Frage zur Priorität

EP

Schreiber
Hallo zusammen,

ich möchte als fast-Neuling im Patentwesen eine Frage zur Priorität stellen und würde mich über Aufklärung/Information sehr freuen. Die Ausgangssituation ist folgende:

Ein Unternehmen reicht im Februar 2019 eine DE1 (Anmeldegegenstand A) an, ohne Anmeldegebühren zu entrichten. DE1 gilt als zurückgenommen.

Im August 2019 wird DE2 (selber Anmeldegegenstand A wie DE1) eingereicht. DE2 beansprucht die Priorität der DE1.

Nun lautet die Frage, wie bei späteren Nachanmeldungen vorgegangen werden soll, z.B. bei einer EP-Nachanmeldung oder einer PCT-Nachanmeldung (selber Gegenstand A). Welche Prio soll beansprucht werden bzw. welche Prio ist dann gültig, die der DE1 oder die der DE2, d.h. Nachanmeldung bis Februar 2020 oder bis August 2020 möglich?
Ich stehe auf dem Schlauch...
Vielen Dank und viele Grüße, EP
 

pak

*** KT-HERO ***
Die Priorität der DE1 wäre wirksam in Anspruch genommen, die der DE2 nicht, wobei letzteres unschädlich für die Prio aus der DE1 ist.



Priorität der DE2 muss also nur in Anspruch genommen werden, wenn diese über den Inhalt der DE1 hinausgeht. Dann wäre die Priorität für den darüber hinausgehenden Inhalt wirksam in Anspruch genommen.



Gruß


pak
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Wenn sich DE1 und DE2 unterscheiden und ungewiss ist, was letztlich in der EP bzw. in der PCT beansprucht werden wird (und das ist es dann eigentlich immer), dann ist zu empfehlen, die Priorität aus beiden Anmeldungen zu beanspruchen.

Aber Vorsicht: Wird letztlich in der EP (o.ä.) ein Gegenstand beansprucht, von dem einerseits ein oder mehrere Merkmale nur in der DE1 offenbart sind, und andererseits Merkmale nur in der DE2, dann ist dieser beanspruchte Gegenstand in keiner der beiden Prioritätsanmeldungen mit allen seinen Merkmalen offenbart. Für einen solchen Gegenstand gehört dann alles zum Stand der Technik, was vor dem Anmeldetag der EP veröffentlicht wurde; die Prioritäten sind dann wirkungslos. Da hilft es nichts wenn in der DE2 die Priorität der DE1 beansprucht wird, es kommt nur auf den Inhalt der Anmeldungsunterlagen von DE1 und DE2 an. Deshalb ist dringend zu empfehlen, dass in DE2 nichts aus DE1 weggelassen wird, nur weil es scheinbar unwichtig ist.

Wirksam ist (in der EP) für jeden einzelnen Anspruch immer diejenige Priorität, wo der Gegenstand des Anspruchs mit allen seinen Merkmalen erstmals offenbart wurde. Das kann durchaus für jeden Anspruch in der EP eine andere Prioanmeldung sein. Für jeden Anspruch muss die Neuheit seines Gegenstands angesichts seiner eigenen Priorität (Erstoffenbarung) beurteilt werden.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Hier hat ja DE1 und DE2 jeweils denselben Anmeldegegenstand A, der ja auch Gegenstand der Nachanmeldung sein soll. Die Prio von DE2 erst im August 2020 in Anspruch zu nehmen, ist gefährlich, weil DE2 für alles, was schon in DE1 offenbart ist, nicht die erste Hinterlegung ist und DE1 ja schon einmal Grundlage zur Beanspruchung einer Priorität war und in DE2 Rechte aus DE1 übrig geblieben sind (vgl. Art. 87 (1) EPÜ i.V.M. Art. 87 (4) EPÜ).


Daher: Für die Nachanmeldung Prio von DE1 und DE2 schon im Februar 2020 in Anspruch nehmen. Dann sind im Zweifel beide Prioritäten gültig. Alles andere wäre mir zu riskant.
 

