EPÜ Mehrere Erfindungen unter einem "Dachanspruch"

jopatent

SILBER - Mitglied
Hallo,

ist es eigentlich eine gute Strategie, mehrere Erfindungen unter einem vermutlich nicht gewährbaren "Dachanspruch" zusammenzufassen? Wenn man den Stand der Technik auf einem Gebiet gut kennt und für den "Dachanspruch" im Grunde auch schon das tödkliche Dokument kennt, kann es doch sein, dass der Prüfer dieses nicht auffindet und ein Patent mit dem "Dachanspruch" erteilt. Sollte das tödliche Dokument in einem möglichen Einspruchsverfahren genannt werden, kann man aus dem "Dachanspruch" doch noch immer mehrere unabhängige Ansprüche machen. Beispiel:

1. (Dachanspruch) Merkmal A
2. (erste Erfindung) nach Anspruch 1, Merkmal B
3. (zweite Erfindung) nach Anspruch 1, Merkmal C
4. (dritte Erfindung) nach Anspruch 1, Merkmal D

wird zu

1. (erste Erfindung) Merkmale A + B
2. (zweite Erfindung) Merkmale A + C
3. (dritte Erfindung) Merkmale A + D

Da die Einheitlichkeit nach Patenterteilung keine Rolle mehr spielt hat man auf diese Weise drei Erfindungen mit nur einer Patentanmeldung bzw. einem Patent geschützt, so dass die Kosten für zwei weitere Anmeldungen/Patente (Anmeldekosten, Jahresgebühren etc.) entfallen.

Sollte das tödliche Dokument bereits im Prüfungsverfahren genannt werden, so kann man ja immer noch teilen.

Ist das eine Strategie, die Ihr empfehlen würdet? Habe ich etwaige Nachteile dieser Vorgehensweise übersehen?

Danke

jo
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Es wird durchaus diskutiert, ob die Vorgehensweise

1. (Dachanspruch) Merkmal A
2. (erste Erfindung) nach Anspruch 1, Merkmal B
3. (zweite Erfindung) nach Anspruch 1, Merkmal C
4. (dritte Erfindung) nach Anspruch 1, Merkmal D

wird zu

1. (erste Erfindung) Merkmale A + B
2. (zweite Erfindung) Merkmale A + C
3. (dritte Erfindung) Merkmale A + D

im Einspruch funktioniert. Zwar ist Einheitlichkeit kein Thema, aber Regel 80 EPÜ beschränkt die Möglichkeiten der Änderung. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass durch den geänderten Anspruch 1 (A+B) bereits der Einspruchsgrund adressiert wurde, so dass die nebengeordneten Ansprüche 2 (A+C) und 3 (A+D) in dieser Hinsicht nicht zulässig wären. Hier besteht also ein gewisses Risiko. Eine Teilung wäre dann ja nicht mehr möglich.
 

grond

*** KT-HERO ***
Manche Mandanten wollen das ausdrücklich so haben, der Grund sind immer die Kosten. Allerdings ist so eine Anmeldung auch entsprechend aufwendiger auszuarbeiten und damit teurer. Bei der Ausarbeitung muss man schon darauf achten, dass die Erfindungen gut voneinander teilbar sind.

Problematisch sind meiner Meinung nach zwei Dinge: die Teilung ist nicht mehr unbegrenzt möglich und meistens wird am Ende dann doch versäumt, Teilanmeldungen einzureichen. Außerdem geht es grundsätzlich in die Hose, die Prüfer kennen sich in ihrem Prüfgebiet dann doch gut genug aus. Bedenkt man außerdem, dass man heutzutage nicht mehr in einem Prüfverfahren die Gelegenheit bekommt, drei Bündel von Teilerfindungen hintereinander "durchzuprobieren", bis irgendwas erteilt wird, sondern recht flott in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung sitzt, finde ich den Ansatz noch weniger empfehlenswert.

Übermäßig weite Überansprüche führen außerdem oft dazu, dass man recht unbrauchbaren Stand der Technik im Recherchenbericht präsentiert bekommt. Der Prüfer präsentiert halt nur ein vollkommen allgemein gehaltenes neuheitsschädliches Dokument und kommt mit dem Einwand der Uneinheitlichkeit und der Forderung nach ein paar zusätzlichen Recherchegebühren daher. Tja, und was soll man dann für das weitere Verfahren empfehlen? Wo nichts Sinnvolles empfohlen werden kann, kommt der Mandant nur auf dumme Ideen, die man dann in der Praxis umsetzen muss, mit dem Ergebnis, dass Mandant und Anwalt am Ende unzufrieden sind...

