=> Prio ungültig), aber vor Anmeldetag der P2 durch die Erteilung der P1 der Öffentlichkeit zugänglich wurde. Diese Zutaten könnten einen wirklich unglücklichen Fall von "dumm gelaufen" ergeben...
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Ich halte das Szenario für sehr unrealistisch.

Selbst bei geänderter Beschreibung wird ja noch irgendwas ursprünglich in P1 Offenbartes im erteilten P1 geblieben sein. Dieses Material wäre dann auch in P2 und hätte einen gültigen Prioanspruch, und P2 könnte darauf eingeschränkt werden.

Außerdem: Welches Patentamt erteilt und veröffentlicht innerhalb von 12 Monaten?
 

grond

*** KT-HERO ***
Ich halte das Szenario für sehr unrealistisch.

Alltäglich ist es sicherlich nicht, aber sagen wir mal so, ich habe Grund, über diese Frage nachzudenken...


Selbst bei geänderter Beschreibung wird ja noch irgendwas ursprünglich in P1 Offenbartes im erteilten P1 geblieben sein. Dieses Material wäre dann auch in P2 und hätte einen gültigen Prioanspruch, und P2 könnte darauf eingeschränkt werden.

Einfaches Beispiel: es wurde ein Begriff im ursprünglichen Anspruch 1 durch einen anderen ersetzt, um einen Klarheitseinwand zu entkräftigen. Tatsächlich bedeutet der neue Begriff aber etwas anderes als der ursprüngliche. Die P2 verwendet nur den neuen Begriff, der aber in der P1 nie auftauchte und in der Rückschau eben auch nicht ursprünglich offenbart war. Es ergibt sich für P1 eine unentrinnbare Falle und die mit der erteilten Fassung der P1 wortidentische P2 hat keine Prio, die sie gültig in Anspruch nehmen könnte.


Außerdem: Welches Patentamt erteilt und veröffentlicht innerhalb von 12 Monaten?

Das passiert zwar nicht oft, aber doch regelmäßig.
 

Rex

*** KT-HERO ***
Nach meiner Ansicht ist P2 durch die Veröffentlichung der P1 neuheitsschädlich getroffen. Die Sache ist also dumm gelaufen und man kann nur hoffen, dass sich daraus kein Haftungsfall ergibt.

Eine Möglichkeit fällt mir noch ein: Man könnte eine P3 anmelden, die der ursprünglichen, unveröffentlichten P1 entspricht (wenn möglich unter Inanspruchnahme der Priorität der P1).

Die geänderte P1 sollte dann gegenüber der P3 nicht neuheitsschädlich sein.
 

Groucho

*** KT-HERO ***
Frage: ist P2 nun durch die Veröffentlichung der erteilten P1 neuheitsschädlich getroffen?

Ja.

P1 beschreibt Obst, P2 beansprucht Gemüse, und kann daher nicht die Prio der P1 in Anspruch nehmen.

Wird nun vor dem AT der P2 Gemüse bereits veröffentlicht, ist die P2 nicht mehr neu. Dabei ist unerheblich, ob diese Veröffentlichtung in Form geänderter Ansprüche der P1 erfolgte (die je mangels Prio keine besondere Beziehung zur P2 hat) oder auf andere Weise.
 

grond

*** KT-HERO ***
Dann sind wir uns ja einig. Ein Haftungsfall liegt nicht vor, mehr als die Hälfte der Fallkonstellation ist rein hypothetisch. Ich halte den Gedankengang aber für ziemlich wichtig, da ich Erteilungen innerhalb des Priojahres durchaus schon mehrfach erlebt habe, weshalb ich ihn auch mit Euch teilen wollte.

Gerade in Fällen, wo der Stand der Technik nicht viel hergibt (daher die schnelle Erteilung), kann es durchaus vorkommen, dass der Prüfer wenigstens ein paar Klarheitseinwände erhebt, um sich nicht gar so nutzlos vorzukommen. Wenn die dann auch wenigstens teilweise berechtigt sind, ist die Versuchung groß, die überarbeitete Anmeldung auch gleich für die Prioritätsnachanmeldungen zu verwenden. Da kann dann plötzlich großes Ungemach drohen und aus der Superarbeit des PAs wird plötzlich eine einzige Katastrophe...

