Wird Deutschland immer innovationsfeindlicher?

Z

Zeppo

Guest
Ich habe hier einen interessanten Beitrag aus dem "Spiegel"-Forum gefunden, den ich zur Diskussion stellen möchte.

Vorstandsbesprechung 1984, technisches Unternehmen:
12 ca. 55-65 jährige Herren sitzen um den Tisch und haben mit 1-3 Fragen jeden fachlichen Schwachpunkt meines 10 Minuten Vortrages am Overheadprojektor aufgedeckt und hinterfragt. Alle haben in 40jähriger Betriebszugehörigkeit fast alle Räumlichkeiten und Technologien des Unternehemns erlebt und kennen typischerweise mehr als die Hälfte der etwa 25.000 Mitarbeiter aus persönlicher Arbeit und Begegnungen.
Sie sind die besten und erfahrensten Fach- und Sachexperten des Unternehmens und ihnen reicht niemand fachlich das Wasser.

Geschäftsführermeeting 2004, anderes technisches Unternehmen:
sechs, in schwarzem Designer-Businessdress gekleidete Damen und Herren sitzen lässig mit übergeschlagenen Beinen etwas hinterm Designer-Tisch, schlank, groß, gutaussehend, braungebrannt, lifegestylte - normiertes Aussehen. Alle Jura und BWL gebildet, zwischen 28 und 35 Jahre alt. Hochkommunikativ, redegewandt und schlagfertig, smart: "Talente", "High Potentials".
Sie blicken lässig auf die Powerpointpräsentation und kümmern sich in dem 10 Minutenvortag knappe 5 Minuten um die Richtigkeit des "Corporate Designs" (Farbe, Logo), die anderen 5 Minuten achten sie primär auf den Vortragenden: Gestik, Äußeres, Rhetorik. Maximal 5 nicht technische Bulletpoints pro Folie sind erlaubt. Fachliche Fragen zur Präsentation: keine!

Von den Vorständen 1984, selbst Ingenieure und Techniker, hatte fast jeder eine persönlich Idee die er als "Hobby" aus seiner Position heraus umsetzte und so trieben sie das Unternehmen von einer Innovation in die andere. Manche davon waren erfolgreich am Markt, kaum eine betriebswirtschaftlich perfektioniert. Sie verstanden ihre Mitarbeiter, deren Probleme und Sprache und kannten deren Arbeitsbedingungen persönlich.

Die "Geschäftsführer" 2004 waren Juristen und BWLer, die schon im Elternhaus gelehrt bekamen, wie sie ihr Sozialverhalten anpassen müssen um schnell in jungen Jahren Karriere zu machen. Sie prostituierten sich im Jahrestakt von einem Unternehmen zum anderen dank eines guten Beziehungsgeflechtes, einer Art "Postenschieber-Maffia". Ihr technisches Verständnis war null, vom Rest des Unternehmens und deren Mitarbeiter waren sie entkoppelt - sie bildeten eine eigene Kaste. So wurden Sie belogen und mit opportunistischen Falschinformationen versorgt, auf deren Basis sie unternehmerische (Fehl-)Entscheidungen trafen. Technologische Ideen? Fehlanzeige! Konsequenz: die Firma kämpfte ständig um das finanzielle Überleben!

Schaut man nach Asien, so sitzen dort meist Ingenieure an der Unternehmensspitze und arbeiten technologiebegeistert an Entwicklungen und Verbessereungen.

Deutschland aber verliert mangels Innovation den technologischen Anschluß und wird auf den Kostenwettbewerb reduziert den dann die BWLer und Juristen in den Führunsetagen verstehen!

Diese "hochkommunikativen Talente" aus BWL'er und Juristen ruinieren also das Land. Und unter diesen Führungsbedingungen ist der Ingenieurmangel natürlich, den Ingenieure und Naturwissenschaftler - als fach- und sachorientierte Menschen - sind die Verlierer dieses Systems!
 
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Robby

Guest
Die Sache ist ganz einfach: Am Markt wird das Unternehmen erfolgreich sein, dass am meisten Geld verdient, mit innovativen Produkten oder mit Billigem, was teuer verkauft wird undundund.... Vielleicht haben die alten Herren irgendwann etwas falsch gemacht?

