Paralleles Verletzungs-/Einspruchsverfahren

Fip

*** KT-HERO ***
Für eine bestimmte Fallkonstellation, die wahrscheinlich an sich nichts besonderes ist, erhoffe ich mir durch diesen Beitrag hilfreiche Anregungen.

Mein Mandant legt gegen ein Europäisches Patent Einspruch ein. Der Anspruch schützt eine Vorrichtung mit einem Teilmerkmal A. Der Stand der Technik legt eine solche Vorrichtung grundsätzlich nahe, allerdings nur mit einer abgewandelten Form des Teilerkmals A, nämlich mit A*, dass jedoch dieselbe Funktion/denselben Zweck wie A erfüllt. In der Mitteilung der Einspruchsabteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung heißt es: Der Stand der Technik offenbare zwar A*, in keinem Fall aber A. Die Einspruchsabteilung sei der vorläufigen Auffassung, das Patent sei aufrecht zu erhalten. Die mündliche Verhandlung ist in 2 Monaten. Die Frist für eine letzte Eingabe läuft in einem Monat ab.

Der Patentinhaber verklagt meinen Mandanten aus dem deutschen Teil des europäischen Patents wegen des Verkaufs der Vorrichtung X. Diese weist neben den anderen Merkmalen des Anspruchs das Merkmal A* auf. In der Klageschrift heißt es: A* sei ein wortsinngemäße Verwirklichung von A. Wie wir ja alle wissen, neigt die Patentstreitkammer zur breiten, funktionsorientierten Auslegung. Wir erwarten, dass diese in A* eine wortsinngemäße Verwirklichung von A sieht. Die mündliche Verhandlung im Verletzungsverfahren ist Ende des Jahres, die Frist für die Klageerwiderung ist in drei Wochen.

Mit anderen Worten: Nach der Auslegung der Einspruchsabteilung ist das Patent wegen A ungleich A* aufrechtzuerhalten. Das hieße, mein Mandant verletzt nicht. Nach der erwarteten Auslegung des Verleztungsgerichts wäre die Verletzung wegen A gleich A* zu bejahen, dass Patent wäre aber zu widerrufen.

Meine Frage: Wie verhalte ich mich prozesstaktisch am geschicktesten (auch im Hinblick auf die bald ablaufenden Fristen für die Eingaben)? Was muss ich aus Eurer Sicht beachten?

Ich will dabei die Diskussion nicht darauf lenken, dass es ja an und für sich nicht zwei verschiedenen Auslegungen geben kann, dass der Patentinhaber ja nicht hier "Hü" und dort "Hott" sagen kann (was für mich meinen Mandanten ja auch gilt), dass möglicher Weise Äquivalenz und Formstein-Einwand eine Rolle spielt, dass ich nach dem Einspruchsverfahren Nichtigkeitsklage erheben kann und im Zweifel beim BGH dann endlich ein und derselbe Senat sich für Verletzung- und Nichtigkeitsverfahren auf ein- und dieselbe Auslegung des Merkmals festlegt. Mir geht es allein um das prozesstaktische Vorgehen.
 

grond

*** KT-HERO ***
Fip schrieb:
Meine Frage: Wie verhalte ich mich prozesstaktisch am geschicktesten (auch im Hinblick auf die bald ablaufenden Fristen für die Eingaben)? Was muss ich aus Eurer Sicht beachten?
Was spricht dagegen, die Klagebegründung des Patentinhabers im Einspruchsverfahren einzureichen? Letztlich musst Du doch den Patentinhaber nur dazu zwingen, sich zu entscheiden, ob A* denn nun gleich A ist oder nicht. Er ist Deinem Mandanten gegenüber dann auch im anderen Verfahren daran gebunden (allerdings nicht gegenüber Dritten).


Ich will dabei die Diskussion nicht darauf lenken, dass es ja an und für sich nicht zwei verschiedenen Auslegungen geben kann, dass der Patentinhaber ja nicht hier "Hü" und dort "Hott" sagen kann
Er darf es nicht gegenüber ein und derselben Partei.
 

Fip

*** KT-HERO ***
@ grond:

Was Du ansprichst ist das, was der BGH in "Luftabscheider für Milchsammelanlage" und "Weichvorichtung I, II" entschieden hat. Dem bin ich mir bewußt.

