Äußerung gegenüber Vertretern eines Wettbewerbers

Hans35

*** KT-HERO ***
Inder Entscheidung des BGH X ZR 14/20 lese ich heute den Leitsatz:

"Dokumente und Informationen, die den Teilnehmern eines Treffens einer Arbeitsgruppe des European Telecommunication Standards Institute (ETSI) in einer förmlichen Sitzung präsentiert werden, sind in der Regel der Öffentlichkeit zugänglich. Äußert sich dagegen ein Teilnehmer eines solchen Treffens außerhalb einer Sitzung im Gespräch mit anderen Teilnehmern zu technischen Sachverhalten, muss er regelmäßig nicht damit rechnen, dass diese Informationen einem nicht begrenzten Kreis von Personen zugänglich werden."

Und in Absatz 134 heißt es noch deutlicher:

"Äußert sich ein Teilnehmer eines Treffens einer Arbeitsgruppe außerhalb einer Sitzung im Gespräch mit anderen Teilnehmern zu technischen Sachverhalten, muss er regelmäßig nicht damit rechnen, dass diese Informationen einem nicht begrenzten Kreis von Personen zugänglich werden. Auch wenn die betreffende Äußerung gegenüber Vertretern eines Wettbewerbers erfolgt, darf er damit rechnen, dass sie von diesen vertraulich behandelt und allenfalls mit Mitarbeitern des von ihnen repräsentierten Unternehmens erörtert wird."

Das hatte ich mal ganz anders gelernt. Muss man das als Einzelfallentscheidung (bezügl. ETSI) abheften?
 

Fip

*** KT-HERO ***
Eigentlich ist das mit der ständigen Rechtsprechung des BGH (z.B. X ZR 75/18 und die darin zitierten X ZR 6/13 und X ZR 116/14) ganz gut in Einklang zu bringen.


Es ist halt immer einer Wertungsfrage, ob nach der Lebenserfahrung eine nicht nur theoretische und nicht zu entfernt liegende Möglchkeit, dass beliebige Dritte Kenntnis erlangen, geschaffen worden ist oder eben nicht.


Der BGH sagt hier vereinfacht ausgedrückt und etwas verallgemeinert ja nur, dass dann, wenn sich fachkundige Teilnehmer einer Tagung außerhalb dessen, was im Rahmen des offiziellen Programms prsäsentiert wird, privat untereinander austauschen, diese nicht damit rechnen müssen, dass beliebige Dritte Kenntnis vom Inhalt dieses Austauschs erlangen werden.


Man kann das natürlich so oder so sehen, aber der BGH bleibt hier meiner Auffassung nach eigentlich seiner Linie treu.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Der BGH sagt hier vereinfacht ausgedrückt und etwas verallgemeinert ja nur, dass dann, wenn sich fachkundige Teilnehmer einer Tagung außerhalb dessen, was im Rahmen des offiziellen Programms präsentiert wird, privat untereinander austauschen, diese nicht damit rechnen müssen, dass beliebige Dritte Kenntnis vom Inhalt dieses Austauschs erlangen werden.
Nach meinem Verständnis läuft das auf die Frage hinaus, wer "Dritter" ist, bzw. wer zur "Öffentlichkeit" gehört.

Nur wenn die Gesprächsteilnehmer und sogar auch jeweils weitere "Mitarbeitern des von ihnen repräsentierten Unternehmens" (auch ohne eine ausdrückliche Geheimhaltungsverpflichtung) nicht zur Öffentlichkeit gehören, wäre es ja abzuwägen, ob weitere "beliebige Dritte" die betreffenden Kenntnisse erlangen. Denn dass die Gesprächsteilnehmer selbst diese Kenntnis erlangt haben, ist ja als Tatsache vorausgesetzt. (D.h. es ist gar nicht fraglich, ob man "damit rechnen muss", dass diese die Kenntnis erlangt haben.)