EDIT: wäre ja auch mal eine nette Fallkonstellation für einen C- oder D-Teil bei der EEP... :)
 
Zuletzt bearbeitet:

Groucho

*** KT-HERO ***
Gerade in Fällen, wo der Stand der Technik nicht viel hergibt (daher die schnelle Erteilung), kann es durchaus vorkommen, dass der Prüfer wenigstens ein paar Klarheitseinwände erhebt, um sich nicht gar so nutzlos vorzukommen. Wenn die dann auch wenigstens teilweise berechtigt sind, ist die Versuchung groß, die überarbeitete Anmeldung auch gleich für die Prioritätsnachanmeldungen zu verwenden. Da kann dann plötzlich großes Ungemach drohen und aus der Superarbeit des PAs wird plötzlich eine einzige Katastrophe...

Das Problem ist aber nur deswegen so drastisch, weil nach Deiner Fallvorgabe der neue Begriff wirklich etwas anderes bedeutete als der ursprüngliche Begriff, es sich also nicht nur um eine Klarstellung, sondern um einen Wechsel auf einen zuvor nicht beanspruchten und nicht offenbarten Gegenstand handelte. Die Nachanmeldung P2 betraf dann auch eine andere Erfindung als die P1, so dass die Prio nicht wirksam war.

Im Regelfall wird ein klargestellter Anspruch aber immer noch den gleichen Erfindungsgedanken zum Gegenstand haben wie der ursprüngliche Anspruch, so dass dann auch die Prio für die Nachanmeldung P2 halten sollte.
 

grond

*** KT-HERO ***
Das Problem ist aber nur deswegen so drastisch, weil nach Deiner Fallvorgabe der neue Begriff wirklich etwas anderes bedeutete als der ursprüngliche Begriff, es sich also nicht nur um eine Klarstellung, sondern um einen Wechsel auf einen zuvor nicht beanspruchten und nicht offenbarten Gegenstand handelte.

Ja, man kann das Beispiel beliebig weiterspinnen und z.B. statt eines komplett anderen Begriffs ein Aliud mit teilweiser Überlappung des Schutzbereichs in P2 vorsehen. Dazu gibt es ja dann allerlei Ansichten, was die Gültigkeit der Priorität angeht ("Schirmtheorie" ist ein Schlagwort, das ich noch im lückenhaften Gedächtnis habe). Nach klassischer EPA-Lesart wäre die Prioinanspruchnahme auch bei einem solchen Aliud wohl vollständig gescheitert, in anderen Ländern könnte man die Prio für den überlappenden Bereich zuerkennen, was aber zu einem eventuell ebenso wenig lösbaren Disclaimer-Problem führen könnte. Generell sollte man immer im Kopf behalten, dass im Regelfall andere Rechtssysteme über die Gültigkeit der Priorität entscheiden werden. Und wer kann schon sagen, was eine Jury in Texas zu der Frage der Gültigkeit der Priorität entscheiden wird, wenn eine Nazi-Firma aus Old-Europe ein aus einer derartigen Nachanmeldung hervorgegangenes US-Patent gegen eine rechtschaffende amerikanische Firma durchsetzen will?

Bei meinem Modellfall handelt es sich um eine wenig praxisrelevante Fallkonstellation, aber man kann schon darüber nachdenken, ob die Erteilung der P1 nicht anmelderseitig bis nach Ablauf des Priojahres herausgezögert werden sollte. Allerdings müsste dann auch jede andere Veröffentlichung im Priojahr unterbleiben, was beispielsweise im wissenschaftlichen Betrieb auf wenig Enthusiasmus stoßen dürfte. Bliebe nur die einfachste Lösung, nämlich darauf zu achten, dass die P2 auch die ursprüngliche Formulierung/Begriffswahl der P1 aufweist.
 

upupa

GOLD - Mitglied
Ja.

