Woran erkenne ich eine kompetente Ausbildungskanzlei ?

Hallo zusammen,

ich bin grade im letzten Jahr meiner Promotion und interessiere mich für den Beruf des Patentanwalts. Durch Gespräche mit Patentanwälten, Internetpräsenzen einzelner Kanzleien und schließlich durch dieses Forum (super informativ und hilfreich, vielen Dank!) konnte ich bereits Informationen rund um den Beruf und die Ausbildung des Patentanwalts erhalten.
Ein wenig auf dem Schlauch stehe ich jedoch bei "knallharten Kriterien" bzgl. einer guten Ausbildungskanzlei. Die meisten Internetseiten der Kanzleien sind professionell gestaltet und vermitteln einen seriösen ersten Eindruck. Könnt ihr mir weiterhelfen und mitteilen welche Punkte bei der Ausbildung besonders wichtig sind? Was zeichnet eine gute von einer weniger guten Kanzlei aus?

Vielen Dank vorab und viele Grüße
Stephan
 

Blood für PMZ

*** KT-HERO ***
Hallo Stephan,

diese und ähnliche Fragen haben natürlich so ziemlich jeden potentiellen Patentanwaltskandidaten seit über 100 Jahren bewegt und daher gibt es auch schon zahlreiche Threads hier im Forum, die sich damit beschäftigen. Eigentlich hätten sie Dir auffallen müssen, eine Handvoll steht schon hier ganz unten auf dem Bildschirm. Und immer wieder bedauere ich, dass die Leute, die vor ihrer Ausbildung die Tipps eingesammelt haben, danach keine Kommentierung abgeben.

Egal. Gäbe es ein für alle Kandidaten und Kanzleien geltendes objektives Kompetenzkriterium, so würde sich die kompetenteste Kanzlei unter den gut vernetzten Kandidaten herumsprechen. Dann wären alle dort, in der Kanzlei würden nur noch Kandidaten arbeiten und die Ausbildung würde sich in der Kanzlei drastisch verschlechtern, weil die dortigen Patentanwaltskollegen sich um keinen der Kandidaten mehr vernünftig kümmern könnten. Dann sollte man fluchtartig eine andere Ausbildungsstelle suchen und so fort.

Also stellt sich statt deiner knallharten Aufgabenstellung umgekehrt die Frage, welcher Kandidat geht nun in welche ausbildende Kanzlei?

Und dafür gibt es ein paar pauschale und nicht allgemeingültige Sätze:

1. In einer kleineren Kanzlei ist nicht jede Akte genau während Deiner Ausbildungszeit vertreten. Auch wenn die Kollegen anderes wollen, kannst Du bestimmte Sachen nur theoretisch kennen lernen, etwa aus Altakten. Wenn aber etwas da ist, wirst Du auch zwangsläufig involviert, weil deine Mitarbeit eingeplant ist. Der Anteil an Akten im Markenrecht ist (Faustregel) um so höher, je kleiner die Kanzlei ist.

2. In Industriepatentabteilungen ist der Anteil an Arbeitnehmererfinderrecht weit höher als in Kanzleien. Es werden mehr Patentrecherchen durchgeführt. Dafür gibt es teilweise keine Markenakten.

3. In großen Kanzleien ist zwar alles zumindest ein bisschen vorhanden, aber es wäre uneffektiv, dich in komplexen oder 5 Jahre dauernden Verfahren mitwirken zu lassen. Deine Produktivität wäre Null.

4. In Münchner Kanzleien ist der Anteil an ausländischen Mandanten traditionell deutlich höher als in anderen Kanzleien. Das hat Vorteile und Nachteile aus der Sicht des Kandidaten, die sich wohl automatisch erschließen.

