Naheliegen aufgrund statistischer Wahrscheinlichkeit?

Fip

*** KT-HERO ***
Ich habe einen Fall, der sich- stark abstrahiert - in etwa wie folgt darstellt:

Es gibt freien Stand der Technik, der in einer alten USPatentschrift US1 beschrieben ist. Dieser freie Stand der Technik beschreibt ein Verfahren mit den Verfahrensschritten (a), (b), (c), (d).

Merkmal (c) lautet: „…besetze das Feld X in einer Datenbank mit einer einstelligen Ziffer …“

Gemeint ist damit nach der Beschreibung der US1, dass man sich nach dem Zufallsprinzip eine einstellige Ziffer aussuchen und das betreffende Feld in der Datenbank mit dieser Nummer bedaten soll(einschließlich der „0“ ergeben sich also 10 Möglichkeiten).

Unternehmen A betreibt das Verfahren so, wie in US1 beschrieben.

Unternehmen B hält ein gegenüber der alten US Veröffentlichung deutlich jüngeres Patent DE1, dass ein Verfahren mit den Verfahrensschritten (a), (b), (c)* und (d) unter Schutz stellt. Schritte (a), (b) und (d) sind identisch mit den hierzu korrespondierenden Schritten in US1.

Merkmal (c)* in DE1 lautet: „… besetze das Feld X in einer Datenbank mit einer einstelligen Ziffer,die eine Primzahl ist …“

Das Patent erläutert in der Beschreibung ausführlich die Vorteile, die sich aus dem zusätzlichen Auswahlkriterium „Primzahl“ ergeben. Diese Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen.

B hat A wegen Patentverletzung verklagt, denn A hat nachweislich bei der Zufallsauswahl, die Merkmal (c) der US1 fordert, die „7“ausgewählt. A hatte von der DE1 keine Kenntnis und die Auswahl der „7“ basiert, wie von der US1 vorgegeben, auf reinem Zufall. Die wortsinngemäße Verletzung des Patents DE1 durch A ist jedoch offensichtlich, denn die „7“ ist eine Primzahl. A verteidigt sich mit einer Nichtigkeitsklage.

Das Bundespatentgericht weist die Nichtigkeitsklage mit der Begründung ab, dass der Stand der Technik, insbesondere die US1, dem Fachmannk einen Anlass gebe, die in US1 beschriebene beliebige Zufallsauswahl durch das in DE1 eingeführte zusätzliche Auswahlkriterium „Primzahl“ einzuschränken. Das zusätzliche Auswahlkriterium „Primzahl“ vorzusehen habe für den Fachmann daher nicht nahe gelegen.

In der Tat veranlasst die US1 den Fachmann nicht einmal, sich überhaupt darüber Gedanken zu machen, ob es sinnvoll sein könnte, nicht irgendeine beliebige der zehn Möglichkeiten auszuwählen, sondern eine Vorauswahl zu treffen. Nach der Lehre der US1 ist es egal, auf welche Nummer die Auswahl trifft. Die US1 führt leider auch keine konkreten Beispiele an und damit natürlich auch keines, in dem (zufällig) eine Primzahl in Verbindung mit Merkmal (c) genannt ist. Andererseits liegt aber die Wahrscheinlichkeit bei 40%, dass derjenige, der nichts anderes macht, als die US1 nachzuarbeiten, eine Auswahl trifft, die – und sei es zufällig und unbewusst – das von der DE1 gefordert Kriterium „Primzahl“ erfüllt (Primzahlen sind 2,3,5,7).

Irgendwie sträubt sich da bei mir mein Gerechtigkeitsempfinden. Kennt jemand Rechtsprechung, die auf einen solchen Fall passt? Gibt es insbesondere Rechtsprechung, die sich mit der Frage befasst, ob etwas patentierbar ist, wenn die Nacharbeitung des freien Standes der Technik den Fachmann statistisch gesehen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu demselben Ergebnis führt, das in dem jüngeren Patent beansprucht ist? Oder sehe ich da (mal wieder) ein Problem, wo gar keines ist?
 

