Ich habe gerade die T 437/14 gelesen. Großartige Entscheidung! Großartige Vorlage and die GBK!
G 2/10 (Disclaimer II) war für mich die ärgerlichste GBK Entscheidung seit langer Zeit. Nicht nur, dass die G 2/10 die sehr nachvollziehbare und hilfreiche G 1/03 (Disclaimer I) ausgehebelt und damit wertlos gemacht hat; besonders geärgert hat mich, dass die Autoren der G 2/10 scheinbar nicht einmal gemerkt haben, was sie da anrichten. Zumindest haben sie nicht offen ausgesprochen, dass die G 1/03 damit faktisch kassiert ist.
Zur Erinnerung: die G 1/03 (Disclaimer I) hat es dem Anmelder erlaubt, in bestimmten Härtefällen einen Disclaimer einzufügen, um z.B. 54(3) Prior Art zu umgehen, oder um Ausschlüsse von der Patentierbarkeit (Art. 53) zu berücksichtigen. Und das selbst, wenn weder der Disclaimer noch der ausgeschlossene Gegenstand ursprünglich offenbart waren. Das hat für mich alles viel Sinn gemacht, und mehr als 10 Jahre lang konnte man die Frage der Zulässigkeit von "nicht offenbarten" Disclaimern eigentlich als zufriedenstellend beantwortet ansehen.
Dann kam die G 2/10. Diese sollte sich eigentlich nur um die Frage der Zulässigkeit von positiv offenbarten Disclaimern (d.h. Disclaimer, deren ausgeschlossener Gegenstand in der Anmeldung ursprünglich z.B. als positives Ausführungsbeispiel offenbart war) behandeln. Die Autoren der G 2/10 kamen zu dem Schluss, dass solche positiv offenbarten Disclaimer nur dann zulässig sind, wenn der verbleibende Gegenstand unmittelbar und eindeutig, zumindest implizit, in den ursprünglichen Unterlagen offenbart war ("remaining subject matter test"). Soweit - so gut. Eigentlich wie man es hätte erwarten können. Im Grunde auch sinnvoll.
Dann haben sich aber die Autoren der G 2/10 (m. E. völlig unnötiger Weise) noch zu Bemerkungen hinreißen lassen, die so verstanden werden konnten, und von Technischen Beschwerdekammern so verstanden wurden, dass der Goldstandard ("unmittelbar und eindeutig, zumindest implizit") im Übrigen auch bei nicht offenbarten Disclaimern (also in Fällen der G 1/03) als zusätzliches Zulässigkeitskriterium auf den verbleibenden Gegenstand anzuwenden wäre (siehe G 2/10, Punkt 4.7). Ohne es offen auszusprechen haben die Autoren der G 2/10 damit die G 1/03 ihres Sinnes beraubt und überflüssig gemacht. Wenn nämlich der verbeibende Gegenstand "unmittelbar und eindeutig" in der ursprünglichen Anmeldung offenbart ist, dann stellt sich die Frage der Zulässigkeit des Disclaimers gar nicht (bzw ist damit schon positiv beantwortet), und die "Härtefallregelungen" der G 1/03 werden gar nicht benötigt.
Nachdem viele Entscheidungen der Technischen Beschwerdekammern nach der G 2/10 versucht haben, entweder der G 2/10 einen Sinn zu geben, der der G 1/03 nicht offensichtlich widerspricht, oder aber nicht offenbarte Disclaimer am "remaining subject matter test" haben scheitern lassen, hat die T 437/14 diese Widersprüchlichkeit der G 2/10 nun endlich offen ausgesprochen, und der GBK folgende Fragen vorgelegt:
G 2/10 (Disclaimer II) war für mich die ärgerlichste GBK Entscheidung seit langer Zeit. Nicht nur, dass die G 2/10 die sehr nachvollziehbare und hilfreiche G 1/03 (Disclaimer I) ausgehebelt und damit wertlos gemacht hat; besonders geärgert hat mich, dass die Autoren der G 2/10 scheinbar nicht einmal gemerkt haben, was sie da anrichten. Zumindest haben sie nicht offen ausgesprochen, dass die G 1/03 damit faktisch kassiert ist.