EP

Schreiber
Hallo zusammen,
ich danke euch vielmals für die Antworten und Hinweise, ihr habt mir sehr geholfen!
Grüße, EP
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Aber Vorsicht: Wird letztlich in der EP (o.ä.) ein Gegenstand beansprucht, von dem einerseits ein oder mehrere Merkmale nur in der DE1 offenbart sind, und andererseits Merkmale nur in der DE2, dann ist dieser beanspruchte Gegenstand in keiner der beiden Prioritätsanmeldungen mit allen seinen Merkmalen offenbart. Für einen solchen Gegenstand gehört dann alles zum Stand der Technik, was vor dem Anmeldetag der EP veröffentlicht wurde; die Prioritäten sind dann wirkungslos. Da hilft es nichts wenn in der DE2 die Priorität der DE1 beansprucht wird, es kommt nur auf den Inhalt der Anmeldungsunterlagen von DE1 und DE2 an. Deshalb ist dringend zu empfehlen, dass in DE2 nichts aus DE1 weggelassen wird, nur weil es scheinbar unwichtig ist.
Ein interessanter und wichtiger Hinweis. Kann ich daraus schließen, dass mit obigem Hintergrund diese kürzliche Frage:

Könnte man hieraus schließen, dass man in die Nachanmeldung eine Kopie zumindest der Zeichnungen der Prioritätsanmeldung aufnehmen sollte, sofern es sich um eine provisorische Anmeldung z.B. mit diversen Handskizzen etc. handelt -- für den Fall, dass die Reinzeichnungen der Nachanmeldung nicht jedes Detail offenbaren, was in den Handskizzen der Notanmeldung ersichtlich ist?
...mit "Ja" zu beantworten ist?

Grüße Kurt
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Zweifellos "ja".

Man könnte z.B. die Handzeichnungen mit "1A", "2A" usw. nummerieren und sie später, wenn klar ist, was beansprucht wird, zwanglos wieder weglassen. Sonst könnte es zB passieren, dass vier Schraubenlöcher in der Prioanmeldung auf den Ecken eines Trapez liegen, damit das Bauteil nicht falsch eingebaut werden kann, und das Zeichenbüro macht daraus für die Nachanmeldung ein Rechteck.

Meist dürfte es aber genügen, wenn man sich des Problems bewusst ist und beim Vergleich der Zeichnungen von Prioanmeldung und Nachanmeldung entsprechend sorgfältig ist.
 

MainPatent

Schreiber
Hallo allerseits,

nach meinem Verständnis gibt es noch eine weitere Variante:

- Für die DE2 wird auf die Prio der DE-1 verzichtet.
Der Verzicht wirkt zwar nur ex nunc, dennoch sollten auf diese Weise keine Rechte aus der DE-1 bestehen bleiben (Stichwort Art. 87(4) EPÜ), insbesondere wenn die DE-2 noch nicht veröffentlicht wurde.
- Für eine EP- oder PCT-Nachanmeldung kann dann im August 2020 noch immer die Prio der DE-2 in Anspruch genommen werden.
- Da die DE-1 nicht veröffentlicht wird (oder gemäß dem Wortlaut von § 3 Abs. 2 PatG nicht "der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden" ist), besteht auch kein Problem bzgl. der Neuheit.

Bei dieser Variante kauft man sich evtl. Stand der Technik für den Zeitraum vom Feb 2019 bis Aug 2019 ein. Das könnte aber ein vertretbares Risiko darstellen, wenn man im Gegenzug den Anmeldetag der EP bzw. der PCT um ein halbes Jahr nach hinten schieben kann.

Viele Grüße
 

Hans35

*** KT-HERO ***
@MainPatent:

Die Möglichkeit, in der DE2 auf die Priorität aus DE1 zu verzichten, besteht in der Tat. Dabei ist es aber wichtig, dass aus DE1 wirklich keine Rechte zurückbleiben.