Aber:

  • Der BGH bezieht sich darauf, dass der Patentinhaber sich im Verletzungsverfahren an Aussagen im Nichtigkeits-/Einspruchsverfahren festhalten lassen muss, nicht umgekehrt. Das macht auch Sinn, denn Entscheidungen im Verletzungsstreit wirken nur zwischen den Parteien, die Entscheidung der Einspruchsabteilung wirkt für die gesamte Öffentlichkeit.
  • Ich bezweifle, dass sich die Einspruchsabteilung des EPA für die BGH Rechtsprechung interessiert. Ich bezweifle auch, dass sich das LG für die Auslegung des Streitpatents durch die Einspruchsabteilung interessiert (und umgekehrt).
  • Was passiert, wenn ich mich im Hinblick A bzw. A* im Einspruchsverfahren festlege. Muss ich mich dann im Verletzungsverfahren nicht auch daran festhalten lassen? Schneide ich mir das Argument, dass A* ungleich A ist und wir daher nicht verletzen, für das Verletzungsverfahren nicht selbst ab?

 

pak

*** KT-HERO ***
Fip schrieb:
1. Der BGH bezieht sich darauf, dass der Patentinhaber sich im Verletzungsverfahren an Aussagen im Nichtigkeits-/Einspruchsverfahren festhalten lassen muss, nicht umgekehrt. Das macht auch Sinn, denn Entscheidungen im Verletzungsstreit wirken nur zwischen den Parteien, die Entscheidung der Einspruchsabteilung wirkt für die gesamte Öffentlichkeit.
Hat der Patentinhaber in der Erwiderung auf Euren Einspruch nicht auch bereits ausgeführt, dass A ungleich A* ist. In diesem Fall würde ich dessen Erwiderung im Einspruchsverfahren der Klageerwiderung beifügen, so dass der Patentinhaber im Verletzungsverfahren daran gebunden ist, oder?

pak
 

grond

*** KT-HERO ***
Fip schrieb:
1. Der BGH bezieht sich darauf, dass der Patentinhaber sich im Verletzungsverfahren an Aussagen im Nichtigkeits-/Einspruchsverfahren festhalten lassen muss, nicht umgekehrt.
Gerade deshalb musst Du ihn ja im Einspruchsverfahren zu einer Aussage zum Verhältnis zwischen A und A* bringen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Einspruchsabteilung das komplett übergeht, wenn Du einen Vortrag des Patentinhabers aus der Verletzungsklage vorlegst, dass A und A* äquivalent oder sonstwie gleich sind. Und der Patentinhaber wird kaum darauf vertrauen können, dass sie es doch tut, sondern selbst zum Verhältnis zwischen A und A* etwas sagen müssen. Dem Patentinhaber wird es dann als beste Option erscheinen müssen, sein Patent ohne wesentliche Einschränkung zu retten und Deinen Mandanten dafür außenvor zu lassen (abgesehen von der Triviallösung, das Patent so einzuschränken, dass es erfinderisch ist, die Verletzungsform aber noch darunter fällt).


Das macht auch Sinn, denn Entscheidungen im Verletzungsstreit wirken nur zwischen den Parteien, die Entscheidung der Einspruchsabteilung wirkt für die gesamte Öffentlichkeit.
Es ist lange her, dass ich mich mit dem Milchabscheider beschäftigt habe, die anderen beiden Entscheidungen kenne ich gar nicht. Meiner Erinnerung nach basiert die Entscheidung doch auf Treu und Glauben, also einem quasi-vertraglichen Verhältnis zwischen den Parteien. Das müsste dann aber auch in beiden Richtungen zwischen den Verfahren funktionieren.


2. Ich bezweifle, dass sich die Einspruchsabteilung des EPA für die BGH Rechtsprechung interessiert.
Hm, naja, der BGH jedenfalls macht ja gerne eine europaweite Rechtsrundschau und umgekehrt macht das auch die Große Beschwerdekammer, bei der meines Wissens mindestens eine gewisse personelle Überschneidung mit nationalen Gerichten gegeben ist. Außerdem geht es ja erst einmal nicht darum, dass sich die Einspruchsabteilung irgendwie rechtlich an das BGH-Urteil gebunden fühlen soll, sondern einfach nur die technische Ausführung des Patentinhabers selbst zur Kenntnis nimmt.

