das Wörtchen 'unbeschadet' im EPÜ und seine Bedeutung

grond

*** KT-HERO ***
Vielleicht eine sehr dumme Frage:

Was heißt eigentlich "unbeschadet" im Rahmen des EPÜ?

Eines von zahllosen Beispielen:

R. 39(4): "Unbeschadet der Regel 37 Absatz 2 Satz 2 werden Benennungsgebühren nicht zurückerstattet."

R.37(2) S. 2: "Für diese Anmeldung bereits entrichtete Gebühren werden zurückerstattet."

In der englischen bzw. französischen Variante heißt es "without prejudice to" und "sans prejudice de la regle", was mir nicht weiterhilft.

Heißt "unbeschadet":

a) R. 39(4) gilt immer, selbst wenn R. 37 zu widersprechen scheint

oder

b) R. 39(4) gilt, soweit R. 37 nicht etwas anderes besagt

Da "unbeschadet" nicht gerade zu meinem aktiven Wortschatz gehört, kann ich mich auch bei versuchsweisem Ersetzen des Wortes durch z.B. "trotz" nicht mit Sicherheit für eine der beiden Deutungsvarianten entscheiden. Aber vielleicht liegt das ja nur an mir...
 

Lysios

*** KT-HERO ***

grond

*** KT-HERO ***
Lysios schrieb:
Apropos, können Benennungsgebühren im voraus bei Anmeldung entrichtet werden, so dass es zu einem Konflikt von R.39(4) und R. 37(2)2 kommen könnte?

Wie sollte man sonst auf einen potentiellen Widerspruch zwischen den beiden Bestimmungen kommen? Wenn es möglich wäre, würde man doch vermutlich seine Benennungsgebühren wiederbekommen?
 

Horst

*** KT-HERO ***
----Unbeschadet----

Falls Du den Kley hast, findet sich auch ein weiteres schönes Beispiel mit "Übersetzung":

Auf Seite 84 G4/98, erster Leitsatz ist das Beispiel.

Übersetzung auf Seite 65, Kommentierung zu G4/98.

----Vorabzahlung Benennungsgebühr----

Nach Kley Kommentierung zu Art.4 GebO ist eine Zahlung einer Gebühr vor Fälligkeit unwirksam (außer Jahresgebühren).

Fraglich ist also die Fälligkeit einer Benennungsgebühr. M.E. ist das der Tag des Hinweises auf die Veröffentlichung (Art. 4 GebO iVm R.39(1) EPÜ), da man "ab dann" 6 Monate Zeit zur Zahlung hat.

Antwort wäre also: Nein, geht nicht.

Ich hoffe, das stimmt; habe keine Literaturmeinung dazu parat.
 

Horst

*** KT-HERO ***
Ginge es, würde man aber seine Benennungsgebühren erstattet bekommen, wegen des "unbeschadet". Insofern kann man "unbeschadet" mit "außer bei" übersetzen.
 

grond

*** KT-HERO ***
Die G98/04 war die Entscheidung, mit der ich mich gerade beschäftigt hatte, wobei meine Konzentration leider auf dem Tiefpunkt war.

Die Kommentierung im Kley hätte man auch so zusammenfassen können, dass eine Rücknahmefiktion für eine Benennung der Stammanmeldung auf eine bereits erfolgte Teilanmeldung keine Wirkung hat (G98/04), wegen der Rechtssicherheit aber eine nach der Rücknahmefiktion eingereichte Teilanmeldung nicht mehr auf die rückgenommenen Benennungsstaaten zurückgreifen kann (J95/22). Im Rechtsprechungsbuch ist das irgendwie griffiger ausgedrückt.

Derlei Feinheiten halte ich für typische Klausurfälle (am besten noch mit irgendwelchen Wiedereinsetzungen gewürzt...).
 

patient

Vielschreiber
Ich würde R39(4) wie folgt "übersetzen":

"Auch wenn in Regel 37 Absatz 2 Satz 2 etwas anderes behauptet wird, Benennungsgebühren werden auf gar keinen Fall zurückerstattet."