Dass DE1 bereits mit der Inanspruchnahme der Priorität in DE2 als zurückgenommen gilt und dies auch Bestand hat, ist nur die halbe Miete. Es darf auch in keiner anderen (Auslands-)Anmeldung die Priorität aus DE1 in Anspruch genommen worden sein und aus DE1 darf auch kein Gebrauchsmuster abgezweigt worden sein. Und es darf wohl auch niemand (im Hinblick auf § 33 PatG) auf die DE1 hingewiesen worden sein. Und vielleicht gibt es da noch etwas, was mir gerade nicht einfällt.

... Ach ja, wenn in der DE2 Prüfungsantrag gestellt wurde, besteht evtl. das (zu Glück recht kleine) Risiko, dass die DE2 mit der Prio aus DE1 erteilt wird, bevor der Verzicht auf die Prio zu Akte gelangt. (Das kann passieren, falls Erteilungsbeschluss und Verzichtserklärung dasselbe Datum tragen oder nur wenige Tage auseinander liegen). Denn wenn man mit der DE1 sowieso schon kein Glück hat, dann kommt ja vielleicht auch noch Pech dazu...
 

Fip

*** KT-HERO ***
in Art. 87 (4) EPÜ heißt es:


... ebenso wenig darf diese ältere Anmeldung schon Grundlage für die Inanspruchnahme des Prioritätsrechts gewesen sein ...

Würde ein Verzicht (der ex-nunc wirkt) diese Bedingung rückwirkend beseitigen, wenn die Bedingung (eigentlich) schon mal erfüllt war?
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Das ist sicher auslegungsbedürftig.

Meine Meinung dazu ist, dass als Auslegungskriterium das zu nehmen ist, was in dieser Bestimmung drinsteht, nämlich die "bestehen bleibenden Rechte". Wenn die Inanspruchnahme der Priorität aus DE1 keinerlei erkennbare Folgen hat, dann müsste also alles so sein, als wäre diese Priorität nie in Anspruch genommen worden. Außer durch Akteneinsicht in die DE2 kann man nicht darauf kommen, dass es die DE1 jemals gab.

Aber der Wortlaut von 87(4) gibt wohl auch die gegenteilige Auffassung her. Wer also die EP angreifen will und Stand der Technik aus dem Priointervall (ausgehend von DE2) bereits vorliegen hat, der könnte es durchaus bei der DE2 mit einer Akteneinsicht versuchen, um dort auf die Inanspruchnahme der Priorität aus DE1 zu stoßen, auf die dann wieder verzichtet wurde.

Ich würde aber keine Garantie geben, dass er damit letztlich durchkommt. Ein entsprechender Präzedenzfall ist mir noch nicht begegnet.

Die Priorität hält jedenfalls zumindest so lange, wie niemand auf die Idee kommt, dass es eine DE1 gegeben haben könnte.
 
Zuletzt bearbeitet:

F1

BRONZE - Mitglied
Das Thema passt gerade zu meiner Frage, bei einem ähnlichen Sachverhalt.

Erstanmeldung von April 2021 (DE1) Für A-B-C nicht bezahlt.

Erstanmeldung soll wieder aktiviert werden durch eine Zweite Anmeldung in August (DE2) Für A-B-C. Die DE2 beansprucht die Priorität der DE1

Kann jetzt überhaupt noch eine Nachanmeldung in Ausland mit der Prio der DE1 erfolgen? In § 40 steht doch „es sei denn, daß für die frühere Anmeldung (DE1?) schon eine inländische oder ausländische Priorität in Anspruch genommen worden ist“

Ist das durch DE2 nicht erfolgt?
 

Hans35

*** KT-HERO ***
In § 40 steht doch „es sei denn, daß für die frühere Anmeldung (DE1?) schon eine inländische oder ausländische Priorität in Anspruch genommen worden ist“

Ist das durch DE2 nicht erfolgt?
Nein, wenn für die frühere Anmeldung (DE1) eine Priorität in Anspruch genommen wurde, dann muss es dazu eine Anmeldung gegeben haben, die älter als DE1 ist, aus der diese Priorität entnommen wurde.
 
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