Letztendlich hat man aber eigentlich immer ein gewisses Uneinheitlichkeitsproblem, wenn eine Patenterteilung mit zwei voneinander unabhängigen Unteransprüchen möglich wäre. Meist sucht man sich den attraktiver erscheinenden aus und gut ist. Strenggenommen gibt man sich dann aber mit weniger zufrieden als man haben könnte (aus A, A+B, A+C, A+B+C wird dann A+B, A+B+C, wenn A nicht erteilbar ist, aber A+B und A+C erteilbar sind). An dieser Stelle macht eigentlich niemand eine Teilanmeldung, obwohl das durchaus sinnvoll sein könnte (sofern noch möglich).
 

pak

*** KT-HERO ***
Neben den richtigen Ausführungen von Grond und Pat-Ente vielleicht noch eine Anmerkung hinsichtlich der Praxis. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass - sofern der ursprüngliche Hauptanspruch im Prüfungsverfahren durchgegangen ist - die Einspruchsabteilungen etwas ungehalten auf derartige Einschränkungen reagieren, insbesondere wenn drei oder mehr unabhängige Ansprüche entstehen oder einer der neuen unabhängigen Ansprüche auf zusätzlichen Merkmalen beruht, die zuvor in keinem Anspruch standen, sondern der Beschreibung entnommen wurden. Ich habe das Gefühl, dass die Einspruchsabteilungen dann eher dazu neigen, einige der unabhängigen Ansprüche aufgrund des Fehlens einer erfinderischen Tätigkeit über die Klinge springen zu lassen, was bei Alleinstellung des jeweiligen Anspruchs vielleicht nicht der Fall wäre. Ist aber nur mein Bauchgefühl ... ;)

Gruß

pak
 

grond

*** KT-HERO ***
Das Bauchgefühl kann ich vollauf bestätigen! Ich hatte kürzlich einmal eine Einspruchsabteilung, die aus irgendwelchen haarsträubenden Gründen unter der Überschrift "Verfahrensökonomie" kein halbes Dutzend Nebenansprüche nach Einschränkung zulassen wollte. Die haben dann einfach die entsprechenden (schon im schriftlichen Vorverfahren eingereichten!) Anträge nach Gutdünken als "unzumutbar, weil im Einspruchsverfahren nicht vollständig prüfbar" abgewiesen. Das hätten sie nach eigenen Aussagen nicht getan, wenn die Nebenansprüche als Serie von Hilfsanträgen eingereicht worden wären. Also:

1. aus Sicht der Verfahrensökonomie unzumutbar war ein Anspruchssatz A+B, A+C, A+D, A+E, A+F

2. zumutbar wäre aber gewesen: Hilfsantrag I A+B, Hilfsantrag II A+C, Hilfsantrag III A+D, Hilfsantrag IV A+E, Hilfsantrag V A+F

Die Logik war, dass in zweitem Fall die Prüfung abgebrochen werden kann, sobald ein Hilfsantrag als zulässig angesehen wird. Das ist schon deshalb unlogisch, weil beim ersten Antrag abgebrochen werden kann, sobald ein Nebenanspruch als nicht erteilbar angesehen wird, so dass der gesamte Antrag hinfällig wird.

Ich fand das nicht nur falsch, sondern sogar unverschämt, zumal das in der mündlichen Verhandlung über eine aus dem Hut gezauberte Entscheidung begründet wurde, die nach eingehender Lektüre nach der Verhandlung eigentlich genau das Gegenteil ausgesagt hat, wie die Einspruchsabteilung behauptet hatte. Naja, die Beschwerde läuft...

Auch im Prüfungsverfahren habe ich jetzt schon mehrfach die Ankündigung bekommen, dass in der mündlichen Verhandlung keine weiteren Anträge mehr zugelassen würden.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Wenn wir über die Praxis reden, kann ich zu den Ausführungen von pak ein weiteres, kaum objektivierbares Bauchgefühl beifügen:

Auch im Prüfungsverfahren mag es vorkommen, dass man mit einer gewissen Hypothek an die Diskussion der ursprünglichen Unteransprüche geht, wenn der Hauptanspruch auf den ersten Blick neuheitsschädlich getroffen war. Der Prüfer kann dann das Gefühl gewonnen haben, dass an der ganzen Erfindung nichts dran ist ...