Zur Erinnerung: die G 1/03 (Disclaimer I) hat es dem Anmelder erlaubt, in bestimmten Härtefällen einen Disclaimer einzufügen, um z.B. 54(3) Prior Art zu umgehen, oder um Ausschlüsse von der Patentierbarkeit (Art. 53) zu berücksichtigen. Und das selbst, wenn weder der Disclaimer noch der ausgeschlossene Gegenstand ursprünglich offenbart waren. Das hat für mich alles viel Sinn gemacht, und mehr als 10 Jahre lang konnte man die Frage der Zulässigkeit von "nicht offenbarten" Disclaimern eigentlich als zufriedenstellend beantwortet ansehen.
Dann kam die G 2/10. Diese sollte sich eigentlich nur um die Frage der Zulässigkeit von positiv offenbarten Disclaimern (d.h. Disclaimer, deren ausgeschlossener Gegenstand in der Anmeldung ursprünglich z.B. als positives Ausführungsbeispiel offenbart war) behandeln. Die Autoren der G 2/10 kamen zu dem Schluss, dass solche positiv offenbarten Disclaimer nur dann zulässig sind, wenn der verbleibende Gegenstand unmittelbar und eindeutig, zumindest implizit, in den ursprünglichen Unterlagen offenbart war ("remaining subject matter test"). Soweit - so gut. Eigentlich wie man es hätte erwarten können. Im Grunde auch sinnvoll.
Dann haben sich aber die Autoren der G 2/10 (m. E. völlig unnötiger Weise) noch zu Bemerkungen hinreißen lassen, die so verstanden werden konnten, und von Technischen Beschwerdekammern so verstanden wurden, dass der Goldstandard ("unmittelbar und eindeutig, zumindest implizit") im Übrigen auch bei nicht offenbarten Disclaimern (also in Fällen der G 1/03) als zusätzliches Zulässigkeitskriterium auf den verbleibenden Gegenstand anzuwenden wäre (siehe G 2/10, Punkt 4.7). Ohne es offen auszusprechen haben die Autoren der G 2/10 damit die G 1/03 ihres Sinnes beraubt und überflüssig gemacht. Wenn nämlich der verbeibende Gegenstand "unmittelbar und eindeutig" in der ursprünglichen Anmeldung offenbart ist, dann stellt sich die Frage der Zulässigkeit des Disclaimers gar nicht (bzw ist damit schon positiv beantwortet), und die "Härtefallregelungen" der G 1/03 werden gar nicht benötigt.
Nachdem viele Entscheidungen der Technischen Beschwerdekammern nach der G 2/10 versucht haben, entweder der G 2/10 einen Sinn zu geben, der der G 1/03 nicht offensichtlich widerspricht, oder aber nicht offenbarte Disclaimer am "remaining subject matter test" haben scheitern lassen, hat die T 437/14 diese Widersprüchlichkeit der G 2/10 nun endlich offen ausgesprochen, und der GBK folgende Fragen vorgelegt:
- Is the standard referred to in G 2/10 for the allowability of disclosed disclaimers under Article 123(2) EPC, i.e. whether the skilled person would, using common general knowledge, regard the subject-matter remaining in the claim after the introduction of the disclaimer as explicitly or implicitly, but directly and unambiguously, disclosed in the application as filed, also to be applied to claims containing undisclosed disclaimers?
- If the answer to the first question is yes, is G 1/03 set aside as regards the exceptions relating to undisclosed disclaimers defined in its answer 2.1?
- If the answer to the second question is no, i.e. if the exceptions relating to undisclosed disclaimers defined in answer 2.1 of G 1/03 apply in addition to the gold standard, may this standard be modified in view of these exceptions?
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