PAP (w) Lösungsvorschlag zu Teil I der wiss. Aufgabe II/2010 (Arbeitnehmererfinderrecht)

AachenerKreuz

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Wissenschaftliche Prüfungsaufgabe II/2010 Teil 1

Müller und Meier (M&M) könnten einen Anspruch auf Zahlung einer Arbeitnehmererfindervergütung gegen Schmidt (S) aus § 9 (1) ArbEG haben. Dazu müssten sie eine Diensterfindung gemacht haben, die S in Anspruch genommen hat.

Dazu müsste zunächst eine Diensterfindung von M&M vorliegen und S als Arbeitgeber gemeldet worden sein. Indem ein deutsches Patent erteilt wurde, liegt per definitionem eine Erfindung vor. Indem die Arbeiten im Rahmen eines Projektes von S durchgeführt wurden, handelt es sich um Arbeiten, die M&M im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit oblagen. Nach § 4 (2) Nr. 1 ArbEG liegt damit eine Diensterfindung vor.

Fraglich ist, ob die Diensterfindung ordnungsgemäß gemeldet wurde. Dem könnte entgegenstehen, dass die Erfindungsmeldung keine Erfinderanteile enthält, sondern deren Ermittlung explizit S überlässt. Nach § 5 (2) S. 2 ArbEG gehören zu einer ordnungsgemäßen Erfindungsmeldung auch die Mitarbeiter an der Erfindung nebst einer Darstellung von Art und Umfang ihrer Mitarbeit. Indem diese Angaben fehlen, ist die Erfindungsmeldung zunächst nicht ordnungsgemäß.

Dieser Mangel könnte jedoch durch § 5 (3) ArbEG geheilt sein, wenn S die Ergänzungsbedürftigkeit der Erfindungsmeldung nicht gerügt hat. S hat keine solche Rüge ausgesprochen. Damit gilt die Erfindungsmeldung als ordnungsgemäß.

Fraglich ist zudem, inwieweit es sich um eine Erfindung von M&M handelt. M&M berichten in der Meldung über Erkenntnisse aus dem 1. Quartal 1992, die in die Patentschrift eingeflossen sind. Eine Erfindung ist jedoch eine Lehre zum technischen Handeln (unter Ausnutzung beherrschbarer Naturkräfte) zur Erzielung eines kausal übersehbaren Erfolgs. Die Erkenntnisse enthalten diese Lehre noch nicht und sind daher noch keine Erfindung. Bezüglich des Verfahrens ist eine Erfindung somit erst im Rahmen der von Lehmann (L) durchgeführten Weiterentwicklung fertiggestellt worden. Die Erkenntnisse von M&M haben jedoch die Arbeiten von L in eine fruchtbare Richtung gelenkt, so dass die letztendliche Fertigstellung der Erfindung durch L einer Miterfinderschaft von M&M, die den Boden für diese Fertigstellung bereitet haben, nicht entgegensteht.

Zwischenergebnis: Indem S die gemeldete Erfindung in Anspruch genommen hat, ist dem Grunde nach ein Anspruch auf Arbeitnehmererfindervergütung entstanden.

Nach § 11 ArbEG können zur Bemessung der Vergütung der Höhe nach die Vergütungsrichtlinien (RL) herangezogen werden. Nach RL 2 ist zunächst der Erfindungswert zu bestimmen, der ein Maß für den wirtschaftlichen Nutzen des Arbeitgebers an der Erfindung ist, und anschließend ein Anteilsfaktor, der den dem Arbeitnehmer gebührenden Anteil an diesem Nutzen verkörpert.

Gemäß Rechtsprechung ist der Erfindungswert vorrangig nach der Lizenzanalogie zu bestimmen (RL 4 und 6). Es ist dann der Betrag, den der Arbeitgeber einem freien Erfinder für die Nutzung der Erfindung hätte zahlen müssen und durch die Inanspruchnahme als Diensterfindung erspart hat.