Rex

*** KT-HERO ***
Ich sehe das so:

Die Lehre der DE1 ist doch eine klassische "Auswahlerfindung", denn der Bereich 0-9 war aus der US1 bekannt und der Bereich der Primzahlen ist besonders vorteilhaft und deshalb neu und erfinderisch.
Dass auf Auswahlerfindungen grundsätzlich ein Patent erteilbar ist, ist allgemein anerkannt und steht sogar in den EPA-Richtlinien. Insofern hat das Bundespatentgericht die Nichtigkeitsklage gegen die DE1 mit einer nachvollziehbaren Begründung abgewiesen.

Davon zu trennen ist die Frage der Patentverletzung.

Wenn A das Verfahren tatsächlich genau so ausführt, wie es in der alten Patentschrift US1 beschrieben ist, verletzt er die DE1 meiner Meinung nach nicht, weil er den freien Stand der Technik benutzt. In dem freien Stand der Technik ist gewissermaßen die Verwendung der Primzahlen mit einer Wahrscheinlichkeit von 40% enthalten. Der technische Vorteil der DE1 im Verhältnis zum freien Stand der Technik stellt sich aber nur ein, wenn man ausschließlich die Primzahlen benutzt. Dann würde allerdings eine Verletzung vorliegen.
 
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upupa

GOLD - Mitglied
Irgendwie sträubt sich da bei mir mein Gerechtigkeitsempfinden. Kennt jemand Rechtsprechung, die auf einen solchen Fall passt?

Ich erkenne gar keine spezielle Problematik im Vergleich zu der generellen Fallgestaltung die immer zwischen abhängigen Patenten besteht:

Der Inhaber des älteren Patents kann ja ohne weiteres (dann halt absichtlich und nicht mehr zufällig) auf die nicht geschützten Ausführungsformen (..,4,6..) ausweichen, die für ihn gleichwertig erscheinen (z.B. in Antwort auf die Berechtigungsanfrage). Und der Inhaber des jüngeren Patents kann aber überhaupt nichts ohne die Einwilligung des Inhabers des älteren Patents machen, sondern ist von diesem komplett, auch in Bezug auf die Primzahlen, abhängig.

Ich finde diese Situation, rein gerechtigkeitsmäßig, schon in Ordnung.
 

Rex

*** KT-HERO ***
Der Inhaber des älteren Patents kann ja ohne weiteres (dann halt absichtlich und nicht mehr zufällig) auf die nicht geschützten Ausführungsformen (..,4,6..) ausweichen

Ich hatte das so verstanden, dass es hier laut Titel um das Problem von statistischen Wahrscheinlichkeiten geht. In dem Sinne, dass das Verfahren der US1 automatisch, z.B. auf einem Computer ausgeführt wird und ein Zufallszahlengenerator bei jedem Durchlauf eine Zufahlzzahl 0 bis 9 auswählt. Dann tritt nach dem Stand der Technik der vorteilhafte ausgewählte Bereich der DE1 mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit von 40% auf. Das wäre also ein komlizierter Fall einer abhängigen Erfindung.

Die Frage ist dann, ob dieses Verfahren gemäß US1 die DE1 verletzt. Ich würde sagen, das man nicht verletzt, soweit bei der Durchführung die statistische Wahrscheinlichkeit des Auftretens der Primzahlen nicht über 40% liegt, man aber in diesem Rahmen die Primzahlen durchaus verwenden darf.
 
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grond

*** KT-HERO ***
Ich hatte das so verstanden, dass es hier laut Titel um das Problem von statistischen Wahrscheinlichkeiten geht. In dem Sinne, dass das Verfahren der US1 automatisch, z.B. auf einem Computer ausgeführt wird und ein Zufallszahlengenerator bei jedem Durchlauf eine Zufahlzzahl 0 bis 9 auswählt. Dann tritt nach dem Stand der Technik der vorteilhafte ausgewählte Bereich der DE1 mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit von 40% auf.

In diesem Fall wäre das jüngere Patent nach meiner festen Überzeugung nicht verletzt, weil ja gerade kein Gebrauch von der technischen Lehre "benutze (in jedem Fall) eine Primzahl" gemacht wird, selbst wenn zufällig bei einer Implementation eine Primzahl ausgewählt wird. Schwieriger wird es, wenn eine solche Initialisierung nur ein einziges mal ausgeführt wird und rein zufällig eine Primzahl verwendet wird. Aber auch hier wäre zu belegen, ob das immer der Fall ist oder nur bei einem aufgefundenen Verletzungsgegenstand. Die Beweislast dürfte dann aber auf Seiten des mutmaßlichen Verletzers liegen, da der Patentinhaber über eine positive Probe hinaus kaum belegen können wird, dass sein Patent verletzt wird.
 