Nein, in der Regel nicht, die alten Herren haben meist wenig falsch gemacht und sie verdienen auch heute noch viel Geld oder ihre Firmen verdienen viel Geld. Das, was Du da zitierst ist eine Einzelbetrachtung, die für mich klingt wie "an den Unis wird nichts vernünftiges gelehrt" eines an der Uni Gescheiterten.

Ich kenne jede Menge Unternehmen, in denen alte Herren Innovationen bremsen und ich kenne alte Herren, die dauernd junge Leute antreiben Neues zu schaffen, um Produkte billiger und besser herzustellen.

Viel problematischer finde ich in Deutschland etwas ganz anderes: Hohe Steuern auf Einkommen, hohe Sozialabgaben und andererseits niedrige Erbschaftssteuern. Die Folge: Leistung lohnt von Jahr zu Jahr weniger - Erben und reich heiraten sind wesentlich bessere Alternativen kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Da suchen sich die Leistungsfähigen halt oft lieber andere Winkel der Erde aus, in denen die eigene Leistung weniger bestraft wird.
 
A

Alter Sack

Guest
Ich kann Zeppo nur zustimmen.

Was noch nicht einmal im Spiegel Platz finden wird, weil es niemand glauben würde, ist der apodiktische Ausspruch eines BWL-Profs an einer der in diesem Fach profiliertesten deutschen Unis: "Merken Sie sich, Ingenieure und Naturwissenschaftler braucht niemand!"

Die besagten alten Herren werden heute einfach aus Altersgründen nicht mehr da sein. Daß auch alte Säcke (wie der Verfasser dieses Beitrags :) ) nicht die Weisheit für sich gepachtet haben und durch übermäßigen Konservativisums zu Fortschrittsbremsen werden können, bestreitet keiner. Die Frage ist, was die /richtige/ Antithese dazu ist (huch, es hegelt). Eine Antithese ist noch lange nicht bloß deswegen gut, nur weil sie eine Antithese ist. Und die Tendenz in Deutschland, auf eine gewisse Art von Show hereinzufallen, ist unübersehbar: Die Größe der Reklameplakate ist wichtiger als Produktqualität. Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, Gelder von der Entwicklung anzuziehen und ins Marketing zu stecken.

Willy: That refrigerator consumes belts like a goddamn maniac... I told you we should rather buy a well-advertised machine.
Linda: But that one had the biggest advertisements of all!
--- Arthur Miller: "Death of a Salesman"

Mal ganz im Ernst, ist es eigentlich standeswidrig für einen PA, sich nebenbei im Bereich Marketing/Werbung zu engagieren? Überlege mir zur Zeit wirklich, meinen Stall in eine Werbeagentur umzuwandeln.
 
B

brix

Guest
@ Alter Sack
"Mal ganz im Ernst, ist es eigentlich standeswidrig für einen PA, sich nebenbei im Bereich Marketing/Werbung zu engagieren? Überlege mir zur Zeit wirklich, meinen Stall in eine Werbeagentur umzuwandeln. "

Ich fände es keinesfalls standeswidrig - zudem muß Werbung ja nicht zwangsläufig flach und/oder schreiend sein. Habe vor Patenten in der ÖA gearbeitet - und stelle immer wieder fest, dass nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Patentleute (in Firmen) manchmal etwas resistent gegenüber der (Selbst-)vermarktung sein können.

Also, wenn das eine ernstgemeinte Überlegung ist und ggf. noch Manpower gebraucht wird, ich hätte Interesse!
 
P

PHB

Guest
Man darf nicht vergessen, dass alle Abläufe auf dem Weg Rohstoff => Produkt immer komplexer werden. 1950 konnte ich noch drei Säcke Rohstoffe in eine Maschine kippen, aus der hinten Knöpfe rauskamen, die ich für einen Pfennig pro Stück verkaufen konnte. Heute werden die drei Säcke in China in die Maschine gekippt, wobei die Standards am Arbeitsplatz eher noch schlechter als in Deutschland 1950 sind: wir haben nämlich in den letzten 60 Jahren zigtausend Seiten Gesetze zur Arbeitsplatzsicherheit, Umweltauflagen usw. erlassen.