Was mir aber tatsächlich schon begegnet ist: Ein übermäßig breiter Hauptanspruch wird nicht mit SdT angegriffen, sondern als "nicht von der Beschreibung gestützt" beanstandet. Darüber kann man sich schon Jahre mit dem Prüfer streiten, bevor man überhaupt an die substanziellen Fragen kommt.
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Ich fand das nicht nur falsch, sondern sogar unverschämt, zumal das in der mündlichen Verhandlung über eine aus dem Hut gezauberte Entscheidung begründet wurde, die nach eingehender Lektüre nach der Verhandlung eigentlich genau das Gegenteil ausgesagt hat, wie die Einspruchsabteilung behauptet hatte. Naja, die Beschwerde läuft...

Kannst du die aus dem Hut gezauberte Entscheidung nennen? Das würde mich mal interessieren ...
 

grond

*** KT-HERO ***
Kannst du die aus dem Hut gezauberte Entscheidung nennen? Das würde mich mal interessieren ...

Ein bisschen besinnliches Lesen in den eigenen Schriftsätzen (gute Literatur zum Jahreswechsel ist immer fein) brachte die T 263/05 zutage, die als Begründung für eine Zurückweisung eines Hilfsantrags herhalten sollte, in dem das geschätzte halbe Dutzend ursprünglicher Unteransprüche mit dem Hauptanspruch kombiniert als Nebenansprüche auftraten:

http://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/pdf/t050263dp1.pdf
 

jopatent

SILBER - Mitglied
Hallo zusammen und danke für die Anmerkungen!

Ist das eine Strategie, die Ihr empfehlen würdet?

Zusammenfassend ist Eure Antwort also NEIN. Tatsächlich muss man wohl die genannten Fallstricke und Probleme bereits bei der Ausarbeitung einer solchen Anmeldung berücksichtigen, was den Aufwand (Kosten) und das spätere Risiko des Verlusts einer oder mehrerer der Erfindungen deutlich erhöht. Dies hatte ich noch nicht bedacht. War nur ein (vielleicht unausgegorener) Gedanke meinerseits ... ;)

Gruß

jo
 

Karl

*** KT-HERO ***
@Ground 19.12.13, 12:34:

Zum Thema Teilung nicht unbegrenzt möglich:

http://archive.epo.org/epo/pubs/oj013/11_13/11_5013.pdf

Die 24 Monatsfrist wird abgeschafft. Einzige zeitliche Begrenzung für die Teilanmeldung ist somit (ab dem 1.4.) nur noch durch die Anhängigkeit gegeben. In den Standardschreiben der meisten (bzw von hoffentlich allen) Kanzleien zur Weiterleitung von Mitteilung nach R71(3) sollte ein Hinweis auf die Wirkung der Erteilung auf die Möglichkeit zu Teilanmeldungen enthalten sein. Entsprechend istzumindest der erste Problempunkt weitestgehent obsolet.

(Lustige Anmerkung: Ich frage mich, wie viele Prüfungsverfahren grade künstlich in die länge gezogen werden, nur damit die Anmeldung am 1.4. noch anhängig ist xD. Das Epa tat gut daran, den zeitlichen Vorlauf vor der Regeländerung recht gering zu halten)

Das zweite Problem ist eher relevant. Allerdings besteht die Hoffnung, dass der Prüfer die entsprechende Druckschrift nicht findet. In diesem Fall recherchiert er dann alles und zwar zu einem Preis. Ob der Prüfer wegen Einheitlichkeit nur einen Teil recherchiert oder nicht ist sehr situationsabhängig.

Ist der verbleibende "Dachanspruch" derart offensichtlich neuheitsschädlich getroffen, dass der Prüfer den Braten riecht, wird er sicher Uneinheitlichkeit feststellen. Denkt der Prüfer hingegen, der Dachanspruch sei wirklich die Erfindung und er hätte lediglich ein passendes Dokument gefunden, wird er oft trotzdem alles recherchieren (bzw. zum Zeitpunkt wo er das passende Dokument findet hat er vieleicht eh schon alles recherchiert). In wieviel % der Erstbescheiden wird mangelnde Neuheit festgestellt und in wieviel % davon wird uneinheitlichkeit kritisiert? Das Recherchieren aller Ansprüche ist - zum Glück - doch eher die Regel. Besonders gute Aussichten, dass alles recherchiert wird, würde ich sehen, wenn sich die Erfindungen nicht ausschließen. In dem Fall kann man die Rückbezüge unauffällig (...nach einem der vorangehenden Ansprüche) gestallten.