Benennungsgebühren werden übrigens bereits mit dem Tag der Einreichung der europäischen Patentanmeldung fällig (RiLi, A-XI, 5.2.1), nicht erst mit Veröffentlichung des europäischen Recherchenberichts.
Sprich: Bereits bei Einreichung der Anmeldung können Benennungsgebühren wirksam entrichtet werden.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
patient schrieb:
Ich würde R39(4) wie folgt "übersetzen":

"Auch wenn in Regel 37 Absatz 2 Satz 2 etwas anderes behauptet wird, Benennungsgebühren werden auf gar keinen Fall zurückerstattet."
Das ist ganz gewiß eine falsche Interpretation. Siehe z.B. Visser 15. Auflage, R 39, S. 424:

"The initial half-sentence of R 39(4) makes it clear that the principle whereby designation fees are not refunded does not apply in the special case referred to in R.37(2)."

Siehe auch Visser, R 37(2), S. 423:

"The term 'fees' includes any additional fees or surcharges which may have been paid."

Visser Art. 77(3), S. 149:

"If the application does not reach the EPO... all fees are refunded. Hence, apart from the filing, search and designation fees, the claims fees and examination fee are also refunded (R.37(2), last sentence)."

Aus meiner Sicht liegt die Begründung für diese Regelung darin, dass eine solche Anmeldung nur fiktiv als europäische Patentanmeldung gilt, die zurückgenommen wurde (Art. 77(3)). Deshalb ist R.37(2) notwendig, um einen zu Art. 90(2) äquivalenten Effekt zu erreichen, denn ein Anmeldetag wird ja niemals erteilt (Art. 80, R 40).
 

grond

*** KT-HERO ***
Lysios schrieb:
Das ist ganz gewiß eine falsche Interpretation. Siehe z.B. Visser 15. Auflage, R 39, S. 424:

"The initial half-sentence of R 39(4) makes it clear that the principle whereby designation fees are not refunded does not apply in the special case referred to in R.37(2)."
Dann sind wir ja wieder bei meiner Interpretationsmöglichkeit b) angekommen?

Ich finde es insgesamt schon faszinierend, dass ein so kleines und vielverwendetes Wörtchen soviel Verwirrung stiften kann...


Aus meiner Sicht liegt die Begründung für diese Regelung darin, dass eine solche Anmeldung nur fiktiv als europäische Patentanmeldung gilt, die zurückgenommen wurde (Art. 77(3)). Deshalb ist R.37(2) notwendig, um einen zu Art. 90(2) äquivalenten Effekt zu erreichen, denn ein Anmeldetag wird ja niemals erteilt (Art. 80, R 40).
Warum sollte die Anmeldung niemals einen Anmeldtag bekommen und somit z.B. eine Prioinanspruchnahme scheitern? Davon kann ich weder in Art. 80 noch in R. 40 etwas finden. Zudem ist die Anmeldung ja umwandelbar nach Art. 135(1) a), also muss es einen Anmeldetag geben.

Dass die Gebühren zurückerstattet werden, liegt m.E. schlicht daran, dass der Anmelder nichts dafür kann, dass seine Anmeldung nicht weitergeleitet wurde.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
grond schrieb:
Dann sind wir ja wieder bei meiner Interpretationsmöglichkeit b) angekommen?
In diesem speziellen Fall kann man das tatsächlich sagen. Generell ist es aber so, dass das eine nicht das andere berührt. In Verträgen formuliert man meist das eher auf diese Weise (Z.B.: "Die Gewährleistung wird hiervon nicht berührt.").

grond schrieb:
Warum sollte die Anmeldung niemals einen Anmeldtag bekommen und somit z.B. eine Prioinanspruchnahme scheitern? Davon kann ich weder in Art. 80 noch in R. 40 etwas finden. Zudem ist die Anmeldung ja umwandelbar nach Art. 135(1) a), also muss es einen Anmeldetag geben.
Stimmt, das kann man so sehen, dass dies gerade durch die Fiktion in Art. 77(3) bewirkt wird, wenn ein Umwandlungsantrag nach Art. 135(1) a) gestellt wird. Das ist mir gerade klar geworden. Hier wird das dann aber nach nationalem Recht beurteilt. Das nationale Amt, dass dann nicht weitergeleitet hat, wird dann sicherlich einen Anmeldetag nach nationalem Recht erteilen. In diesem Sinne wird kein Anmeldetag nach dem EPÜ erteilt, und das war es, was ich eigentlich meinte.

