Berufsalltag, Anzüge und Kundenkontakt

NewPatent175

Schreiber
Hallo zusammen,

ich überlege, ob der Beruf des Patentanwalts das Richtige für mich wäre, und bin gerade dabei, mir ein genaueres Bild vom Arbeitsalltag zu machen. Auf vielen Webseiten von Kanzleien sieht man Patentanwälte in Anzügen, was mich zu der Frage bringt: Gehört das hauptsächlich zum Marketing, oder gibt es tatsächlich mehr direkten Kundenkontakt und repräsentative Aufgaben, als ich bisher angenommen habe?

In meiner Vorstellung verbringt ein Patentanwalt den Großteil der Zeit im Büro, vor dem Computer, und bearbeitet Anmeldungen oder Schriftsätze. Jetzt frage ich mich aber: Wie viel Mandantenkontakt gibt es wirklich? Treffen die Mandanten regelmäßig persönlich im Büro ein, oder läuft vieles eher online ab? Findet der Austausch häufig per E-Mail statt, oder sind (Video-)Konferenzen die Regel?

Auch interessiert mich, ob Dienstreisen zum Alltag eines Patentanwalts gehören, beispielsweise für Treffen mit Mandanten, Verhandlungen oder Besuche bei Patentämtern und Gerichten. Ist es üblich, für solche Termine zu reisen, oder wird das heutzutage weitgehend digital abgewickelt?
 

cotardious

BRONZE - Mitglied
Um dich schonmal auf die häufigste Antwort auf juristische Fragen vorzubereiten:
Es kommt drauf an.

Ich habe bisher in zwei Kanzleien gearbeitet und da war/ist der persönliche Kontakt im Büro doch sehr rar. Generell arbeiten die meisten Patentanwälte die ich kenne auch nicht im Anzug sondern eher in Hemd und Jeans, Chino oder ähnliches. Es gibt natürlich auch Kanzleien in denen Anzug und Krawatte gewünscht/Pflicht ist oder im anderen Extrem die Kapuzenpulli-Shorts-Fraktion. Beides habe ich bisher aber wenig mitbekommen.

Viel Mandantenkontakt läuft über Mail, Telefon oder Videotelefonie, wobei der Kontakt je nach Mandant grob 5 - 10% der Zeit in Anspruch nimmt. Bei unseren Mandanten läuft der allermeiste Kontakt über Mail und Telefon. Videotelefonie idR nur wenn es etwas "großes/wichtiges" zu besprechen gibt.

Auch bei den Dienstreisen kommt es drauf an. Es gibt Patentanwälte die reisen höchstens einmal im Jahr zu einem Mandanten/Gericht und andere die treffen sich alle 2 Wochen vor Ort. Die allermeisten Verhandlungen vor Patentämtern und Beschwerdekammer des EPA finden mittlerweile online statt. Beim Bundespatentgericht (ausschließlich?) vor Ort. Bei Land- und Oberlandesgericht wird es sicherlich ähnlich sein, aber da habe ich keine Erfahrung. Wenn sich deine Kanzlei aber nicht gerade auf Litigation spezialisiert hat, dann sind die Termine vor den Gerichten aber eher selten.

Ist auf jeden Fall ein spannender Beruf und kann ich nur empfehlen! Ich würde allerdings auch empfehlen mal ein paar Tage/Wochen zu hospitieren, um einen Einblick in den Alltag zu gewinnen. Nicht jedem liegt der Beruf.
 

DMX

SILBER - Mitglied
Dem Vorredner kann ich nur zustimmen - es kommt absolut auf die einzelne Kanzlei und dann auch auf deine Position darin an.

In den zwei Kanzleien, die ich bisher von innen kenne, laufen höchstens mal die älteren Partner täglich im Anzugsakko rum, Krawatte eigentlich nur bei Terminen vor Gericht oder bei wenigen Mandanten. Die allermeisten Männer gehören der Hemd+Jeans-Fraktion an, und bei den meisten davon liegt das nicht zuletzt daran, dass man es vom früheren Leben als Ingenieur ohnehin gewohnt ist und die Hemde im Schrank hat. Poloshirt/neutrales T-Shirt als Alternative zum Hemd sowie Chinohosen oder anderweitige lange Hosen als Alternative zu den Jeans gehen ebenfalls. Bei den Frauen alles entsprechend, wobei sie unfairerweise in den heißen Monaten auch die Option eines Sommerkleides haben - was man als Mann temperaturbedingt nur beneiden kann, da T-Shirt und kurze Hose halt nicht ganz so luftig sind. Allerdings ist es durchaus üblich bzw. wird erwartet, dass ein vollwertiger, gut sitzender Anzug samt weißem Hemd und Krawatte im Schrank hängt und kurzfristig einsatzbereit ist. Habe ich in den letzten sechs Jahren genau zwei mal spontan (taggleich) gebraucht, da war es aber auch wichtig.

Was die Menge und Art der Mandantenkontakte angeht, hat es mein Vorredner ebenfalls passend beschrieben - es kommt stark drauf an. Die meiste Kommunikation ist ja ohnehin schriftlich, allein schon weil wir auch dem Amt/Gericht gegenüber ein schriftliches Verfahren führen. In der einen Kanzlei gab es für die Nichtpartner maximal alle paar Monate einen Mandantentermin, mal vor Ort, mal per Video. Die waren aber auf geschäftlicher Ebene (Akquise) und somit etwas... steifer. In der anderen Kanzlei wiederum gibt es alle paar Tage Videotermine, aber auf fachlicher Ebene und somit deutlich entspannter. Da kommt es auch mal vor, dass der Mandant selber im AC/DC-Shirt von seinem Garten aus teilnimmt. Vor Gericht bzw. Amt würde ich aber immer in Anzug erscheinen, so viel Respekt vor der Institution sollte schon sein. Gleichermaßen beim Vorstellungsgespräch. Overdressed ist man damit nie.

Dienstreisen sind am Anfang eher selten bzw. gar nicht vorhanden. Auch später sind es maximal einzelne Tage für Verhandlungen oder einzelne Mandantenbesuche. Erst wenn es Richtung Verpartnerung geht, kann es längere Akquisereisen mit vielen, gebündelten Mandantenterminen geben, das ist aber ein langer Weg dorthin. Und auch hier gilt - es kommt stark auf die Kanzlei an, ich berichte hier nur meine Erfahrung von einer kleinen und einer eher großen Kanzlei.

Lange Rede, kurzer Sinn - mMn spielen weder die Kleidungsordnung noch die Dienstreisen eine ausreichend große Rolle, um bei der Entscheidung für/gegen den Beruf berücksichtigt zu werden. Mach am besten ein Praktikum, dann hast du mehr und vor allem zuverlässigere Einblicke in den Alltag :)
 
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