Ein Gespräch am Rande einer ETSI-Tagung muss schon irgendwie anders zu beurteilen sein, als ein sonstiges Gespräch mit einer fachkundigen Person, wo (bei nicht vorhandener Geheimhaltungsverpflichtung) nicht weiter nachgeforscht werden muss, ob, wann und wem diese das Gehörte weiterträgt.

Eigentlich macht die Entscheidung nur Sinn, wenn durch die Tagungsteilnahme eine Geheimhaltungsverpflichtung fingiert wird.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Meiner Ansicht nach geht es insbesondere auch um das "beliebig".


In Kollege, mit dem man sich am Rande einer Fachtagung unterhält, ist nicht Teil einer "beliebigen" Öffentlichkeit. Es ist ja ein Austausch, bei dem man sich den Gesprächspartner aussucht und Kontrolle darüber hat, mit wem man spricht.


Der Vortragende eines Vortrags auf einer solchen Tagung hat diese Kontrolle nicht. Dessen Zuhörer, also die Summe aller Tagungsteilnehmer, sind hingegen "beliebig".


Ich weiß nicht, ob das Sinn macht, aber ich bilde mir ein, dass auf diese Weise ganz gut erklären zu können.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
In der Entscheidung ist von "beliebigen Dritten" nicht die Rede.

Vielmehr heißt es in dem zitierten Absatz, dass "... er (der die Informationen gebende Tagungsteilnehmer) damit rechnen darf, dass sie (die Informationen) von diesen (den Gesprächsteilnehmern) vertraulich behandelt werden ...".

Da in der Entscheidung von einer explizit vereinbarten Vertraulichkeit nicht die Rede ist, scheint mir dieser Satz zu bedeuten, dass in dem vorliegenden "Sonderfall" Vertraulichkeit zu fingieren ist.

Da es hier um das Verständnis eines Leitsatzes des BGH ist, stellt sich mir die Frage, wann ein solcher Sonderfall vorliegt. Die Begrenztheit des fraglichen Personenkreises ist nicht durch der Zahl oder den Status der beteiligten Personen gegeben, sondern nur durch die (woraus auch immer abzuleitende) Vertraulichkeit.
 

Fip

*** KT-HERO ***
In der Entscheidung ist von "beliebigen Dritten" nicht die Rede.

Das stimmt, aber "beliebig" taucht in der Rechtsprechung des BGH immer wieder auf und ist daher fester Bestandteil der seit Jahren in dieser Hinsicht konsistenten Rechtsprechung. Es ist somit davon auszugehen, dass die Wertungen des BGH diesem Gedanken auch in der hier diskutierten Entscheidung folgen.

Nur weil ein Wort in einer Entscheidung nicht auftaucht, heißt das ja nicht, dass die Entscheidung nicht auf dem seit Jahren verfolgten Konzept basiert und man diese Entscheidung gleich als einen "Sonderfall" ansehen muss. Diese Entscheidung ist schlicht die konsequente Anwendung des vom BGH seit Jahren verfolgten Konzepts:

Öffentlichkeit ist gegeben, wenn wenn die Weiterverbreitung der einem Empfänger übermittelten Kenntnis an beliebige Dritte und damit auch an Fachkundige nach der Lebenserfahrung nahegelegen hat und nicht nur die bloß theoretische und entfernt liegende Möglichkeit hierzu bestanden hat (so z.B. in X ZR 6/13 für ein Angebot, in X ZR 116/14 für den Fall einer Veräußerung eines Gegenstandes, in X ZR 75/18 für die Lieferung, Installation und Inbetriebnahme einer Anlage, ...).
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Letztlich geht es mir um die praktischen Konsequenzen dieses Leitsatzes.