Damit wird die Zuständigkeit des EPA für die Erteilung eines Anmeldetags iVm. mit Art. 90 (2) ausgehebelt, die sich aus Art. 16 und Art. 90(1) ergibt. Visser sagt dazu bei Art. 90 (1), S. 191: "A national authority with which an application is filed is not competent to carry out this examination."
 

Horst

*** KT-HERO ***
Benennungsgebühren werden übrigens bereits mit dem Tag der Einreichung der europäischen Patentanmeldung fällig (RiLi, A-XI, 5.2.1), nicht erst mit Veröffentlichung des europäischen Recherchenberichts.
Prima danke. Der Verweis stand sogar daneben, hätte nur nachschlagen müssen. Arrgh.

Also ins Prosa: Benennungsgebühren gibts nicht zurück außer bei wenn nicht weitergeleitet vom nationalen Amt dann doch ;-)
 

grond

*** KT-HERO ***
Lysios schrieb:
In diesem speziellen Fall kann man das tatsächlich sagen. Generell ist es aber so, dass das eine nicht das andere berührt. In Verträgen formuliert man meist das eher auf diese Weise (Z.B.: "Die Gewährleistung wird hiervon nicht berührt.").
Ich habe einfach mal einen Blindtest mit meinem unjuristischen Vater gemacht. Er meint, das Wort hieße soviel wie "R.37(2)2 wird nicht geschmälert/beeinträchtigt" und hat das anhand des Wahrig verifiziert. Das deckt sich für mein Empfinden auch mit den englischen und französischen Varianten.


Stimmt, das kann man so sehen, dass dies gerade durch die Fiktion in Art. 77(3) bewirkt wird, wenn ein Umwandlungsantrag nach Art. 135(1) a) gestellt wird. Das ist mir gerade klar geworden. Hier wird das dann aber nach nationalem Recht beurteilt. Das nationale Amt, dass dann nicht weitergeleitet hat, wird dann sicherlich einen Anmeldetag nach nationalem Recht erteilen. In diesem Sinne wird kein Anmeldetag nach dem EPÜ erteilt, und das war es, was ich eigentlich meinte.
Das ist sicherlich eine Frage rechtsphilosophischer Natur. R. 155 spricht jedenfalls von der europäischen Anmeldung, auch wird im letzten Satz von Abs. 1 und in Abs. 4 von Art. 135 eine Wirkung der europäischen Anmeldung vorausgesetzt, die erlischt. Das würde für einen europäischen Anmeldetag sprechen, zumal die nicht rechtzeitige Übermittlung nicht bedeutet, dass der Anmelder nicht dennoch eine europäische Anmeldenummer von seinem nationalen Amt bekommen hat.

Art. 137(1) schreibt wiederum vor, dass die umgewandelte Anmeldung nicht nationalen Formvorschriften unterworfen werden darf, die über die des EPÜ hinausgehen. Das könnte man so interpretieren, dass die nationalen Ämter keine weiteren Hürden auf dem Weg zum Anmeldetag aufbauen dürfen.


Damit wird die Zuständigkeit des EPA für die Erteilung eines Anmeldetags iVm. mit Art. 90 (2) ausgehebelt, die sich aus Art. 16 und Art. 90(1) ergibt. Visser sagt dazu bei Art. 90 (1), S. 191: "A national authority with which an application is filed is not competent to carry out this examination."
Dem widerspricht aber Art. 75 (1) b) S. 2. Die Prüfung ist ja nicht die Voraussetzung für einen Anmeldetag, sondern die Einhaltung der Erfordernisse selbst. Hat die Anmeldung am Tag des Einreichens beim nationalen Amt die Erfordernisse der Formalprüfung erfüllt, wird dieser Tag als Anmeldetag zuerkannt.

Im übrigen wird mir gerade erst klar, dass bei der Nachreichung von fehlenden Zeichnungen die Anmelder von Vertragsstaaten, die eine nationale Einreichung vorschreiben (immerhin wirtschaftlich bedeutende Länder wie FR und IT), deutlich im Nachteil sind und aufgrund der Übermittlungsverzögerung vom nationalen Amt zum EPA und der dann dort erfolgenden Formalprüfung eine größere Verschiebung des Anmeldetages hinnehmen müssen...
 

grond

*** KT-HERO ***
Horst schrieb:
Prima danke. Der Verweis stand sogar daneben, hätte nur nachschlagen müssen. Arrgh.
Das passiert mir ständig! Irgendwo steht eigentlich die Antwort zu jeder Frage, aber man muss sie halt erst einmal finden, wofür man die Verweise wahrnehmen muss.

