Der Mythos vom frei nutzbaren Gegenstand abgelaufener Patente a.k.a. "freier Stand der Technik"

Kurt

*** KT-HERO ***
Hallo Community,

bekanntlich ist an diversen Stellen von diversen Institutionen zu erfahren, dass der Gegenstand abgelaufener Patente "jedermann zur freien Verwendung" zur Verfügung steht:

Patentamt Schweiz
Ist der Patentschutz abgelaufen, dürfen Sie das technische Wissen frei verwenden.

Erfinderzentrum Norddeutschland GmbH
Abgelaufene Schutzrechte gehören zum freien Stand der Technik und deren Gegenstände können von jedermann genutzt werden.

FasterCapital LLC
Sobald Patente das Ende ihrer Schutzdauer erreichen, können sie von jedermann genutzt, geändert [sic!] oder kommerzialisiert werden.

Regierungspräsidium Stuttgart, Informationszentrum Patente
Spätestens mit dem Ablauf des Patentschutzes [...] ist jedermann berechtigt, die im Patent verankerte Technologie zu vertreiben und/oder zu benutzen.

Europäisches Patentamt
Wenn das Patent nicht mehr aufrechterhalten wird oder seine Laufzeit abgelaufen ist, ist die Erfindung nicht mehr geschützt und kann von jedem frei verwendet werden.

Das ist doch allenfalls hypothetisch oder in einer idealen Welt der Fall?

Ein denkbarer Fall ist doch schon derjenige, dass von demselben oder einem anderen Anmelder beispielsweise nach 17 Monaten weitere Schutzrechte auf fast denselben Gegenstand angemeldet wurden, welche somit nur neu, aber nicht erfinderisch gegenüber dem "Ablaufpatent" sein müssen. Somit wäre nach Ablauf des "Ablaufpatents" fast derselbe Gegenstand wie derjenige des Ablaufpatents immer noch geschützt.

Ein weiterer und wahrscheinlich häufiger Fall liegt doch darin, dass entweder derselbe oder ein anderer Anmelder irgendwann später ähnliche oder identische Gegenstände angemeldet und erteilt bekommen hat, beispielsweise weil der Prüfer das "Ablaufpatent" nicht gefunden oder nicht nachdrücklich entgegengehalten hat.

Zwar wären solche späteren Schutzrechte streng genommen zu Unrecht erteilt, aber was hilft das, wenn die Einspruchsfrist abgelaufen ist und man womöglich einen Konzern auf Nichtigkeit seiner Patentfamilie verklagen muss.

Ein weiteres Beispiel besteht doch darin, dass bei einer späteren Kopie des Gegenstands des "Ablaufpatents" (nach dessen Ablauf) nicht nur exakt dessen Anspruchsmerkmale vorhanden sein dürften, sondern einige oder üblicherweise viele weitere Merkmale – womit der Gegenstand dann eine beliebige Zahl anderer Schutzrechte verletzen könnte.

Trifft es also zu, dass man niemandem den Rat erteilen sollte, er könne den Gegenstand eines abgelaufenen Patents "einfach so" benutzen – und dann ruhig darüber schlafen?

Ist es nicht vielmehr so, dass der Gegenstand eines abgelaufenen Patents allenfalls Indiz dafür sein kann, dass es "weniger" Schutzrechte geben mag, die denselben oder nahezu denselben Gegenstand schützen, dass man jedoch nicht umhin kommt, dieselbe FTO machen zu müssen wie bei jedem anderen Entwicklungsprojekt?
 
Zuletzt bearbeitet:

pak

*** KT-HERO ***
Gegenstand des Patents ist nach § 14 PatG diejenige technische Lehre, die der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann den Patentansprüchen unter Heranziehung der Patentbeschreibung und -zeichnungen und des darin mitgeteilten oder sonst zu seinem allgemeinen Fachwissen gehörenden Standes der Technik am Anmelde- oder Prioritätsstag ohne besondere Überlegungen entnimmt.
(BGH GRUR „Stromwandler“)

Sollte die Frage eigentlich beantworten. Natürlich geht es bei den Hinweisen stets um den Gegenstand dieses speziellen Patents und nicht um andere Patente mit ähnlichem Schutzbereich ...

Gruß

pak
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Ich glaube nicht, dass die Frage damit beantwortet ist. Natürlich ist die Herausarbeitung des "Gegenstands eines Patents", wahlweise die Ermittlung dessen Schutzbereichs, für sich genommen eine Herausforderung. Damit wird aber die oben dargelegte Situation nicht besser, sondern es werden noch zusätzliche Unwägbarkeiten eingeführt.
 

pak

*** KT-HERO ***
Ist es nicht vielmehr so, dass der Gegenstand eines abgelaufenen Patents allenfalls ein Indiz dafür sein kann, dass es "weniger" Schutzrechte geben mag, die denselben oder nahezu denselben Gegenstand schützen, dass man jedoch nicht umhin kommt, dieselbe FTO machen zu müssen wie bei jedem anderen Entwicklungsprojekt?
Du hast die Antwort doch schon gegeben ....
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Es war zwar keine Antwort, sondern eine Frage -- aber anscheinend stimmst du zu.