P1 beschreibt Obst, P2 beansprucht Gemüse, und kann daher nicht die Prio der P1 in Anspruch nehmen.

Wird nun vor dem AT der P2 Gemüse bereits veröffentlicht, ist die P2 nicht mehr neu. Dabei ist unerheblich, ob diese Veröffentlichtung in Form geänderter Ansprüche der P1 erfolgte (die je mangels Prio keine besondere Beziehung zur P2 hat) oder auf andere Weise.

Außer wenn Gemüse in der P1 nicht ausführbar war, dann fällt P1 hinsichtlich Gemüse raus aus dem SdT und P2 wäre neu.
 

Karl

*** KT-HERO ***
Ja, man kann das Beispiel beliebig weiterspinnen und z.B. statt eines komplett anderen Begriffs ein Aliud mit teilweiser Überlappung des Schutzbereichs in P2 vorsehen. Dazu gibt es ja dann allerlei Ansichten, was die Gültigkeit der Priorität angeht ("Schirmtheorie" ist ein Schlagwort, das ich noch im lückenhaften Gedächtnis habe). Nach klassischer EPA-Lesart wäre die Prioinanspruchnahme auch bei einem solchen Aliud wohl vollständig gescheitert, in anderen Ländern könnte man die Prio für den überlappenden Bereich zuerkennen, was aber zu einem eventuell ebenso wenig lösbaren Disclaimer-Problem führen könnte. Generell sollte man immer im Kopf behalten, dass im Regelfall andere Rechtssysteme über die Gültigkeit der Priorität entscheiden werden. Und wer kann schon sagen, was eine Jury in Texas zu der Frage der Gültigkeit der Priorität entscheiden wird, wenn eine Nazi-Firma aus Old-Europe ein aus einer derartigen Nachanmeldung hervorgegangenes US-Patent gegen eine rechtschaffende amerikanische Firma durchsetzen will?

Bei meinem Modellfall handelt es sich um eine wenig praxisrelevante Fallkonstellation, aber man kann schon darüber nachdenken, ob die Erteilung der P1 nicht anmelderseitig bis nach Ablauf des Priojahres herausgezögert werden sollte. Allerdings müsste dann auch jede andere Veröffentlichung im Priojahr unterbleiben, was beispielsweise im wissenschaftlichen Betrieb auf wenig Enthusiasmus stoßen dürfte. Bliebe nur die einfachste Lösung, nämlich darauf zu achten, dass die P2 auch die ursprüngliche Formulierung/Begriffswahl der P1 aufweist.

Vorweg: Die Veröffentlichung sollte immer erst nach Ablauf des Priojahres erfolgen und im Zweifelsfall auch herausgezögert werden. Hintergrund sind eher nicht unzulässige Erweiterungen, die dann entgegenstehen. Viel schlimmer ist, dass man sich für nicht von der Prio gedeckte Gegenstände bei der Nachnameldung das veröffentlichte Dokument der ursprünglichen Anmeldung als SdT für die erfinderische Tätigkeit gefallenlassen muss, siehe folgender Fall:

Nehmen wir an, wir haben eine erste Anmeldung DE1 mit dem Gegenstand A+B, die erteilt wird. Anschließend (nach Erteilung und Veröffentlichung der DE1) machen wir eine Nachanmeldung DE2 mit A+B+C als Gegenstand, wobei DE1 C nicht in Kombination mit A+B offenbart, d.h. A+B+C hat keine Prio der DE1.

Nun kommt ein böser Konkurrent an und Klagt auf Nichtigkeit der DE1 und macht zur DE2 eine Eingabe, in der er den Prüfer auf die mangelnde erfinderische Tätigkeit hinweist. Der Konkurrent hat folgenden Stand der Technik:

Ein Dokument mit Merkmal A
Ein Dokument mit Merkmal B, was der Fachmann auf das Dokument mit A übertragen würde
Ein Dokument mit Merkmal C, was der Fachmann auf die DE1 übertragen würde.