Gestern hatte ich schon eine lange Frage für das Forum geschrieben, als mir dann beim Suchen der für meine Frage relevanten Bestimmung noch der Verweis zur Rechtsprechung auffiel, wo die Frage dann vollumfänglich geklärt wurde (es ging um die Wirkung der Verzichtsfiktion auf einen Anspruch, für den keine Anspruchsgebühr entrichtet wurde, die Antwort steht auf S. 487 des Rechtsprechungsbuches...).

Informationen schnell zu erfassen und zu verarbeiten, ist m.E. die wichtigste Eigenschaft für einen Erfolg bei der EQE...
 

Lysios

*** KT-HERO ***
grond schrieb:
Das passiert mir ständig! Irgendwo steht eigentlich die Antwort zu jeder Frage, aber man muss sie halt erst einmal finden, wofür man die Verweise wahrnehmen muss.
Laut Aussage von Herrn Stauder im CEIPI D-Teil Seminar dieses Jahr zielt die EQE im DI-Teil nur darauf ab zu prüfen, ob die Kandidaten in der Lage sind, solche Informationen zu finden. Eigene rechtliche Analysen wie etwa in der deutschen Prüfung sind damit m.E. nicht gewünscht. Das passt auch zu der Vorstellung, das im EPÜ alles geregelt sein sollte. Nur über das Fallrecht wird dies aber letztlich realisiert, um so unabhängig vom nationalen Recht zu werden.

Im PCT ist das dann endgültig realisiert: Alles ist bereits geregelt, da aufgrund der Kürze des Verfahrens keine Rechtsprechung möglich ist. Einzige Ausnahme: das Widerspruchsverfahren.
 

Lysios

*** KT-HERO ***
grond schrieb:
Das ist sicherlich eine Frage rechtsphilosophischer Natur.
Deshalb werde ich auf diese Argumente nicht weiter eingehen.

grond schrieb:
Dem widerspricht aber Art. 75 (1) b) S. 2. Die Prüfung ist ja nicht die Voraussetzung für einen Anmeldetag, sondern die Einhaltung der Erfordernisse selbst. Hat die Anmeldung am Tag des Einreichens beim nationalen Amt die Erfordernisse der Formalprüfung erfüllt, wird dieser Tag als Anmeldetag zuerkannt.
Den Widerspruch zu Art. 75 sehe ich jetzt auch, aber in Bezug auf Regel 37 (und die Artikel gehen bekanntlich vor: Art. 164(2)). Da die Regel 37 durch Ausgliederung aus dem Artikel 77 des EPÜ 1973 entstanden ist, kann man wohl nur so argumentieren, dass dies keine Absicht des Gesetzgebers war und wir hier wieder einmal einen redaktionellen Schönheitsfehler gefunden haben.

Den Widerspruch zu Erkennung eines Anmeldetages sehe ich nicht. Dies ist in einem Artikel geregelt (Art. 16 und 90(1)), wo es klar heisst, dass nur das EPA nach Maßgabe der AusfO prüft, ob ein Anmeldetag zuerkannt werden kann. Da macht es keinen Unterschied, ob die Anmeldung direkt beim EPA eingereicht wurde oder nicht.
 

Horst

*** KT-HERO ***
Informationen schnell zu erfassen und zu verarbeiten, ist m.E. die wichtigste Eigenschaft für einen Erfolg bei der EQE...
Das ist für erfolgreiches Leben allgemein nicht schlecht :)

Es ist aber tatsächlich immer dasselbe:

a)Lösung steht im Skript (oder Kommentar), wenn nicht dann
b)Lösung steht in den Richtlinien, wenn nicht dann,
c)Lösung steht im Rechtsprechungsband.

Für PCT kann man c) sogar streichen.

Ich habe noch keine Frage gesehen, die nicht so lösbar war. Einziges Problem ist manchmal, dass man Dinge antworten soll, die gar nicht gefragt sind. Vor allem bei expliziten Fragen, bei sogenannten "open questions" sehe ich das ja noch ein.
 
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