EPÜ Hauptanspruch mit rein funktionellen Merkmalen?

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

zum Wochenende mal wieder etwas Umfangreiches...

Funktionelle Merkmale sind ja (mit Einschränkungen) zulässig, aber dürfen auch alle (wesentlichen) Merkmale des Hauptanspruchs funktioneller Art sein?

Falls ja, wie neu (und erfinderisch) müssen die funktionellen Merkmale dann sein?

Falls nein, bzw. falls sie nicht erfinderisch (genug) wären, wären sie dann zumindest geeignet, eine gemeinsame erfinderische Idee zu begründen?

Es wäre natürlich generell wünschenswert, keine strukturellen Einschränkungen des Schutzbereiches zu haben, aber besonders interessant ist es m.E. dann, wenn es verschiedene Realisierungsmöglichkeiten gibt, die gemeinsam in einem Patent geschützt werden sollen.

Angenommen, der Mandant hat mehrere Lösungen für die gleiche Aufgabe gefunden, wobei die Aufgabe zwar im Stand der Technik evtl. als nahe liegend angesehen werden kann, aber bisher noch nicht gelöst worden war.
Kann man nun, da der Mandant entsprechende Lösungsmöglichkeiten beschreibt, den Anspruch nur mit entsprechenden funktionellen Merkmalen formulieren?


Nehmen wir an, die grundsätzliche Aufgabe sei es, einen Stoff durch Aufheizen vom festen in den gasförmigen Zustand umzuwandeln.
Sowohl Schmelz- als auch Siedetemperatur des Stoffes seien druckabhängig.

Im Stand der Technik ist hierzu beschrieben, den Stoff auf eine bestimmte Temperatur aufzuheizen, die über der Siedetemperatur beim höchsten vorkommenden Druck liegt.

Infolgedessen wird beim niedrigsten vorkommenden Druck viermal so viel Energie aufgewendet, wie dort eigentlich erforderlich wäre.


Daraufhin beschreibt eine im Stand der Technik ebenfalls offenbarte Beschreibung, den Stoff um eine bestimmte Temperaturdifferenz aufzuheizen, die so hoch gewählt wird, wie der Abstand zwischen Schmelz- und Siedetemperatur beim höchsten vorkommenden Umgebungsdruck ist. Somit wird erreicht, dass auch beim höchsten vorkommenden Druck der gasförmige Zustand erreicht wird.

Hierbei wird beim niedrigsten vorkommenden Druck "nur" dreimal so viel Energie aufgewendet, wie erforderlich wäre.


Um weitere Energie einzusparen stellt die Erfindung des Mandanten nun zwei Lösungen bereit, wie der Stoff durch Aufheizen vom festen in den gasförmigen Zustand umgewandelt werden kann, wobei die Temperaturdifferenz, um die der Stoff aufgeheizt werden muss, geringer als der Abstand zwischen Schmelz- und Siedetemperatur beim höchsten vorkommenden Umgebungsdruck gewählt werden kann.

Lösung 1 ist die Bestrahlung des Stoffes mit UV Licht.

Lösung 2 ist die, den Stoff einem elektrischen Feld aussetzen.


Wäre hier folgender Anspruchssatz voraussichtlich erteilbar?

1. Eine Methode, einen Stoff durch Aufheizen vom festen in den gasförmigen Zustand umzuwandeln, gekennzeichnet dadurch, dass das die Temperaturdifferenz, um die der Stoff aufgeheizt werden muss, geringer ist, als der Abstand zwischen Schmelz- und Siedetemperatur des Stoffes beim höchsten vorkommenden Umgebungsdruck.

2. Eine Methode nach Anspruch 1, gekennzeichnet dadurch, dass der Stoff mit UV Licht bestrahlt oder einem elektrischen Feld ausgesetzt wird.

3. Eine Methode nach Anspruch 2, gekennzeichnet dadurch, dass der Stoff mit UV Licht bestrahlt wird.

4. Eine Methode nach Anspruch 2, gekennzeichnet dadurch, dass der Stoff einem elektrischen Feld ausgesetzt wird.


Ich gehe davon aus, dass zumindest die Ansprüche 3 und 4 jeweils für sich (als unabhängige Ansprüche mit den entsprechenden funktionellen Merkmalen aus Anspruch 1 zusammen) ohne weiteres erteilbar wären.

Allerdings würden die beiden Ansprüche wohl als einzelne Erfindungen eingestuft werden und erstens zur Zahlung einer zweiten Recherchengebühr eingeladen und dann bezüglich eines der Ansprüche auf eine Teilung der Anmeldung verwiesen werden, was natürlich auch nicht optimal wäre.