Wäre die DE1 nicht veröffentlicht, bevor die DE2 angemeldet worden wäre, würde nur die DE1 sterben. A+B+C hätte aus 3 Druckschriften zusammengesetzt werden müssen und wäre somit (solang alle Merkmale wechselwirken) erfinderisch.

Durch die Veröffentlichung der DE1 würde der Fachmann jedoch eine Kombination der Druckschrift mit dem Merkmal C und der DE1 vornehmen. Die entsprechenden Dokumente lagen alle am AT der DE2 vor, wobei deren Gegenstand nicht von der Prio gedeckt ist. Somit wird A+B+C durch die veröffentlichte DE1 naheliegend.

Daher: Niemals vor dem Priojahr erteilen/veröffentlichen lassen. Auch beim Gebrauchsmustern zu beachten!




Vor dem Urteil der Jury in Texas hätte ich in Sachen gültigkeit der Prio jetzt nicht so Angst, denn wir wissen wie ...großzügig... in US die Offenbarung beurteilt wird. Ich habe es noch nie hinbekommen, vom US Prüfer einen wegen unzulässiger Erweiterung drauf zu kriegen, und dafür muss man auch dinge tun, bei denen sich einen als Europäer der Magen rumdreht.

Kritischer ist folgende Situation:

Ein US-Mandant gibt einem Weisung, für eine PCT eine Regionale Phase EP einzuleiten und hierbei geänderte Ansprüche einzureichen. Diese geänderten Ansprüche wurden vorher noch nicht offenbart. Ihr gegenstand ist (wie so häufig) der PCT nicht zu entnehmen.

Nehmen wir mal an, der Gegenstand der geänderten Ansprüche wäre nach europäischen Maßstäben gegenüber der PCT nicht nur neu (sprich gegenüber dieser eine unzulässige Erweiterung) sondern sogar erfinderisch. Dies kann durchaus vorkommen. US Mandanten schlagen gerne mal komplett neue Anspruchssätze für die regionale Phase vor, die durchaus mal speziellere Gegenstände betreffen als Offenbart. In diesem Fall würde der Gegenstand der Geänderten Ansprüche erst durch deren Einreichung als Reaktion auf die Mitteilung nach R161(1) veröffentlicht. Ohne die Einreichung der geänderten Ansprüche hätte man eine auf den entsprechenden Gegenstand gerichtete neue Anmeldung einreichen können und damit - wenn man die erfinderische Tätigkeit begründet bekommt - vieleicht sogar ein Patent erzielt.

Nun jedoch wird eine neue Anmeldung durch die Eingabe zur Erwiderung auf R161(1) verhindert.
 

Asdevi

*** KT-HERO ***
Außer wenn Gemüse in der P1 nicht ausführbar war, dann fällt P1 hinsichtlich Gemüse raus aus dem SdT und P2 wäre neu.

Schon, aber laut Sachverhalt ist ja P2 identisch zur veröffentlichten Version von P1. Wenn also Gemüse in P1 nicht offenbart ist, ist es auch in P2 nicht offenbart.
 

upupa

GOLD - Mitglied
Schon, aber laut Sachverhalt ist ja P2 identisch zur veröffentlichten Version von P1. Wenn also Gemüse in P1 nicht offenbart ist, ist es auch in P2 nicht offenbart.

Ich weiß nicht, ob das zum ursprgl. Sachverhalt zu zählen war, aber ich beziehe mich auf:

Die P2 verwendet nur den neuen Begriff, der aber in der P1 nie auftauchte und in der Rückschau eben auch nicht ursprünglich offenbart war.
 

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

besteht denn noch die Möglichkeit, P1 irgendwie wieder anhängig zu bekommen (Beschwerde, Wiedereinsetzung...)?
Ich denke da an Weiterführung in einer Teilanmeldung und Bezweifelung des ursprünglichen Klarheitseinwandes...

Gruß
Gerd
 

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

P2 war wortidentisch zur erteilten P1, soweit ich das verstanden habe.
Diese war ja gegenüber der eingereichten P1 verändert worden.

Gruß
Gerd
 
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