Natürlich gibt es dann noch das Gesetz jeder Ausbildung zum Patentanwalt: Irgendwann kommt jeder Kandidat in seiner Ausbildungszeit zu der Erkenntnis, dass er sich in der falschen Kanzlei ausbilden lässt und eine andere besser gewesen wäre. Das muss so sein und den anderen geht es ja auch so. Und aus schlechten Erfahrungen lernt man fürs Leben. Drum prüfe wer sich ewig bindet ob er nicht noch was Besseres findet.

Frohes Schaffen
Blood für PMZ
 

philkopter

GOLD - Mitglied
Ich kann dem Vorredner nur zustimmen!

Aus meiner Sicht lässt sich keine generelle Regel formulieren, wobei es evtl. Tendenzen gibt:

1. Grosskanzlei

Höchstwahrscheinlich ein breites Spektrum an Fallkonstellationen und Verfahren. Es gibt ein paar interessante Statistiken bzgl. der Verfahren am EPA: https://www.nlo.eu/sites/nlo_corp/files/2018-06/7308-NLO-CO Artikel EPO Opposition-print v2.pdf

Einsprüche werden also häufig von denselben Kanzleien eingereicht. Noch extremer dürfte das in Beschwerdeverfahren sein. Insbesondere im Biotech-Bereich (keine Ahnung was Du machst) ist die Konzentration auf ein paar wenige Kanzleien extrem.

Solltest Du also vor allem an Streitsachen interessiert sein, könnte eine Grosskanzlei interessant sein. Allerdings wirst Du als Kandidat womöglich zunächst nicht daran teilnehmen und eher "unterm Radar" unterwegs sein. Ignoriert zu werden, kann natürlich auch gewöhnungsbedürftig sein.

2. Kleine Kanzlei

Während Du evtl. weniger der grossen Verfahren sehen wirst, kann es für Deine Ausbildung zuträglich sein überhaupt ausgebildet zu werden ;) Dabei magst Du zwar vorwiegend Anmeldung schreiben und das Prüfungsverfahren begleiten, der Kontakt zum Ausbilder und auch zum Sekretariat ist aber durchaus vorteilhaft. Ich kann da nur aus meiner eigenen Ausbildung in einer Grosskanzlei sagen, dass ich zu keinem Zeitpunkt mitbekommen habe wie Akten formal bearbeitet werden (Fristen, Jahresgebühren, IDS für USA/IL etc.). In einer kleineren Kanzlei ist man da als Kandidat sicher näher "am Geschehen", was dann in der Prüfung von Vorteil sein mag. Ferner wird man in einer kleinen Kanzlei evtl. auch mal anderen Prüfungsstoff mitbekommen, bspw. Marken, Designs usw. In einer Grosskanzlei machen das andere Abteilungen und als Kandidat wird man es nur in der Theorie mitbekommen.

3. Industrie

Ich kenne ein paar Kandidaten aus der Industrie. Ohne Einzelfälle herauszustellen, kann man denke ich sagen, dass die Ausbildung in der Industrie nicht unbedingt dazu führt, dass Du am Ende ein "kompletter" Anwalt bist. Meiner Einschätzung nach wird dort vor allem verwaltet und korrespondiert. Das Management eines Portfolios ist sicher auch anspruchsvoll, insbesondere im internationalen Kontext, doch rein für die Ausbildung ist die Tätigkeit weniger relevant.

Auf Basis meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass ich es nicht bereue in einer Grosskanzlei gewesen zu sein. Ich bin mir aber bewusst, dass ich viele Dinge für die Prüfung rein theoretisch lernen musste, während Kandidaten aus anderen Kanzleien auch praktische Erfahrung hatten. Die Mitarbeit an grossen Verfahren ist eine spannende Herausforderung, als Kandidat ist man dabei jedoch eher "Zuschauer" oder "Begleiter" und sicher nie in der Position selbständig arbeiten zu können. Das muss man auch akzeptieren können. In kleineren Kanzleien kann man evtl. schneller "aufsteigen", wenn man das denn möchte.

Ich hoffe das ergänzt die vorherigen Ausführungen in sinnvoller Weise.
 
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