Ob S ein Erfindungswert zugewachsen ist, könnte dadurch in Frage gestellt sein, dass S nicht Patentinhaberin ist. S hat jedoch durch die Vergleichsverhandlungen mit L das Recht zur kostenlosen Nutzung bekommen und ist damit, was ersparte Aufwendungen an Lizenzgebühren angeht, einer Patentinhaberin gleichgestellt.

Ob S ein Erfindungswert zugewachsen ist, könnte außerdem noch durch fehlende Schutzfähigkeit der Erfindung in Frage gestellt sein. Indem die Vorrichtung Besuchern noch vor dem Anmeldetag der Patentanmeldung gezeigt und auch das Verfahren vorgeführt wurde, gehörte gemäß § 3 (2) PatG die Erfindung am Anmeldetag bereits zum Stand der Technik und war somit nicht mehr neu. Allenfalls ist hier noch fraglich, inwieweit die Vorführung laufender Versuche tatsächlich alle Merkmale des später zum Patent angemeldeten Verfahrens offenbart hat. Dadurch ist das Patent vernichtbar geworden. Hat nun ein Dritter das Patent erst einmal vernichtet, steht ihm die Nutzung der Erfindung frei, und S hat insofern keine Vorzugsstellung mehr aus der Tatsache, dass er die Erfindung von M&M in Anspruch nehmen konnte. Aktuell bestehen die Patente jedoch noch und halten Dritte, die die nichtschriftliche Offenbarung vor dem Anmeldetag nicht kennen, von der Benutzung fern. Somit hat S trotz dieser Offenbarung eine Vorzugsstellung bezüglich der Benutzung erlangt.

Zwischenergebnis: Damit sind die Nutzungshandlungen von S vergütungspflichtig. Es ist ein der Höhe nach gemäß Lizenzanalogie bezifferbarer Vergütungsanspruch von M&M gegen S entstanden.

S könnte gegen diesen Anspruch jedoch gemäß § 388 BGB mit einem Schadenersatzanspruch aus §§ 823 (2) BGB i.V.m. § 5 (1) ArbEG gegen M&M aufrechnen.

Ein solcher Gegenanspruch von S gegen M&M könnte entstanden sein, wenn M&M die Erfindung vorsätzlich oder fahrlässig nicht unverzüglich gemeldet haben und S hierdurch ein Schaden entstanden ist. Hierin läge ein Verstoß gegen § 5 (1) ArbEG, der als Schutzgesetz zu Gunsten von S im Sinne von § 823 (2) anzusehen ist. Eine unerlaubte Handlung im Sinne dieser Norm kann nicht nur in einem Tun, sondern auch in einem Unterlassen bestehen.

M&M könnten verpflichtet gewesen sein, die Erfindung zum Zeitpunkt ihrer ersten Erkenntnisse im 1. Quartal 1992 zu melden. Wie zuvor festgestellt, lag zu diesem Zeitpunkt noch keine fertige Erfindung vor. Die Erfindung ist jedoch erst unverzüglich nach Fertigstellung zu melden. Also waren M&M im 1. Quartal 1992 noch nicht verpflichtet, die Erfindung zu melden.

Zumindest im Umfang der Vorrichtung war die Erfindung jedoch spätestens unmittelbar vor dem Zeitpunkt fertiggestellt, zu dem die Betriebsführungen durchgeführt wurden. Damit waren M&M spätestens zu diesem Zeitpunkt verpflichtet, die Erfindung zu melden.

Hieraus könnte ein Schadensersatzanspruch entstanden sein, wenn dieser Verstoß rechtswidrig und schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) war sowie S hieraus ein Schaden entstanden ist. Rechtfertigungsgründe für die verspätete Meldung der Erfindung sind nicht ersichtlich. Von Mitarbeitern, die mit Entwicklungsarbeiten betraut sind, darf erwartet werden, dass sie auf das Spannungsfeld zwischen der frühzeitigen Offenbarung von Neuentwicklungen und dem nötigen Erwerb gewerblicher Schutzrechte hinreichend sensibilisiert sind. Damit war die verspätete Erfindungsmeldung fahrlässig.