Beispiel: Ein Erfinder (bevor er sich entschließt, sich anwaltlich beraten zu lassen und eine Patentanmeldung einreicht) nimmt Kontakt zu einer Firma auf, um zu fragen, ob diese ihm den fraglichen Gegenstand herstellen kann, was aber letztlich verneint wird. Von Vertraulichkeit ist dabei nicht die Rede.

Muss dieser Erfinder damit rechnen, dass diese Firma das Patent mit dem Vorbringen, dass dem Anspruchsgegenstand die Neuheit abzusprechen ist, erfolgreich angreifen kann? Oder ist nach der diskutierten Rechtsprechung diese Sorge unbegründet?

M.E. kommt es auch in diesem Beispiel darauf an, ob Vertraulichkeit fingiert werden kann, und zwar unabhängig davon, ob und wem die Firma die fraglichen Kenntnisse tatsächlich weitergegeben hat.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Es ist doch immer eine umfassende Beurteilung der Umstände des Einzelfalls vonnöten:


Hat der Erfinder in der Firma angerufen und der Mitarbeiterin in der Telefonzentrale als erstbeste Mitarbeiterin, die ihm über den Weg lief, seine Erfindung in allen Einzelheiten dargelegt und dann gesagt, es wäre doch schön, wenn die Firma seine Erfindung herstellen könnte. Die Mitarbeiterin solle doch mal im Unternehmen rumfragen, ob vielleicht irgendjemand Interesse hätte.



Oder hat der Erfinder um ein Einzelgespräch mit dem Leiter der Fertigung gebeten und seine Erfindung einem gezielt ausgesuchten Personenkreis in einem geschlossenen Termin dargelegt.


Ich will jetzt hier nicht alle möglichen Szenarien duchgehen, aber es geht doch darum, was man nach der Lebenserfahrung (siehe BGH Rechtsprechung) erwarten konnte bzw. erwarten durfte.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
Dass immer die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, ist ohnehin der Fall. Es geht aber darum, nach welchen Kriterien dieser Einzelfall zu beurteilen ist.

Nach dem zitierten Leitsatz kommt es darauf an, ob die fraglichen Informationen einem nicht begrenzten Kreis von Personen zugänglich werden." Und diese Begrenztheit ist (gem. Abs.134) dadurch gegeben, dass die Sache von den Gesprächsteilnehmern vertraulich behandelt und allenfalls mit Mitarbeitern des von ihnen repräsentierten Unternehmens erörtert wird. Letzteres ist (nach meinem Verständnis) eine zeitlich unbegrenzte Vertraulichkeit.

Ich verstehe das so, dass es hier darauf ankommt, dass einerseits die Mitarbeiter dieser Unternehmen auf Grund ihres Arbeitsvertrags o.ä. gegenüber firmenfremden Personen zur Vertraulichkeit verpflichtet sind und andererseits die Unternehmen selbst diese Vertraulichkeit wahren werden und nicht z.B. auf den fraglichen Informationen basierend eine Patentanmeldung tätigen könnten.

In der Entscheidung fehlt mir allerdings die Begründung, warum letzteres der Fall ist. Ich kann nur vermuten, dass dies mit den Verpflichtungen zu tun hat, die mit der Teilnahme der Unternehmen an ETSI verbunden sind.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Dass immer die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, ist ohnehin der Fall. Es geht aber darum, nach welchen Kriterien dieser Einzelfall zu beurteilen ist.

Warum muss es immer alles nach "Kriterien" gehen. Das hört sich so an, als müsse man alles "kategorisieren" oder in typisierende Schulbladen stecken können. Die Antwort ist doch einfach: Die Lebenserfahrung legt es nahe, dass Fachkollegen, die am Rande einer Tagung etwas in einem ausgesuchten, geschlossenen Personenkreis untereinander austauschen, dies vertraulich behandeln.

... Letzteres ist (nach meinem Verständnis) eine zeitlich unbegrenzte Vertraulichkeit.