Hier gerade noch eine der wenigen spezifischeren Aussagen zur Verwendung "freien" Standes der Technik gefunden:
Serviva GmbH
Allerdings ist es häufig auch sinnvoll, bereits abgelaufene Patente in die Recherche mit einzubeziehen. Zeigt sich, dass solche Schutzrechte als sog. „freier Stand der Technik“ die Recherchemerkmale zutreffend beschreiben, so können diese Dokumente eventuell im Rahmen von Einspruchsverfahren für die Neutralisierung „störender“ Schutzrechte verwendet werden.
 
Zuletzt bearbeitet:

PatFragen

*** KT-HERO ***
Hallo Kurt,

so ganz verstehe ich deine Frage nicht. Nach deinem Profil bist du doch schon lange hier aktiv? Dann solltest du doch mittlerweile eine exakte Ausdrucksweise gewöhnt sein, oder?

Deine Quellen sprechen doch von dem Gegenstand, dem technischen Wissen oder der Erfindung und nicht von einem Gegenstand/Wissen/Erfindung, der die Merkmale XYZ oder XYZ' aufweist. Ein Gegenstand, der mehr als die Merkmale oder "nur" ähnliche Merkmale, wie der beschriebene Gegenstand aufweist, ist doch nicht mehr der gleiche Gegenstand, sondern ein anderer Gegenstand, über den deine zitierten Textstellen keinerlei Aussagen machen.

Oder bist du wirklich der Meinung ein Gegenstand mit den Merkmalen A, B, C und D ist der gleiche Gegenstand wie einer mit den Merkmalen A, B, C, D' oder A, B, C, D und E? Dass dem nicht so ist, kann man doch schon daran erkennen, dass du den Gegenstand A+B+C+D+E oder A+B+C+D' gegenüber dem mit A+B+C+D patentiert bekommen kannst ;-). Ja ein Großteil deiner täglichen Arbeit besteht doch womöglich gerade darin, dem Amt zu erklären, dass die Erfindung A+B+C+D+E eine völlig andere und sogar auf einem/r erfinderischen Schritt/Tätigkeit beruhende Erfindung als A+B+C+D ist ;-).

Der, aber nur genau der, Gegenstand, der in einem abgelaufenen Patent beschrieben/gezeigt ist, ist nach Ablauf grundsätzlich frei verwendbar. Abgewandelte oder (mit weiteren Merkmalen) weiterentwickelte Gegenstände jedoch nicht notwendigerweise. Und genau über diesen beschriebenen Gegenstand/Erfindung machen deine Zitate eine Aussage (und über diesen kann man eine Aussage machen), aber nicht über mit ähnlichen oder weiteren Merkmalen abgewandelte/weiterentwickelte Gegenstände. Und mögliche "Fehler" (bei einer Patenterteilung) werden eigentlich bei grundsätzlichen Aussagen grundsätzlich nicht berücksichtigt ;-). Es könnte ja auch passieren, dass irgendein Gericht eine Verletzung feststellt, obwohl der Gegenstand „korrekt“ betrachtet, gar nicht in einen Schutzbereich reinfällt ;-). Willst du dann in ein FTO oder ähnliches jedes Mal reinschreiben „Sofern die Gerichte keine Fehler machen“ ;-) ?

Die viel größere Musik spielt doch bei den Aussagen nicht im „DIE“ Erfindung, sondern im „nach dem Ablauf“ ;-). Die ganzen Aussagen treffen natürlich nur dann zu, wenn der Schutz tatsächlich abgelaufen ist, d.h. die maximale Schutzdauer vorbei ist. Nicht nachfolgende Weiterentwicklungen/Umgestaltungen machen doch wenn das Problem, sondern ältere Schutzrechte, von denen das „untergegangene“ abhängig sein könnte. Angenommen den Fall jemand hat das abhängige Patent auf die Erfindung A+B+C+D+E „über“ das ältere Patent A+B+C+D bekommen, weil „E“ eine erfinderische Tätigkeit begründet. Dann zahlt der Patentinhaber des abhängigen Patents A+B+C+D+E im 5. Jahr keine Jahresgebühren (weil ihm beispielsweise klargeworden ist, dass es eh „nur“ ein abhängiges Patent ist). Dann kann man natürlich trotz „Nicht-Aufrechterhalten“ des abhängigen Patents dessen Erfindung A+B+C+D+E nicht frei nutzen, weil man damit, sofern noch in Kraft, das ältere Patent A+B+C+D verletzen würde. Und da schreibt dann, wenn deine Zitate so stimmen und nicht aus dem Zusammenhang gerissen sind, das EPA natürlich, wie beim EPA nicht anders zu erwarten, Blödsinn, wenn es ausdrücklich das „nicht mehr aufrechterhalten“ (und logischerweise bei deinen Zitaten auch nur das EPA ;-) ) als ausreichend für die Freiheit der Erfindung ansieht. Aber seien wir mal ehrlich, wer glaubt denn noch daran, dass man vom EPA korrekte/sinnvolle Aussagen/Entscheidungen erhalten kann? Der glaubt dann womöglich auch, passend zur Jahreszeit, an den Weihnachtsmann ;-).
 