Der S entstandene Schaden ist durch Vergleich der derzeitigen Güterlage von S mit einer hypothetischen Güterlage unter Ausschaltung der pflichtwidrigen Unterlassung zu ermitteln, wobei der Ersatzanspruch selbst unberücksichtigt bleibt.

Ein S entstandener Schaden könnte zum Einen darin liegen, dass S nicht Mitinhaberin des Patents geworden ist, sondern lediglich den Gegenstand des Patents von L benutzen darf. Damit dieser Schaden M&M angelastet werden kann, müsste er jedoch auch adäquat kausal auf die verspätete Meldung zurückzuführen sein, d.h. die verspätete Meldung müsste typischerweise geeignet sein, diese Art von Schaden herbeizuführen. Die alleinige Inhaberschaft von L am Patent ist jedoch nicht allein durch die verspätete Meldung herbeigeführt worden, sondern geht wesentlich auch auf das Verhalten von L zurück, mit dem M&M nicht rechnen mussten. Also ist dieser Schaden nicht adäquat kausal durch die verspätete Erfindungsmeldung verursacht worden.

Ein S entstandener Schaden könnte zum Anderen darin liegen, dass das Patent nicht rechtsbeständig, sondern jederzeit von einem Dritten vernichtbar ist. Indem jedoch aktuell das Patent noch in vollem Umfang besteht, ist die diesbezügliche Güterlage von S faktisch noch nicht verschlechtert worden, sondern es besteht lediglich eine latente Bedrohung. Diese ist zum jetzigen Zeitpunkt noch kein bezifferbarer Schaden.

Die Aufrechnung ist nun die gegenseitige Tilgung gegenseitiger, fälliger, gleichwertiger und einredefreier Forderungen durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Indem der Schaden aktuell nicht bezifferbar ist, eignet sich der Schadensersatzanspruch aktuell nicht als Gegenforderung im Sinne von „gleichwertig“, die gegen den Vergütungsanspruch von M&M ins Feld geführt werden kann.

Damit ist der Vergütungsanspruch nicht durch Aufrechnung untergegangen.

Ergebnis: M&M haben einen Anspruch auf Arbeitnehmererfindervergütung gegen S.

Variante 1:

M&M können nur dann eine Chance auf eine Vergütung wahren, wenn sie nach § 34 (3) ArbEG dem Einigungsvorschlag widersprechen. Ansonsten gilt eine Vereinbarung mit dem Inhalt des Vorschlags als zustande gekommen und ist für die Parteien bindend. Nur wenn fristgerecht ein Widerspruch bei der Schiedsstelle eingeht, kann nach § 37 (1) ArbEG der Anspruch auf Vergütung im Wege der Klage geltend gemacht werden. Die Klage kann nach § 38 ArbEG auf Zahlung einer vom Gericht festgesetzten angemessenen Vergütung gerichtet werden. Zuständig ist das Landgericht am Sitz von S gemäß §§ 39 ArbEG, 143 PatG, 12, 13 ZPO.

Variante 2:

Nach § 20 ArbEG besteht für qualifizierte technische Verbesserungsvorschläge, die dem Arbeitgeber eine ähnliche Vorzugsstellung gewähren wie ein gewerbliches Schutzrecht, ein zur Arrbeitnehmererfindervergütung analoger Vergütungsanspruch. In diesem Wortlaut steckt jedoch, dass ein und dieselbe Leistung nicht gleichzeitig ein qualifizierter Verbesserungsvorschlag und eine patentierte Erfindung sein kann. Daher scheidet § 20 ArbEG als Anspruchsgrundlage aus.

Anspruchsgrundlage wäre somit allein der Einigungsvorschlag selbst als vertraglicher Anspruch, sofern diesem durch Unterlassung eines rechtzeitigen Widerspruchs zugestimmt wird.
 
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