In einer deutschen E-Werkstatt müssen heute geschätzte anderthalb Meter VDE-Vorschriften stehen. Wenn man meint, ein Verlängerungskabel einfach mal herstellen und verkaufen zu können, indem man ein paar Plastikteile und ein paar Meter Kabel zusammenbaut, ist schlicht naiv. Produkthaftung, Sicherheitsvorschriften usw. sorgen dafür, dass man erst einmal einen Stab von Leuten braucht, die das Produkt darauf prüfen, ob es in Deutschland auch nur angeboten werden darf. Und damit die vielen Leute richtig zusammenarbeiten, braucht man noch mehr Leute, die das koordinieren. Und um die ganzen Abgaben vom Lohn der Arbeitnehmer richtig zu berechnen, braucht man eine Abteilung mit Leuten, die mehr können müssen als 1950 (Geld für die Lohntüte abzählen). Und dann hat man ja noch keine Qualitätssicherung, die manche geschäftsmäßigen Abnehmer aber vorschreiben, wenn sie eines der Produkte kaufen. Und so geht das dann immer weiter. Die alten Ingenieure in der Chefabteilung haben sich da vermutlich vor Gram freiwillig in den Ruhestand zurückgezogen...

Wenn man es sich genau überlegt, fragt man sich, warum z.B. ein Autounternehmen überhaupt Patente anmeldet. Verletzungsklagen starten die eh im seltensten Fall, verklagt werden sie höchstens von kleinen produktionslosen Patenttrollen (wird garantiert auch in EP ein Trend werden). Und wer nicht wenigstens eine Milliarde Euro in der Tasche hat, kann heutzutage ohnehin kein marktfähiges Auto mehr bauen, so dass ein Patent auf eine besonders clevere Autositzhalterung im Vergleich wohl keine nennenswerte Markteintrittshürde darstellen dürfte...
 
R

Rosa Detlef

Guest
Gert schrieb:
Beim Marketing gehts auch femininer zu.
Eiteitei, man(n) ist immer so whaiblich, whie mhan sich fühlt.
Abher dhas khann dhurchaus in ainen harten Whettbhewherb ausahrten. Dhie wherfhen mit Whattebhählchen!
 
E

Egomanes Pizzaphages

Guest
PHB schrieb:
Man darf nicht vergessen, dass alle Abläufe auf dem Weg Rohstoff => Produkt immer komplexer werden.
Die Summe aller Laster bleibt konstant (moralisch, nicht verkehrstechnisch): Die rohe Produktivität pro Mannstunde steigt gleichzeitig dazu, bzw. wenn sie's nicht tut, sei dem Unternehmer dringend angeraten, fachkundige Hilfe zu Hilfe zu ziehen und an seiner Automatisierung zu feilen (auch kein Wortspiel beabsichtigt). Wieviele Knöpfe hat ein Arbeiter pro Stunde anno 1950 fabrizieren können? Wieviele 2007?

PHB schrieb:
Wenn man es sich genau überlegt, fragt man sich, warum z.B. ein Autounternehmen überhaupt Patente anmeldet. Verletzungsklagen starten die eh im seltensten Fall, verklagt werden sie höchstens von kleinen produktionslosen Patenttrollen (wird garantiert auch in EP ein Trend werden). Und wer nicht wenigstens eine Milliarde Euro in der Tasche hat, kann heutzutage ohnehin kein marktfähiges Auto mehr bauen, so dass ein Patent auf eine besonders clevere Autositzhalterung im Vergleich wohl keine nennenswerte Markteintrittshürde darstellen dürfte...
Wenn man es sich genau überlegt, fragt man sich, warum es z.B. das NATO-Müllitär gibt. Angriffe starten die eh im seltensten Fall, angegriffen werden sie höchstens von kleinen Terrortrollen...

Ich denke, die Seltenheit offener Zusammenstöße ist eher auf eine sehr genaue Beobachtung der Konkurrenz mit allen legalen und... na ja, halt mit allen legalen Mitteln zurückzuführen. Um Markteintrittshürden geht es dabei weniger als um den Wettkampf der Etablierten untereinander.

Und dann darf man auch nicht vergessen, daß es in jeder Firma einen Haufen einfallsloser Hurgler gibt, die (meist kurz vor Weihnachten) mit muffensausender Panik irgendeinen Blödsinn, typischerweise seit 30 Jahren im SdT, anzumelden versuchen müssen, um ihr mageres Jahrespensum zu tunen und ein Jahr länger dem Verhartzen zu entrinnen... IMHO sollte man die Anzahl solcher "Verlegenheitsanmeldungen" im Stil von "Pizza, dadurch gekennzeichnet, daß sie keine Gurkenscheiben enthält" in Deutschland nicht unterschätzen.
 