Zuletzt bearbeitet:

Kurt

*** KT-HERO ***
Servus PatFragen,

Dein Beitrag verdient detailliertere Diskussion, wozu der Beginn des Arbeitstags leider nicht ideal ist.
Der, aber nur genau der, Gegenstand [mit den Merkmalen A, B, C und D], der in einem abgelaufenen Patent beschrieben/gezeigt ist, ist nach Ablauf grundsätzlich frei verwendbar.
Allerdings muss ich dieser Aussage auf jeden Fall kurz widersprechen. Kern meines vielleicht begrifflich nicht vollständigen Eingangsbeitrags ist es, dass auch und gerade der Schutzgegenstand oder Anspruchsgegenstand (in einer realen Welt) nach Ablauf eines Patents keineswegs "frei verwendbar" ist.
 

PatFragen

*** KT-HERO ***
Ach, die "Diskussion" ist eigentlich recht kurz ;-).
Du brauchst nur zu überlegen, ob für dich der Gegenstand D der gleiche Gegenstand wie D' oder D+E ist. (Anders ausgedrückt, sind das die gleichen Buchstaben für dich ;-) ). Das ist die "einzige" Frage (außer das Problem des "Ablaufs", aber das hattest du ja nicht angerissen ;-) ), die für eine grundsätzliche Aussage zu klären ist ;-). Und für den Fall, dass du meinst, dies wäre der gleiche Gegenstand, hatte ich dich schon auf ein dann auftauchendes logisches Problem hingewiesen ;-).
 

Kurt

*** KT-HERO ***
Wenn das Patent den Gegenstand D beansprucht=schützt, dann ist nach Ablauf des Patents der Gegenstand D keineswegs frei verwendbar. Dies auszudiskutieren könnte allerdings etwas länger dauern, ich benachrichtige schon mal @Charles Popper💁‍♂️
 
Zuletzt bearbeitet:

PatFragen

*** KT-HERO ***
Du weichst der Antwort auf die entscheinde Frage aus ;-).
Ohne Antwort auf diese (D=D'=D+E?) ist aber jede "Diskussion" absolut müßig ;-). Aber lass dir ruhig Zeit mit der Beantwortung. Nicht dass du überhastest auf eine der bereits ausgelegten "Tretminen" trittst :).
 

PatFragen

*** KT-HERO ***
Also ist D nicht gleich D' oder E, wenn ich dein "negativ" richtig interpretiere (weil das war jetzt sehr kurz :) ) ?
Na dann schau dir einfach nochmal deine "Problemfälle" an ;-).
Die fallen entweder in die Rubrik "D' " (ähnlich/abgewandelt) oder "D+E" (einige oder viele weitere Merkmale) . Oder "Fehler beim Amt(/Gericht)" und dafür war die "Tretmine" vorgesehen, dass "Fehler" bei grundsätzlichen Aussagen grundsätzlich nicht berücksichtigt werden ;-). Versuch einfach mal, einen "Problemfall" zu finden, der nicht in die Rubriken (und nicht in die Falschaussage des EPA, d.h. kein Ablauf der maximalen Schutzdauer) fällt ;-). Darüber lohnt sich dann vielleicht eine Diskussion ;-).
 

PatFragen

*** KT-HERO ***
Äh?

"weitere Schutzrechte auf fast denselben Gegenstand angemeldet wurden", d.h. "D' ";

"beispielsweise weil der Prüfer das "Ablaufpatent" nicht gefunden oder nicht nachdrücklich entgegengehalten hat", d.h. "Fehler" des Amtes; und

"Ein weiteres Beispiel besteht doch darin, dass bei einer späteren Kopie des Gegenstands des "Ablaufpatents" (nach dessen Ablauf) nicht nur exakt dessen Anspruchsmerkmale vorhanden sein dürften, sondern einige oder üblicherweise viele weitere Merkmale – womit der Gegenstand dann eine beliebige Zahl anderer Schutzrechte verletzen könnte." , d.h. "D+E".

Also alles keine Problemfälle, weil die von dir zitierten Aussagen ja nur die freie Nutzung genau des Gegenstandes "D" betreffen ;-).

Oder was bezeichnest du jetzt als "Kategorie 2"? Meinst du dein "[2]"?
Dann muss ich dir sagen, die Frage, ob eine Aussage wahr oder unwahr ist, hat nichts damit zu tun, ob eine Aussage nützlich oder unnütz ist ;-).
 
Oben