Das bezweifle ich. Denn die Lebenserfahrung sagt (zumindest könnte man das so argumentieren), dass man irgendwann zur Auffassung gelangen kann: Man hat mir was vertrauliches erzählt, aber das ist so lange her und etwaige Patentanmeldungen wären längst getätigt (und ggf. veröffentlicht), dass es jetzt bestimmt OK ist, darüber zu sprechen.

In der Entscheidung fehlt mir allerdings die Begründung, warum letzteres der Fall ist. Ich kann nur vermuten, dass dies mit den Verpflichtungen zu tun hat, die mit der Teilnahme der Unternehmen an ETSI verbunden sind.

Wenn der BGH hier eine besondere Begründung für erforderlich gehalten hätte bzw. den Fall "ETSI" von anderen ähnlich gelagerten Fällen bei anderen Konferenzen/Tagungen/Symposien aufgrund von irgendwelchen Teilnahmebedingungen hätte abgrenzen wollen, dann hätte er es getan. Folglich (nach meiner Auffassung): Etwaige besondere Verpflichtungen, die mit der Teilnahme an "ETSI" verbunden sind, spielen keine Rolle.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
"... Letzteres ist (nach meinem Verständnis) eine zeitlich unbegrenzte Vertraulichkeit."

Das bezweifle ich. Denn die Lebenserfahrung sagt (zumindest könnte man das so argumentieren), dass man irgendwann zur Auffassung gelangen kann: Man hat mir was vertrauliches erzählt, aber das ist so lange her und etwaige Patentanmeldungen wären längst getätigt (und ggf. veröffentlicht), dass es jetzt bestimmt OK ist, darüber zu sprechen.
Die fraglichen Kenntnisse sind m.E. (erst) ab dem Tag der Öffentlichkeit zugänglich, an dem die vereinbarte (ggf. stillschweigend vereinbarte) Vertraulichkeit endet oder gebrochen wird, nämlich wenn es dann für die Kenntnisnahme keine Begrenztheit mehr gibt. Eine Ausdehnung des in die Vertraulichkeit einbezogenen Personenkreises (z.B. durch eine Patentanmeldung bis zum Tag der Offenlegung) macht die Kenntnisse hingegen noch nicht öffentlich zugänglich.

Insofern hast du sicher Recht: Die Vertraulichkeit kann auch zeitlich befristet vereinbart sein.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Es gibt mit BGH X ZR 32/20 jetzt eine weitere "Nuance" zum Thema "öffentliche Zugänglichkeit" von Informationen bzw. Dokumenten, die unter Teilnehmern eines Treffens einer Studiengruppe einer Standardisierungsorganisation ausgetauscht werden.
 

Hans35

*** KT-HERO ***
In BGH X ZR 32/20 steht eigentlich nichts Neues. In Abs. 87 heißt es:

"... Danach muss derjenige, der ein solches Dokument für ein Treffen einer Studiengruppe einreicht, damit rechnen, dass es sämtlichen Teilnehmern dieses Treffens zugänglich gemacht wird und diese in der Weitergabe nicht beschränkt sind. ..."

Zu den in Frage kommenden Schranken, die hierbei zu berücksichtigen sind, gehört neben der tatsächlichen Zugänglichkeit von schriftlichen Dokumenten eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit den persönlichen "Informationsträgern".

Für eine Verwendung des Dokuments als SdT genügt es, eine Lücke in dieser Beschränkung nachzuweisen. Hier konnte der Patentinhaber nicht entkräften, dass eine solche Lücke besteht. Ausschlaggebend ist wohl (vgl. Abs. 88), dass " ... die Vertreter von Mitgliedern der ITU, die an einem Arbeitstreffen teilnehmen, befugt sind, die für dieses Treffen bereitgestellten Dokumente an jeden Experten weiterzuleiten, dessen Rat sie als hilfreich ansehen."

In BGH X ZR 14/20 wurde ein entsprechende Sachverhalt wohl nicht vorgetragen.
 
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