Um Probleme bei Einsprüchen zu vermeiden kann es (je nach Fall) sinnvoll sein, vor Erteilung zu Teilen. In manchen Fällen ist dies jedoch nicht sinnvoll. Weiß man beispielsweise vom Mandanten, dass die Branche recht schnelllebig ist und das Patent so ca 10 Jahre nach AT ohnehin wertlos ist (weil dann zumeist bessere Lösungen vorliegen), und hat sich das Erteilungsverfahren schon 6 Jahre hingezogen, ist es fraglich, ob noch geteilt werden muss. Die Konkurrenz kann eh erst vernünftig produzieren, wenn sie rechtssicherheit hat. In dem Fall würde man sich also über die Erteilung freuen, keine Teilanmeldungen einreichen und das Verfahren im Falle eines Einspruchs soweit wie möglich Verzögern. Bis die Einspruchsbeschwerde rum wäre, gäbe es dann eh Umgehungslösungen am Markt.
 

Karl

*** KT-HERO ***
Ach und in einigen Fällen hat die Lösung einen ganz besonderen Charme:

Wenn der Mandant nur eine deutsche Anmeldung braucht und keine sofortige Prüfung wünscht.

Klingt erstmal komisch, macht jedoch durchaus Sinn. Da man in DE 7 Jahre Zeit hat für den Prüfungsantrag, und es oft gut ist, den genauen Schutzbereich erst dann zuzuschneidern, wenn die Konkurrenz mit Produkten an den Markt kommt, kann es durchaus gut sein, erst gegen Ende der Frist (oder wenn ein Konkurrent am Markt auftritt) Prüfungsantrag zu stellen. In diesem Fall spaart man vor allem viele Jahresgebühren.

Nachteilig ist, dass das Ganze nur für DE geht, aber wenn der Mandant ohnehin nur in Deutschland verkauft oder wenn das Produkt dergestalt ist, dass der europäische Markt nur als Ganzes relevant ist und regionale Unterschiede produktionstechnisch nicht zu realisieren sind (oft in der Autobranche) macht das vorgehen Sinn.

Die Anmeldung macht beim Schreiben etwa den gleichen Aufwand als würde man für jede Erfindung eine separate Anmeldung schreiben. Gespaart wird bei den Anmeldegebühren und vor allem bei den Jahresgebühren.

Oft wird am Ende übriens ohnehin nur eine der Erfindungen übrig bleiben, da sich einige als nicht Praxisrelevant herausstellen.
 

Karl

*** KT-HERO ***
Ach die Möglichkeit, dass evtl. nur eine Erfindung übrig bleibt ist auch nen guter Grund für diese Strategie:

Oft hat ein Mandant viele Erfindungungen, die sich auf die Lösung des selben Problems richten. Die Erfindungsgemäßen lösungen sind theoretisch durchdacht aber experimentell noch nicht vollständig umgesetzt. In diesem Fall sichert einen eine (gut geschriebene und extra zum Teilen ausgelegte) Anmeldung einen frühen Anmeldetag, verursacht nur 1 mal Amtsgebühren und verschaft einem Zeit. Somit kann man die praktische Erprobung der Erfindung abwarten. In vielen Fällen hat sich dann mehr als die Hälfte der Erfindungen aufgrund unüberwindbarer Schwierigkeiten bei der Praktischen Umsetzung ohnehin erledigt - i.e. man braucht weniger Teilanmeldungen als man vorher Erfindungen hatte.

Ach ja: In dem Fall kann man auch den Hauptanspruch auf die Vielversprechendsde Lösung richten und die anderen nur in der Beschreibung offenbaren. In der Beschreibung sollten die anderen Erfindungen dann trotzdem - um Probleme hinsichtlich A76(1) zu vermeiden - möglichst im Wortlaut eines gegebenenfalls später zu verwendenen Anspruchs offenbart werden.
 
Zuletzt bearbeitet:

Asdevi

*** KT-HERO ***
(Lustige Anmerkung: Ich frage mich, wie viele Prüfungsverfahren grade künstlich in die länge gezogen werden, nur damit die Anmeldung am 1.4. noch anhängig ist xD. Das Epa tat gut daran, den zeitlichen Vorlauf vor der Regeländerung recht gering zu halten)

Einige. Ich habe auch schon vor Weihnachten in einem Druckexemplar, das der 71(3) beigefügt war, fieberhaft nach Tippfehlern gesucht, die ich noch korrigieren konnte, so dass es eine neue 71(3) gibt :)

Hab zum Glück auch welche gefunden.
 
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