Wäre Anspruch 1 erteilbar, könnten die anderen Ansprüche als abhängige Ansprüche ja auf keinen Fall eigene Erfindungen sein und die zweite Recherchengebühr und die Teilanmeldung wären vom Tisch.
Außerdem wären dann auch zukünftige Methoden, bei denen die Temperaturdifferenz, um die der Stoff aufgeheizt werden muss, geringer gewählt werden kann, als der Abstand zwischen Schmelz- und Siedetemperatur des Stoffes beim höchsten vorkommenden Umgebungsdruck, vom Schutzbereich des Patents abgedeckt.


Anspruch 2 (als unabhängiger Anspruch mit den entsprechenden funktionellen Merkmalen aus Anspruch 1 zusammen) wäre zwar noch auf die beiden konkret offenbarten Lösungen beschränkt, hätte diese aber schon mal in einem Anspruch zusammengefasst.

Wäre hier, auch wenn die funktionellen Merkmale aus Anspruch 1, welche die gemeinsame Verbindung der beiden Lösungen darstellen, evtl. nicht neu und erfinderisch wären, eine gemeinsame erfinderische Idee zu bejahen, oder könnte der Anspruch an sich als uneinheitlich eingestuft werden und entsprechend zur Zahlung einer zweiten Recherchengebühr eingeladen und bezüglich eines der Ansprüche auf eine Teilung der Anmeldung verwiesen werden?

Bin schon mal gespannt auf die Diskussion.

Gruß
Gerd
 

Pat-Ente

*** KT-HERO ***
Funktionelle Merkmale sind ja (mit Einschränkungen) zulässig, aber dürfen auch alle (wesentlichen) Merkmale des Hauptanspruchs funktioneller Art sein?

Falls ja, wie neu (und erfinderisch) müssen die funktionellen Merkmale dann sein?

Falls nein, bzw. falls sie nicht erfinderisch (genug) wären, wären sie dann zumindest geeignet, eine gemeinsame erfinderische Idee zu begründen?

Wenn die Erfindung im Anspruch nur durch funktionelle Merkmale definiert wird (was ich nicht grundsätzlich für ausgeschlossen halte), dann müssen diese natürlich neu und erfinderisch sein.
Die Frage "wie" erfinderisch gibt es nicht - entweder ist die beanspruchte Merkmalskombination für den FM naheliegend oder nicht. Nicht-erfinderische Merkmale können wohl kaum eine gemeinsame erfinderische Idee begründen.

Ich denke aber, dass man hier zwischen eT und Klarheit unterscheiden muss: Einerseits dürfen die Merkmale für den FM nicht naheliegend sein (was für eine hinreichend abstruse Kombination funktioneller Merkmale vielleicht gegeben ist), und andererseits müssen sie eine Lösung für ein Problem angeben, und nicht etwa nur einen Wunsch darstellen.

Zu Deinem konkreten Beispiel:

Genau die erfindungsgemäße Lösung
... wie [emphasis added] der Stoff durch Aufheizen vom festen in den gasförmigen Zustand umgewandelt werden kann, wobei die Temperaturdifferenz, um die der Stoff aufgeheizt werden muss, geringer [Anm: Unterschied zum SdT] als der Abstand zwischen Schmelz- und Siedetemperatur beim höchsten vorkommenden Umgebungsdruck gewählt werden kann.

findet sich nicht in Anspruch 1. Ich würde hier eine Beanstandung erwarten, dass der Anspruch nur auf "a result to be achieved" gerichtet ist.

Lösung 1 ist die Bestrahlung des Stoffes mit UV Licht.
Lösung 2 ist die, den Stoff einem elektrischen Feld aussetzen.

Sind das wirklich Lösungen? Die erforderliche Temperaturdifferenz zur Umwandlung in den gasförmigen Zustand kann doch nicht von der Art der Heizung abhängen, oder ist das Beispiel nur ungünstig gewählt? (Abgesehen davon, dass beide Heizarten wohl nicht erfinderisch wären)
 

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

eigentlich sind die zwei angegebenen Lösungen keine Arten der Heizung. Die Heizung wird z.B. durch ganz ordinäre Heizstäbe durchgeführt oder indem der Behälter von außen geheizt wird (Feuer, Heizwendeln etc.).

Das UV-Licht oder das elektrische Feld würden quasi nur die Verdampfungstemperatur herabsetzen, durch irgendwelche Effekte, die nicht thermisch wären. Gibt ja auch "kaltes Plasma".

Wäre dann Anspruch 1 "nur" ein Wunsch?

Falls ja, wäre dann ein Zusatz zu Anspruch 1 wie z.B. ", wobei dies dadurch realisiert ist, dass die effektive Verdampfungstemperatur gesenkt wird, vorzugsweise ohne dass es dafür erforderlich ist, den Druck unter den Umgebungsdruck zu senken" ok?

Das wäre ja eine Lösung für den voranstehenden "Wunsch".

Andererseits könnte man das ja auch als Wunsch ansehen. Aber irgendwann ist doch jedes funktionelle Merkmal eigentlich nur ein Wunsch, da muss es doch dann auch eine Grenze geben, oder?

Gruß
Gerd
 
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