Fip

*** KT-HERO ***
Also, ich muss offen gestehen, dass ich weder den Ansatz "Auswahlerfindung" noch den Ansatz "keine Patentverletzung" teilen kann.

Zu "keine Patentverletzung" kann ich nur sagen, dass die Auswahl der "7" - sei sie nun zufällig, wissentlich und willentlich oder sonst wie ausgesucht worden - eine wortsinngemäße Verwirklichung der Lehre von DE1 ist. Fertig. Dass ich sagen kann, ich verwirkliche zwar die Lehre der DE1 wortsinngemäß, andererseits verletze ich aber nicht, wäre mir neu. Und fehlende Schuldhaftigkeit oder Ähnliches kann man hier wohl ausschließen.

Bei dem Thema "Auswahlerfindung" habe ich so meine Probleme, den Fall darunter einzuordnen. Denn die US1 lehrt mich: Wähle nach dem Zufallsprinzip eine Ziffer zwischen "0" und "9". Dabei fällt die Wahl halt mal auf eine Primzahl, mal nicht. Das heißt aber doch eigentlich, dass das Merkmal "Primzahl" in der DE1 eigentlich ein statistisch zwingendes Ergebnis der Nacharbeit der US1 ist.

Eine Auswahlerfindung zeichnet sich aber gerade doch dadurch aus, dass man sagt, der Fachmann habe keine Veranlassung gehabt, einen bestimmten engeren Bereich als den im Stand der Technik offenbarten auszuwählen, weil der Stand der Technik keinen Anlass dazu gibt. Bei meinem Fall gibt der Stand der Technik aber Anlass, ja schreibt sogar vor, eine Handlung durchzuführen, deren Ergebnis zwangsläufig auch mal die Lehre des jüngeren Patents trifft, wenn auch unbeabsichtigt.
 

upupa

GOLD - Mitglied
Ich hatte das so verstanden, dass es hier laut Titel um das Problem von statistischen Wahrscheinlichkeiten geht. In dem Sinne, dass das Verfahren der US1 automatisch, z.B. auf einem Computer ausgeführt wird und ein Zufallszahlengenerator bei jedem Durchlauf eine Zufahlzzahl 0 bis 9 auswählt. Dann tritt nach dem Stand der Technik der vorteilhafte ausgewählte Bereich der DE1 mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit von 40% auf. Das wäre also ein komlizierter Fall einer abhängigen Erfindung.

Wo wird's denn da kompliziert? Man kann sich doch bei wortsinngemäßer Verletzung nie darauf hinausreden, dass man nach irgendeinem freien Stand der Technik arbeitet, oder hab ich was verpasst?

Das 40% Wahrscheinlichkeits-Argument kann wunderbar bei Neuheit und erf. Tätigkeit diskutiert werden, aber dann ist doch auch gut.

Es ist ja noch nicht mal ausgeschlossen, dass ein noch viel Schlauerer demnächst mal ein Patent DE2 auf die bislang noch freien Zahlen erhält (weil da gibt's ja u.U. noch einen bislang völlig unerkannten und überraschenden Clou), und dann kann überhaupt niemand mehr ohne Lizenzen eines der beiden DE-Patentinhaber arbeiten.

Wenn überhaupt, dann steckt die Ungerechtigkeit meiner Meinung nach in der Beurteilung der erf. Tätigkeit durchs BPatG, aber jedenfalls nicht in der Frage der wortsinngemäßen Verletzung.
 

Gerd

*** KT-HERO ***
Hi,

in DE stellt sich bezüglich Verletzung auch noch die Frage des Vorbenutzungsrechts.
Kann nachgewiesen werden, dass die 7 schon vor Anmeldung von DE1 zufällig benutzt wurde, sollte dies für den Vorbenutzer auch weiterhin möglich sein.

Gruß
Gerd
 
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