S

Selbstkritiker

Guest
Beim Lesen dieser Beiträge fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Immer erst vor der eigenen Tür kehren.

PHB schrieb:
Wenn man meint, ein Verlängerungskabel einfach mal herstellen und verkaufen zu können, indem man ein paar Plastikteile und ein paar Meter Kabel zusammenbaut, ist schlicht naiv. Produkthaftung, Sicherheitsvorschriften usw. sorgen dafür, dass man erst einmal einen Stab von Leuten braucht, die das Produkt darauf prüfen, ob es in Deutschland auch nur angeboten werden darf. Und damit die vielen Leute richtig zusammenarbeiten, braucht man noch mehr Leute, die das koordinieren.
Ergänze "Produkthaftung, Sicherheitsvorschriften usw." um "sämtliche gewerblichen Schutzrechte"! Der Aufwand dafür ist kostenmäßig (PA etc.) enorm, wenn man es richtig macht. Und selbst dann kann einem noch etwas später veröffentlichtes den Garaus machen. Ich sehe mich bestätigt:

Egomanes Pizzaphages schrieb:
Ich denke, die Seltenheit offener Zusammenstöße ist eher auf eine sehr genaue Beobachtung der Konkurrenz mit allen legalen und... na ja, halt mit allen legalen Mitteln zurückzuführen. Um Markteintrittshürden geht es dabei weniger als um den Wettkampf der Etablierten untereinander.
QED
 
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Fritz

Guest
Wenn man meint, ein Verlängerungskabel einfach mal herstellen und verkaufen zu können, indem man ein paar Plastikteile und ein paar Meter Kabel zusammenbaut, ist schlicht naiv. Produkthaftung, Sicherheitsvorschriften usw. sorgen dafür, dass man erst einmal einen Stab von Leuten braucht, die das Produkt darauf prüfen, ob es in Deutschland auch nur angeboten werden darf. Und damit die vielen Leute richtig zusammenarbeiten, braucht man noch mehr Leute, die das koordinieren.
Naiv ? Warum ? So arbeiten doch die Chinesen ... sie zertifizieren Konformität, ohne zu wissen, worum es geht, und der Importeur verlässt sich gerne auf das Papier. Wenn man wirklich kontrollieren würde, was da so auf den Markt kommt, wären chinesische Produkte auch viel teurer. Und das hängt nur von uns (d.h den alten Industrieländern) ab. Ich kenne Unternehmen, die mir mit genauen Zahlen vorrechnen, warum es sich für sie nicht lohnt, in China arbeiten zu lassen, insbesondere dann, wenn die Maschinen teuer und kompliziert sind.
 
F

Fritz

Guest
Zeppo schrieb:
Deutschland aber verliert mangels Innovation den technologischen Anschluß und wird auf den Kostenwettbewerb reduziert den dann die BWLer und Juristen in den Führunsetagen verstehen!

Diese "hochkommunikativen Talente" aus BWL'er und Juristen ruinieren also das Land. Und unter diesen Führungsbedingungen ist der Ingenieurmangel natürlich, den Ingenieure und Naturwissenschaftler - als fach- und sachorientierte Menschen - sind die Verlierer dieses Systems![/i]
Diesen Spiegel-Artikel halte ich für ziemlichen Schwachsinn. Der Spiegel war noch nie um eine Pointe verlegen, auch auf Kosten der Wahrheit : diese Antithese gilt nur für einen Spezialfall, nämlich Strategie-Beratungsfirmen, die m.E. tatsächlich unsere Wirtschaft ruinieren.
Ansosten braucht diese Antithese eine Prothese !!
 
A

Alter Sack

Guest
Fritz schrieb:
Der Spiegel war noch nie um eine Pointe verlegen, auch auf Kosten der Wahrheit
Gilt für allen kommerziellen Journalismus. Die Verkaufszahlen machen das Geschäft, nicht die Wahrheit. Und überhaupt - quid est veritas?

Fritz schrieb:
gilt nur für einen Spezialfall, nämlich Strategie-Beratungsfirmen, die m.E. tatsächlich unsere Wirtschaft ruinieren.
Hmm, ich kenne mehr Leute (Naturwissenschaftler und Wiwis), die sich für McKinsey & Friends entschieden haben, als fürs Patentwesen, und auch jede Menge Firmen, die sich solchermaßen berat(t)en lassen. Rein quantitativ erscheint mir dieser Spezialfall daher gar nicht *so* speziell.

just my €0.02...
 
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