Und immerhin gibt es Art. 105 und R. 89 EPÜ, die einen direkten Zusammenhang zwischen Einspruch und nationalem Verletzungsverfahren herstellen, von daher kann die Einspruchsabteilung das eigentlich nicht guten Gewissens als unbeachtlich ansehen, was im Verletzungsverfahren vorgetragen wird. Ansonsten könnte man eventuell noch anregen, dass die Einspruchsabteilung sich um ein rechtskundiges Mitglied nach Art. 19(2) EPÜ erweitert.


Ich bezweifle auch, dass sich das LG für die Auslegung des Streitpatents durch die Einspruchsabteilung interessiert (und umgekehrt).
Genau das ist ja ein Kernproblem der deutschen Trennung in Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren. Da kann es dann schon zu Konstellationen kommen, dass im Nichtigkeitsverfahren eine offensichtliche Kombination von A und B den Patentgegenstand A+B' nicht nahelegt, im Verletzungsverfahren jedoch der Verletzungsgegenstand A+B unter das Patent subsumiert wird (Formsteineinwand zieht nicht, da es sich nicht um ein Äquivalenzproblem handelt und sich das Verletzungsgericht nicht mit Offensichtlichkeitserwägungen beschäftigen mag, die ins Nichtigkeitsverfahren gehören).

Das LG wird sich aber dafür interessieren, wenn der Patentinhaber im Einspruch ausgeführt hat, dass A und A* was völlig anderes seien, weshalb sein Patentgegenstand nicht nahegelegt sei.


3. Was passiert, wenn ich mich im Hinblick A bzw. A* im Einspruchsverfahren festlege. Muss ich mich dann im Verletzungsverfahren nicht auch daran festhalten lassen?
Nö, wieso? Du musst Dich nicht wie in den USA an Dein Geschwätz von gestern binden lassen. Es geht hier doch nur um einen Vertrauensschutz zwischen den Streitparteien. Wenn der Patentinhaber ein Merkmal des Streitpatentes im Einspruchs/Nichtigkeitsverfahren in einer bestimmten Weise interpretiert, die es vom SdT abhebt, dann muss ich auch im Verletzungsverfahren darauf vertrauen dürfen, dass er auch dort diese Interpretation anwendet.
 

Fip

*** KT-HERO ***
pak schrieb:
Hat der Patentinhaber in der Erwiderung auf Euren Einspruch nicht auch bereits ausgeführt, dass A ungleich A* ist. In diesem Fall würde ich dessen Erwiderung im Einspruchsverfahren der Klageerwiderung beifügen, so dass der Patentinhaber im Verletzungsverfahren daran gebunden ist, oder?
Nun, das hat er leider nicht, zumindest nicht klar. Er hat sich bei seiner bisherigen Argumentation auf die vermeintliche Erfindungshöhe anderer Merkmale gestützt. Die Argumente sind aber schon fast zu schwach, um sie überhaupt ernst zu nehmen.

Das Argument A ungleich A* hat eigentlich erst die Einspruchsabteilung erstmals in ihrer vorläufigen Einschätzung fallen lassen (bis dahin war ich auch äußerst siegesgewiß). Zuvor waren beide Seiten mehr oder minder stillschweigend davon ausgegangen sind, dass wohl A = A* gilt. Das zeigt sich auch daran, dass der Patentinhaber in seiner Klage (eingereicht, bevor er die Mitteilung der Einspruchsabteilung erhalten hat) nicht mal den Versuch macht, diese Frage zu thematisieren.
 

grond

*** KT-HERO ***
Fip schrieb:
Das Argument A ungleich A* hat eigentlich erst die Einspruchsabteilung erstmals in ihrer vorläufigen Einschätzung fallen lassen [...] Zuvor waren beide Seiten mehr oder minder stillschweigend davon ausgegangen sind, dass wohl A = A* gilt.
Klares Zeichen, dass Du hierzu dringend vortragen musst, der Vortrag aber eventuell trivialen Inhalts sein kann. Die Einspruchsabteilung wird nicht einmal über kleinste argumentative Lücken springen. Ich hatte mal einen EP-Einspruch, bei dem ich einer expliziten Angabe eines Volumens und einer Oberfläche, die im Anspruch ins Verhältnis gesetzt wurden, ein solches Verhältnis aus dem SdT entgegengehalten habe. In der vorläufigen Einschätzung kam die EA zu der Ansicht, das Patent sei aufrechtzuerhalten. Ich musste noch einen SdT für einen typischen Wert von Oberfläche ODER Volumen bringen, damit die Verhältnisangabe griff. Der war schnell gefunden und das Patent ging restlos unter (super Kneipengeschichte...).
 
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